31.07.2009

Das Artefakt VI

„Gut, Leute, wie weit sind wir jetzt also?" Mitchell klatschte auffordernd in die Hände.
McKay hatte sich hinter der Zeitung vergraben und war schlichtweg nicht ansprechbar, Sheppard und Uruhk saßen brütend nebeneinander und schienen ebenfalls aus der Wirklichkeit entkommen zu sein. Im Gegensatz zu den letzten zwei Tagen allerdings war ihr neuer Fluchtpunkt um einiges düsterer, jedenfalls strahlten sie sich gegenseitig nicht mehr an wie zwei Idioten.
Mitchell verzog unwillig das Gesicht über seinen zusammengewürfelten Haufen.
Hätte er Sheppard nicht machen lassen, wer konnte schon sagen, ob sie nicht vielleicht schon längst fertig gewesen wären. Immerhin hatte diese Antikerin ja erst mit dem Eiballen angefangen. Vielleicht wollte sie nur Zeit schinden, schließlich hatten die beiden die letzten zwei Tage damit verbracht, sich gegenseitig anzuturteln und sich wie Idioten zu benehmen.
„Jemand zu Hause?" fragte Mitchell ungeduldig.
Das IOA machte ihnen die Hölle heiß, wiesen sie nicht endlich Ergebnisse vor. Andere Ergebnisse als das Pärchen, das sich da so offensichtlich bildete. Und McKay, dem er im Stillen schon homosexuelle Neigungen zugesprochen hatte, ließ das auch noch zu!
„In der Datenbank habe ich einige Files gefunden", antwortete die Antikerin jetzt endlich. „Danach habe ich ein mögliches Datum des Schlüpfens errechnet. Ist zwar nur ein Richtwert, da wir das Datum der Eiablage nicht kennen, aber ..."
„Und wann tritt Ihre große Katastrophe ein, wenn wir sie nicht verhindern?"
„In zwei Tagen, plus/minus einen Tag." Uruhk starrte in ihre Teetasse hinein, als würde sie dort etwas interessantes finden können.
„Halloween", kommentierte Sheppard trocken und blickte auf. „Paßt doch."
Mitchell starrte die beiden einen Moment lang groß an, dann verhärtete sich seine Miene wieder. „Das IOA ist bisher sehr unzufrieden mit unseren Leistungen. Ich habe daher veranlaßt, daß dem CSI sämtliche Beweisstücke in diesem Fall umgehend entzogen werden. Sheppard, Sie begleiten mich, damit wir das ganze kontrollieren können."
„Dazu ist es noch zu früh", entgegnete der prompt. „Bei der Sache damals in New York haben wir gewartet, bis der Fall fast aufgeklärt war, um selbst Nutzen ziehen zu können. Und so sollten wir es jetzt auch halten. Alles andere ist sinnlose Vergeudung!"
Nun allerdings war Mitchell überrascht. Sheppard hatte demnach schon eine ähnliche Konfliktsituation hinter sich und diese selbst beendet? Wann?
„Wir sollten schon unterbinden, daß weiter an dem Iratus geforscht wird", wandte Uruhk ein.
„Dieser Grissom schien mir doch genug Verstand im Kopf zu haben, um sich nicht näher an das Vieh heranzutrauen."
„Schon, aber dennoch. Stößt nur eine Putzfrau gegen das Terrarium haben wir eine Sorge mehr. Noch dazu wissen wir immer noch nicht, wo sich das Nest befindet."
„Auch das kriegen wir noch raus."
„Wo ist eigentlich Ihr neuer Freund, Miss Uruhk? Ich hoffe doch sehr, Sie haben ihn darauf aufmerksam gemacht, daß er über das, was er hier gesehen hat, zu schweigen hat, oder?" unterbrach Mitchell dieses Gespräch.
Uruhk stutzte, als würde ihr erst jetzt aufgehen, daß einer in ihrer Runde fehlte, dann sah sie auf. „Coop mußte leider gestern abend noch weg. Eine dringende Sache. Irgendeine Bigfoot-Sichtung. Soll spannend sein, hat er mir erzählt."
„Bigfoot?"
Im welchem Affenzirkus war er hier eigentlich gelandet? Mitchell glaubte einen Moment lang, er sei in einem Alptraum gefangen.
Uruhk nickte. „Ja, ein Bigfoot. Er meinte, das sei eine Art Affenmensch, vielleicht etwas wie das Missing link zum Menschen."
Sheppard grinste. „Ich bin einmal einem Yeti begegnet", wandte er ein. „Und ich bin mir ziemlich sicher, daß deinem Freund Cooper eine solche Begegnung nicht sehr gefallen hätte. Stimmts, Rodney?"
Einen Moment lang sah es so aus, als würde der Physiker nicht reagieren. Dann aber senkte sich unversehens die Zeitung und ein sehr blasser McKay erschien dahinter. „Ich glaube, ich habe unser Nest gefunden ..."
Mitchell stutzte. „In der Zeitung?"
Uruhk beugte sich interessiert vor. „Wo?"
McKay räusperte sich, begann dann zu vorzulesen:

Highschoolschüler in Mord verwickelt? Polizei durchsucht Monsterhaus.
Die Hysteriewelle, die am Mittwoch Abend die Stadt erschütterte (wir berichteten) führte am gestrigen Donnerstag zwei Verhaftungen. Zwei Schüler der Abschlußklasse der Kennedy-Highschool wurden von der Polizei direkt vom Krankenbett verhaftet.
Die Massenpsychose, die die Besucher des Monsterhauses der Kennedy-High überfiel, scheint allerdings weitere Kreise zu schlagen. Wie eine ungenannt bleibende Quelle berichtete, führten die Ermittlungen der Beamten zu den rätselhaften Morden in der Washington Street vom Sonntagabend (wir berichteten). Genaueres ließ sich jedoch noch nicht verlauten und der Sheriff hüllt sich noch in Schweigen.
Allerdings durchsuchten die Tatortermittler des Sheriffbüros am gestrigen Abend das Monsterhaus der Kennedy-High und stellten dort wohl auch Beweismaterial sicher, das direkt auf die Morde in der Washington Street deutet. Ob die festgenommenen Schüler etwas mit den bestialischen Morden an einer Frau und ihrem Sohn zu tun haben wurde noch nicht bekannt gegeben, ebensowenig wie die Namen der Verdächtigen.
Das Monsterhaus der Kennedy-High wird jedoch am heutigen Abend wieder geöffnet sein. Wie Mr. Sheridan, Jahrgangsleiter der Abschlußklasse, sagte, sei mit keiner weiteren Gefahr zu rechnen. Auch sei das sichergestellte Beweismaterial von der Polizei mitgenommen worden und man habe aus dem Sheriff-Büro die Genehmigung eingeholt.
Die Öffnungszeiten für das Monsterhaus der Kennedy-High unter dem diesjährigen Motto „Monster im Wandel der Zeiten" sind auf der Homepage der Schule einsehbar."

Mitchell lachte bitter auf. „Und wo ist da die Rede von den Eiern?"
Uruhk und Sheppard tauschten einen Blick, dann erhob der Colonel sich. „Vielleicht haben Sie recht, Mitchell. Wir sollten dem CSI noch einen Besuch abstatten. Aber nicht, um die Sachen jetzt schon sicherzustellen, sondern um uns diese Kiste anzusehen."
„Was?"
Uruhk nickte. „Der Kokon wird für Menschen nicht leicht aufzuspüren sein. Diese Massenpsychose deutet darauf hin. Der Kokon schützt sich selbst. Wir müssen zu diesem ... Was ist ein Monsterhaus?"
„Oh bitte! Lassen wir diesen Kinderkram doch, ja?"
McKay blickte auf und sah ihn überrascht an. „Wie? Sie als erfolgreicher Militär haben nie die Vorzüge eines Monsterhauses schätzen gelernt? Also, wir waren immer führend in meiner Heimatstadt."
Sheppard grinste breit. „Ja, die Dinger waren klasse. Leider haben wir soetwas nie aufgezogen, aber ich bin immer fleißig in die der Umgebung gegangen." Er nickte.
„Und was sind diese Monsterhäuser jetzt?"
„Nichts als billiger Blödsinn!" Mitchell schnaubte. „Und wir sollten uns jetzt an die Arbeit machen, allesamt!"
„Monsterhäuser werden von Schulen, Arbeitsgemeinschaften oder Klubs in leerstehenden Gebäuden zur Halloweenzeit aufgebaut", begann Sheppard zu erklären.
„Oh bitte! Können Sie das Ihrer Freundin nicht nachher erzählen? Wollen Sie ihr jetzt auch noch Sinn und Unsinn von Halloween näherbringen?"
„Trick or Treat." Uruhk zuckte mit den Schultern. „Das kenne ich schon vom letzten Jahr. Von Monsterhäusern habe ich dagegen noch nie etwas gehört."
Sheppard und McKay tauschten einen Blick.
„Monsterhäuser sind, wie gesagt, meist leerstehende Gebäude, die für die Halloweenwoche angemietet werden ... im günstigsten Fall. Kids und Teenager stellen dort alles nach, was ihnen gruselig erscheint, ob irgendwelche Papmachee-Monster oder alltäglichen Horror, den sie erleben. Es wird Eintritt verlangt, der dann von den Veranstaltern des Monsterhauses verwendet wird, meist kaum mehr als ein Unkostenbeitrag. Manche der Dinger sind wirklich spannend." Sheppard nickte. „Und das Thema für dieses hört sich vielversprechend an. Also, auch wenn wir, was den Kokon angeht, nicht fündig werden, ein Besuch in diesem Monsterhaus wird sich bestimmt lohnen."
„Jaja, und jetzt sollten wir gehen."
Sheppard zwinkerte der Antikerin zu, dann folgte er Mitchell aus der Kantine heraus.

***

CSI-Labor:

Catherine Willows blieb mitten im Gang stehen und runzelte die Stirn, während sie sich langsam um die eigene Achse drehte.
Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten? Wieso waren Grissom und Warrick im Video-Labor? Sie hatten doch alles Bild- und Tonmaterial analysiert, das sie hatten finden können oder selbst angefertigt hatten. War vielleicht etwas anderes aufgetaucht?
Catherine zögerte noch einen Moment, dann zuckte sie mit den Schultern und marschierte hinüber zu der gläsernen Abteilung, hinter deren Fenster sich die beiden männlichen Mitglieder des Teams aufhielten neben dem hier zuständigen Techniker.
Grissom starrte angestrengt auf den großen Plasmabildschirm an der Wand, auf dem gerade irgendeine Aufzeichnung aus den Laboren lief.
Catherine stutzte, als sie erkannte, daß es sich um diese schwarzhaarige Frau handelte, mit der sie erst gestern gesprochen hatten.
„Gil?" fragte sie, als sie die Tür aufschob und den Raum betrat.
Grissom schien einen Moment lang nicht zu hören, und Catherines Herz setzte dabei einen Schlag aus. Auch wenn es schon einige Jahre her war, die Zeit, in der ihr Vorgesetzter und Freund an einer genetisch bedingten Form der Gehörschwäche litt war ihr immer noch viel zu gegenwärtig und sie wollte sie niemals wieder erleben.
Endlich rührte Grissom sich doch, richtete sich wieder auf und drehte sich zu ihr um. „Seid ihr etwa schon soweit?" fragte er verblüfft statt einer Begrüßung.
Catherine wurde sich der dünnen Mappe bewußt, die sie mitgebracht hatte, und nickte. „Die Kiste war leer. Allerdings konnten wir noch Spuren von Holz finden. Es wird gerade analysiert, da die erste Untersuchung keine Ergebnisse brachte. Wahrscheinlich irgendeine Verunreinigung durch Holzlack oder ähnliches." Sie reichte ihm die Unterlagen, sah dann wieder zu dem Bildschirm an der Wand. „Und was macht ihr hier? Ich dachte, diese Air-Force-Leute seien aus dem Schneider?"
„Was die Toten angeht besitzen sie zumindest allesamt ein Alibi", antwortete Grissom, der gerade die magere erste Auswertung der Holzreste überflog. „Aber zumindest Sheppard und Uruhk wissen mehr als sie zugeben wollen. Und das erinnerte mich an den ersten Auftritt dieser Uruhk hier und der Tatsache, daß sie allein im Labor mit der neuen Spezies war. Also habe ich mir die Überwachungsbänder besorgt."
„Es läßt dir keine Ruhe, stimmts?" Catherine war nun doch amüsiert.
Grissom konnte manchmal wirklich mehr als berechenbar sein. Andererseits aber war es vielleicht gerade das, was sie brauchte, wenn er sich in einen Fall festbiß und nicht lockerlassen wollte.
„Sagen wir, ich schätze es nicht sonderlich, wenn ich etwas nicht beurteilen kann. Aber sieh selbst." Grissom nickte dem Techniker zu, der daraufhin das Überwachungsvideo erneut abspielte.
Uruhk betrat den Raum, ließ das Licht ausgeschaltet. Sie ging langsam, blieb dann stehen für vielleicht eine Minute, ehe sie einen letzten Schritt nach vorn tat, nur um gleich wieder zurückzuweichen.
Catherine beugte sich vor. „Sie wirkt angespannt, als würde sie irgendetwas tun", murmelte sie schließlich.
Warrick nickte. „Ganz genau. Und paß auf, wenn sie zurückspringt."
Tatsächlich! Es war in dem wenigen Licht schlecht auszumachen, aber diese Uruhk sagte etwas wie zu sich selbst, sah dann hoch und drehte sich um, um das Labor wieder zu verlassen.
„Und was hat das jetzt zu bedeuten?" fragte Catherine.
„Wir haben die Aufnahme durch mehrere Filter laufen lassen", erklärte jetzt der Techniker. „Um herauszufinden, was sie treibt, ehe sie auf diesen Riesenkäfer zugeht. Und dabei haben wir das hier entdeckt."
Dasselbe Bild, nur dieses Mal in Fehlfarben. Einen Moment lang glaubte Catherine, es handle sich um Infrarot oder gar Ultraschall, dann ging ihr auf, daß es keines von beiden war. Es war ein Feinspektrum, wie sie es bisher noch nicht bei Videos gesehen hatte, wohl aber bei Fotos.
Die jetzt eigenwillig in vielen Farben leuchtende Gestalt von Uruhk trat wieder ein, blieb stehen. In dieser Art der Aufzeichnung konnte man erkennen, daß sie sich wirklich kurz anspannte, ehe ... sich eine hell leuchtende Wolke um ihren Körper legte.
Catherine riß die Augen auf. „Was ist das?"
Grissom kreuzte die Arme vor der Brust. „Wenn du mich fragst, Duftstoffe, die dem Insekt im Terrarium die Information geben sollen, daß ein Verwandter da ist."
„Du willst mir doch wohl nicht allen Ernstes erzählen, daß diese Miss Uruhk in der Lage ist, bewußt irgendwelche Duftstoffe in einer solchen Konzentration auszusenden."
„Ich behaupte sogar, daß diese Miss Uruhk gar kein richtiger Mensch ist", entgegnete Grissom. „Sie hat irisierende Haut, und die gibt's nun wirklich nicht bei jedem."
„Wie bitte?"
Der Tatortermittler nickte erneut. „Ich habe einige Hautschuppen von Uruhk gefunden und untersucht. Die genaue Bestimmung steht noch aus, aber ich kann dir jetzt schon sagen, daß sie keine normale Haut hat. Ihre leuchtet tatsächlich etwas, wenn auch für das bloße Auge nicht wahrnehmbar."
„Das ist lächerlich! Gil!" Catherine wußte wirklich nicht, was sie noch sagen sollte. „Du solltest dich einmal selbst reden hören. Du hast doch mit ihr gesprochen!"
„Eben darum bin ich ja mißtrauisch geworden", entgegnete Grissom prompt.
„Vielleicht war sie ja in dieser Kiste", schlug Warrick vor. „Oder wurde auch ihr Alibi überprüft?"
„Ja, von mir", antwortet Catherine, wandte sich wieder ihrem Vorgesetzten zu. „Gil, denk doch einmal nach, was du da behauptest! Vielleicht hatte diese Miss Uruhk ja irgendein Lockmittel dabei, daß den Käfer friedlich stimmen sollte. Aber ganz sicher ist sie nicht die Verkörperung auf zwei Beinen."
Das Telefon schellte. Dem Klang nach die interne Leitung.
„Es kann sich durchaus um eine Anomalie ähnlich wie dem Chimären-Effekt handeln, vielleicht ebenso selten", entgegnete Grissom. „Ich behaupte ja gar nicht, daß diese Miss Uruhk ein Käfer ist, der aussieht wie ein Mensch. Über das Stadium der schlecht recherchierten Filme bin ich hinaus."
Erneut klingelte es.
„Aber ich denke, sie weiß wesentlich mehr über unseren potenziellen Mörder, als sie je uns gegenüber zugeben wird."
„Aus gutem Grund. Du hast es doch gehört: Die da draußen arbeiten unter präsidialer Sicherheitsstufe."
Beim dritten Klingeln erbarmte sich Warrick und nahm das Gespräch entgegen.
„Sie sagte aber auch, diese Iratus-Käfer kämen aus ihrer Heimat. Ich bin noch einmal sämtliche Bekanntmachungen der letzten fünf Jahre durchgegangen und habe absolut gar nichts gefunden, was auf diese Spezies hinweist", entgegnete Grissom. „So gründlich kann man kein ganzes Gebiet isolieren, daß aber auch absolut gar nichts nach draußen dringt. Noch dazu bei der Größe dieser neuen Art."
„Leute ..."
„Es ist trotzdem nicht richtig, wenn du ihr hinterher spionierst, Gil. Ich mochte sie und ich denke, ich kann dir sagen, daß sowohl sie als auch ihr großer Freund Sheppard uns gern weitergeholfen hätten, man ihnen aber beiden einen Maulkorb verpaßt hat."
„Das ist mir klar. Dennoch stimmt da etwas nicht."
„Leute, ich muß euch wirklich stören", wiederholte Warrick, hielt Grissom den Hörer hin.
„Was ist los?" fragte der irritiert.
„Draußen sind die beiden Offiziere der Air Force und wollen sämtliche Beweise, einschließlich der Leichen, konfiszieren", antwortete Warrick sichtlich irritert.
Catherine starrte ihren Kollegen ungläubig an, konnte einfach nicht glauben, was sie da gerade gehört hatte.
Aber, wenn sie ehrlich war, so ging es ihr schon, seit ihr dieser Fall zugeteilt worden war ...

***

AREA 51, McKays Labor:

„Könnten wir uns vielleicht wieder meinem Projekt zuwenden, Miss Uruhk?" McKay blickte unwillig auf und beobachtete Vashtu, die nervös mit weiten Schritten immer wieder den Raum durchmaß. „Machen Sie so weiter, habe ich bald eine Bodenwelle in meinem Labor."
Die Antikerin blieb plötzlich stehen, wirbelte herum und blitzte den Wissenschaftler wütend an. „Tun Sie doch auch einmal etwas zur Abwechslung!" schimpfte sie los.
McKay stutzte, schüttelte dann den Kopf und wandte sich wieder seinem Rechner zu.
Vashtu fühlte eine ungewisse Ungeduld in sich. Sie wollte etwas tun, sie konnte vielleicht helfen und wurde hier festgehalten, um McKay bei seinen hirnrissigen Bemühungen zu helfen, die atlantische Datenbank irgendwie in die Speicher von AREA 51 zu quetschen. Wenn man sie fragte, war dieses Unternehmen von vorn herein nichts weiter als ein frommer Wunsch gewesen. Inzwischen aber ...
„Sie könnten wenigstens einmal nachsehen, wo sich dieses Monsterhaus befindet!" Ihre Stimme klang plötzlich selbst in ihren eigene Ohren wie eine Peitsche.
McKay blickte wieder auf. „Wenn Sie von Ihrem Sheppard-Trip runter sind, können wir uns darüber unterhalten", entschied er.
Vashtu klappte das Kinn herunter. „Hä?"
McKay nickte. „Sie wollen doch die Heldin spielen, so wie damals mit dem Hive. Aber dieses Mal haben Sie eine denkbar schlechte Ausgangsposition, oder?"
Wütend schoben sich ihre Brauen zusammen und sie stemmte ihre geballten Fäuste in die Hüften. „Sind Sie noch ganz klar im Kopf, Rodney?"
„Ich ja, Sie nicht." war der ganze Kommentar, der auch noch halb genuschelt kam, da McKay sich wieder über seinen Rechner gebeugt hatte und bereit war, sich in seine Arbeit zu vertiefen.
„Sie können mir doch nicht erzählen, daß es Ihnen nicht in den Fingern juckt. Rodney!"
Unwillig sah er wieder auf und zog ein Gesicht, als habe er gerade in etwas sehr saures beißen müssen. „Ich möchte mit meinem Projekt weiterkommen, ehe Sie wieder von hier abgezogen werden, Vashtu. Für zu vollbringende Heldentaten sind Sheppard und Mitchell verantwortlich, immerhin spielen die sich ja immer gern als Weltenretter auf, während man mir die ganze Arbeit dafür aufbürdet. Also wäre ich Ihnen jetzt sehr verbunden, wenn Sie Ihr weibliches Heldenherz einpacken und statt dessen die Schnittstelle wieder anschließen, damit wir hier weiterkommen."
„Das glaube ich einfach nicht!" Vashtu fielen fast die Augen aus dem Kopf. „Und wenn John in Gefahr wäre? Was, wenn sein Leben in genau diesem Moment auf dem Spiel steht und wir beide hocken hier und tun nichts? Er ist Ihr Freund!"
„Er war mein Leader", entgegnete McKay, vermied es aber tunlichst, noch einmal den Kopf zu heben.
„Dann eben Ihr Leader UND Ihr Freund. So wie ihr zwei letztes Jahr schon zusammengeklebt habt, können Sie mir doch jetzt nicht erzählen, Sie läßt das alles kalt hier. Sie sind doch ebenso auf Abenteuer aus wie John."
McKay zuckte nur stumm mit den Schultern, tat sehr vertieft und tippte auf seinem Rechner herum.
Vashtu konnte einfach nicht glauben, daß er so ruhig blieb und dabei so kalt, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. War das wirklich der gleiche Rodney McKay, der letztes Jahr so fürchterlich eifersüchtig auf sie gewesen war?
Wenn sie ihrem Hirn Glauben schenken durfte war er es. Immerhin hörte sie noch immer seine Gedanken, wenn auch undeutlich. Was sie hörte, machte sie dagegen erst recht wütend.
„Ich gehe!" entschied sie endlich, im gleichen Moment, in dem das Telefon auf dem Schreibtisch neben McKay klingelte.
„Sie bleiben hier! Sie wurden mir von der Air Force zur Verfügung gestellt. Wenn Sie jetzt gehen, dann werde ich mich über Sie beschweren, Vashtu. Und Sie können sich darauf verlassen, daß man mir Gehör schenken wird!"
Erneut klingelte das Telefon, doch keiner von ihnen beiden dachte im Moment auch nur daran, den Anruf entgegenzunehmen. Statt dessen starrten sie sich gegenseitig nieder, zumindest, so gut es ging. Das Problem dabei war leider, daß sie beide im Stillen das gleiche wollten und sich im Recht fühlten ...
Zum dritten Mal klingelte es.
McKay kniff die Lippen aufeinander, wollte seine Hand ausstrecken. Doch dieses Mal war Vashtu schneller. Sie griff nach dem Hörer, noch ehe sie wirklich in Reichweite war, machte einen weiten Ausfallschritt und geriet fast aus dem Gleichgewicht. Doch sie hatte den Hörer, was sie McKay auch durch einen triumphierenden Blick bestätigte.
„Dr. McKays Labor. Uruhk hier?" meldete sie sich.
„Vashtu? Hier ist John", meldete sich eine vertraute Stimme am anderen Ende. „Wir müssen uns beeilen. Wißt ihr, wo dieses Monsterhaus ist?"
Einen Moment lang vergaß sie selbst das Atmen, dann holte sie tief Luft und bat darum, daß ihr Herz nicht mehr ganz so laut schlagen würde. „Wir suchen die Adresse heraus. Was ist los?"
„Das CSI hat die Kiste, aber die war leer", fuhr John fort. „Dafür haben wir durch Zufall gehört, daß es zu einer neuen Hysteriewelle am gleichen Ort gekommen sein soll. Uns fehlt nur die Adresse."
Vashtu richtete sich stocksteif auf, klopfte mit einem Finger auf die Tischfläche.
McKay verstand, auch wenn sie nichts sagte. Sofort begann er wie verrückt zu tippen, um das Programm zu verlassen und statt dessen über eine sichere Leitung ins Internet einloggen zu können.
„Auf der Daedalus steht ein Eingreifteam bereit, Mitchell hat aber den Kommunikator liegen lassen. Er müßte irgendwo in Rodneys Labor sein", fuhr John fort. „Sobald ihr wißt, wo sich das Monsterhaus befindet, gebt das bitte an Caldwell weiter. Er soll die Eingreiftruppe zu der Adresse beamen."
„Wir kommen mit", entschied Vashtu, die bereits damit beschäftigt war, in den Unterlagen, die wild verstreut lagen, zu wühlen, um das Funkgerät zu finden.
„Vash, ich möchte nicht ..."
„Ihr könnt mich vielleicht auch weiter gebrauchen, John. Und Rodney kann es kaum erwarten, selbst tätig zu werden." Vashtu grinste breit bei diesen Worten.
„Ich habs!" triumphierte McKay in diesem Moment hinter ihr.
„Wir sind in ein paar Minuten da."
„Vash, bitte!"
„Wir sind schneller als ihr und einer muß die Eingreiftruppe einweisen. Bis gleich!"
„Suchen Sie das hier?" Mit einem breiten Grinsen präsentierte McKay ihr das Funkgerät.
Vashtu warf den Hörer auf die Gabel. „Dann los!"
Einen Atemzug später fühlte sie, wie sie von Licht eingehüllt wurde.

***

Zwanzig Minuten später, Lagerhallenkomplex am Rande von Las Vegas:

John gingen fast die Augen über, als Mitchell den Wagen vor der nächsten Straßensperre halten und sie sich erneut ausweisen mußten.
Woher auch immer, hier war in Windeseile sehr präzise gearbeitet worden. Der fragliche Komplex, in dem neben dem Monsterhaus der Kennedy-High auch noch mehrere andere zu finden waren, war komplett hermetisch abgeriegelt worden mittels Stacheldrahtsperren. Im Moment war man offensichtlich damit beschäftigt, eine provisorische Zeltstadt zu errichten und die Wachen einzuteilen. Und von irgendwoher kam auch noch ein kurzer, gleißender Lichtstrahl, der anzeigte, daß gerade die nächste Gruppe von der Daedalus heruntergebeamt worden war.
„Das hat Ihre kleine Freundin angerichtet, Sheppard", knurrte Mitchell, während er seine Brieftasche wieder zurück in seine Uniformjacke stopfte. „Und Sie können sich darauf verlassen, daß sie deshalb noch mit einigen Konsequenzen zu rechnen hat."
Wenn er ehrlich war, war John jede Hilfe recht, die man ihm bot bei ihrem Insektenproblem. Iratus-Käfer waren gefährlich, daran bestand kein Zweifel. Die Frage war eher, woher hatte Vashtu in aller Eile soviele Leute genommen?
Wie um ihm eine Antwort zu liefern bog hinter ihnen ein Truppentransporter in die Straße ein und hielt vor der Sperre, um von dem Militärpolizisten, der sie genau durchgewunken hatte, kontrolliert zu werden.
Marines, MP, weiter hinten sah John ein Sanitätszelt, das in aller Eile aufgebaut wurde, Luftwaffenangehörige. Es mußten um die einhundert Leute hier sein. Wo kamen die alle so plötzlich her?
„Eine kleine Eingreiftruppe, mehr sollte es nicht sein. Und was haben wir jetzt?" knurrte Mitchell auf dem Fahrersitz. Seine Finger hatten sich so fest um das Lenkrad gekrallt, daß die Knöchel weiß wurden.
Sie kamen nur noch im Schrittempo voran, da überall Menschen umherschwirrten.
Ein SWAT-Team! Wo kamen denn jetzt auch noch Scharfschützen her?
John wäre am liebsten in seinem Sitz versunken. Er konnte sich jetzt schon vorstellen, was für eine Predigt Landry ihm halten würde zum Thema unnütze Kosten. Und ob dieses Großaufgebot sich günstig auf Vashtus Asylantrag auswirken würde, wagte er zu bezweifeln.
Mitchell wurde an den Straßenrand gewunken und stellte den Motor ab. „Hier sieht's aus wie in einem Bienenschwarm. Dann suchen wir doch einmal die Königin", murmelte er und löste den Gurt.
John tat es ihm mit gemischten Gefühlen nach und stieg aus dem Mietwagen.
Um sie herum herrschte immer noch Betriebsamkeit, doch jetzt konnte er, was er im Auto nicht vermocht hatte, die Sache überblicken. Kein Chaos, nein, es ging sehr geordnet zu. Die Leute holten sich ihre Anweisungen von einem schwarzen Van, der nur ein kurzes Stück weiter geparkt war, und gingen dann, um eben ihre Befehle auszuführen.
Jetzt ging ihm auch auf, daß einige Zivilisten zwischen den ganzen Armeeangehörigen zu finden waren. Sowohl wohl Mitglieder des Geheimdienstes wie auch ... Jugendliche?
„... da rüber. Und sagen Sie Bishop, er soll seine Leute bereit machen zum Reingehen", hörte er eine ihm sehr bekannte Frauenstimme befehlen. Dann erhaschte er endlich einen Blick auf die Antikerin: Sie stand in der Tür zur Ladefläche des schwarzen Vans, um ein bißchen größer zu erscheinen als sie war. Und offensichtlich koordinierte sie wirklich all das hier. Um sie herum jedenfalls befanden sich die Befehlsempfänger, machten sich entweder bereit wegzugehen und ihren Auftrag auszuführen, oder aber sie wollten wissen, was sie jetzt zu tun hatten.
„Und wir brauchen noch Nachschub an Sauerstoff. Rodney, teilen Sie das bitte Landry mit." Vashtu sprang von dem Van herunter, nachdem sie offensichtlich fertig war und ging, noch immer dicht gefolgt von einem halben Dutzend Männern, in die entgegengesetzte Richtung davon.
„Miss Uruhk!" rief Mitchell in diesem Moment. Allein in diesen beiden Wörtern gährte schon die Wut, die er empfinden mußte.
John dagegen fühlte sich zwar überrumpelt, war andererseits aber auch durchaus positiv überrascht und sah sich in seiner Einschätzung bestätigt. Hatte er nicht bereits vor einem Jahr gesagt, daß Vashtu in der Lage war, ein eigenes Team zu führen?
Die Antikerin schlüpfte in eine Überlebensweste, während sie jetzt auf sie beide wartete. Mit geübten Griffen kontrollierte sie den Inhalt der vielen Taschen, nahm dann von einem jungen Marine ein Hüfthalfter entgegen.
„Was soll das hier? Es war die Rede von einer kleinen Eingreiftruppe, nicht von einem Kleinkrieg!" warf Mitchell ihr vor, kaum daß er vor ihr stand.
Vashtu steckte das Hüfthalfter um, daß es für sie als Linkshänderin geeignet war. John erinnerte sich schwach daran, wie amüsiert er gewesen war, als sie beide wie in einer Spiegelpantomime in eine Höhle eingedrungen waren vor einem Jahr.
„Es war nicht meine Idee. Ich wollte nur ein paar Sanis mit dabei, das war alles", entgegnete die Antikerin, schnallte sich jetzt doch endlich das Halfter um und nahm die Beretta, die man ihr hinhielt.
„Ach, und wer ist dann für das hier verantwortlich?" Mitchells ganze Gestalt wirkte wie kurz vor dem Sprung.
„Das IOA dachte, es sei besser, der Gefahr so schnell und gründlich zu begegnen und hat eine Empfehlung an den Präsidenten ausgegeben. Wenn Sie sich beschweren wollen, dann tun Sie es bei ihm." Gekonnt kontrollierte Vashtu das Magazin, dann die Waffe, ehe sie sie einsteckte.
„Sie haben Panik gemacht, ist doch so!"
Vashtu kreuzte die Arme vor der Brust und schüttelte langsam aber unmißverständlich den Kopf. „Das habe ich nicht. Wie besprochen bin ich mit McKay zur Daedalus hinauf, um die Eingreiftruppe zu unterrichten und einzuweisen. Als wir hier ankamen ... Nun, um es kurz zu machen, wir sind ein bißchen spät."
Augenblicklich klingelten sämtliche Alarmsignale in Johns Kopf, während auch er sich jetzt ausrüsten ließ und als erstes aus seiner Jacke schlüpfte. „Die Iratus sind geschlüpft? Wann?"
Vashtu richtete ihre Aufmerksamkeit augenblicklich auf ihn. „Noch sind nicht alle geschlüpft, aber einige. Die Betroffenen werden gerade behandelt. Im Moment haben wir ein halbes Dutzend plus noch einmal zehn, die einen psychotischen Schub durchleben und nicht wirklich ansprechbar sind. Daher das Sanitätszelt."
„Wie bitte?" An Mitchells Hals schwoll eine Ader. „Und deshalb haben Sie Panik verbreitet und diesen Massenauflauf zu stande gebracht? Wie wollen Sie das erklären, Miss Uruhk? Haben Sie eine Ahnung, was das alles hier kostet?"
„Es könnte allerdings auch eine perfekte Tarnung sein", entgegnete John, dem plötzlich ein Licht aufging.
Vashtu grinste breit und nickte.
„Mam?"
Ein junger Marine hielt der Antikerin ein Funktelefon hin. Ehe sie allerdings danach greifen konnte, hatte Mitchell es schon am Ohr und meldete sich. Um dann krebsrot anzulaufen und es an sie weiterzureichen.
John beobachtete das ganze mit leicht gequälter Miene.
„Ja, Sir. Sicher, Sir", hörte er Vashtu antworten, wußte nicht so recht, was er jetzt tun sollte. Also rüstete er sich selbst weiter auf.
„Der Präsident", zischte Mitchell ihm zu. „Und er wollte Ihre Freundin sprechen."
John blinzelte, sagte aber nichts dazu.
Der Präsident sprach mit Vashtu, und sie antwortete. Was sollte er auch dazu sagen? Er hatte Hayes dummerweise nicht gewählt.
Die Antikerin beendete das Gespräch und reichte das Telefon zurück. „Tut mir leid", wandte sie sich an Mitchell. „Sie waren nicht aufzutreiben und wir wußten nicht, über welche Route ihr beide kommen würdet."
John mußte ein lautes Gelächter unterdrücken, als er begriff. „Du hast die Einsatzleitung?"
Vashtu nickte, während sie beinahe verschämt unter ihren Ponyfransen hochblinzelte zu ihm. Irgendwie wirkte sie dabei wie ein kleines Mädchen, das sich zwar diebisch freute, dies aber auf gar keinen Fall zugeben würde.
„Auf wessen Empfehlung hin wurden ausgerechnet Sie zur Einsatzleiterin bestimmt?" fuhr Mitchell die Antikerin an.
Deren Augen wurden noch größer. „Meines Wissens, auf Empfehlung von General O'Neill. Immerhin bin ich ja keine echte Militärangehörige." Wieder dieses zerknirschte Lächeln.
Mitchell hatte währenddessen alle Farbe verloren. „Ständig hocken Sie im SGC bei Landry, quatschen mit Vala, beraten Carter oder trainieren mit Teal'c. Die ganze Zeit habe ich immer Sie vor der Nase. Und jetzt hier auch noch?" Es fiel dem SG-1-Leader offensichtlich schwer, nicht das auszusprechen, was ihm wohl mehr als deutlich auf der Zunge lag.
„Mam, McKay wäre dann soweit. Er erwartet Sie im Technik-Zelt", meldete ein MP, der John vage bekannt vorkam.
„Tut mir leid." Vashtu zuckte noch einmal mit den Schultern, dann folgte sie dem Militärpolizisten.
„Wir sollten sehen, was dabei herauskommt", schlug John augenblicklich vor und folgte der Antikerin.
Ein Mädchen, vielleicht fünfzehn oder sechszehn Jahre alt, wurde, flankiert von zwei Sanitätern, an ihnen vorbeigeführt. Leise wimmerte sie, bis sie direkte an John vorbei mußte. Ruckhaft hob sie plötzlich den Kopf und begann zu schreien: „Das Monster! Passen Sie auf das Monster auf!"
John zuckte unwillkürlich zusammen, auch weil plötzlich unliebsame Erinnerungen in ihm aufstiegen.
Das Monster, so hatte er damals auch diesen armen Kerl genannt, der in New York von Naniten befallen wurde, die ihn dann komplett umbauten.
„Das Monster kommt, es kommt, um uns alle zu holen ..." Das Mädchen wimmerte, während die beiden Sanitäter es endlich in das Krankenzelt weiterführen konnten.
Vashtu, die offensichtlich auf die Schreierei in ihrem Rücken aufmerksam geworden war, kam mit ernstem Gesicht die paar Schritte zurück. „So sind alle, die nicht von den Iratus angefallen wurden und in der Halle gewesen sind", erklärte sie mit besorgter Stimme.
John runzelte die Stirn und sah dem Mädchen nach. „Alle reden sie von einem Monster?" fragte er vorsichtshalber nach.
„Ja." Vashtu drehte sich wieder um.
„Und warum sollte irgendjemand davon ausgehen, daß Ihre sechs Käferlein nicht die gesamte Brut gewesen sind?" fragte Mitchell.
„Weil sich das durch die Psychosefälle erklärt", antwortete die Antikerin, die schon wieder ihr vormaliges Ziel anstrebte und sich einen Weg durch die geschäftige Menge suchte.
John sah aufmerksam nach rechts und links und schürzte schließlich die Lippen. Er konnte sich denken, was dieser Massenauflauf wirklich sollte. Eine bessere Tarnung für diese Operation hätte sich keiner von ihnen wünschen können, ging ihm auf.
„Sie wollen mich hochnehmen!"
„Keinesfalls." Vashtu schüttelte zweimal den Kopf, bevor sie ihr Headset an ihrem Ohr befestigte. „Da die betroffenen Jugendlichen quasi sofort nach Betreten der Halle angegriffen wurden von den Iratus, die Psychosefälle aber immer noch vorkommen, muß das Nest noch existent sein und sich weiter schützen. Wären alle Jungtiere geschlüpft, gäbe es keinen Grund mehr, im Kopf von irgendjemanden ein beängstigendes Bild zu erzeugen."
„Ziemlich schwache Erklärung für etwas, für daß Sie noch immer keinen Beweis besitzen, Miss Uruhk", wandte Mitchell ein.
Sie betraten jetzt das Technik-Zelt, in dem in aller Eile das Equipment dieses Kontingents aufgebaut worden war. Bildschirme, Monitore, Rechner, Scanner, Funkgeräte, alles was das Herz begehrte und sogar noch ein bißchen mehr war hier, durch Zeltstoff vor der Sonnenhitze geschützt, zu finden.
Nach dem scheinbaren Chaos draußen herrschte hier drinnen dagegen zwar geschäftiges Treiben, aber in geordneten Bahnen. Und der, der diese Bahnen offensichtlich ordnete, war niemand anderes als Rodney McKay, der vor einem Bildschirm saß und mit irgendetwas beschäftigt war, das John nicht ganz erkennen konnte.
„Was ist eigentlich mit der Polizei und dem CSI?" erkundigte er sich plötzlich.
Vashtu drehte sich jetzt zu ihm um. „Oh, wir haben ein bißchen Abwechslung auf deren Weg gestreut. Die dürften noch etwas beschäftigt sein mit dem Durchkommen bis zur Straßensperre. Und weiter wird es dann für sie nicht gehen."
„So einfach, ja?" Mitchell kreuzte die Arme vor der Brust. „Und wie wollen Sie diesen Massenauflauf erklären, Miss Uruhk? Haben Sie das den Präsidenten gefragt?"
„Ein Manöver, bei der aus Versehen halluzinogenes Gas freigesetzt wurde und einige, sich widerrechtlich auf dem Gelände aufhaltende Jugendliche leicht verletzte", antwortete die Antikerin prompt.
„Ein Manöver ..." Mitchells Stimme klang trocken.
„Wirklich gutes Ablenkungsmanöver." John nickte anerkennend.
Tatsächlich hatte er sich das gedacht, seit Vashtu ihre Erklärung geliefert hatte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß man ihr erst so viele Mittel zur Verfügung stellte, um sie dann ins Aus zu manövrieren. Offensichtlich hielt da jemand wirklich viel von ihr und ebenso offensichtlich wurde Vashtu mit der Leitung dieser Operation getestet, ob sie fähig war, eine solche Verantwortung zu tragen.
Und, irgendwie wunderte es ihn nun gar nicht, daß ausgerechnet O'Neills Name bei dieser ganzen Sache auftauchte. Eher war er überrascht, daß der General noch nicht hier war, um seinen neuen Schützling zu beobachten bei dem, was sie hier anstellen konnte.
Dabei ... bisher hatte Vashtu das ganze hier recht gut im Griff, befand John. Die Leute hörten auf sie und führten offensichtlich auch ihre Befehle aus. Selbst die Kommunikation, die sie immer wieder von ihrer eigentlichen Aufgabe abzulenken drohte, hatte sie unter Kontrolle. Jeder wußte, was er zu tun hatte, und, und da hatte Mitchell wirklich einen guten Vergleich gezogen, Vashtu befand sich wie ein ruhender Pol in der Mitte dieses ganzen wie eine Bienenkönigin, die ihrem Staat Anweisungen gab.
Nein, er zweifelte nicht einen Moment daran, daß sie dem ganzen gewachsen war. Vielleicht würde sie aufgrund der Umstände etwas zu vorsichtig sein, aber sie würde das hier zu einem Ende bringen, so oder so. Und er zweifelte nicht daran, daß dieses Ende positiv für sie ausgehen würde.
„Ach, da sind Sie ja endlich!" McKay war auf sie aufmerksam geworden, winkte ihnen jetzt ungeduldig zu.
„Haben Sie etwas für uns, Rodney?" Vashtu schien auf der Stelle alles um sich her zu vergessen, trat an die Seite des Wissenschaftlers und beugte sich über den Bildschirm, vor dem er saß.
„Könnte sein. Ist zwar nicht die beste Aufnahme, aber ich schätze ..." McKay tippte etwas herum, bis er zufrieden schien mit dem Ergebnis. „Besser geht's nicht."
John war der Antikerin gefolgt, beugte sich jetzt auf der anderen Seite über seinen Freund und starrte auf den Monitor, auf dem ein körniges Schwarz-Weiß-Bild zu sehen war. „Ihr habt ein MALP da drin?" fragte er verblüfft.
„Schien mir erst einmal sicherer. Irgendwelche Umweltdaten?" antwortete die Antikerin.
„Luftzusammensetzung normal für die Erde, Temperatur okay. Luftfeuchtigkeit ist etwas hoch", McKay verzog das Gesicht und schob die beiden, die ihn bedrängten, mit den Armen ein wenig von sich.
„Das Bild ist schlecht", merkte in diesem Moment Mitchell an, der hinter dem Wissenschaftler stand.
„Der Stahl in den Betonwänden stört die Übertragung", kommentierte McKay nur. „Außerdem ist es dunkel da drin. Entweder ist die Sicherung durchgebrannt oder die Bälger sind noch nicht dazu gekommen, das Licht einzuschalten."
„Letzteres ... hoffentlich." Vashtu schob sich wieder näher an den Bildschirm heran und kniff die Augen zusammen. Mit einem Finger deutete sie auf einen eigenartig geformten Umriß. „Was ist das?"
„Das versuche ich gerade herauszufinden", ätzte McKay und bewegte den Stick, mit dem die Sonde kontrolliert wurde.
Eine schnelle Bewegung war am unteren Rand des Bildes zu sehen.
John zuckte unwillkürlich zurück, sein Herz schlug schneller. „Was war das?" fragte er alarmiert.
„Da da drin nichts lebendiges außer den Iratus ist, dürfte es sich um einen Ihrer Lieblinge handeln, Sheppard", kommentierte McKay trocken.
John erschauderte unwillkürlich.
„Konzentrieren wir uns wieder auf das Ding, um die Iratus kümmern wir uns danach. Ich möchte keine unliebsame Überraschung erleben, wenn wir da reingehen", entgegnete Vashtu angespannt.
John holte tief Atem, schwieg jetzt aber.
Aus dem Dunkel und dem schneeigen Bild des Monitors schälte sich allmählich etwas, was für ihn entfernte Ähnlichkeit hatte mit einem alten Filmmonster. Da fiel ihm das Motto des Monsterhauses ein und einen Moment lang wollte er sich beruhigt aufrichten. Dann aber bemerkte er, daß dieses Ding ... sich bewegte.
„Jede Wette, wir haben das athosianische Kunsthandwerk gefunden", murmelte Vashtu.
„Das Monster ..." flüsterte John. „Wieso bewegt es sich?" Er warf einen ratlosen Blick zu der Antikerin hinüber.
„Nicht die Statue bewegt sich, der Kokon tut es", antwortete sie und richtete sich auf, um ihr Funkgerät zu aktivieren. „Bishop, wir gehen rein. Etwa fünf bis sechs Meter neben dem Eingang steht eine eigenartige, außerirdische Statue. Die beinhaltet das Nest. Und Vorsicht, ein weiterer Käfer ist geschlüpft."
„Verstanden, Mam", kam die verzerrte Antwort aus dem Funkgerät.
„Wenn ihr mitkommen wollt, ich gehe rüber." Vashtu klopfte einmal mit den Fingerknöcheln auf den Metalltisch, an dem McKay saß, dann drehte sie sich um und verließ das Zelt wieder.
John zögerte nicht, sondern folgte ihr sofort, ein flaues Gefühl im Magen.
Hoffentlich machte sie nicht ausgerechnet jetzt einen Fehler!

***

Vashtu war angespannt und sich durchaus der Verantwortung bewußt, die ihr von Präsident Hayes übertragen worden war. Sie verstand allerdings auch Mitchell, der natürlich alles andere als erfreut war darüber, daß ihm das Kommando sozusagen entzogen worden war. Andererseits hatte er das Funkgerät liegen lassen, nicht sie. Und sie war auch nicht diejenige gewesen, die Meldung machte auf der Daedalus, das hatte McKay getan.
Wenn sie ehrlich war, sie hatte sich eigentlich heraushalten wollen, nachdem das Nest lokalisiert war. Aus der Datenbank wußte sie jetzt zwar einiges mehr über die Iratus, aber dieses Wissen war für sie erst einmal theoretisch und mußte überprüft werden. Und für Überprüfungen war sie noch nie der Typ gewesen, nur für Korrekturen.
Aber wie auch immer, sie war jetzt die Verantwortliche für all das hier, ihr oblag es, die Insekten zu vernichten. Denn zumindest dieser Befehl des Präsidenten war sehr eindeutig gewesen, nachdem Caldwell und McKay ihm grob geschildert hatten, WAS genau die Iratus-Käfer taten: Keiner durfte entkommen. Für eventuelle Studien stand immer noch das sektierte Exemplar in der AREA 51 zur Verfügung sowie in Kürze das lebende, das das CSI eingefangen hatte. Alle anderen waren auf der Stelle, oder doch so schnell wie möglich, auszulöschen.
Aus diesem Grund, und nur aus diesem Grund, lieferte die Odyssee gerade noch einige Fässer mit Giftgas, das sie in die Lagerhalle leiten sollten, sollten sie des Befalls anders nicht Herr werden. Vashtu allerdings würde das Gas nur als allerletzte Möglichkeit einsetzen, das hatte sie sich gleich zu dem Zeitpunkt geschworen, als sie von dieser unverhofften Lieferung erfahren hatte. Sie vertraute auf altbewährte Methoden: Maschinenpistolen, außen Scharfschützen, die den Eingang zur Halle ständig kontrollierten und Flammenwerfer, die sie sich aus Armeebeständen hatte herbringen lassen.
„Sind wir soweit?" fragte sie, als sie bei der Gruppe, die das Lagerhaus betreten sollte, angekommen war. Captain Bishop, seineszeichens Marine mit Spezialausbildung und Leader von Gruppe A, bestätigte, während John und Mitchell nun auch eintrafen.
„Da drinnen äußerst vorsichtig sein", erklärte Vashtu den Männern noch einmal. „Die Insekten schlüpfen jetzt. Jungtiere sind noch nicht in der Lage, ein Lebewesen von der Größe eines Menschen zu töten, es sei denn, derjenige befindet sich ohnehin schon an der Schwelle zum Jenseits. Sie sind allerdings sehr flink und wendig. Was das Nest angeht ... Am besten fackeln wir die ganze Statue ab, damit dürften sich dann auch weitere schlüpfende Iratus erledigt haben. Und nicht vergessen, der Kokon sondert einen Duftstoff ab, der bei Menschen wie ein Halluzinogen wirkt. Kommen Sie der Statue also nicht zu nahe. Flammenwerfer auf größere Distanz einstellen."
Bishop sah sich kurz in seiner Gruppe um, dann nickte er. „Wir sind bereit, Mam."
Vashtu holte tief Atem.
Lieber wäre sie mit der ersten Gruppe reingegangen, naja, noch lieber wäre sie jetzt auf irgendeinem anderen Planeten, vorzugsweise so weit von der Erde entfernt wie nur möglich. Aber sie war jetzt nun einmal hier und hatte das Kommando. Also?
„Gruppe Alpha, Abmarsch!" Ihre Stimme klang, als würde sie einen solchen Befehl jeden Tag geben, doch ihr Magen zog sich beinahe schmerzhaft zusammen.
Sie hatte noch nie irgendein Kommando inne gehabt, ging ihr auf, während sie nun eine P-90 an ihrer Weste befestigte. Immer war sie die Befehlsempfängerin gewesen. Sicher, sie gab Tips, wenn sie eine Lösung parat hatte, vielleicht war sie dann wirklich ein bißchen herrisch. Aber sie meinte es gut.
John legte ihr eine Hand auf die Schulter und sah besorgt zu ihr hinunter. Ihr Herz, das ohnehin schon schneller als gewohnt schlug, tat einen Hüpfer bei dieser Berührung und sie überlief es heiß und kalt.
„Du solltest das ganze vielleicht besser von hier draußen koordinieren", schlug er mit sanfter Stimme fort. „Nicht daß ich dir das da drin nicht zutraue. Aber von hier hast du einen besseren Überblick."
In diesem Moment, als sie zu ihm hochsah und seine Augen sie beinahe anflehten, nicht die Halle zu betreten, um sich nicht selbst in Gefahr zu bringen, in dieser Sekunde, als der Klang seiner Stimme noch in der Luft lag und in ihr nachvibrierte, in diesem Atemzug wäre sie vielleicht wirklich bereit gewesen, draußen zu bleiben und diesen schwierigen Teil den Männern, die man ihr zugeteilt hatte, zu überlassen. Doch im nächsten Moment drängte sich Mitchell an ihnen beiden vorbei und warf ihr einen kalten Blick zu.
„Wissen Sie was, Miss Uruhk?" fragte er. „Sie müssen noch einiges lernen, ehe Sie wirklich ein Kommando wie dieses leiten können. Und vor allem müssen Sie sich durchsetzen. Sheppard, wir gehen rein!"
„Nein!"
Vashtu war wie gelähmt und konnte nur zusehen, wie Mitchell die Tür öffnete und im Dunkel der Halle verschwand.
„Verdammt!" fluchte John los.
Und sie riß sich los und stürzte dem SG-1-Leader nach. Auf keinen Fall durfte Mitchell ohne Deckung da drin sein, auf gar keinen Fall!
„Vashtu!" rief John ihr nach, dann fiel die Tür ins Schloß, noch während sie die Lampe an der P-90 einschaltete.
Von irgendwo hörte sie ein unterdrücktes Husten, dann leise Schritte.
Vashtu versuchte sich zu orientieren, da öffnete sich die Tür hinter ihr erneut und John kam herein, den Flammenwerfer, den sie für ihre Gruppe hatte haben wollen, mit sich schleifend.
„Du kannst doch nicht einfach so losstürmen", fuhr er sie an.
„Wir können Mitchell aber auch nicht allein hier lassen!" entgegnete sie lauter als sie wollte.
„Der kann schon auf sich selbst aufpassen." John kämpfte mit den Gurten, um sich den Flammenwerfer selbst auf den Rücken zu schnallen.
„Ach, und ich kann das nicht?" ätzte sie ihn an.
Er stutzte, dann runzelte er die Stirn. „Du bist die Kommandierende, das ist ein kleiner aber feiner Unterschied." Endlich gelang es ihm, die schwere Gasflasche richtig auf seinem Rücken zu positionieren, schloß den ersten Gurt.
Vashtu drehte sich wieder zu der sie um umgebenden Dunkelheit herum und blinzelte hinein. Ein Stück entfernt konnte sie andere Lichter ausmachen, sehr wahrscheinlich Bishop und sein Marines-Team.
„Mitchell?" rief sie in die Dunkelheit hinein, bis ihr aufging, daß sie ja immer noch ein Funkgerät hatte. Wie automatisch aktivierte sie es. „Bishop, Sie haben nicht zufällig Colonel Mitchell gesehen? Wir sind ... getrennt worden."
„Negativ, Mam", lautete die Antwort. „Wir nähern uns jetzt dem Nest, Mam. Sieht bis jetzt recht einfach aus."
„Wollen wir hoffen, daß das auch so bleibt", seufzte sie, drehte sich zu John um, der mittlerweile fortgefahren war, sich den Flammenwerfer anzulegen. „Können wir?"
Seine haselnußfarbenen Augen sahen sie abschätzend an, dann nickte er, hob noch einmal die Schultern, um die Gasflasche auf seinem Rücken in eine angenehmere Position zu bringen.
In diesem Moment hörten sie beide den ersten Schrei.
„Verdammt!" Vashtu wirbelte herum, hatte die Waffe bereits im Anschlag. „Wir müssen los!"
„Dann los, aber vorsichtig!" mahnte John, der seinerseits den Stutzen des Flammenwerfers fest umklammerte.
Vashtu kniff die Lippen aufeinander, nickte aber und ging vorsichtig los, während sie wieder ihr Funkgerät aktivierte. „Bishop? Status!"
Keine Antwort, nur ein mehrstimmiges Wimmern aus der Dunkelheit.
„McKay, irgendetwas zu sehen?" hörte sie John hinter sich fragen.
Warum hatte sie nicht daran gedacht? Immerhin war da vorn auch noch das MALP! Sie hätte einfach bei Rodney nachfragen können.
„Keiner auf dem Bildschirm", hörte sie die Antwort des Kanadiers und nickte stumm.
Das Wimmern wurde deutlicher, und dann ... tauchten ein Paar Beine im Licht ihrer P-90 auf. Beine, die in Armeehosen steckten.
Vashtu ließ sich auf ein Knie nieder und leuchtete dem Mann ins Gesicht. Es war einer von Bishops Männern, und an seinem Hals ...
„Oh Mann, sagtest du nicht, Jungtiere könnten keinen Menschen töten?" fragte John, nachdem auch er hatte erkennen müssen, was sich da wie ein bizarrer Schmuck um den Hals des Mannes wand.
„Er ist bewußtlos und steht vermutlich unter Schock", entgegnete Vashtu, richtete sich wieder auf und sah in die Dunkelheit. „Aber er lebt."
Nur ein kurzes Stück weiter hockte ein weiterer Marine auf dem Boden und wippte immer wieder vor und zurück, während er unverständliches Zeug brabbelte.
„Hier geht's ja mächtig ab", murmelte John.
Vashtu nickte stumm.
Es wurde ein Fiasko. Sie war sich ganz sicher, diese ganze Operation würde ein voller Fehlschlag werden. Hatte sie nicht schon zwei mehr oder minder Verluste? Zwei Männer waren ausgefallen, und sie konnte nur hoffen, daß sie sich wieder erholen würden.
Vashtu schnürte es die Kehle zu, dennoch zwang sie sich, sich wieder aufzurichten und erneut ihr Funkgerät zu aktivieren. „Bishop, wo sind Sie? Mitchell? Sind wenigstens Sie irgendwo in dieser Halle?"
Sie hörte ihre eigene Stimme, nur wenige Schritte weiter, und fluchte in ihrer Muttersprache.
„Falls es dich interessiert, ich denke, du machst deine Sache ganz gut", merkte John an.
„Gut zu wissen, daß ich Leute, die mehr über mein Versagen wissen wollen, nur zu dir schicken muß - den einzigen Mann auf der gesamten Erde, zu dem ich eigentlich keinen Kontakt haben dürfte", entgegnete sie.
Ein dritter Mann aus Bishops Gruppe stand wie angewurzelt da und starrte ins Nichts, bis sie ihm ihre Hand vor das Gesicht hielt. Dann begann er laut und sehr anhaltend zu schreien, bis ihm die Luft ausging. Er knickte mit den Knien ein und hockte dann, wie sein Kamerad, wimmernd am Boden.
John runzelte die Stirn, als Vashtu zu ihm hochsah. Nachdenklich betrachtete er den Marine, dann blickte er sie an. „Fällt dir vielleicht auch etwas auf?" erkundigte er sich.
Vashtu blinzelte, drehte sich um und sah in die Dunkelheit. Hier irgendwo mußte der Kokon sein. Sie konnte ihn beinahe riechen. Stumm schüttelte sie den Kopf.
„Fällt dir nicht auf, daß wir beide nicht beeinträchtigt sind, alle anderen aber schon ... es sei denn, an ihnen ist gerade ein Iratus angedockt?"
„Das ist Zufall", wiegelte sie augenblicklich ab.
„Nein, nein, vielleicht nicht."
Vashtu stutzte, als sie so plötzlich McKays Stimme hörte. Dann erst ging ihr auf, daß ihr Funkgerät noch immer offen und aktiviert war. Wahrscheinlich hatte der Kanadier jedes Wort mithören können. Also Schnitzer Nummer zwei!
„Sie sollten bedenken, daß Sie beide den anderen etwas voraus haben: Sie, Vashtu, tragen Iratus-Zellen in sich, und in Sheppards Fall könnten noch leichte genetische Anomalien vorliegen", fuhr McKay fort.
Vashtu blieb stehen.
Sie wollte besser nicht über das nachdenken, was der Kanadier ihr da gerade zu schlucken gegeben hatte. Andererseits aber ... konnte es durchaus sein, daß ...
„Das stimmt. Jedenfalls durfte ich bisher immer noch alle vier Wochen bei den Ärzten vorsprechen, um eine Genanalyse machen zu lassen", berichtete John. „Vielleicht erinnert sich ein Teil von mir tatsächlich noch daran und ich bin deshalb ..."
„Das Monster ... hütet euch ... Monster ..."
Vashtu wirbelte auf der Stelle herum und wollte schon loshetzen, als ihr bewußt wurde, daß sie ja nicht einfach so voranstürmen konnte. John war mit dem Flammenwerfer langsamer als sie, immerhin mußte er das ganze Gewicht mit sich herumschleppen.
„Mitchell? Sind Sie das?" rief sie statt dessen in die Dunkelheit hinein. „McKay, irgendetwas zu sehen?"
„Das Nest scheint sich wieder zu bewegen ... in Ihre Richtung! Was auch immer Sie vorhaben, Sie sollten es schnell zu Ende bringen."
„Mitchell!" rief Vashtu wieder in die Halle hinaus, wartete, bis John aufgeschlossen hatte, ehe sie weiterging, sich aber immer wieder bremsen mußte.
„Vashtu, ich bin mir ziemlich sicher, daß bisher jeder Iratus-Käfern jegliche Intelligenz abgeschworen hat. Aber ich bin mir auch sicher, daß ich meinen Augen trauen darf. Die Statue, und damit das Nest, bewegt sich wieder. Und es hält sehr zielgenau auf Sie beide zu!"
Waren Iratus doch intelligenter als allgemein angenommen? Hatten sie sich vielleicht in den letzten zehntausend Jahren zu einer intelligenteren Art weiter entwickelt?
Sie wußte es nicht, und ganz sicher wollte sie das auch nicht jetzt und hier herausfinden.
„Mitchell!" Dieses Mal brüllte sie so laut sie konnte, doch noch immer keine Reaktion.
Dann tauchte Bishop aus der Dunkelheit auf. Er saß zusammengesunken auf dem Boden, und es schien, als würde sein Körper nur durch den Flammenwerfer in dieser Position gehalten, den er auf den Rücken geschnallt trug.
„Bishop!" Vashtu hockte sich bei dem Marine nieder, suchte nach seinem Puls, fand ihn aber zunächst nicht. Dann aber stellte sie erleichtert fest, daß er doch noch lebte, nur sein Herz sehr schwach und unregelmäßig schlug. An seinem Hals fand sie zwei punktförmige Male.
„Es ist noch einer geschlüpft", wandte sie sich an John, ließ die P-90 los und begann statt dessen die Gurte des zweiten Flammenwerfers zu lösen.
„Was tust du da?" verlangte John ungeduldig zu wissen.
„Wir müssen das Nest zerstören, ehe noch mehr schlüpfen können. Und wir müssen die Männer hier herausschaffen", antwortete sie ungeduldig.
„Vashtu!"
Etwas in Johns Stimme alarmierte sie und ließ sie aufblicken.
John starrte in die Dunkelheit hinter ihrem Rücken, und soweit sie das in dem wenigen Licht ausmachen konnte, war er leichenblaß.
Langsam drehte sie sich auf den Fersen um und holte tief Atem, als sie nun zum ersten Mal die Statue in der Realität sah.
Um was es sich handelte, konnte sie nicht wirklich bestimmen, sehr wahrscheinlich war es wirklich ein mystisches Geschöpf, das sich irgendein Volk der Pegasus-Galaxie ausgedacht hatte. Es selbst bewegte sich auch nicht, dennoch aber hielt es eigenartig ruckhaft auf sie zu. Das außerirdische Holz schimmerte dabei und verstärkte den Eindruck einer unseligen Belebung noch.
„Komm da weg ..." Johns Stimme war nicht mehr als ein heiseres Flüstern.
Und sie hörte es. Das leise, brodelnde Zischen, das sie überall wiedererkannt hätte.
Das Jungtier lauerte in der Dunkelheit neben dem bewußtlosen Bishop, und sie stand gerade ganz weit oben auf der Speisekarte.
„Komm da weg, Vash!" John hob den Auslöser des Flammenwerfers und schwenkte ihn langsam in ihre Richtung ein.
Vashtu schluckte hart. Vor ihr erhob sich als Hindernis der bewußtlose Marine, zur Rechten näherte sich die Statue mit dem Nest und zu ihrer Linken lauerte irgendwo in der Dunkelheit ein Iratus. Der einzige Ausweg war das unsichere Dunkel in ihrem Rücken. Und sie wußte nicht, ob nicht eventuell noch weitere Käfer dort lauerten.
Vashtu kniff die Lippen aufeinander.
Der Kokon, der sich irgendwo innerhalb der fremdartigen Statue befand, gab ebenfalls eigentümlich zischende Laute von sich, was den Eindruck des Lebendigen des Holzes noch erhöhte.
„Vashtu, weg da!"
Wenn John jetzt den Flammenwerfer aktivierte würde er so oder so Bishop zumindest schwere Verbrennungen zufügen. Vielleicht würde der Marine sogar sein Leben verlieren, sollte der Flammenwerfer auf seinem Rücken noch in die Luft gehen. Und sie selbst hatte kaum eine andere Chance.
„Aktiviere ihn!" befahl sie John und holte Schwung. Im gleichen Moment, in dem auch der Iratus zum Angriff überging und die Statue auseinanderbrach.
Vashtu sprang vor, direkt auf Bishop hinauf, riß den Marine mit sich um zu Boden und betete einfach nur. Und über ihr, neben ihr, scheinbar überall um sie herum brüllte das Feuer ...

TBC ...

30.07.2009

Das Artefakt V

Las Vegas, Police-Department:

Sara Sidle, Warrick Brown und Jim Brass waren währendessen der anderen Spur nachgegangen, über die Grissom gestolpert war. Anhand der endlich geknackten Handy-Nummer hatte das CSI einen Besitzer des Gerätes feststellen können, einen gewissen Anthony Brixton.
Als Sara auf Grissoms Geheiß die Listen der Hysterie-Opfer durchgesehen hatte, war sie recht schnell auf diesen Anthony Brixton gestoßen. Von ihm zu seinem Kumpel Josh Gardner, seineszeichens der Quarterback des Highschool-Football-Teams, war es nur ein kleiner Schritt, nachdem sie Brixton im Krankenhaus besuchten. Nicht nur, daß beide zusammen auf einem Zimmer lagen, Brixtons Zwillingsschwester war die Freundin Gardners und Anführerin der Cherleader, wodurch auch die Verbindung der beiden Jungen hergestellt war. Denn, davon waren sowohl Sara als auch Warrick überzeugt, in normalen Leben hätten die beiden niemals gemeinsame Sache gemacht.
Brixton war schmächtig und hochaufgeschossen, Brillenträger und auch sonst das typische Beispiel eines Geeks. Gardner dagegen war durchtrainiert, sah für einen Teenager recht gut aus und wußte auch um seine Wirkung zumindest bei heranwachsenden Mädchen.
„Klischee soweit das Auge reicht", war Saras Kommentar nach dem ersten Besuch bei den beiden gewesen.
Brass hatte veranlaßt, daß die Jungen direkt vom Krankenhaus ins Department gebracht wurden, nachdem sie herausgefunden hatten, daß, da die Symptome vollständig verschwunden waren, die Betroffenen wieder entlassen werden sollten bis auf einige sehr wenige Fälle, in denen es zu körperlichen Verletzungen gekommen war.
Also saßen die beiden Jungen jetzt getrennt in zwei Verhörräumen, konnten sich nicht weiter absprechen, sofern sie das vorher getan hatten, und schmorten im eigenen Saft, während Warrick, Sara und Brass die beiden durch das blickdichte Glas beobachteten.
Beide Jungen waren sichtlich nervös, Gardner wußte offensichtlich nicht wohin mit seinen Händen und wippte unregelmäßig mit dem Fuß, während Brixton sich ständig den Stuhl zurechtschob, die Brille von der Nase nahm, Muster auf den Tisch malte und ähnliche Übersprungshandlungen zeigte.
Den Ermittlern waren allerdings in der Tat im Moment die Hände gebunden, da sie die Erziehungsberechtigten der beiden noch nicht hatten erreichen können. Da beide noch minderjährig waren, durften sie die Jungen nicht eher befragen, bis diese entweder durch einen Rechtsbeistand oder ein Elternteil vertreten wurden, es sei denn, und darauf hoffte Sara, man würde zustimmen und ihnen freie Hand lassen.
So oder so, mehr als einige Wochenenden freiwilliger gemeinnütziger Arbeit würden bei Brixton nicht herausspringen, während Gardner vielleicht sogar ganz freikommen würde. Sie hatten nur das mehr als kurze Gespräch bei der Notrufzentrale und konnten Brixton, so denn eine Stimmanalyse feststellen würde, daß er angerufen hatte, unterlassene Hilfeleistung anhängen. Gardner hatte bisher noch Glück, denn für seine Anwesenheit hatten sie bisher noch keinen handfesten Beweis. Nick Stokes war im Moment damit beschäftigt, die Schuhe der Jungen mit den Abdrücken zu vergleichen, die sie auf dem Grundstück der Minneons gefunden hatten.
„Ich hasse dieses ständige Warten!" Sara kreuzte die Arme vor der Brust mit einer Miene, als hätte sie gerade eine Zitrone verspeist. „Es ist doch sowieso klar, wie es ablaufen wird: Die Eltern werden sich entweder sperren oder gleich ihren Anwalt herschicken. Einer der beiden wird zum Sündenbock gestempelt und der andere kann als unbescholtener Jungbürger gehen. Ob sie das ganze zusammen ausgeheckt haben oder nicht ist nicht wichtig."
„Sei nicht so düster." Warrick klang freundlich, wenn auch er gerade ebenso dunklen Gedanken wie Sara nachhing. „Vielleicht haben wir ja auch einmal Glück."
„Ja, aber sicher!" Die Tatortermittlerin schnaufte und wechselte das Standbein. „Wenn die beiden irgendetwas mit dem Tod der Minneons zu tun haben, werden wir ihnen das nie nachweisen können. Zumindest solange nicht, wie das Militär sich bedeckt hält. Keine Ahnung, warum die Air Force dermaßen mauert, wo sie doch so freundlich war, und uns sogar drei Experten schickte." Ihre Stimme trof geradezu vor Sarkasmus.
Jim Brass amüsierte sich im stillen. Er kannte Sidle und wußte, das hier war ihre Art, ihren Unmut über gewisse Mißstände, wie sie glaubte, auszudrücken. Sicher war es ärgerlich für sie, daß sie bei der Vernehmung Minderjähriger immer auf einen Erziehungsberechtigten warten mußten, andererseits aber würde Sara wahrscheinlich ebenso Sturm laufen, wenn die Jungs als Entlastungszeugen gehört werden sollten und das Gesetz anders lauten würde. Gerechtigkeit war eben Auslegungssache - zumindest in einigen Fällen.
„Hey, Leute!" Nick Stokes kam den Gang hinunter und grinste ihnen schon breit entgegen. „Wir können nachweisen, daß beide auf dem Grundstück der Minneons gewesen sind. Beide Paar Schuhe stimmen mit den gefundenen Abdrücken überein. Dumm, wenn man als Heranwachsender nur ein Paar bevorzugt."
„Na, das ist doch was!" Sara richtete sich wieder auf, in ihrem Gesicht war deutlich Jagdeifer zu lesen.
„Wir haben noch kein Okay der Eltern", fuhr Stokes fort und schüttelte den Kopf. „Und da wir keine direkte Tatbeteiligung nachweisen können ... Bisher ist es widerrechtliches Betreten, da es keine Hinweise auf gewaltsames Betreten gibt. Die Schuhabdrücke haben wir sowieso nur im Garten und der Garage gefunden."
„Das ist nicht fair!" erregte Sidle sich, erntete eine Reihe amüsierter Blicke ihrer Kollegen.
Aber, das wußte auch sie, sie mußten sich an den Wortlaut des Gesetzes halten, ansonsten würden die Beweise, die sie sammelten, im Falle einer Anklage für unzulässig erklärt werden.
„Wo bleiben Grissom und Catherine?" fragte Warrick.
„Die wollten noch einmal mit den 'Experten' der Air Force reden - vor allem mit dieser Dr. Uruhk. Grissom hat da wohl etwas über sie herausgefunden, nachdem die Luftwaffe ihm ihre Akte geschickt hat", antwortete Nick.
„Dann werden wir jetzt wohl warten müssen ..."
Der härteste Job, wie sie alle befanden, den man bei der Polizei überhaupt verrichten konnte: Warten!

***

AREA 51, McKays Labor:

„Okay, nachdem wir ja alle den ganzen Tag fleißig waren, haben wir sicher auch alle Ergebnisse. Und genau jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir diese Ergebnisse austauschen können, damit ich sie an Landry weiterleiten kann." Mitchell blickte auffordernd von einem zum anderen.
Vashtu hockte brütend auf einem Schemel neben dem vollgepackten Schreibtisch des ehemaligen Atlantis-Chef-Wissenschaftlers, und verzog unwillig das Gesicht, als Mitchells Augen einen Moment auf ihr ruhten.
Was sollte sie sagen? Daß sie immer noch genauso schlau war wie am Vormittag? Daß die Sektion des Käfers keine wirklichen Erkenntnisse für ihr Problem gebracht hatte? Oh ja, sie konnte sich die Jubelrufe Mitchells schon sehr genau vorstellen.
Auch John und Rodney schienen alles andere als begeistert davon, daß sie jetzt Rapport halten sollten. Die beiden tauschten einen langen Blick, dann wandte der Colonel sich schulterzuckend ab.
„Oh, klasse, wie wir alle 'hier!' schreien", bemerkte Mitchell, nachdem sie brütende Stille ausgebreitet hatte über das Labor. „Aber jetzt im Ernst. McKay, noch irgendetwas herausgekommen beim Durchforsten der Datenbank?"
„Wir kommen nicht weiter damit", wandte John ein, nachdem Rodneys Gesicht rot angelaufen war. Offensichtlich harkte mal wieder etwas mit den angeschlossenen Geräten.
Vashtu seufzte. Das Equipment, über das McKay hier gebot, war nicht schlecht, allerdings nur bedingt kompatibel mit der Technik, wie sie ihr Volk auf Atlantis gebraucht hatte. Die meisten Hinterlassenschaften, die aus der Milchstraße stammten, waren um einiges älter als die relativ neu bestückte Hauptstadt ihres Volkes. Da paßten dummerweise nicht immer die Anschlüsse, wie sie zu ihrem Leidwesen ja schon mit der Schnittstellen-Speicher hatte herausfinden müssen, mit dem sie gestern gearbeitet hatte.
„Ach, wieso denn das nicht?" Mitchell schien ehrlich überrascht.
„Weil das hier alles Stückwerk ist, was wir machen. Wenn man mir mehr Zeit lassen würde ..."
„Rodney, Sie wissen genau, daß Sie am besten unter Zeitdruck arbeiten!"
„Sie könnten sich allerdings auch ein bißchen mehr anstrengen, Sheppard!"
„Diese Dinger senden zuviel aus, wie wir seit O'Neills Versuchen wissen. Ich lasse mir mein Gehirn nicht grillen!"
„Bei Ihrer kleinen Freundin klappt es doch auch."
„Ich bin eine Antikerin, Rodney", wandte Vashtu ein und bremste damit den beginnenden Wortwechsel aus, ehe er ausarten konnte. Allerdings erntete sie dafür dann auch die ungeteilte Aufmerksamkeit von Mitchell.
„Wie siehts bei Ihnen und Ihrem neuen Freund aus?" erkundigte der SG-1-Leader sich.
Vashtu sank augenblicklich auf ihrem Schemel wieder zusammen und seufzte. „Coop sitzt noch am Bericht", antwortete sie schließlich zögernd, hob dann die Schultern. „Allerdings sind wir, was den Kokon angeht, nicht schlauer als heute morgen. Der Iratus hatte das falsche Geschlecht."
Johns Augen wurden groß. „Die Viecher sind tatsächlich geschlechtlich?" entfuhr es ihm perplex.
Vashtu nickte. „Sind sie, und damit haben wir ein Paar. Das Männchen ist tot, das Weibchen sitzt immer noch im CSI-Labor. Wir können nur hoffen, daß Iratus nicht schon die neue Brut in sich tragen, während die alte im Kokon reift, sonst haben wir ein recht großes Problem."
Mitchell hob die Hände. „Sie sagten doch, das Vieh sei ein Männchen. Dann ist die Gefahr doch gebannt, oder nicht? Es ging doch um diesen Eibatzen, den die Weibchen bewachen. Wenn der Iratus ein Männchen war, dann ist doch alles klar."
Vashtu schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Cooper und ich können nur schätzen, weil ich selbst noch an die Datenbank muß, um das zu überprüfen, aber wir denken, es handelt sich um so eine Art Auswanderer aus einem oder zwei Nestern. Die beiden haben sich zusammengeschlossen, um eine neue Iratus-Kolonie zu gründen."
„Wollen wir hoffen, daß nicht auf der Erde ..." seufzte John, doch seiner Miene war anzusehen, daß er selbst wußte, wie fromm sein Wunsch war.
„Was ist mit dem dritten Iratus?" erkundigte McKay sich unversehens.
Vashtu nickte. „Von dem hat das CSI leider nur zermanschte Überreste. Aber anhand des Materials, das dieser Grissom mir gezeigt hat, wage ich die Prognose, daß es sich um ein Jungtier gehandelt hat und dieses noch nicht ausgewachsen war. Wahrscheinlich ist der Kleine auf den Hund der Familie losgegangen, Mummy und Daddy dagegen schnappten sich Mutter und Sohn."
„Klingt einleuchtend." John nickte.
„Bringt uns aber nicht weiter in Hinsicht auf den Kokon!" Vashtu schüttelte wieder den Kopf. „Ich habe aber auch nicht die blaßeste Ahnung, wo der geblieben sein könnte. Ich weiß nur, es muß ihn geben."
„Können Cooper oder Sie sagen, wann wir mit dem Schlüpfen rechnen müssen?" fragte Mitchell.
Wieder schüttelte sie mit einer Grimasse den Kopf. „Nicht wirklich. Wir können nur vermuten, daß die Brutzeit sich verkürzen könnte aufgrund der hier herrschenden Temperaturen. Mehr aber auch nicht. Wie gesagt, ich hoffe, ich finde noch etwas in der Datenbank."
„Miss Uruhk, das ist verdammt wenig für den Aufwand, den Sie getrieben haben!" Mitchell klang ungeduldig. „Im Moment sehe ich nicht einmal den Beweis für Ihren Kokon. Die einzige, die ständig davon spricht, sind Sie selbst. Und was, wenn Sie sich irren?"
„Dann danke ich meinen Vorfahren auf Knien dafür", antwortete sie trocken, richtete sich auf, bis sie stocksteif dasaß. „Hören Sie, ich kenne die Reaktion dieser Insekten, in mir steckten die gleichen Instinkte wie in ihnen. Ich mag nicht sonderlich viel in Worte fassen können über das, was ich spüre, aber ich weiß, dieses Nest existiert und ist irgendwo in der Stadt. Wenn die Iratus einmal schlüpfen, haben wir mehr als nur das Problem, daß wir zu wenig Infos besitzen."
„Ich fühle es auch", behauptete John plötzlich. „Seit wir angekommen sind, ist da etwas in mir und kratzt an meinem Bewußtsein. Ich denke, das ist das Nest."
Vashtu war sich ziemlich sicher, daß er das nur behauptete, um sie aus der Schußlinie zu ziehen, aber sie sagte nichts. Dazu fand sie persönlich seine Art, ihr zur Seite zu stehen, viel zu nett.
„Schön, wir haben zwei Leute hier, die entweder zum Riesenkäfer mutiert sind oder Genstränge dieser Insekten in sich tragen", faßte Mitchell das gesagte zusammen. „Sie können es nicht weiter bestimmen oder begründen, aber sie sind sich beide absolut sicher, daß es neben den bereits getöteten oder gefangenen Insekten noch einen Kokon voller Eier gibt, aber sie wissen beide nicht, wie man ihn aufspüren könnte. Ist das soweit korrekt?"
McKay sah stirnrunzelnd von Vashtu zu John und wieder zurück. „Gibt es nicht vielleicht die Möglichkeit, daß dieser Kokon sich selbst schützen kann vor Entdeckung und Zerstörung?" fragte er dann schließlich. „Immerhin soll das bei Tieren ja relativ häufig vorkommen, wenn die Eltern ausfallen oder auf Nahrungssuche sind."
Vashtu und John wechselten einen verblüfften Blick, dann nickten sie zwar zögernd aber einhellig.
„Das ist möglich, ja", antwortete die Antikerin.
„Kann uns das weiterhelfen?" Mitchell klang allmählich ungeduldig.
John nickte, schob sich lässig auf McKays Schreibtisch. „Kann es. Wir müssen nur herausfinden, ob und wie sich die Brut schützt und nach entsprechenden Symptomen unter der Bevölkerung suchen."
„Und die wäre bei einem Kokon, der so groß ist wie ein Mensch, garantiert eine Schlagzeile wert", fuhr McKay mit einem sauren Blick in Richtung auf den hochgewachsenen Luftwaffenoffizier, dessen Gesäß sich auf seinem Schreibtisch positioniert hatte, fort.
„Es bleibt allerdings dabei, daß ich an die Datenbank muß. Vielleicht finden wir dort etwas heraus", wandte Vashtu ein. „Es wird Forschungen über Iratus-Käfer gegeben haben, nur haben wir bisher an der falschen Stelle gesucht."
Mitchell hob die Hände. „Sie denken, diese Viecher können sich vielleicht von allein schützen? Warum dann der Aufwand von Mum und Dad?"
„Weil es die letzte Verteidigungslinie ist", wandte John sofort ein.
McKay lehnte sich mit vor der Brust gekreuzten Armen zurück und starrte vor sich hin.
„Das Verhalten ist auch von irdischen Tieren bekannt", fuhr John fort. „Die Eltern sind nicht da, die Kleinen verstecken sich, erstarren wie zu einer Statue, wenn ihnen eine mögliche Gefahr zu nahe kommt und setzen auf ihre eigene Tarnung."
„Das sind alles Verhaltensmuster, die nach dem Werfen auftreten", wandte Mitchell ein. „Wir reden hier von einer Verteidigungsstrategie, die bereits vor dem Schlüpfen auftritt."
McKay begann plötzlich mit den Fingern zu schnippen. Aufgeregt richtete er sich auf und begann einen ruhelosen Gang durch sein Labor. „Carson sagte damals doch, als Sie mutierten, daß in der Bruthöhle etwas geschah!"
John runzelte die Stirn und wartete.
Mitchell drehte sich irritiert zu dem Wissenschaftler um, der weiter hektisch schnippte und hin- und herlief.
„Ich weiß von unseren damaligen Wissenschaftlern, daß die tunlichst vermieden, Bruthöhlen von Iratus-Käfern zu betreten", warf Vashtu ein in der Hoffnung, McKay damit weiterhelfen zu können. „Es wurde gemunkelt, die Insekten würden den Bewußtsseinsinhalt vernunftbegabter Spezies verändern können während sie sich fortpflanzen. Die Spezialisten selbst hielten sich bedeckt, darum gehe ich davon aus, daß wir etwas in der Datenbank finden werden."
„Carson meinte, ehe sie angegriffen wurden, geschah noch etwas anderes, deshalb mußten Sie dann ja auch rein, Sheppard", fuhr Rodney fort, als sei er in vollkommen anderen Sphären gelandet.
„Wegen eines Geruchsstoffes, ich weiß", nickte John und erschauderte. „Mein Körper produzierte das Zeug plötzlich auch, darum wurde ich ja akzeptiert."
McKay fuhr herum. „Das ist es!"
Vashtu stutzte. Irgendwie schien sie gerade auf der Leitung zu sitzen, befand sie.
„Was ist es?" bohrte Mitchell nach.
„Enzyme! Geruchsstoffe!" Rodney triumphierte.
John drehte sich halb zu Vashtu um und sandte ihr einen fragenden Blick, den sie nur mit einem Schulterzucken beantworten konnte.
„Der Kokon schützt sich durch Geruchsstoffe", erklärte der Wissenschaftler endlich. „Damals in der Höhle drehten die Leute durch EHE die Iratus angreifen konnten. Carson sagte, sie seien alle wie wahnsinnig gewesen, als hätten sie auf einen Schlag den Verstand verloren. Darum wurden Sie dann reingeschickt, Sheppard."
Vashtu zog den Kopf ein, als sie begriff, was McKay da gerade in den Raum geworfen hatte.
Natürlich hatte sie daran nicht mehr gedacht, warum denn auch? Es war ihr bis heute peinlich, was sie getan hatte, nachdem sie sich der Atlantis-Crew offenbarte. John hatte die Pheromone, die sie mittels ihrer Iratus-Zellen produziert hatte, aufgenommen noch ehe er sie richtig gesehen hatte. Was dann passiert war ... Nein, sie wollte lieber nicht daran denken!
Mitchell lachte bitter auf. „Soll das heißen, wir sollen in einer Stadt, in der das ganze Jahr über Jahrmarktstimmung herrscht, nach 'eigenartigem Verhalten' suchen, noch dazu drei Tage vor Halloween? Leute, in Vegas sind alle kirre! Und das vor allem im Moment."
„Wenn der Kokon wirklich irgendeinen Geruchsstoff produziert, müßte er aufzutreiben sein", stimmte John seinem Freund zu und nickte. „Denn dann müßten die Menschen seine Nähe meiden. Der Iratus-Nachwuchs will sich schützen, sich nicht selbst ans Messer liefern. Also wird er tun was er kann, um jedes Lebewesen, das nicht Teil seiner Eltern ist, von sich fernzuhalten." Er drehte sich wieder zu Vashtu um. „Haben Cooper und du berechnen können, um wieviel schneller die Brut heranreift in der Wüstenhitze?"
„Ich muß das erst mit der Datenbank abgleichen, um einen relativen Zeitrahmen errechnen zu können", antwortete die Antikerin. „Allerdings läuft uns allmählich die Zeit davon, soviel kann ich sagen."
Jetzt richteten sich alle Augen auf Mitchell, der noch immer an seinem Platz in der Mitte des Raumes stand und plötzlich sehr verloren wirkte. Dann nickte er mit saurer Miene. „Gut, dann suchen Sie in der Datenbank. Ich erstatte Landry Bericht, daß wir eigentlich nichts wissen, sondern nur vermuten."
Die Antikerin nickte und erhob sich von ihrem Schemel.
„Und ich bleibe hier, um McKay und Vashtu zu unterstützen", wandte John in diesem Moment ein.
Mitchell bedachte ihn mit einem weiteren, brütenden Blick, zuckte schließlich mit den Schultern. „Meinetwegen. Wir treffen uns morgen, Punkt Null-Neunhundert in der Kantine. Und sehen Sie zu, daß wir endlich Resultate vorweisen können!"

***

Vernehmung von Josh Gardner und Anthony Brixton:

Brass: Also, wie habt ihr zwei das denn wohl gemacht, du und dein Kumpel, mein Junge?
Gardner: Was? Was sollen wir denn gemacht haben?
Brass: Wie habt ihr die Minneons gekillt, das ist die Frage. Müssen euch ja gewaltig auf die Nerven gefallen sein, Mum und Sohnemann ... Oder war's, weil Sohnemann wieder nach Hause gekommen ist?
Gardner: Sind Sie noch ganz dicht? Ich werd doch keinen umbringen!

Sidle: Hier, das ist, was von den Minneons übrig geblieben ist. Kein schöner Anblick, oder?
(Ermittlerin zeigt Fotos der Leichen)
Brixton: Oh Mann!
Sidle: Warum habt ihr das gemacht?
Brixton: Was sollen wir denn gemacht haben?
Sidle: Warum habt ihr die Minneons getötet?
Brixton: Wir haben niemanden getötet!

Brass: Also, wir können eindeutig beweisen, daß ihr im Haus der Minneons gewesen seid, du und dein Kumpel nebenan. Und als ihr weg wart, waren die Minneons plötzlich nur noch vertrocknete Leichen. Denkst du nicht, daß das ein kleines bißchen verdächtig wirkt auf uns Bullen?
Gardner: Hören Sie, Mann, ich hab für nächstes Jahr ein Stipendium an der Nevada State. Ich werd' doch nicht so bescheuert sein und irgendwo irgendjemanden abmurksen!

Sidle: Als ihr gekommen seid, waren die Minneons noch am Leben. Als ihr gingt, waren sie tot oder lagen zumindest im Sterben. Komm schon, Anthony! Wir haben den Anruf, der von deinem Handy ausging! Ihr wart da! Du hast es doch schon so gut wie zugegeben.
Brixton: Ich hab doch den Notruf gewählt, damit diesem Typen geholfen werden kann. Als wir weg sind, WAR er noch am ...
Anwalt der Familie Brixton: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, Miss Sidle, daß mein Mandant einen Hilferuf für Ihre Opfer abgegeben hat. Mr. Brixton wollte helfen, doch es war ihm zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, mehr zu tun als den Notruf zu wählen. Damit dürfte sich dann Ihr Einbruchsmord in widerrechtliches Betreten verwandelt haben. Vertretbar angesichts der Tatsache, daß Mr. Brixton Hilfe leisten wollte.
Sidle: Aber er hat erst angerufen, als er schon einen halben Block entfernt war!

Brass: Wenn du mich fragst, dein Kumpel nebenan, der ist fein raus. Seine Eltern haben einen Anwalt geschickt, um ihn rauszupauken. Und nun denk mal weiter, Kleiner. Wenn er es schafft, aus der Sache rauszukommen, muß ein anderer für ihn in den Schlamasel hinein.
Gardner: Nicht Tony, nein, Mann! Selbst wenn wir irgendetwas ausgefressen hätten, der würde mich nicht verpfeifen!
Brass: Bist du dir da sicher?

Sidle: Ihr seid in das Haus rein und wollt nur gesehen haben, wie die Minneons 'so komisch zuckten' und seid wieder verschwunden? Wem willst du diesen Bären eigentlich aufbinden?
Anwalt: Bitte mässigen Sie Ihren Ton, Miss Sidle!
Brixton: Wir waren doch gar nicht im Haus!
Sidle: Ach, dann weißt du also doch etwas und warst da?
Brixton: Das habe ich nicht gesagt!

Gardner: Tony kam damit an, nicht ich. Ich sollte ihm nur tragen helfen.
Brass: Was, ihr wolltet die Leichen entsorgen?
Gardner: Mann, wir wußten doch gar nicht, daß die da waren! Wir dachten, die wären weg, weil sich nichts mehr tat im Haus.
Brass: Dann wolltet ihr also von Anfang an einbrechen, richtig?
Gardner: Nicht so richtig, nein ...

Brixton: Wir wollten doch nur diese Kiste! Verdammt, ich wußte doch nicht, daß die da liegen und tot sind!
Sidle: Was für eine Kiste?

Gardner: Na, die Kiste mit dem Air-Force-Brandzeichen. So wie in diesen Indy-Filmen, verstehen Sie?
Brass: Und was wolltet ihr mit einer Kiste?

Brixton: Unser Jahrgang ist dieses Jahr mit dem Monsterhaus dran, und das Geld sparen wir, um nach Datona-Beach zu fahren nächstes Frühjahr.
Sidle: Und was hat diese Kiste damit zu tun?
Brixton: Nichts. Wir wollten sie für das Monsterhaus ...

Gardner: Wissen Sie, wir haben das als so eine Art Revival aufgezogen, so mit Remakes von alten Monsterfilmen und so. Und so eine Riesenkiste ... Mann, die paßte einfach für die Alien-Autopsie!
Brass: Für die was?

Brixton: Ja, wir haben ein Abteil für die Alien-Autopsie. Sie wissen doch sicher noch, dieses Video, das in den Neunzigern kursierte. Wir haben das nachgebaut so gut es ging.
Sidle: Und auf diesem Video war eine Kiste wie die, die ihr aus dem Haus der Minneons habt?

Gardner: Wir waren doch gar nicht im Haus, wir waren nur in der Garage. Das Tor stand offen und die Kiste wie ein Riesengeschenk mitten drin. Da sind Tony und ich rein und haben sie uns gegriffen. Und dann meinte Tony plötzlich, da würde einer liegen und so komisch zucken ... so wie in den Horrorfilmen eben. Also haben wir die Kiste mitgenommen und am Ende des Blocks erwische ich Tony, wie er gerade anruft und von den Zuckungen erzählt. Dabei war es doch klar, daß dieser Kerl schon so gut wie tot war.

Sidle: Also habt ihr Minneon einfach da liegen lassen und seid mit der Kiste weg.
Brixton: Ja, und das tut mir leid. Deshalb hab ich dann doch angerufen. Aber Josh hat mir das Handy aus der Hand geschlagen und dann war es an der Straßenkante zerschellt.
Sidle: Und wenn es nicht zerschellt wäre?

Gardner: Wir hätten doch sowieso nichts mehr für diesen Typen tun können. Wird einer von der Mordkommission wie Sie doch sicher wissen. Wenn da so komisch gezuckt wird ist es aus!
Brass: Und wo ist die Kiste?

Brixton: Die steht im Monsterhaus in der Alien-Ecke.
Sidle: Und das war wirklich alles?
Brixton: Es tut mir leid ...

***

Rekonstruktion des Mordtages:

Morgens:

Tony Brixton hielt sein Fahrrad unvermittelt an und bekam große Augen, als er den Lkw vor dem Haus der Witwe Minneon stehen sah. Das Logo der Air Force prankte groß an den beiden Seiten und zwei Männer in Militäroveralls waren gerade damit beschäftigt, eine etwa mannshohe Kiste in die Garage des Hauses 587 Washington Street zu bringen
Tony kam ein Gedanke und neue Hoffnung flammte in ihm auf.

Mittags:

Josh Gardner saß mit seinen Kumpels zusammen draußen an einem der Tische, die zur Kantine gehörten, als Tony plötzlich um die Ecke kam und ihm Zeichen gab.
„Hey, Leute, bin gleich wieder da." Josh gab Liz, Tonys Zwillingsschwester, einen Kuß auf die Wange, als er sich erhob. Wie zufällig streifte sein Handrücken ihre sprießende Brust, woraufhin sie begann zu kichern.
„Was ist denn los, du Loser?" zischte Josh, als er um die Ecke kam.
Er zeigte sich ungern mit dem Geek Brixton, tat es eigentlich nur, um Liz zu gefallen, die offensichtlich ihr Mutterherz für ihren Bruder entdeckt hatte.
„Du machst doch auch beim Monsterhaus mit, oder?" fragte Tony aufgeregt.
Josh stutzte, nickte dann aber. „Und?"
„Ich hab da heute was absolut abgefahrenes gesehen, als ich zur Schule fuhr. Wenn wir die kriegen würden ... das wäre irre!"
„Und was hat ein Freak wie du gesehen, das ihn dermaßen aus den Socken haut?" Josh warf einen Blick um die Ecke und beobachtete Liz, die mit einer Freundin herumalberte.
„Ne Kiste wie die, in die die Lade kommt am Ende von 'Lost Ark'", antwortete Tony aufgeregt und rang die Hände. „Nur größer, Mann, viel größer. Fast wie ein Sarg. Und groß mit dem Air-Force-Logo auf der Seite."
Josh richtete sich wieder auf. „Ist das dein Ernst?"
Tony nickte. „Hilfst du mir? Allein werde ich die da nie rauskriegen."
„Hast du gefragt? Hey, Kumpel, ich will keinen Ärger wegen sowas. Schließlich hab ich das Stipendium."
„Ich frag noch, Ehrenwort!"
Josh dachte wieder nach.
Am Monsterhaus mitzuarbeiten hatte sich bis jetzt nicht als Fehler erwiesen, im Gegenteil waren ihm da schon einige Hühner aufgefallen, die er sonst vielleicht übersehen hätte. Nicht daß er Liz untreu war, nur war sie verdammt prüde und er als Mann hatte bestimmte Bedürfnisse. Und wenn er mit so einer Kiste aufwarten konnte ...
„Okay, aber frag nach, klar?"

Früher Abend:

Tony läutete zum vierten Mal, doch immer noch herrschte Schweigen aus dem Haus der Minneons. Dabei, und da war er sich sicher gewesen, war die alte Witwe da.
Hatte sie vielleicht vergessen, ihr Hörgerät einzuschalten? Möglich wäre es. Die Minneon galt ohnehin als etwas schrullig, noch mehr, seit ihr Sohn weg war.
In diesem Moment bog ein Taxi um die Kurve und hielt direkt auf Tony zu. Und der ... bekam es mit der Angst, schwang sich auf sein Fahrrad und raste davon. Die Genehmigung würde er sicher auch morgen noch holen können ...

***

AREA 51:

Vashtu harrte lange Zeit in der Hoffnung aus, der lästige Klopfer an ihrer Tür werde von selbst wieder verschwinden, doch wer auch immer da Einlaß verlangte, war hartnäckig und sie schließlich so wach, daß sie bezweifelte, in dieser Nacht überhaupt noch Schlaf finden zu können.
Seufzend fügte sie sich also, kletterte umständlich aus dem Etagenbett, tappte auf bloßen Füßen zum Lichtschalter, wobei sie sich natürlich den Zehen an irgendetwas stoßen mußte, schnappte sich ihre Fliegerjacke, um sie über das lange T-Shirt, das sie zum Schlafen trug, zu ziehen und entriegelte endlich die Tür, um sie dann einen Spaltbreit zu öffnen. Herzhaft gähnend beugte sie sich in den Spalt hinein und blinzelte in das grelle Neonlicht des Flurs, bis sie erkannte, wer da so vehement Einlaß verlangte.
„John!" Sie riß die Augen auf, runzelte dann aber gleich wieder die Stirn und sah auf ihre Armbanduhr hinunter. „Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?"
John stand, zwei dampfende Becher auf einem Tablett balancierend, vor ihr und lächelte entschuldigend. „Nicht so richtig. Ich konnte nicht schlafen", antwortete er leise.
„Es ist drei Uhr morgens!"
Er setzte seinen besten Hundeblick auf. „Entschuldige, wenn ich dich geweckt habe." Auffordernd und gewinnend lächelnd hob er das Tablett. „Ich habe Tee für uns mitgebracht."
Vashtu glaubte einen Moment lang wirklich, sie würde noch träumen. Stand da wirklich John Sheppard vor ihr und verlangte Einlaß in den Damen-Mannschaftsraum?
„Du HAST mich geweckt", antwortete sie biestig. „Was willst du?"
„Mit dir reden." Wieder dieses Lächeln, das sie im Stillen dahinschmelzen ließ. Aber das würde sie nie im Leben zugeben!
„Laß mich rein, bitte ..."
„Wenn Mitchell einen ausführlichen Bericht von mir haben will beim Frühstück ..."
„Laß das meine Sorge sein. Mitchell wird seinen Bericht bekommen, ich schwör's."
Vashtu seufzte, lehnte ihren Kopf an den Türrahmen. „Das ist nicht so einfach, John. Wir sind hier nicht mehr auf Atlantis."
„Eben darum müssen wir endlich reden!" beharrte er.
Wenn es doch irgendjemand anderes wäre, der da vor ihrer Tür stand. Irgendjemand, dem sie wirklich etwas abschlagen konnte. Bei John fiel ihr das allerdings ziemlich schwer, es war ihr genauer gesagt eigentlich unmöglich ihn abzuweisen.
„Komm schon, Vashtu, laß mich rein. Ich benehme mich auch wie ein Gentleman." Wieder grinste er sie breit an.
„Ich sollte es besser wissen ..." seufzte sie, trat einen Schritt zurück und ließ die Tür aufschwingen. „Aber sei bitte leise."
John strahlte übers ganze Gesicht. Eilig huschte er an ihr vorbei in den Raum hinein, überließ es ihr, die Tür wieder zu schließen.
Vashtu zögerte noch einen Moment, steckte den Kopf heraus auf den Gang und beobachtete erst das eine, dann das andere Ende mit Adlerblick, ehe sie die Tür endlich wieder schloß, den Riegel vorlegte.
„Wow, soviel Platz nur für dich?" wandte John sich an sie, als sie wieder zurückgetappt kam, um sich auf ihrem Bett niederzulassen.
Vashtu zuckte mit den Schultern. „Die meisten der Angestellten haben ein Haus in der Nähe. Soviel ich weiß, hat die Air Force eine komplette Siedlung hochgezogen vor einiger Zeit. Seitdem schlafen eigentlich nur noch mindere Gäste wie ich in den Mannschaftsquartieren, wenn sie hierher ausgeliehen werden. Für irgendjemandem muß Groom Lake ja zum Alptraum werden." Nicht sehr elegant ließ sie sich wieder auf ihr Bett zurückfallen und holte tief Atem.
„Naja, ich kann ja ein Bett zwischen uns schieben, wenn dir das lieber ist", sagte John leise und erinnerte sie daran, daß sie keine Hose, abgesehen von ihrer Unterwäsche, trug. Sofort rappelte sie sich wieder auf und zog die Decke über die Beine.
John grinste frech, nahm jetzt einen der Becher und pustete hinein.
„Also, was willst du mitten in der Nacht von mir, einmal abgesehen vom Spannen?" fragte Vashtu, nachdem er einen Schluck getrunken hatte.
Augenblicklich war jede Spur von Humor von ihm gewichen. Er hockte auf der Bettkante ihr gegenüber und sah sie nun sehr ernst an. „Du hast diesem Grissom gegenüber etwas gesagt. Und ich möchte jetzt wissen, ob das wirklich der Wahrheit entspricht."
Vashtu schälte sich aus ihrer Jacke, die ihr im Bett nun doch entschieden zu warm war und lehnte sich dann mit dem Rücken gegen die Wand. „Was habe ich Grissom denn gesagt, daß dich so in Sorge versetzt?"
„Du hättest politisches Asyl beantragt", kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.
Das allerdings hätte sie sich denken können. Natürlich hatte ihn niemand aufgeklärt, warum denn auch? Offiziell durften sie beide ja nicht einmal Kontakt zueinander haben.
„Ja, das stimmt", antwortete sie mit einem Nicken.
John stutzte. „Und ... und wo?"
Vashtu richtete sich wieder auf, stopfte sich ihr Kopfkissen in den Rücken, um es etwas bequemer zu haben. „Landry hat mich, kurz bevor ihr aus Pegasus zurückkamt, in sein Büro gerufen und mich gefragt, ob ich nach Atlantis zurück wollte. Da habe ich ihn um Asyl gebeten." Sie runzelte die Stirn, rammte ihren Hinterkopf in das Kissen hinein. „Verdammt, John! Es sind mindestens ein Dutzend Schiffe vermißt da draußen, aber ausgerechnet über das von Helia müßt ihr stolpern!"
John riß die Augen auf. „Ein Dutzend?"
„Darum geht es nicht!" Vashtu schüttelte unwillig den Kopf. „Solange Helia da ist, kann ich nicht zurück ... naja, ihr ja wohl auch nicht, wie ich das verstanden habe."
„Woolsey ist drüben und verhandelt mit Helia und ihrer Crew", erklärte John, beugte sich jetzt vor und begann, mit seinem Becher zu spielen. „Aber ... was stimmt nicht zwischen Helia und dir? Ist irgendetwas vorgefallen, daß du jetzt die Erde anbetteln mußt, damit man dich hier bleiben läßt?"
Das wurde sehr wahrscheinlich doch eine lange Nacht werden, befand Vashtu in diesem Moment. Unwillig verzog sie das Gesicht.
„Helia ist ... war sozusagen Moros' Liebling", antwortete sie zögernd. „Moros war zu meiner Zeit das Oberhaupt des Rates. Euch ist er besser als Merlin bekannt. Mitchell ist ihm ja gerade nachgejagt mit SG-1. Dabei haben sie Dr. Jackson verloren."
John hob die Hand. „Mir geht's im Moment nicht um SG-1, mir geht es um dich", wandte er ein. „Was ist so schlimm daran, daß diese Helia der Liebling von Moros war? Jetzt kann sie es doch wohl nicht mehr sein, oder?"
Vashtu zuckte mit den Schultern. „Moros war nicht sonderlich gut auf die Familie Uruhk zu sprechen, das zum einen", antwortete sie. „Nach dem Tod meiner Mutter ... Mein Vater sammelte damals alle politische Macht um sich, die er nur kriegen konnte. Hätte die Entwicklung der Therapie länger gedauert und wäre nicht in einem solchen Fiasko geendet, wer weiß, ob wir überhaupt aus der Pegasus-Galaxie verschwunden wären?"
„Dein Vater wollte die Führung über Atlantis an sich reißen?" fragte John ungläubig.
Vashtu zögerte, nickte dann aber. „Er saß mit im Rat als ich klein war. Erst nach dem gescheiterten Selbstversuch von Enkil zog er sich aus der Politik zurück. Seinen Sitz übernahm Janus." Sie hob die Schultern, ließ sie dann langsam wieder sinken. „Und aus irgendeinem Grund konnte Moros mich sowieso nicht leiden. Für mich war er immer der böse Onkel, schon als ich noch klein war. Und als ich die Therapie dann an mir selbst anwandte hatte ich mich ihm ausgeliefert."
„Vertrauen ist schnell verspielt - das sagtest du damals, als du mir deine Geschichte erzähltest." Johns Blick wurde weich. „Und jetzt hast du Angst, daß Helia dir etwas antun könnte, würdest du nach Atlantis zurückgehen, richtig?"
„Ich habe keine Angst, ich weiß, was sie tun wird. Sie ist dazu verpflichtet, solange sie unseren alten Gesetzen folgt", entgegnete Vashtu, senkte den Blick. „Laut unseren Gesetzen, die wohlgemerkt vor zehntausend Jahren gültig waren, habe ich Verrat begangen und müßte mit dem Tod bestraft werden. Helia würde auf diesem Urteil bestehen, sie würde auch auf meiner Auslieferung bestehen, würde sie von mir erfahren."
„Wie kannst du etwas verraten, daß seit tausenden von Jahren nicht mehr existiert?" John sah sie ungläubig an. „Ich meine, du hättest diese Helia erleben sollen! Erst bat sie uns um Hilfe und ließ sich und ihre Leute mitnehmen nach Atlantis. Als wir dann im Gaterium standen tat sie irgendetwas und ..."
„... die Kontrolleinheit fuhr aus. Ich kann's mir vorstellen, denn ich hatte damals das gleiche vor." Vashtu grinste bitter. „Als wir mit diesem Energiewesen verbunden waren und du in das Wurmloch gezogen wurdest. DAS wollte ich damals unten im Gaterium."
„Das erklärt aber noch nicht, inwieweit du Verrat begangen haben solltest."
Vashtu nickte.
Natürlich verstand er nicht. Wie sollte er auch? Sie hatte bisher noch nie ein Wort über die Ansichten ihres Volkes verloren, auch wenn man sie danach gefragt hatte. Sie war immer ausgewichen. Zum Großteil, weil sie sich schlicht und einfach schämte, wie engstirnig die Lantianer gewesen waren. Der winzige andere Teil dagegen hatte gehofft, niemals wieder mit diesem Wissen konfrontiert zu werden.
„Wir hatten einen Namen für euch Menschen früher", sagte sie leise, malte ein unsichtbares Muster auf ihre Decke. „Keiner sagte 'Menschen' damals. Wenn von euch gesprochen wurde, dann als 'Taube'."
„Taube? Wieso taub?"
Vashtu kniff die Lippen aufeinander. „Weil ihr nicht telepatisch begabt seid wie wir. Ihr seid taub uns gegenüber. Und, zumindest in der Pegasus-Galaxie, wurde an verschiedenen Orten dafür gesorgt, daß das auch so blieb. Die Menschen sollten sich nicht weiter entwickeln. Vielleicht, weil einige durchaus erkannten, welches Potenzial in euch steckt, vielleicht aber auch nur weil ... viele sahen in Menschen nichts anderes als besseres Vieh, gerade gut genug für die Wraith, um ihnen als Nahrung zu dienen."
„Das verstehe ich nicht. Bisher gingen doch alle davon aus, daß wir die nächste Entwicklungsstufe von euch sind."
„Seid ihr nicht, zumindest der Großteil." Vashtu schloß die Augen, weil diese brannten vor Scham. „Als die ersten Lantianer hierher zurückkehrten, fanden sie euch auf der Erde vor. Auch in Pegasus tauchten hier und da Menschen auf, aber man hielt sie für zu primitiv, um lange überleben zu können." Sie zögerte, zuckte dann erneut mit den Schultern. „Das war vor meiner Zeit, lange vor meiner Zeit."
„Und inwiefern hat das jetzt etwas mit dem Vorwurf des Verrates zu tun?"
Sie hörte, daß er begriffen hatte, es sich aber noch nicht eingestehen wollte. Am liebsten hätte sie ihm ein „Ja, es ist so wie du denkst!" ins Gesicht geschleudert, entschied sich aber doch für die ausführlichere Variante.
„Ein ehernes Gesetz der Lantianer besagt, daß ein Lantianer niemals etwas von dem Wissen seines Volkes an andere weitergeben darf", antwortete sie, öffnete die Augen wieder und wagte ein sarkastisches Grinsen.
„Und du hast uns von Anfang an die Datenbank zugänglich gemacht ..." John wurde blaß als sie nickte.
„Ich habe zweifachen Verrat begangen: ich habe mich den Tauben angeschlossen, minderwertigen Wesen, die kaum begreifen, was wir getan haben, und ich habe diesen Tauben alles Wissen meines Volkes zugänglich gemacht. Wenn Helia das jemals herausfindet, bin ich schlichtweg tot, John. Ihr bleibt gar keine andere Wahl, will sie vor ihrer eigenen Mannschaft glaubwürdig bleiben."
„Und wenn du dich weiter verschanzt gehalten hättest letztes Jahr?" In Johns Augen konnte sie eine gewisse Hoffnung lesen, doch auch die mußte sie zerstören.
„Ich habe entgegen dem Rat gehandelt, als ich mir die Therapie selbst gab. Wenn die Wraith nicht die Tür aufgebrochen und mir damit die Flucht ermöglicht hätten, Helia würde sich nicht um mich kümmern. Ich war nicht mehr existent damals, John. Ich war keine Angehörige meines Volkes mehr. Ich stand außerhalb von allem."
„Du kannst mir doch nicht erzählen, daß diese Helia dich verhungern lassen würde!" Mit einem Ruck kam John wieder auf die Beine. „Verdammt, ich mag diese Frau auch nicht, aber zumindest ansatzweise wird sie doch wohl von Menschenrechten gehört haben, oder?"
„Ich bin kein Mensch und keine Lantianerin laut den Beschlüssen des Rates. Darum nenne ich mich selbst ja Antikerin, John. Helia hätte mich weiter in meinem Labor gelassen, es hätte sie nicht gekümmert. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn sie hätte nachsehen lassen, nachdem ihr weg wart. Nachsehen lassen, um mich aus dem Weg zu räumen."
Er starrte sie an und wußte offensichtlich jetzt wirklich nicht mehr, was er sagen sollte. Er starrte sie nur an, mit blassem Gesicht und großen, wie von Schrecken geweiteten Augen.
Vashtu wußte nicht, welche Gedanken, Träume und Hoffnungen ihn angetrieben hatten und er sich in Bezug auf ihr Volk gemacht hatte. Aber sie wußte, sie hatte diese Bilder gerade alle sehr gründlich zerstört.
„Das ist der Grund, warum Daniel Jackson und ich immer wieder aneinandergeraten. Auch wenn er zweimal seinen Körper hatte ablegen können, er glaubte irgendwo immer noch an das Gute in den Aufgestiegenen. Ich tue das nicht." Langsam aber unmißverständlich schüttelte sie den Kopf.
Kraftlos sackte John endlich wieder auf das Bett zurück, starrte sie immer noch an. „Aber du hast dir nichts zu Schulden kommen lassen ... zumindest doch wohl nichts wirklich ... ich meine, ich weiß nicht, was letztes Silvester passiert ist, daß dir das alle immer noch vorwerfen. Aber O'Neill schien ganz vernarrt in dich zu sein, als ich ihn das letzte Mal gesprochen habe."
„Das spielt für Helia keine Rolle. Für sie zählt, wie die Gesetze vor zehntausend Jahren lauteten, und ich schätze, selbst wenn noch einer der alten leben würde, würde sie eine Änderung der Gesetze nicht anerkennen. Ich bin hier gestrandet und hoffe, daß, wer auch immer, seine Hand über mich halten wird."
John senkte endlich den Kopf. Es war, als könne er im Moment nicht mehr ertragen, sie anzusehen.
Vashtu zögerte, kniff die Lippen wieder aufeinander, dann blickte sie auf. „Ich ... wollte dich um ..." Sie schloß den Mund, wußte im Moment wirklich nicht, wie sie es sagen sollte, ohne daß es zu kitschig klang. Dann gab sie sich selbst einen Ruck. „Enkil hat mich immer Vash genannt. Das war eine Art Kosename, eine Abkürzung, aber ... es hat mir immer viel bedeutet, wenn er mich so genannt hat. Und ... ich möchte, daß du ... naja, wenn du willst, dann ..." Sie schloß den Mund und zog eine Grimasse.
Wortlos erhob John sich. Einen Moment lang fürchtete Vashtu, er werde gehen und sie zurücklassen, doch er kam nur zu ihr, hockte sich vor ihr Bett und sah sie an. Nur allmählich erschien ein Lächeln auf seinen Lippen und ein wenig des Lichtes kehrte in seine Augen zurück.
„Es ist mir eine Ehre ... Vash." Seine Stimme klang heiser.

TBC ...

29.07.2009

Das Artefakt IV

Nächster Morgen, AREA 51:

Johns Herz tat einen Hüpfer, als er die Kantine der geheimen Einrichtung betrat und sie an einem Tisch sitzen sah. Vashtu hatte sich hinter einer Zeitung vergraben, so daß von ihr wenig mehr als ihr verwuselter schwarzer Haarschopf und ab und an eine Hand zu sehen war, die sie ausstreckte, um etwas von ihrem übervollen Tablett zu nehmen.
Ja, daran erinnerte John sich noch. Er grinste unwillkürlich, während er sich in die kurze Schlange an der Essensausgabe einreihte und nun sein Frühstück zusammenstellte.
Vashtu mußte aufgrund der Fremdzellen mehr essen als ein normaler Mensch, was seinerzeit schon auf Atlantis für Mißstimmung gerade bei denen gesorgt hatte, die eigentlich etwas mehr auf ihr Gewicht achten mußten. John erinnerte sich konkret an einen Fall, in dem er beinahe hätte eingreifen müssen, weil McKay und die Antikerin sich fast an die Kehle gegangen waren wegen einer blauen Götterspeise ...
John nahm sich etwas Rührei mit Speck und einen Joghurt, ließ sich schließlich eine Tasse heißes Wasser reichen, um Tee zum Frühstück trinken zu können. Ein Glas Orangensaft rundete das ganze ab. Dann marschierte er schnurstracks zu dem Tisch hinüber, an dem Vashtu noch immer unbeachtet von den anderen Anwesenden saß und frühstückte.
„Guten Morgen", begrüßte er sie freundlich, erntete ein undeutliches Nuscheln, das ihn jedoch nicht abzuschrecken vermochte.
Ja, auch das wußte er noch. Die Antikerin war ein Morgenmuffel, wie er im Buche stand. Da war es erst einmal besser, sie in Ruhe zu lassen, bis sie von selbst aus ihrem Schneckenhaus herauskam.
Kurzerhand setzte John sich neben sie und tunkte einen Teebeutel in seine Tasse.
Vashtu las unbeirrt weiter, ließ sich nicht stören. Und sie las ...
John beugte sich langsam immer weiter zu ihr hinüber.
Hey, sie hatte die Sportseiten aufgeschlagen. Da war ein großer Artikel über das diesjährige Thanksgiving-Turnier ...
Johns Hals wurde deutlich länger, während er versuchte, den Artikel zu lesen, den gleichen Artikel, in den auch die Antikerin gerade vertieft war, so daß ihnen beiden erst einmal nicht weiter auffiel, was der jeweils andere tat. Bis ...
Vashtu stutzte plötzlich deutlich und drehte den Kopf. Fragend hob sie eine Braue.
John rückte sofort mit einem entschuldigenden Lächeln ab, rührte in seinem Rührei.
Die Antikerin nickte, wandte sich wieder der Zeitung zu.
John war das Rührei eindeutig noch zu heiß. Außerdem ...
Wieder lehnte er sich zu ihr hinüber, um den Artikel weiter lesen zu können. Aber dieses Mal würde er aufpassen, daß er sie nicht störte. Wo war er gerade noch gewesen ... ?
Vashtu räusperte sich und sah ihn wieder strafend an. „Willst du noch auf meinen Schoß klettern oder kann ich dir anderweitig behilflich sein?" fragte sie.
John zog sich sofort wieder zurück und lächelte entschuldigend. „Ich wollte dich nicht stören, deshalb ..."
„Deshalb kletterst du fast auf mich drauf, schon verstanden." Vashtu senkte die Zeitung und seufzte. „Internationaler Sport? Den hab ich schon durch."
Die Seite mit internationalem Sport war zwar nicht das Maß aller Dinge, aber besser als sie noch weiter zu reizen. John nickte und erntete als Lohn eine Doppelseite Zeitung, bei der sein erster Blick auf ...
John grinste breit. „Die Eishockey-Ergebnisse!"
Vashtu blickte halb wieder auf. „Ja, und?" fragte sie desinteressiert. „Eishockey finde ich nicht sonderlich, ehrlich gesagt. Gerade die Canadian League ..." Sie stockte, ihre Augen wurden groß.
John nickte. „Ganz genau. Der gute McKay." Er grinste breit, vertiefte sich dann in in seine ergatterte Zeitungsdoppelseite.
Und wie aufs Stichwort erschien auch tatsächlich der Kanadier in der Kantine von AREA 51 und marschierte schnurstracks zur Essensausgabe hinüber.
Die beiden am Tisch ließen sich erst einmal nicht weiter stören, sie waren viel zu vertieft in ihre jeweilige Lektüre, wobei John dann doch noch die heiß ersehnte Doppelseite mit Inlandssport erhielt, während Vashtu sich den Weltnachrichten zuwandte.
„Darf ich mich dazusetzen, oder ist das hier eine geschlossene Leserunde?" fragte der Wissenschaftler schließlich, als er vor dem Tisch stand, an dem die beiden saßen. Natürlich hatte er sie schon von weitem beobachtet und sich entschieden, daß die von ihrem Team eingeführte Sitte, eben soweit wie möglich die Mahlzeiten gemeinsam einzunehmen oder sich auch außerhalb des Dienstes in der Kantine zu treffen, neue Gültigkeit besaß.
Kurioserweise vermißte McKay mit einem Schlag Ronon Dex und Teyla Emmagan, die beide in ihrer Heimat, der Pegasus-Galaxie, geblieben waren.
Von der Antikerin kam gar keine Antwort, John grinste ihn dagegen breit an. „Quebec hat gegen Vancouver verloren", erläuterte der Colonel ohne jeden Zusammenhang.
Rodney stutzte, setzte sich nun aber doch den beiden gegenüber. Dabei sah er den ordentlich zusammengelegten Zeitungsabschnitt, der neben John lag. Allmählich ging ihm auf, was man hier wieder einmal mit ihm spielen wollte, konzentrierte sich statt dessen auf die Zeitung, hinter der die Antikerin sich noch immer verbarg.
Neidisch betrachtete Rodney das übervolle Tablett mit allerlei Köstlichkeiten wie glasierte Donuts oder in Sirup beinahe schwimmende Pfannkuchen. Das Leben war hart und ungerecht, folgerte er daraus, tippte mit einem Finger gegen das Papier.
„Wären Sie möglicherweise so freundlich, einen Teil an mich abzutreten?" fragte er ätzend.
Eine obere Kante der Zeitung knickte ein, ein dunkelbraunes Auge unter einer hochgezogenen Braue musterte ihn scharf und warnend.
„Welcher?" Einsilbiger ging es nun wirklich nicht mehr, befand Rodney.
„Feuilleton."
Knurrend wurde ihm der entsprechende Teil der Zeitung ausgehändigt, so daß er sich darin vergraben konnte, woraufhin tatsächlich für eine Weile Stille am Tisch einkehrte, nur unterbrochen vom Klappern des Bestecks oder Geschirrs oder dem Rascheln der in mehrere Teile zerlegten Zeitung.
Schließlich kam auch noch Cam Mitchell in die Kantine. Er war der einzige, der nicht hier übernachtet hatte, sondern noch in der Nacht zurückgebracht worden war nach Las Vegas. Immerhin hatte jemand ihren Wagen sichern müssen, außerdem hatten sie sich ja ein Motelzimmer gemietet, wenn auch auf Kosten der Air Force. Also sollten sie dieses Zimmer auch benutzen.
Jetzt trat der Leader von SG-1 stirnrunzelnd an den Tisch der drei Zeitungsliteraten heran und sah auf sie hinunter.
„Guten Morgen", begrüßte er die anderen schließlich. Ihm fiel die Schlagzeile der Titelseite auf. Irgendetwas mit Massenhysterie an einer Schule.
Schließlich aber entschieden die drei am Tisch sich doch dazu, ihre jeweilige Lektüre zu lassen und blickten auf.
„Haben wir schon irgendwelche Erkenntnisse?" Mitchell schnappte sich den vierten Stuhl am Tisch und setzte sich rittlinks darauf.
John hob eine Braue, legte aber schließlich doch seinen Zeitungsteil (mittlerweile war er bei der Wirtschaftsseite angekommen und hatte die neuesten Geschäfte seiner Familie bewundern dürfen) zur Seite.
„Caldwell hat den Iratus direkt in ein geschütztes Labor gebeamt", erklärte er, zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück.
„Ich warte noch, daß Coop sich meldet, damit ich ihn einweisen kann." Vashtu faltete umständlich die mageren Reste der Zeitung und legte sich schließlich neben sich, um ihr Tablett heranzuziehen und sich endlich über die inzwischen kalten Pfannkuchen herzumachen.
Mitchell runzelte die Stirn, verlor aber kein Wort über ihr Verhalten. Statt dessen drehte er sich zu McKay um. „Und bei Ihnen? Wie sieht es mit den Listen aus?"
John beugte sich interessiert vor, spielte mit seiner Tasse.
„Was soll damit sein?" McKay warf seinem einstigen Teamleader einen frostigen Blick zu. „Fragen Sie doch unseren Herrn Inventarlistenführer."
Nun war John doch überrascht.
Hatte er geschlampt? Nein, er war sich ziemlich sicher, daß nicht. Außerdem war er nicht der einzige gewesen, der die Inventarlisten führte. In der größten Hektik während des Auszugs, das gab er auch zu, hatte er sogar blind gegengezeichnet, weil er das Gefühl gehabt hatte, anders nicht mehr hinterherzukommen. Aber daß ihm dabei ein solcher Fehler unterlaufen sein sollte ... ? Nein, ganz sicher nicht!
„Wie meinen Sie das?" nuschelte die Antikerin an seiner Seite mit vollen Backen.
McKay beugte sich vor. „Vielleicht kann unser Colonel uns erklären, was genau ich unter 'athosianischem Kunsthandwerk' zu verstehen habe. Denn genau das ist es, was Minneon nach Hause geliefert worden ist in einer Kiste mit den Maßen 1 x 2 Meter."
Bei dem Wort Kunsthandwerk war vor Johns geistigem Auge unwillkürlich ein Bild erschienen, daß ihn sich schütteln ließ.
„Was, bitte schön, ist athosianisches Kunsthandwerk?" fragte Vashtu verblüfft.
Nein, einen solchen Eintrag hätte er nie im Leben gemacht. Und er war sich ziemlich sicher, er hätte es sofort bemerkt, wenn einer seiner Helfer soetwas aufgeführt hätte.
„Daß sind eine Menge Kürbisse mit Kerzen, finden Sie nicht, Sheppard?"
„Das stammt nicht von mir", entgegnete John. „Nach der Sache mit Lucius würde ich das niemals verwenden, es sei denn, man kann mir dieses Kunsthandwerk vorlegen."
„Wer ist Lucius?" kam es unisono von Vashtu und Mitchell.
„Lucius Levin, seineszeichens selbsternannter Heiler und Frauenschwarm. Elizabeth wollte ihn sogar heiraten. Nur unser Colonel roch den Braten. Levin benutzte ein Enzym, daß alle anderen von ihm abhängig machte." McKay strahlte John über den Tisch hinweg an. „Bei unserem letzten Besuch auf seinem Planeten war er nicht mehr im Dorf."
John versuchte, sein bestes Pokerface aufzusetzen.
Wie gern würde er Rodney jetzt eines reinwürgen. Wenn er sich nur an diesen lächerlichen Versuch eines Handstandes erinnerte ...
„Okay, also könnte dieser Lucius für die Käfer verantwortlich sein?" bohrte Mitchell weiter.
John schüttelte sofort den Kopf. „Dafür hätte er erst einmal durchs Tor kommen müssen. Und das hätte er nie im Leben geschafft. Nein, es geht eher um die Bezeichnung. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß das Wort 'Kunsthandwerk' in keiner meiner Listen auftauchte. Nach Lucius' ... Besuch auf Atlantis hatten wir alle eine leichte Phobie gegen dieses Wort."
Vashtu schürzte die Lippen. „Dann denkst du, jemand hat die Listen gefälscht?"
John kreuzte die Arme vor der Brust und ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. „Keine Ahnung. Finden wir es heraus!"
„Die Originale der Listen liegen immer noch im SGC", mahnte McKay an.
„Ich denke, ich erkenne meine Schrift und meine Unterschrift auch auf einem Computerbildschirm." John warf Vashtu einen langen Blick zu.
Eigentlich hatte er sich freiwillig melden wollen, mit ihr zusammenzuarbeiten. Allerdings war er sich ziemlich sicher, daß Mitchell das unterbinden würde. Vashtu würde sehr wahrscheinlich mit diesem Cooper zusammen den Iratus sezieren, während er sich mit McKay an die Listen setzen durfte.
Was besseres konnte er sich gar nicht vorstellen.
„Dann sollten wir uns allmählich ans Werk machen." Mitchell erhob sich mit Schwung und klatschte in die Hände. „Auf, Leute. Die Arbeit ruft!"

***

CSI-Labor, Las Vegas:

Grissom mußte zugeben, es ärgerte ihn doch ein wenig, daß sie zu spät gekommen waren, um die drei angeblichen Berater aufzuhalten. Nun wußten sie nicht wirklich, ob die Army-Angehörigen tatsächlich diesen ominösen dritten Käfer gefunden hatten, oder ob das ganze nur eine weitere Finte war in einer ganzen Reihe von bewußt gestreuten Falschinformationen.
Grissom wußte von mehreren Fällen, in denen die Air Force ganz offensichtlich Dinge verschleiert hatte, die mit der Basis „Groom Lake" auch nur in Zusammenhang gebracht werden konnten. Ob es nun um eine vergewaltigte Prostituierte handelte oder um eigenartige Verkehrsunfälle, viel zu oft war die Air Force darauf bedacht, den Mantel des Schweigens über das zu breiten, was ihnen da so offensichtlich nicht ganz in den Kram paßte.
Aber was hatte man in diesem ausgetrockneten Salzsee-Tal davon, eine menschenmordende Meute Insekten auf die Menschheit loszulassen, um dann die denkbar ungünstigste Verschleierungsgeschichte aus den Fingern zu saugen, die überhaupt möglich war? Noch dazu von drei Menschen, die allein durch ihr Auftreten Interesse weckten.
Grissom starrte auf den Bildschirm und nickte mit Bedacht.
Uruhk und Sheppard waren beide aktenkundig, wenn es auch in keinem Fall zur Anzeige gekommen war. Sheppard war Zeuge (und für kurze Zeit Hauptverdächtiger) bei einer Serie von brutalen Morden in New York gewesen vor eineinhalb Jahren. Diese Doktor Uruhk dagegen schien überhaupt erst seit knapp einem Jahr zu existieren. Ihr waren nicht gerade wenige Strafzettel ausgestellt worden mit der Begründung der Gefährdung des Straßenverkehrs. Sie lebte in Colorado-Springs und arbeitete offensichtlich in einer stillgelegten Air Force-Basis in Cheyenne-Mountain. Über Sheppard war, was einen Wohnort betraf, überhaupt nichts auffindbar. Erreichbar dagegen schien er ebenfalls über die Basis Cheyenne-Mountain zu sein.
Grissom betrachtete die beiden Akten, die er auf seinem Bildschirm nebeneinander aufgerufen hatte, rief sich die dazugehörigen Gesichter ins Gedächtnis.
Diese zwei verband irgendetwas, das hatte er sofort bemerkt. Es war mehr als ein gewisses Prickeln, sie verstanden sich blind und schienen sich auch blind zu vertrauen - als hätten sie schon Erfahrungen im Umgang miteinander gemacht.
Grissom war kein Profiler, er war eher das genaue Gegenteil. Er kannte Menschen - und hielt sich deshalb lieber auf dem Beobachtungsposten, statt sich direkt in die Meute zu stürzen. Dennoch aber verfügte er über eine gewisse Menschenkenntnis, die ihn bisher nur sehr selten im Stich gelassen hatte.
Wie paßte dieser Mitchell da noch hinein? Zu ihm fand er überhaupt keinen Zugang, ging dem Leiter der Nachtschicht auf. Er hatte sich auch dessen Akte angesehen, aber nichts gefunden, vor allem nichts, was ihn mehr mit den anderen beiden verband als die Tatsache, daß auch er offensichtlich in dieser Cheyenne-Mountain-Base stationiert war.
Himmel!
„Gib's zu, du bist sauer und hast dich deshalb hierher verzogen."
Ohne daß er es bemerkt hatte, war Catherine in sein Büro gekommen und stand jetzt auf der anderen Seite des Schreibtisches. Mit dem für sie üblichen Pokerface (einem leichten, ironischen Lächeln) glitt ihr Blick über die Stapel von unerledigten Akten und Aufstellungen, die er immer so gern vor sich herschob.
Grissom lehnte sich zurück, hielt die Fingerspitzen beider Hände aneinander wie zu einer Gebetszeremonie. „Ich habe das Gefühl, was heute nacht geschehen ist, hängt mit den Morden und den drei 'Beratern' zusammen, die man uns zugeteilt hat", erklärte er endlich. „Warum das so ist weiß ich allerdings nicht."
Catherines Lächeln wurde zu einem Grinsen, als sie die Hand, die sie bisher hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte, nun hob und ihm einen Ausdruck präsentierte. „Da hast du deinen Zusammenhang: Der Anruf bei der Notrufzentrale erfolgte von dem Handy eines unserer Hysterie-Opfer. Seltsamer Zufall, oder?"
Grissom nahm das Blatt und überflog dessen Inhalt.
„Die Kids arbeiteten an ihrem Monster-Haus für Halloween", fuhr Catherine fort. „Was wäre also gruseliger, als sich von irgendwoher etwas echtes zu beschaffen? Vielleicht wollte unser neuer Freund ja eine der Leichen klauen?"
„Oder noch etwas anderes ..." Grissom sah wieder auf den Bildschirm, verglich die beiden Akten zum wiederholten Male. Und dann ging ihm auf, was er übersehen hatte:
Vashtu Uruhk hatte Colonel Sheppard als ihren Leumund genannt. Die beiden kannten sich!
„Ich hab da so eine Ahnung ..." Grissom erhob sich. „Wir fahren raus nach Groom Lake. Wird Zeit, daß sich der Vorhang öffnet!"

***

AREA 51, mittags:

Vashtu langweilte sich. Nichts gegen den kleinen Monsterjäger an ihrer Seite, allerdings konnte Cooper, seines Zeichens der Top-Kryptozoologe des OSIR, auch ziemlich nerven mit seiner überschwenglichen Art, sich über etwas wie einen toten Iratus zu freuen. Sie mußte zugeben, ihre Freude hielt sich in deutlichen Grenzen, und daran änderte sich erst recht nichts, wenn sie daran dachte, daß diese Insekten hier sicher nicht hingehörten.
Einen einzigen Lichtblick hatten sie herausfinden können. Das hieß, ob es ein wirklicher Lichtblick war, konnten sie erst sagen, wenn sie den dazugehörigen Eiballen ebenfalls gefunden hatten und sie tatsächlich die Brut töten konnten, ehe es zu einer Massenpanik kommen konnte.
„Sehen Sie sich nur diese perfekte Form an!" Cooper schwärmte weiter und hielt das Ende des langen Schwanzes mit einer Zange in die Luft. „So einfach, aber so effizient. Wirklich phantastisch, was diese Pegasus-Galaxie so alles zu bieten hat."
Vashtu nickte pflichtschuldig und verschränkte die Arme vor der Brust.
Cooper war über ihre wahre Herkunft und erst recht ihre Besonderheit nicht aufgeklärt - und sie würde einen Teufel tun und ihm verraten, zu was sie geworden war in den letzten zehntausend Jahren. Das war ihr etwas zu unsicher. Am Ende war es noch sie, die auf Coops Seziertisch landete, während er und dieser Professor Axon, von dem er ebenfalls immer erzählte, sie genauestens unter die Lupe nehmen würden. Hatte Coop nicht sogar bei ihrer letzten Zusammenarbeit soetwas angedeutet in Bezug auf einen Besuch aus dem Weltraum vor einigen Jahren?
Vashtu verzog unwillig das Gesicht, lehnte sich mit der Hüfte gegen den Tisch und versuchte weiterhin, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Solange sie beide noch beschäftigt waren damit, den Iratus in seine einzelnen Segmente und Teile zu zerlegen, solange war es für sie auch noch relativ interessant gewesen. Immerhin hatte sie so die Chance, einen Käfer nach zehntausendjähriger Entwicklung nochmals zu untersuchen und etwaige Unterschiede zu seinen Vorgängern festzustellen. Nur hatten Iratus-Käfer wohl schon vor zehntausend Jahren ihre Endform erreicht. Jedenfalls war ihr kein eklatanter Unterschied zwischen diesem hier und dem Exemplar aufgefallen, aus dessen Zellen sie die Gentherapie erstellt hatte.
Was sie störte, waren vor allem die BL4-Anzüge, die sie beide tragen mußten. Nicht nur, daß sie damit aussahen wie übergroße Gallebrocken, die Dinger waren heiß, stanken nach Gummi und ließen ihre Unterwäsche unangenehm an Stellen ihres Körpers kleben, über die sie lieber nicht nachdachte. Sie verstand zwar die Notwendigkeit, auch gegen einen toten Iratus gefeiht zu sein, ganz zu schweigen von dem, was er da möglicherweise mitgeschleppt hatte aus der Quarantäne, aber sie plädierte eindeutig dafür, zumindest eine Lüftung in diese Dinger einzubauen, wenn man sie mehr als eine Stunde tragen mußte.
„Wie sieht's bei euch aus?" meldete sich unversehens eine Stimme, riß sie aus ihren trüben Gedanken und unterbrach Coopers einschläfernden Redeschwall.
Vashtu drehte sich um und hob den Kopf zu dem großen Überwachungsfenster. „Habt ihr das Kunsthandwerk gefunden?" fragte sie zurück.
John, der oben an der Gegensprechanlage stand, grinste zu ihr hinunter, wurde dann aber ernst. „Nein, haben wir nicht", antwortete er. „Aber wir wissen, daß da jemand etwas durch das Gate geschmuggelt hat. Minneons 'Kunsthandwerk' war nur eines von mehr als zwanzig Gegenständen, die ich nie gesehen habe. Jemand hat meine Unterschrift gefälscht."
Vashtu fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht weichen wollte bei dieser Antwort.
Wenn es noch mehr Gegenstände gab, die möglicherweise mit irgendetwas gefährlichem aus der Pegasus-Galaxie konterminiert waren, würde das noch jede Menge Arbeit bedeuten. Sicher, Arbeit, bei der sie mit John zusammen etwas tun konnte. Andererseits aber standen die Chancen gut, daß sie irgendwann zu spät kommen und Unschuldige für ihr Versagen mit dem Leben bezahlen würden. Daß das IOA davon nicht sonderlich erbaut sein würde stand vollkommen außer Frage. Man würde ihnen auch von dort die Hölle heißmachen.
Unterdrückt stöhnte sie auf.
John setzte eine gequälte Miene auf. „Du sagst es. Mitchell erstattet gerade Landry Bericht. Gut möglich, daß das IOA uns zum nächsten Wohnort jagt, ehe es dort auch noch zu Toten kommen kann."
„Wir sind hier noch nicht fertig", beharrte Vashtu, wies mit dem ausgestreckten Arm auf die Überreste des Iratus, den sie zusammen mit Cooper untersucht hatte. „Alles deutet auf ein Gelege hin. Und wenn wir das nicht finden, wird Las Vegas in kürze eine Geisterstadt sein."
„Ich muß korrigieren", wandte der kleine Wissenschaftler ein. „Wir haben keine genaue Kenntnis über die Brutzeit."
Johns Kiefer spannten sich an, Vashtu konnte es deutlich sehen.
Es nagte an ihm, daß sie nicht weiterkonnten. Sie hatten die Grenzen fast erreicht. Vielleicht konnten sie beide durch ihre jeweiligen Erfahrungen ein bißchen mehr beitragen, aber auch das half nicht wirklich weiter. Sie wußten von dem Eiballen, aber sie hatten keine Ahnung, wo er steckte.
„Ich denke nicht, daß Minneon die Erde mit Iratus-Käfern verseuchen wollte", sagte John schließlich. „Also müssen wir nach etwas anderem suchen. Irgendeinem Behältnis ..." Stirnrunzelnd sah er zu ihnen beiden hinunter. „Was habt ihr herausgefunden?"
„Oh, es ist eine nahezu perfekte Spezies", begann Cooper prompt zu schwärmen. „Hervorragend angepaßt an eine gemäßigte Umwelt. Leider nicht mehr flugfähig, aber dafür hat unser Exemplar eine Art Spinnendrüsen entwickelt. Ich gehe davon aus, daß sie entweder ihre Opfer einspinnen oder sich, ähnlich wie Arachniden, Netze weben können."
„Letzteres", kam es trocken aus zwei Kehlen.
Vashtu drehte sich wieder zu Cooper um und sah ihn an. „Wir haben die Todesursache", sagte sie dann schließlich, nachdem er irritiert den Mund geschlossen hatte.
„Wir sind uns nicht ganz sicher ..."
„Wir HABEN die Todesursache", wiederholte Vashtu, sandte John einen Blick. „Und möglicherweise kann uns diese Erkenntnis im weiteren Verlauf dieser Angelegenheit helfen."
John hatte sich interessiert vorgebeugt, als sie so plötzlich und spontan das Wort ergriffen hatte. Jetzt konnte Vashtu wirklich sehen, wie neue Hoffnung in ihm keimte.
„Nun ja, wenn Sie wirklich meinen ..." Cooper schien etwas verstimmt darüber, daß sie seine Lobeshymne unterbrochen hatte.
Vielleicht, ging es Vashtu kurz durch den Kopf, sollte sie einen Iratus für den Wissenschaftler am Leben lassen, damit er selbst die Erfahrung machen konnte, wie es war, wenn ein solches Insekt sich an einem festmachte und dann langsam die Lebensenergie aussaugte.
„Woran ist unser Freund gestorben?" fragte John endlich.
Vashtu grinste. „Offensichtlich suchte er in dem Kaninchenbau Schutz vor der Wüstensonne. Dann krachte der Gang über ihm ein und sein Schwanz wurde eingeklemmt, so daß er nicht in den nächsten Schatten flüchten konnte. Also war er die ganze Zeit über der Sonne ausgesetzt."
„Er starb an einer Art Kreislaufversagen aufgrund der Hitze", ergänzte Cooper trocken.
„Er hatte einen Hitzschlag!" Vashtu grinste wieder breit.
John stutzte. „Ihr habt an einem Insekt eine Todesursache feststellen können? Noch dazu eine solche?"
„Jedes Lebewesen besitzt einen Kreislauf. Bei einem Hitzschlag versagt dieser Kreislauf und es kann zum Tod kommen", erklärte Cooper. „Das gilt für Insekten ebenso wie für Menschen. Nur üblicherweise, da haben Sie recht, können wir es bei ersteren nicht feststellen."
„Normalerweise sind die auch nicht so riesig", ergänzte Vashtu.
„Ganz genau", nickte der Kryptozoologe. „Aufgrund der hohen Körpermasse war es uns möglich, den Kreislauf zurückzuverfolgen. Ein Käfer dieser Art mag keine sehr hohe Intelligenz sein Eigen nennen, andererseits aber weist sein Körper ähnliche, wenn auch vereinfachte Organe wie alle Lebewesen auf."
Jetzt schien John allmählich ins Rotieren zu kommen. Einen Moment lang wurden seine Augen glasig, dann aber gewannen sie wieder Klarheit. Zögernd nickte er. „Ein Iratus hat kein Gehirn, aber er hat innere Organe."
„Er besitzt ein Nervenzentrum und sozusagen ein Ur-Gehirn", widersprach Cooper. „Bei den meisten insekten- und insektenartigen fungiert der Magen sozusagen als Gehirn."
John riß die Augen auf, dann grinste er frech. „Daher also der Spruch mit dem Bauchgefühl ..."
„Kann man so sagen." Vashtu nickte. Allmählich war sie nun doch wieder in ihrem Element. Sie mochte es einfach, wenn sie anderen Sachverhalte erklären konnte und deren Begreifen dann sehen zu können. „Jedes Lebewesen, ob nun mit oder ohne Gehirn, besitzt zwei andere Zentren, mit denen der Körper funktionieren kann: Magen und eine Verdickung der Nervenstränge an irgendeiner Stelle des Körpers - bei Wirbeltieren meist zwischen Hüfte und Becken. Beides gemeinsam kann das Gehirn ersetzen, wenn es einmal ausfallen sollte. Nur höhere Spezies wie der Mensch mit seinen komplexen Lebenserhaltungssystemen können ohne das Einwirken des Gehirns nicht mehr arbeiten, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne."
„Meister, es lebt!" John hatte bei diesen Worten seine Stimme verstellt, den Kopf eingezogen, ein diabolisches Grinsen aufgesetzt und rieb sich die Hände.
Vashtu stutzte.
„Wir würden das nicht mehr intelligentes Leben nennen, wenn das Gehirn seine Funktion nicht mehr ausführen kann." Cooper schüttelte den Kopf, was aber nur Vashtu sehen konnte, da sie beide ja immer noch in den Anzügen steckten. „Aber es hat durchaus Fälle gegeben, in denen Menschen, die hirntot waren, noch Wochen, in einigen Fällen sogar Monate weiter gelebt haben. Ich erinnere mich da an einen Fall aus den Neunzigern, der in Deutschland passierte ..."
„Okay, Leute, wir haben ein Problem!" Mitchell hatte mit diesen Worten den Überwachungsraum betreten, sah jetzt auf den Seziertisch hinunter. „Dieser Grissom vom CSI ist hier, und er scheint nicht sonderlich erbaut zu sein, herkommen zu müssen."
„Und? Wir ärgern ihn doch gar nicht mehr", bemerkte John, lehnte sich gegen das Fenster und kreuzte lässig die Arme vor der Brust.
„Tja, das sieht er wohl anders." Mitchell wandte sich wieder dem Untersuchungsraum zu. „Er will mit Ihnen sprechen, Miss Uruhk, mit Ihnen und Sheppard. Also bewegen Sie sich Richtung Ausgang und ziehen sich um. Und kein Wort über den Käfer."
Vashtu warf

***

Der Raum, in dem sie die CSI-Ermittler trafen, war nichtssagend, wie alle oberirdischen Räume der AREA 51 - und selbst die oberen unterirdischen Abteilungen beschäftigten sich mit eher unverfänglichen Dingen. Das wirklich heikle begann, ähnlich wie in Cheyenne-Mountain, erst ab einer gewissen Tiefe, wenn man hier auch keine 28 Stockwerke brauchte, um sich zu verstecken.
Harmlose Bilder an den Wänden zeugten von den Entwicklungen, die man ebenfalls dieser Basis zuordnen konnte, wie etwa den Stealth-Bomber oder einige Modifikationen der F-16, die durchaus im normalen Flugverkehr eingesetzt wurden.
Grissom und eine blonde, schlanke Frau in modischer, wenn auch einfacher Kleidung erwarteten sie, und den beiden war durchaus anzumerken, daß sie ungeduldig waren, auch wenn sie ihre besten Pokerfaces aufgesetzt hatten.
John und Vashtu tauschten einen letzten langen Blick, fügten sich dann in ihr Schicksal und harrten dessen, was da auf sie einstürzen würde. Und, da war John sich ziemlich sicher, es würde einiges auf sie herunterhageln, vor allem wegen der Tatsache, daß Vashtu eine erneute Durchsuchung des Hauses der Minneons verlangt, man dort aber ganz offensichtlich nichts gefunden hatte. Außerdem war er sich nicht wirklich sicher, ob ihr Abgang tatsächlich als Illusion durchgehen würde, wie er es sich seit gestern abend eingeredet hatte. Allerdings wagte er den Verdacht, daß die beiden Taschenlampen, die auf sie zugekommen waren, durchaus in die Hände zweier lebender Menschen gehört hatten. Und diese Menschen hatten sicher auch keine Tomaten auf den Augen gehabt, als sie so plötzlich im Beamstrahl verschwanden.
Ein riesiger Haufen Scherereien, der sich da angehäuft hatte ...
„Colonel Sheppard, MISS Uruhk." Grissom nickte knapp, und offensichtlich fiel weder ihm noch seiner Begleiterin auch nur im Traum ein, ihnen die Hand zu reichen. Damit dürften die Fronten dann wohl geklärt sein ...
John seufzte tonlos, warf der Antikerin an seiner Seite einen nachdenklichen Blick zu.
Natürlich wurden sie in diesem Raum überwacht, auch wenn weder Kameras noch Mikrofone zu sehen waren. Aber es war absolut klar und überaus logisch. Keiner der Verantwortlichen würde sich noch zusätzlichen Ärger einhandeln wollen, es gab ohnehin schon mehr als genug.
Warum hatte er Mitchell denn auch nicht abgehalten vom Beam-Befehl? Er war sicher, der SG-1-Leader hatten die herannahenden Taschenlampen gesehen. Und er? Er hatte auf sein Glück vertraut ... aber dessen Wankelmut dürfte ihm eigentlich seit spätestens Sumners Tod bekannt sein, eigentlich sogar schon länger.
„Mr. Grissom, guten Tag. Auch Ihnen, Miss ... ?" Vashtu lächelte zuckersüß, ihre dunkelbraunen Augen schienen zu strahlen. Sie wirkte ganz wie eine höfliche, hübsche Frau, vollkommen normal. Jetzt senkte sie auch noch verschämt die Lider etwas über die Augen, ihr Lächeln wirkte zerknirscht.
Himmel! Er mußte sich selbst konzentrieren, sonst war am Ende nicht Vashtu die Gefahr, sondern er würde sich verquatschen.
„Ja, die Sache mit dem Doktor ... Tut mir ehrlich leid, daß ich Sie nicht berichtigt habe, Mr. Grissom", erklärte die Antikerin so schuldbewußt wie nur möglich. „Wissen Sie, eigentlich stimmt es ja doch, aber hierzulande wird der Titel nicht anerkannt und ich müßte ihn neu machen. Dazu hatte ich bisher allerdings noch keine Zeit."
„Catherine Willows", stellte die Begleiterin von Grissom sich endlich vor. Sie musterte John, dem es augenblicklich heiß und kalt wurde.
War er jetzt etwa dran?
Ruhig bleiben und sich konzentrieren, rief er sich die beste Vorgehensweise ins Gedächtnis. Immerhin war es nicht das erste Mal, daß er in einer recht bedrohlichen Situation steckte, und hier ging es nicht einmal um Kriegsvermeidung, Weltrettung oder das Überleben der Atlantis-Crew, nein, hier ging es schlicht und ergreifend um ihrer beider Karrieren, bei der seine schon seit geraumer Zeit bedenklich wackelte.
„Sheppard, Lt. Colonel John Sheppard", stellte er sich vor, ertappte sich jetzt doch bei einem erneuten Versuch, die Hand zu reichen. Und dieses Mal wurde sie auch tatsächlich akzeptiert! Willows ergriff sie und schüttelte sie geschäftsmäßig.
Wow!
Grissom dagegen sah noch immer Vashtu durchdringend an. „Ihnen ist klar, daß Sie den Tatbestand einer Straftat erfüllt haben, Miss Uruhk", fragte der Tatortermittler jetzt im deutlich unterkühlten Ton.
„Hören Sie, Mr. Grissom", wandte John sich augenblicklich an ihn und sah ihm tief in die Augen. „Miss Uruhk hat recht, sie ist tatsächlich Wissenschaftlerin und ihre Titel sind im Moment sozusagen auf Eis gelegt. Da ihr Heimatland nicht der UN angehört, nicht einmal einen Vertrag mit den Vereinigten Staaten hat, ist die Sache der Anerkennung schon ein richtiges Politikum. Die einen wollen ihre Arbeit für uns würdigen, die anderen dagegen ..."
Grissom hob eine Braue. „Wollen Sie mir jetzt etwa sagen, Miss Uruhk sei ein Flüchtling?"
„Ich habe politisches Asyl beantragt, ja", antwortete die Antikerin hinter John. Und allein ihrer Stimme konnte er anhören, daß sie die Wahrheit sagte.
Augenblicklich begannen sämtliche Alarmsignale in seinem Kopf zu schrillen.
Vashtu hatte einen Asylantrag gestellt? An wen? Warum?
John überlegte fieberhaft hin und her, doch ein anderer Grund als das Auftauchen von Helia und ihrer Schiffsbesatzung wollte ihm nicht einfallen.
Verdammt, er mußte allein mit Vashtu reden, und zwar richtig reden und sich nicht gegenseitig anschmachten, wie sie es gestern immer wieder getan hatten. Letztes Jahr, nachdem sie aufgetaucht war, hatte es doch auch geklappt.
Letztes Jahr, wisperte eine boshafte kleine Stimme in seinem Inneren, hattest du dich auch noch nicht in sie verliebt. Dumm gelaufen, alter Junge!
Stimmte das? Liebte er Vashtu tatsächlich?
Nein, ganz sicher nicht, sagte er sich selbst voller Inbrunst. Er mochte sie, wollte gern ein bißchen Zeit mit ihr verbringen. Wenn er die Möglichkeit hatte, würde er sie gern auch einmal ausführen zu einem Dinner. Aber genausogut konnte er sich vorstellen, mit ihr zu einem Footballspiel zu gehen, ins Kino oder auf die Bowlingbahn. Für Vashtu würde das wahrscheinlich sogar keinen wirklichen Unterschied bedeuten
Aber hatte er sich wirklich in die Antikerin verliebt?
Unwillkürlich stieg eine Szene aus seiner Erinnerung empor. Eine Szene, die in der letzten Weihnachtszeit passiert war, als General Jack O'Neill zu seiner jährlichen Weihnachtsfeier auf seine Jagdhütte geladen hatte.
Vashtu unter dem Mistelzweig. Daß Sam Carter neben ihr stand war John vollkommen entfallen, schon damals. Aber er wußte noch, wie er versucht hatte, die Antikerin mit seinen Blicken an der Stelle festzutuckern, damit er einen Grund hatte ... Einen Grund, den wohl auch O'Neill suchte damals ...
Vashtus Lippen waren weich und samten gewesen, ihr Kuß hatte nach süßer Verheißung geschmeckt. Er hatte sie küssen wollen bis in alle Ewigkeit, sie noch weiter fest an sich gedrückt halten wollen, ach was, er wollte in diesem Moment mit ihr verschmelzen, sie nie wieder loslassen, sondern in diesem einen Moment für den Rest der Zeit verharren, sie schmecken, ihren Körper an dem seinen fühlen, das Licht in ihren Augen, als sie ihn endlich erkannte damals ...
War das Liebe?
Mit Nancy war es anders gewesen, ging ihm auf. Das hatte er eine Zeitlang für Liebe gehalten, bis ihm klar wurde, daß das, was da einmal zwischen ihnen gewesen war, irgendwann abgekühlt und schließlich ganz verloschen war. Aber er hatte niemals das gefühlt, was er jetzt für die Antikerin empfand. Er hatte sich nie so ... Er kam sich ja teils vor, als könne er ihre Gedanken lesen!
Carson Beckett hatte damals nach Vashtus Auftauchen gemeint, etwas ähnliches fühlen zu können. Es war, als seien sie drei im besonderen verbunden: Vashtu, er und Carson. Vorher hatte er den Arzt ... naja, er war eben der Chefarzt der Expedition. Seitdem aber fühlte John zu dem Schotten eine besondere Art Freundschaft. Er konnte ihm Dinge anvertrauen, mit denen er sonst mit niemandem reden konnte, ähnlich wie bei Rodney McKay.
Aber war das Liebe, was ihn antrieb, ihn vielleicht auch gestern hierher gezogen hatte?
Nein, entschied der sachliche Teil in ihm. Er hatte getan, was er hatte tun müssen. Er kannte sich mit diesen Riesenkäfern nicht aus, ergo hatte er jemanden kontaktieren müssen, der sich auskannte. Die logische Wahl, da Carson Beckett oder einer der Entomologen der Atlantis-Expedition nicht zur Verfügung stand, war eben Vashtu gewesen. Das hatte absolut nichts mit irgendwelchen Gefühlen zu tun, es war einfach eine logische Konsequenz, punktum. Etwaige Gefühle zwischen ihnen beiden hatte er bei dieser Entscheidung außen vor gelassen, ebenso wie er sie immer noch ignorierte, wenn es um den Fall an sich ging.
Seine Sorge jetzt bestand schlicht darin, daß Vashtu sich verquatschte und Dinge preisgab, die ungesagt bleiben mußten. Daß sie innerhalb des IOA als Schwachstelle galt, hatte er in den letzten Tagen herausfinden müssen. Bisher hatte er zwar keinen direkten Hinweis, woher diese Einschätzung stammen mochte und wieso sie ausgesprochen worden war, aber er tat, was er tun mußte, um weiterhin die Erde vor unbequemen Wissen zu schützen, auf das sie nicht vorbereitet war. Und leider gehörte das Stargate-Programm noch immer zu den Geheimnissen, die besser unerwähnt blieben.
Dummerweise war Vashtu aber nun einmal ein nicht gerade geringer Anteil an diesem Geheimnis, und vielleicht begriff sie nicht so ganz, warum sie der Bevölkerung dieses Planeten gegenüber schweigen mußte. Also mußte er als derjenige, der sie ins Team geholt hatte, dafür Sorge tragen, daß sie weiterhin schwieg.
Keine Liebe, wenn überhaupt, dann vielleicht ein bißchen Schwärmerei, entschied er. Immerhin war die Antikerin hübsch. Schlank, richtig proportioniert mit langen Beinen, schmalen Hüften und kleinen Brüsten. Vielleicht mochte dem einen oder anderen ihr Hals ein bißchen lang erscheinen, er fand ihn genau richtig. Und ihr Gesicht mit der eigentümlichen Nase, den schönen Lippen, den hoch angesetzten Wangenknochen und den großen, dunkelbraunen Augen war einfach ... Nun ja, die Frisur, die sie jetzt trug, war gewöhnungsbedürftig, vor allem (das war ihm tatsächlich erst vorm Spiegel richtig aufgegangen), da sie die weibliche Variante seiner eigenen war. Dennoch aber mußte er auch zugeben, der wilde Struwwelkopf stand ihr und verlieh ihr etwas spitzbübisches. Es ließ sie jünger und irgendwie wilder wirken.
„Ich denke, Sie wurden darüber aufgeklärt, daß Sie es hier möglicherweise mit Dingen zu tun haben, für die Ihre Sicherheitseinstufung nicht ausreicht."
Endlich drang Vashtus Stimme wieder zu ihm durch. John wurde erst jetzt klar, wie tief er sich in seinen Gedanken verheddert hatte auf der Suche nach einer logischen Antwort auf das, was diese böse kleine Stimme da immer noch so vehement behauptete über ihn und die Antikerin. Er fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg und senkte schnell den Kopf - ein fruchtloses Unterfangen, immerhin war er mit Abstand der größte im Raum.
Diese Catherine Willows beobachtete ihn, ging ihm auf, während ihm jetzt plötzlich kalt wurde. Ein kleines, wissendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Um ehrlich zu sein, sie schien sich geradezu köstlich zu amüsieren.
„Leider fallen die Iratus-Käfer nun einmal unter präsentiale Sicherheitsstufe", fuhr Vashtus Stimme fort. „Also, lassen Sie sich in den Senat von Nevada wählen und kandidieren Sie für das höchste Amt in diesem Land, dann können wir uns gern weiter unterhalten."
„Wir haben die Air Force um Hilfe gebeten und man hat sie uns zugebilligt. Jetzt reden Sie sich plötzlich heraus, sowohl was Ihre Person angeht wie auch wenn es diese Insekten betrifft. Miss Uruhk, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich kann nur die Beweise für sich sprechen lassen. Aber wenn ich diese Beweise nicht logisch erklären kann, kann ich dem Sheriff keinen Bericht abliefern." Grissom schüttelte mit toternster Miene den Kopf. „Tut mir leid, aber ich muß auf einer Antwort bestehen. Haben diese ... Iratus-Käfer die Minneons getötet?"
Vashtu warf John einen hilfesuchenden Blick zu.
Ja, wenn es denn wirklich so einfach wäre ...
Aber, war es dann denn nicht?
John ging auf, daß ihn dieser Fall im Moment nicht wirklich interessierte. Er hatte eigene Fragen, die er unbedingt geklärt haben wollte. Die Frage war nur, wie er sie stellen sollte? Normalerweise lag ihm ein solches Vorgehen nicht.
„Es tut mir leid, aber ich fürchte, Ihre Sicherheitsstufe reicht dafür nicht aus. Wir müssen Sie möglicherweise sogar bitten, uns das lebende Exemplar sowie die Überreste des anderen auszuhändigen. Jedenfalls haben wir unseren Vorgesetzten diesbezüglich Bericht erstattet", antwortete die Antikerin endlich, nachdem er auch weiterhin schwieg. „Die Entscheidung darüber ist bisher noch nicht gefallen."
„Dann geben Sie also zu, daß diese eigenartigen Insekten das Ergebnis einer genetischen Zucht sind?" bohrte Willows weiter.
„Sind wir das am Ende nicht alle?" warf John ein. Endlich hatte er sich und seine Gedanken wieder halbwegs im Griff. „Tut mir leid, aber ich muß Miss Uruhk recht geben, Sir. Was die Insekten an sich betrifft ... soweit wir wissen, sind sie eine natürlich vorkommende, wenn auch sehr seltene Art, die erst vor kurzem entdeckt wurde."
„Und warum weiß dann Ihre Miss Uruhk so offensichtlich viel über diese Neuentdeckung?" warf Willows ein.
Das war ein gewisser Knackpunkt des ganzen, an den er nicht gedacht hatte.
„Weil diese Insekten in meiner Heimat seit Jahrhunderten bekannt sind", antwortete Vashtu. „Allerdings hat sich niemand von uns wirklich getraut, sie näher zu erforschen. Das wird erst versucht, seit die Vereinigten Staaten mit von der Partie sind."
„Und woher stammen Sie? Afghanistan? Irak? Die Fauna in beiden Ländern ist bestens beschrieben. Da gibt es keine Überraschungen mehr", entgegnete Grissom prompt
„Werden nicht jedes Jahr hunderte neuer Arten entdeckt?" warf John ein, froh, daß er sich an einen entsprechenden Artikel erinnerte, den er irgendwann einmal in einer Zeitschrift gelesen hatte.
„Aber keine dieser Größe!"
„Geht es darum? Weil der Iratus zu groß ist für Ihren Geschmack?" fragte Vashtu mit großen Augen.
„Mir geht es erst einmal darum, die Wahrheit herauszufinden, Miss Uruhk", wandte der CSI-Ermittler sich wieder an sie. „Ich habe Ihre Akte gelesen, zumindest die Teile, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Daß bei jemandem allerdings Geburtsdatum und -ort als streng geheim eingestuft werden ist mir noch nicht untergekommen. Ebensowenig wie Ihr Mauern, sobald die Sprache auf die einfache Frage kommt, ob diese Iratus-Käfer für den Tod der Minneons verantwortlich sind oder nicht."
John sah fragend zu Vashtu und hob überrascht die Brauen.
Er war eigentlich davon ausgegangen, daß man ihr eine vorgefertigte Persönlichkeit aufs Auge drücken würde, inklusive einem fiktiven Geburtsdatum und irgendeinem Ort, zu dem zumindest ihr Akzent halbwegs passen würde.
Das allerdings würde ein Problem werden, ging ihm auf. Er zumindest kannte keinen Ort, dessen Bewohner so sprachen wie Vashtu es tat. Mit viel Glück vielleicht irgendein Land mit lateinischen Wurzeln wie etwa Italien. Allerdings paßte das auch wieder nicht so ganz, wenn er sich an die kurze Zeit erinnerte, die er in Neapel verbracht hatte.
Vashtu seufzte, erwiderte seinen fragenden Blick, schoß ihrerseits eine Frage ab.
Durften sie das? Würden sie sich damit nicht zu weit vorwagen?
John zögerte.
Er war nicht der Verantwortliche ihrer kleinen Gruppe, den Part hatte Mitchell inne. Der allerdings fehlte in diesem Verhör, aus welchem Grund auch immer. Und da eigentlich nur noch er zum Team gehörte, oblag ihm die Entscheidung.
John biß sich auf die Lippen, dann aber nickte er leise.
Daß die Iratus für den Tod der Minneons verantwortlich waren konnten sie dem CSI ruhig zugestehen, fand er. Wie sie es getan hatten, das allerdings durften sie nicht verraten.
„Ja." Die Antikerin nickte nun ihrerseits. „Die Iratus sind für das Sterben verantwortlich. Es dürften alle drei, Mrs. Minneon, Dr. Minneon und auch der Hund, von den Insekten getötet worden sein, soweit wir das sagen können. Aber fragen Sie mich nicht wie, darauf darf ich nicht antworten."
Grissom tauschte nun seinerseits einen Blick mit Willows. Er schien noch immer nicht glücklich, kein Wunder, immerhin erhielt er hier nur eine Halbwahrheit, aber zumindest nicht mehr wütend wie zu Beginn des Verhörs.
„Also gut", sagte er dann. „Sie haben uns weiter geholfen, wenn auch zugegeben nicht sehr. Allerdings wird wohl über diese neue Art nicht das letzte Wort gesprochen worden sein. Catherine?"
Willows lächelte beiden freundlich zu, ehe sie Grissom aus dem Raum hinaus folgte. Zurück blieben John und Vashtu, die beide sichtlich aufatmeten.

***

Die beiden CSI-Ermittler schwiegen, bis sie in ihrem Wagen saßen und wieder zurückfuhren nach Las Vegas.
Erst als sie auch den letzten Kontrollpunkt der geheimen Militäranlage verlassen hatten nickte Grissom nachdenklich und sagte: „Wer nie geliebt in seinem Leben, der weiß nicht, wie nahe Glück und Schmerz zusammenstehen."
Catherine schmunzelte. „Ist dir also auch nicht entgangen, wie die beiden miteinander umgehen. Ja, sie müssen sich sehr lieben."
„Aber sie haben es sich selbst noch nicht eingestanden - alle beide nicht." Grissom seufzte. Merkwürdigerweise tauchte vor seinem inneren Auge das Gesicht von Lady Heather auf, als er an das eigenartige Paar dachte, mit dem er es gerade zu tun gehabt hatte.

TBC ...