24.06.2012

Die undichte Stelle III


Tut mir leid, Major", sagte Barnes' Stimme durch das Rauschen und Knacken hindurch.
Vashtu nickte. „Schon in Ordnung, Major", erwiderte sie. „Wir hoffen immer noch, Sie da irgendwie herauszukriegen."
Wird schon, Major." Die Stimme des Offiziers klang amüsiert. Und die Antikerin konnte sich denken warum.
Es war auch schon eine merkwürdige Art von Gespräch, die sie immer führten, wenn die Gruppe der Eingeschlossenen sich meldete. Sie beide, sowie Major Dethman, standen im gleichen militärischen Rang und machten sich ihre eigene kleine Art von Scherz daraus, indem sie sich öfter als normal eben mit diesen Rang ansprachen.
Wir müssen jetzt unterbrechen. Bis morgen, Major." In Barnes' verzerrter Stimme hörte sie tatsächlich Bedauern, und sie konnte sich diesem Gefühl wirklich nur anschließen.
Bis morgen. Und paßt weiter auf. Wer weiß, was Pendergast sich noch einfallen lassen wird. Uruhk Ende."
Barnes Ende und Aus."
Es knackte in der Leitung, und schlagartig wurde Vashtu wieder ernst. Sie lehnte sich gegen das Panel und kreuzte die Arme vor der Brust, während sie brütend vor sich hinstarrte.
Uns wird schon etwas einfallen", wandte Anne sich an sie.
Vashtu blickte unter ihren Ponyfransen auf und musterte die andere. Dann hob sie unvermittelt den Kopf. „Warum wurde mir nicht mitgeteilt, daß Peter wieder aus der Krankenstation entlassen wurde?" fragte sie.
Anne drehte sich wieder zu ihr um und sah sie einen Moment lang verblüfft an. Dann hob sie die Schultern. „Weil ich es selbst noch nicht wußte, Major", antwortete sie.
Vashtu nickte, doch sie glaubte es nicht so recht. Ihr Mißtrauen war jäh wieder aufgeflammt, nachdem Anne Stross über ihren Kopf hinweg entschieden hatte und Peter damit mehr oder weniger den Hyänen zum Fraß vorwarf. Wer würde der nächste sein, sollte der junge Wissenschaftler entlastet werden, was sicher der Fall sein würde? Sie? Dorn? Die Erethianer?
Anne musterte sie noch immer, dann nickte sie stumm. „Kommen Sie bitte in mein Büro", sagte sie und drehte sich um.
Vashtu zögerte noch einen Moment, dann folgte sie der zivilen Leiterin aus dem Kontrollraum hinaus zu deren Büro, das wie ein Schwalbennest hoch über dem Torraum an der Wand zu kleben schien. Ein gläserner Kasten von der halben Größe des Kontrollraums oder ihres eigenen Büros, mußte Vashtu zugeben. Dennoch ein einmaliger Ausblick auf den Torraum, und direkt unter dem Jumperschott gelegen.
Anne wartete, bis sie eingetreten war, dann schloß sie die Tür und lehnte sich dagegen.
Ich weiß, daß Sie es immer noch nicht glauben", begann sie mit mitfühlender Stimme. „Aber die Tatsachen sprechen nun einmal für sich. Denken Sie, ich wollte, daß irgendjemand hier ein Verräter ist? Und gerade in Dr. Babbis habe ich großes Vertrauen gesetzt."
Vashtu lehnte sich gegen den Schreibtisch, kreuzte wieder die Arme vor der Brust. „Dann hätten Sie warten sollen, bis Peter wieder zu sich kam und ihn dann befragen sollen", entgegnete sie. „Ich bleibe dabei, ich lege meine Hand für ihn ins Feuer. Ich weiß, er ist anstrengend und nervtötend, aber er ist und bleibt ein verdammt guter Wissenschaftler und ist ziemlich begabt für jemanden, der das ATA-Gen nicht von Geburt an trägt."
Anne seufzte, zog die Schultern hoch. „Dorn hat bisher nichts gefunden", sagte sie dann.
Vashtu witterte Morgenluft. „Das spricht doch für ihn!"
Oder für seine Klevernis", widersprach die Leiterin sofort. „Major ... Vashtu, ich kann sehr gut nachvollziehen, wie es Ihnen geht, glauben Sie mir. Aber ich kann nicht riskieren, Markham oder Sie zu verlieren bei einem Außenwelteinsatz. Gerade Sie beide sind zu wichtig!"
Und Peter? Ist er plötzlich nicht mehr wichtig?" Vashtu neigte fragend den Kopf.
Anne hob beschwichtigend die Hände. „Er ist sehr wichtig. Aber, wie gesagt, die Tatsachen sprechen für sich."
Vashtu richtete sich unvermittelt auf, in ihren Augen flammte Wut auf. „Dann lassen Sie mich durch das Tor gehen, jetzt! Wählen Sie irgendeine Adresse an und lassen Sie mich durch. Peter weiß nichts von diesem Gang, er kann ihn nicht verraten! Werde ich angegriffen, ist das die Bestätigung, daß er unschuldig ist."
Und wenn Ruhe herrscht?" wandte Anne sofort ein.
Vashtu schwieg, nur ihre Kiefer begannen wieder leise vor sich hinzumahlen.
Die Leiterin Vinetas nickte. „Genau, das wäre dann, nach Ihrer Beweisführung, der Schuldspruch für Dr. Babbis. Und gerade das möchte ich vermeiden. Verstehen Sie? Ich möchte ebensowenig wie Sie, daß er schuldig ist, glauben Sie mir. Aber im Moment deutet alles auf ihn hin. Sergeant Dorn hat recht, er ist von Ihnen dreien am meisten allein da draußen. Er hat die Planetenflüge übernommen ..."
Ich habe sie ihm gegeben", wandte Vashtu ein.
Anne sah sie kurz an, dann nickte sie. „Gut, dann haben Sie sie ihm gegeben. Tatsache ist, er fliegt sie."
Weil er noch ein Anfänger ist und noch nicht sonderlich geübt im Umgang mit Puddlejumpern. Beim letzten Mal hatte selbst ich fast Schwierigkeiten, verdammt! Dieser Rochen klebte an meinem Heck und ich wurde ihn nicht los."
Irgendetwas ist passiert, Major", entgegnete Anne mit ruhiger Stimme. „Irgendetwas hat dafür gesorgt, daß die Devi sehr genau über unsere Pläne informiert sind. Das müssen auch Sie zugeben. Das hat nichts mehr mit Pech zu tun. Acht Übergriffe in drei Tagen sind alles andere als Pech."
Vashtu atmete tief ein, lehnte sich wieder gegen den Schreibtisch und senkte den Kopf.
Sie wußte, daß Anne recht hatte. Sie wußte es sogar sehr genau. Aber sie kannte auch Peter. Sie hatte gesehen, wie er, vor Schreck erstarrt, dastand, als die Königin ... Wallace getötet hatte. Sie hatte gesehen, mit welcher Kaltblütigkeit er zu Werke ging, ging es um irgendetwas, was die Devi zurückwerfen oder töten konnte. Peter Babbis haßte die Hybridwesen ebenso wie sie. Selbst sein übersteigertes Ego würde ihn nicht so weit treiben, sich mit ihnen einzulassen, davon war sie überzeugt. Sie kannte ihn gut genug, um das sagen zu können.
Dorn wird noch sein Quartier untersuchen, nachdem sein Büro und das Labor, sowie das Lager, in dem er sich eine Zeitlang verschanzte, nichts ergeben haben", fuhr Anne fort. „Sollten wir dort auch nichts finden, ist der Verdacht zwar nicht von ihm genommen, aber nicht mehr so akut wie jetzt. Dann werde ich auch weitere Gate-Reisen wieder genehmigen - ohne Dr. Babbis, bis sich letztendlich geklärt hat, was hier eigentlich los ist."
Vashtu nagte an ihrer Unterlippe, nickte dann aber.
Und ich möchte, daß er nichts von irgendwelchen Unternehmungen erfährt, Major. Weder von Torreisen noch von irgendetwas anderem, wobei wenigstens ein Pilot gefährdet werden könnte. Wir können es uns nicht leisten, auch nur einen ATA-Träger zu verlieren, solange Sie die Gentherapie nicht beendet haben. Und ich möchte, wenn möglich, Opfer jedweder Art verhindern. Ich hoffe, Sie verstehen das."
Vashtu kniff kurz die Lippen aufeinander, sah wieder auf. „Sie irren sich", sagte sie einfach. „Sie irren sich ganz gewaltig."
Das hoffe ich", antwortete Anne wie auf eine Frage. „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr ich das hoffe."
Sie sind gerade dabei, nicht nur Peters Vertrauen zu untergraben, Dr. Stross", fuhr Vashtu mit kalter Stimme fort. „Ich werde das nicht so schnell vergessen. Und sollte ich den Schuldigen vor Dorn finden, können Sie sich darauf verlassen, daß ich ihn so schnell wie möglich zu Ihnen schleifen werde. Und Sie werden sich bei Peter entschuldigen, wenn es soweit ist!"
Das werde ich dann sehr gern tun, Major. Wirklich sehr gern, das können Sie mir glauben."
Vashtu richtete sich wieder auf. „Dann dürfte das ja jetzt wohl geklärt sein." Sie bedachte die Leiterin mit einem weiteren kalten Blick.
Eine Sache noch, Major", wandte Anne sich an sie. „Es geht um Ihre Expedition, um das Wasser zu finden: Sie hatten Babbis auf Ihrer Liste."
Vashtu nickte. „Ja, das hatte ich. Und genau darum habe ich auch solange gewartet, bis wir losziehen."
Das kann ich nicht zulassen, tut mir leid." Anne trat an ihr vorbei hinter den Schreibtisch. „Ihre andere Wahl, Dr. Gerard, ist für mich vollkommen in Ordnung. Aber Sie wollen auch Lieutenant Markham mitnehmen, und damit wären alle drei Träger des Gens irgendwo in den Eingeweiden der Stadt verschwunden. Ob wir nun eine undichte Stelle haben oder nicht, ich kann das nicht zulassen. Babbis bleibt hier. Ich würde ohnehin gern noch einmal mit ihm sprechen."
Vashtus Gesicht erstarrte zu dem Anlitz einer Eiskönigin. Mit zusammengekniffenen Lippen nickte sie, drehte sich um und verließ das Büro. Draußen auf der Treppe blieb sie in angespannter Haltung stehen und mußte den dringenden Wunsch unterdrücken, mit der Faust auf irgendetwas einzuschlagen.

***

Sie wollten mich sprechen, Dr. Stross?" Peter stand etwas unsicher in der einen geöffneten Wand des Konferenzraumes, schielte um die Ecke.
Die Leiterin Vinetas blickte von ihren allgegenwärtigen Unterlagen auf und nickte. „Kommen Sie bitte herein, Dr. Babbis."
Peter zögerte noch einen Moment, sah kurz zu dem Marine hinüber, der bei der geöffneten Wand Wache hielt. Dann überschritt er doch die Schwelle und blieb etwas unschlüssig stehen, nicht so recht wissend, wohin er sich begeben sollte. Auf seinen Platz oder sollte er doch lieber stehenbleiben? Am besten, dachte er schließlich, wartete er erst einmal ab.
Diese Blicke, die ihm immer wieder zugeworfen wurden, irritierten ihn immer mehr, ebenso das offensichtliche Aus-dem-Wege-gehen von Vashtu. Selbst Dorn, den er einmal kurz auf dem Weg in sein Büro gesehen hatte, schien ihm gegenüber etwas frostig aufzutreten. Und er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was hier eigentlich in nur zwei Tagen vor sich gegangen war.
Stross blickte wieder auf, machte eine einladende Geste. „Setzen Sie sich", forderte sie ihn mit geschäftsmäßiger Stimme auf.
Peter zögerte wieder etwas, dann aber kniff er entschlossen die Lippen aufeinander und marschierte zu seinem üblichen Sitzplatz, ließ sich dort nieder und wartete, sich nervös am Ohrläppchen zupfend.
Stross legte das Datenpad endlich zur Seite, faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und sah ihn an. „Nun", begann sie, „Sie sind ja von Anfang an mit hier. Was sagen Sie zu unserer Stadt?"
Peter wußte nicht so ganz, was er darauf antworten sollte. Er zuckte mit den Schultern. „Ganz nett", gestand er schließlich, wenn das in seinen Augen auch eine vollkommene Untertreibung war.
Stross musterte ihn. „Nett?"
Wieder ein hilfloses Schulterzucken. „Naja, was soll ich sagen? Immerhin ... äh, sind noch einige Bereiche gesperrt, die vielleicht ... ich meine, Vashtu hält einiges zurück und wir könnten ... die Forschungsanlage ist doch ... naja, ich denke, wenn die Prometheus erst einmal weg ist, wird hier auch einiges leichter werden." Er brachte ein unsicheres Lächeln zustande bei diesen Worten.
Stross nickte nachdenklich. „Es ärgert Sie, daß Major Uruhk den wissenschaftlichen Bereich bis auf weiteres gesperrt hat, richtig?"
Peter atmete tief aus. „Naja, was soll ich sagen? Es könnten dort einige wichtige Erkenntnisse auf uns warten."
Stross nickte wieder, sah ihn forschend an. „Und Ihr Dienst als Pilot? Empfinden Sie ihn als belastend?"
Peter blinzelte verständnislos. „Belastend?" echote er.
Stross neigte den Kopf leicht, musterte ihn weiter.
Peter schüttelte den Kopf. „Nein", antwortete er dann fest. „Im Gegenteil. Ich denke, ich bin der erste Pilot, der den Planeten ganz erforschen kann. Vashtu ... Major Uruhk will mich langsam an wichtigere Aufgaben heranführen."
Sie gibt Ihnen Flugstunden im Puddlejumper, richtig?"
Er nickte, wußte nicht so recht, was diese ganzen Fragen sollten. „Ja, das tut sie ... und ein bißchen mehr." Wieder ein hilfloses Lächeln und ein Schulterzucken. „Sie ... äh ... hilft mir etwas bei antikisch."
Sie bringt es Ihnen bei", stellte Stross fest.
Peter fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg. „Ich weiß nicht ... ich meine ..."
Daß Sie die Sprache nicht lesen oder verstehen können, ist uns allen klar, Dr. Babbis. In der letzten Zeit aber haben Sie da den einen oder anderen Fortschritt gemacht, wie ich hörte", fuhr die Leiterin fort, strich sich den Pony aus dem Gesicht.
Naja, auf der Erde hatten wir nie so recht Zeit, wenn Sie verstehen, was ich meine." Er versuchte, etwas zerknirscht auszusehen. „Nicht, daß ich nicht wollte, es war nur ..."
Ich verstehe", fiel Stross ihm ins Wort. Sie beugte sich vor, sah ihn dabei immer noch forschend an. „Wie steht es mit Ihrer Arbeit für Dr. Spitzbart? Er gesteht Ihnen inzwischen ein eigenes Forschungsfeld zu, soweit ich weiß."
Peter nickte eifrig. „Es macht mir Spaß, ja. Ich bin für die Verwendung und Erforschung der PKs verantwortlich. Da läßt Dr. Spitzbart mir vollkommen freie Hand. Und das ist ... er scheint mir zu vertrauen."
Es macht Ihnen also Spaß?" Stross hob die Brauen.
Klar!" Er winkte ab.
Irgendwie beschlich ihn allmählich das Gefühl, mit ihrer ganzen Fragerei zielte sie auf etwas ganz bestimmtes ab. Aber er kam nicht dahinter, was sie eigentlich von ihm wollte. Er war sich sicher gewesen, daß sie ihn, ebenso wie die Mehrzahl der anderen Bewohner Vinetas, irgendeines Vergehens beschuldigte. Aber er wußte nicht, was er denn getan haben sollte. Diesmal war er wirklich unschuldig. Und er hatte nicht die blaßeste Ahnung, woran es liegen mochte, daß alle ihm auf so eigenartige Weise begegneten.
Stross allerdings schien ihm weder auf dem Weg zu gehen, noch ihn zu beschuldigen. Er hatte sie schon wütend erlebt, und das war sie jetzt definitiv nicht. Auch wenn dieses Gespräch einige eigenartige Züge hatte, die er sich nicht so recht erklären konnte.
Es erinnerte ihn irgendwie an ... das Verhör, dem er unterzogen worden war, nachdem sein Vater ermordet worden war. Aber seines Wissens war hier niemand verletzt oder getötet worden, oder? Zumindest war er definitiv nicht daran beteiligt.
Möglicherweise aber hatte es einen Unfall gegeben, den Stross jetzt untersuchte und zu dessen Aufklärung er irgendwie beitragen konnte. Zumindest war das jetzt seine Erklärung und seine Hoffnung.
Die Leiterin lehnte sich wieder zurück, warf ihrem Datenpad einen kurzen Blick zu. „Wie sieht es mit den Torflügen aus, die Sie in den letzten Tagen unternommen haben?" erkundigte sie sich.
Peter atmete auf.
Na, daran konnte es wirklich nicht liegen. Er hatte ganze fünf Flüge gehabt, einschließlich dessen, bei dem er von dieser Devi-Waffe getroffen worden war. Wahrscheinlich ging es um den Angriff auf Vashtus Team. Und da konnte er wirklich mitreden. Immerhin war er auf der Krankenstation aufgewacht und sonst keiner aus seinem Team.
Es klappte ganz gut. Allmählich bekomme ich Übung", antwortete er, lehnte sich jetzt ebenfalls zurück. „Natürlich müssen Vashtu und ich das Gate regelmäßig warten. Irgendwie scheint das Loch mit der Holprigkeit zusammenzuhängen. Aber das werden wir sicher irgendwann beheben können, davon bin ich überzeugt."
Stross nickte nachdenklich. „Ist Ihnen vielleicht etwas aufgefallen, Dr. Babbis? Irgendetwas während  der Flüge?"
Peter runzelte die Stirn. „Ich ..." Er schloß den Mund und dachte nun wirklich nach. Dann schüttelte er den Kopf. „Nein, tut mir leid. Da war nichts, einmal abgesehen vom letzten, als wir auf Devi stießen."
Sie beugte sich wieder vor. „Nur beim letzten, also als Major Uruhk geflogen ist, stießen Sie auf Devi?" fragte sie.
Er blinzelte, nickte dann aber. „Ja, meines Wissens schon. Ich meine, ich weiß natürlich nicht, wie es nach unseren Besuchen auf diesen Planeten ausgesehen hat, und meine Einsätze waren sehr kurz. Vashtu, Major Uruhk, will mich lieber bei Planeten- und Mondflügen einsetzen. Da scheine ich wirklich sehr gut zu sein."
Stross sah ihn sehr eindringlich an. „Sind Sie sich wirklich sicher, daß nichts außergewöhnliches geschehen ist während Ihrer Torflüge?"
Peter biß sich auf die Lippen, begann wieder an seinem Ohrläppchen zu zupfen. Dann aber schüttelte er den Kopf. „Nein, es ist absolut gar nichts passiert. P1V-133 und -129 sind beide sehr ruhig und die Bewohner, soweit es mir die Teams, die ich geflogen habe, mitgeteilt haben, sehr in sich gekehrt und nicht interessiert an irgendwelchen Handelsbeziehungen. Auf P1V-127 trafen wir auf ... merkwürdige Lebewesen, die wohl nicht so wirklich intelligent sind, und P1V-132 wartet mit einem Supervulkan auf und ist inzwischen unbewohnbar geworden."
Stross hob das Kinn, musterte ihn weiter. „Wie war das damals, als Sie von den Devi gefangen genommen wurden, Dr. Babbis? Was ist da geschehen?"
Ungläubig starrte er sie einen Moment lang an, dann schluckte er sichtlich. „Ich ... Diese Königin hat James getötet ..."  Er holte tief Atem und erschauderte, dann senkte er den Blick. „Sie ... hat gesprochen, aber ... ich habe sie nicht verstanden. Ich glaube, es war ... antikisch, aber sicher bin ich mir nicht."
Die Königin sprach mit Ihnen? Worüber?"
Peter biß sich auf die Lippe, sein Blick irrte hin und her.
Diese Erinnerung tat weh, sehr weh sogar. Er wußte, wenn er nicht gewesen wäre, hätte die Antikerin Wallace austauschen lassen. Allein die Tatsache, daß er und der Agrarwissenschaftler ein wenig befreundet waren und zur Stammbesatzung von SG-27 gehört hatten, hatte James davor bewahrt, letztendlich gehen zu müssen. Dabei zu sein, als er starb, es mitansehen zu müssen und zu wissen, daß er eigentlich an Wallaces Stelle hätte sein müssen, das war ... etwas, was immer noch in ihm arbeitete. Niemals würde er den Anblick vergessen, als dieser Sichelarm durch den Brustkorb seines Teamkollegen gebrochen war, als würde die Devi warme Butter schneiden. Nie würde er vergessen, wie sie dann begonnen hatte, Wallace Leichnam zu zerstückeln, vor seinen und Vashtus Augen, als sie beide nur entsetzt auf die Szene gestarrt hatten.
Ich ..." Er nahm sich die Brille ab und begann seine Augen zu reiben. Dann schüttelte er den Kopf. „Woher soll ich das wissen! Ich habe sie nicht verstanden. Und selbst wenn ich sie verstanden hätte ..." Er kniff voll hilfloser Wut die Lippen aufeinander und starrte vor sich auf den Tisch, fühlte, wie heißer Zorn durch seine Adern zu fließen begann. „Dieses ... dieses Monster hat James hinterrücks erstochen. Er hatte gar keine Möglichkeit, sich zu wehren! Und dabei brabbelte sie die ganze Zeit vor sich hin und ließ nicht eines ihrer Facettenaugen von mir."
Der Schmerz und die Schuld würgten ihn.
Er hätte sich irgendwie dazwischen werfen müssen! Er hätte es aufhalten müssen, irgendwie! Vashtu hatte er damals doch auch Hilfe leisten können, wenn auch nicht viel, als Kolya sie beide gefangennahm und sie beinahe vor seinen Augen gestorben wäre. Warum dann nicht auch James? Warum hatte er nur diese verdammte Angst gehabt? Warum war er vor Panik wie erstarrt gewesen, als die Königin plötzlich auftauchte?
Er wußte es einfach nicht zu sagen. Er kannte keine einzige Antwort auf seine Fragen. Er wußte nur, daß er noch immer ab und an nachts schreiend aufwachte und diese Szene vor sich sah. Nur war diesmal dann er es, der von dieser Knochensichel aufgespießt wurde.
Stross sah ihn immer noch an, forschend aber auch mitleidig. Dann schien sie sich plötzlich zu entscheiden.
Dr. Babbis", sagte sie mit fester Stimme, die ihn wieder aufblicken ließ. Ihr Gesicht war sehr ernst, noch immer suchte und fixierte sie seine Augen. „Es gibt einen Verdacht gegen Sie. Ihnen wird nicht entgangen sein, daß Sie im Moment der einzige Pilot sind, der nicht unter den Angriffen der Devi zu leiden hat. Es sind Stimmen laut geworden, die Ihnen einen Handel mit unseren Feinden unterstellen. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht so recht, ob das der Wahrheit entspricht. Aber ich weiß, daß ich Sie erst einmal nicht durch das Tor gehen lassen kann, bis diese Sache geklärt wird. Ich möchte Sie bitten, sich jederzeit verfügbar zu halten für Sergeant Dorn und auch für mich, sollte es noch Fragen geben."
Peter starrte die Leiterin Vinetas ungläubig an. „Ich soll ... was?" fragte er.
Sie nickte, noch immer mit sehr ernstem Gesicht. „Es gibt gewisse Verdachtsmomente gegen Sie, Dr. Babbis. Und eben darum möchte ich Sie bitten, sich jederzeit bereit zu halten." Sie atmete tief ein, ehe sie fortfuhr: „Major Uruhk hat von mir die Anweisung bekommen, sich von Ihnen fernzuhalten, ebenso wie Lieutenant Markham und jedes Mitglied eines unserer SG-Teams. Sie sind bis auf weiteres von jeglichen Flügen freigestellt."
WAS?" Er richtete sich auf und beugte sich, mit vor Zorn funkelnden Augen, vor. „Für wie dämlich halten Sie mich, Dr. Stross? Diese vielgliedrigen Mistviecher haben mich töten wollen, verdammt! Wäre Vashtu nicht dazu gekommen, wäre ich nach Wallace dran gewesen, das ist sicher. Ich weiß nicht, warum sie mich am Leben ließ und erst ihn tötete. Vielleicht weil er einfach näher bei ihr war. Aber ich ... Verdachtsmomente? Was für Verdachtsmomente?"
Sie sind der einzige, der nicht unter den Angriffen der Devi zu leiden hat. Das ist sehr auffällig, Dr. Babbis, denken Sie nicht?"
Und wer hat die letzten zwei Tage mit Schmerzen auf der Krankenstation gelegen? War das nicht ich?" Wütend funkelte er sie an. „Dr. Stross, ich mag vielleicht nicht immer Ihren Wünschen und Vorstellungen entsprechen, aber dämlich bin ich nicht!" Damit richtete er sich auf und marschierte in Richtung verschiebbare Wände.
Ich habe Sie noch nicht entlassen!" rief Stross hinter ihm her.
Doch, das haben Sie!" Peter fuhr herum und ballte die Hände zu Fäusten. „Das haben Sie sogar sehr gründlich, Dr. Stross!" Damit ging er, nachdem die Wand hinter ihm sich geöffnet hatte.

TBC...

17.06.2012

Die undichte Stelle II


Als sie, Danea im Schlepptau, den Konferenzraum betrat, blickte sie in eine Reihe sehr ernster Gesichter und mußte schlucken.
Irgendetwas ging hier vor. Und sie war sich nicht sicher, ob es ihr wirklich gefallen würde, was gerade geschah. Auf jeden Fall aber war es nicht normal, soviel konnte sie sagen.
Setzen Sie sich bitte", forderte Stross sie auf.
Vashtu nickte Danea zu und trat an ihren üblichen Platz. Sergeant George Dorn musterte sie mit ernstem Gesicht, als sie sich niederließ. Ihr gegenüber, für sie ungewohnt, saßen Markham und die Reste des Teams von Captain Claine, dessen Leader und die Erethianerin fehlten.
Kein sehr guter Start, wie sie fand.
Ich denke, wir haben ein ernstzunehmendes Problem", begann Anne Stross nun und fixierte alle Anwesenden sehr aufmerksam. „Major, Sie sind für die Verteilung der Torflüge verantwortlich. Ihnen dürfte zu allererst aufgefallen sein, was gerade geschieht."
Sieht aus, als würden die Devi uns riechen, wenn wir irgendeinen Planeten betreten." Vashtu zuckte mit den Schultern.
Was ging hier vor? Wollte man am Ende ihr die ganze Sache anhängen? Sie tat doch nichts anderes, als die Anfragen der Wissenschaftler und anderen Teams zu bearbeiten und irgendwie unter einen Hut zu bringen. Konnte sie etwas daran ändern, daß die Speicher Vinetas in letzter Zeit offensichtlich nur noch von Devi verseuchte Planeten hergaben?
Anne sah sie sehr streng an. „Major, wir haben ein ernstes Problem mit der Sicherheit", entgegnete sie.
Vashtu blinzelte, sah dann zu Markham und dem anderen Team hinüber, die ernst nickten.
Das ist doch Unsinn!" begehrte sie auf. „Wir haben im Moment nichts als Pech. Das kann jedem mal passieren."
Acht Einsätze in den letzten drei Tagen sind kein Pech, Major", sagte Anne mit fester Stimme. „Wir haben eine undichte Stelle in der Stadt."
Dorn drehte sich wieder zu ihr um und nickte ernst. „Sieht wirklich so aus, Kleines", brummte er ihr zu.
Vashtu holte tief Atem. „Ich weiß nicht, was genau vor sich geht. Aber das kann ich nicht glauben", entgegnete sie entschlossen.
Major, Sie sind doch selbst oft genug in eine Falle geflogen!" Markham meldete sich jetzt das erste Mal zu Wort. „Wir wissen nicht, wie das passieren konnte. Aber es gibt nur diese eine Erklärung."
Und wer soll diese undichte Stelle sein? Ich lege für jeden einzelnen meines Teams die Hand ins Feuer!" begehrte die Antikerin auf und erntete dafür undefinierbare Blicke, die sie auf ihren Stuhl zurücksinken ließen. „Sie denken doch nicht ..." Mißtrauisch sah sie von einem zum anderen, bis schließlich ihr Blick an der zivilen Leiterin hängenblieb. „Oh nein, das glaube ich nicht!" begehrte sie dann wieder auf.
Dr. Babbis ist der einzige, der bisher unbehelligt geblieben ist, Major", sagte Anne mit sanfter Stimme. „Das müssen Sie selbst zugeben. Es fällt auf, denken Sie nicht?"
Und wer liegt gerade auf der Krankenstation und wurde vorher von so einem ... Glimmer getroffen?" brauste Vashtu auf. Blind wies sie mit einer Hand in die ungefähre Richtung. „Peter steht außerhalb jeder Diskussion! Für wie dumm halten Sie ihn denn eigentlich? Wenn er die undichte Stelle wäre, sollte gerade er die meisten Angriffe zu verzeichnen haben und nicht von den Devi in Ruhe gelassen werden."
Nicht wenn er einen Deal mit ihnen geschlossen hat", warf Markham ein.
Vashtu atmete tief ein und drehte sich zu dem jungen Offizier um. „Ich kenne Dr. Babbis von allen hier, mit Ausnahme von Sergeant Dorn, am längsten. Und ich weiß, daß er soetwas niemals tun würde! Daß er bis jetzt noch keinen Angriff zu verzeichnen hat, liegt vielleicht gerade daran, daß er so selten durch das Tor fliegt, sondern eher die Planetenflüge übernommen hat, respektive die zu unserem Farmmond. Er hatte bis jetzt nichts als pures Glück, verdammt!"
Er ist aber auch der, der sich am meisten außerhalb der Stadt aufhält", wandte Dorn ein.
Vashtu starrte den Marine ungläubig an. „Das glaubst du doch nicht wirklich? George!"
Dorn drehte sich wieder zu ihr um. „Ich glaube, was die Tatsachen mir sagen, Major", entgegnete er. „Und diese Tatsachen sprechen im Moment gegen den Doc, so leid mir das auch tut. Er ist von euch dreien am meisten allein, er will sich profilieren und fühlt sich leider viel zu oft übergangen. Er hat sich verändert, seit wir hier sind, sehr verändert. Und das nicht unbedingt zu seinem besten. Gerade in der letzten Woche, seit diese Übergriffe immer häufiger werden, wird er immer unausstehlicher."
  „Weil er mit diesen verdammten Mikrowellen nicht klar kommt, das weißt du auch!" fauchte Vashtu zurück.
Major!" Annes Stimme klang scharf und ließ Vashtu unwillkürlich aufblicken.
Ich glaube das nicht eine Sekunde lang. Wenn es eine undichte Stelle gibt, dann ist es nicht Peter!" Vashtu versuchte, die Leiterin niederzustarren, doch sie hatte keinen Erfolg.
Ich habe Sergeant Dorn damit beauftragt, der Sache auf den Grund zu gehen, Major", erklärte Anne statt dessen. „Torreisen sind bis auf weiteres ausgesetzt, es sei denn in dringenden Ausnahmefällen. Und Sie werden sich zurückhalten und weiter Ihre sonstigen Dienste versehen. Haben Sie das verstanden?"
Vashtus Kiefer mahlten vor unterdrückter Wut. Noch immer starrte sie die andere wütend an.
Es gibt da immer noch die Frage nach dem Wasser, das wir so reichlich benutzen. Kümmern Sie sich darum, wenn Sie sonst nichts finden." Anne erhob sich und strich sich mit einer entschlossenen Geste den Pony aus dem Gesicht. „Und Sie werden sich von Dr. Babbis fernhalten, haben Sie das verstanden? Entweder Sergeant Dorn räumt diesen Verdacht aus dem Raum, oder wir werden uns eine andere Lösung überlegen müssen."
Peter hat nichts getan!" begehrte die Antikerin wieder auf.
Vielleicht nicht, vielleicht doch. Wir werden die Beweise für sich sprechen lassen. Tut mir leid, Major. Aber ich werde nicht weiter das Leben der SG-Teams aufs Spiel setzen." Sie nickte den anderen zu, die den Raum daraufhin verließen.
Vashtu starrte sie noch einen Moment lang an, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verließ wutschnaubend den Konferenzraum.

***

Zwei Tage später:

Peter betrat, noch leicht hinkend, die Kantine des Doppel-Gebäudes, in dem sich die ehemaligen Erdlinge, gleich aus welcher Dimension sie stammten oder ob sie dem Militär angehörten oder nicht, ihre Wohneinheiten gesucht hatten. Einige Blicke trafen ihn, die er nicht so recht zu deuten wußte. Waren sie feindselig ihm gegenüber? Aber warum?
Stirnrunzelnd trat er an den Tresen und nahm sich eine Tasse, um sich Kaffee einzuschenken. Dabei ließ er seinen Blick wieder über die Anwesenden gleiten.
Leise Gespräche wurden geführt, hier und da fand das übliche Getuschel statt. Nur eines war irgendwie anders: Immer wieder wurden gerade ihm eigenartige Blicke zugeworfen.
Peter drehte sich wieder um und griff nach seiner Tasse. Den Bereiter ließ er vollkommen unbeachtet, er würde jetzt schlicht und ergreifend nichts herunterkriegen, und Stross hatte die letzten mageren Reste an verzerr- und haltbaren Nahrungsmitteln streng rationiert, so daß er, da er wohl zu spät gekommen war, nichts mehr vorfinden konnte. Also eine Weile hungrig bleiben. Aber vielleicht ... Immerhin sollte er nachher durch das Tor fliegen und mit dem Team von Sergeant Williams Kontakt zu möglichen Handelspartnern aufnehmen. Möglicherweise gab es auf diesem Himmelskörper ja etwas, das leichter verdaulich - und vor allen Dingen schmackhafter - war als der in Vineta inzwischen übliche Nährungsbrei in unterschiedlichen Farbtönen.
Mit der Tasse in der Hand blieb er etwas unschlüssig stehen. So wirklich einladend schien ihm kein Tisch in der näheren Umgebung. Er reckte den Hals, und sein Gesicht hellte sich unwillkürlich auf, als er die Antikerin allein an einem der hinteren Tische sitzen sah, einen Teller vor sich und ein Datenpad aufmerksam studierend. Sofort hinkte er durch den Raum zu ihr hinüber, fühlte wieder diese eigenartigen Blicke, die sich in seinen Rücken bohrten.
Was ging hier vor?
Vashtu lutschte nachdenklich an ihrem Löffel, während sie offensichtlich damit beschäftigt war zu lesen, was auch immer der Bildschirm des Datenpads zeigte. Sie bemerkte gar nicht, daß er zu ihr kam.
Hey", begrüßte er sie und ließ sich nieder.
Die Antikerin nickte nur unwillig, zog den Löffel wieder aus dem Mund und begann, in der zähen Masse irgendwelche Muster zu malen, während ihre Augen weiter am Pad klebten.
Ich dachte eigentlich, die Aufgabe eines Leaders würde auch einen Krankenbesuch miteinschließen. Zumindest wurde das doch bis jetzt so gehandhabt, oder?" fuhr er, betont gutgelaunt, fort.
Mhm", machte sie nachdenklich, ließ den Löffel los und berührte eine Stelle auf dem tragbaren Bildschirm.
Peter runzelte die Stirn und pustete in seine Tasse. „Nachher geht's wieder los: P1V-140", sagte er unternehmungslustig.
Sie schüttelte den Kopf. „Mhmh."
Peter ließ die Tasse sinken. „Wie? Wieso nicht? Ich dachte, die Flugpläne stehen fest. Hat sich etwas am Zeitfenster geändert?"
Vashtu runzelte die Stirn. Endlich schien ihr aufzugehen, daß sich jemand mit ihr unterhielt. Sie riß sich von ihrer Lektüre los und blickte auf. Ihr Gesicht erstarrte im wahrsten Sinne des Wortes, als sie ihn sah. Dann blinzelte sie einige Male.
Stimmt was nicht?" Peter sah sich um, in der Hoffnung, irgendeine Alptraumgestalt hinter sich zu finden, die ihre Aufmerksamkeit erregt hatte.
Torreisen sind bis auf Widerruf ausgesetzt", sagte die Antikerin jetzt plötzlich und ohne jede Motivation.
Als er wieder zu ihr sah, bemerkte er, daß sie sich kerzengerade aufgesetzt hatte und den Raum fixierte. Mit einem lauernden Blick, den er hier eigentlich nicht erwartet hätte.
Was ist los?" erkundigte er sich ahnungslos.
Vashtus Interesse richtete sich wieder auf ihn. „Nichts", anwortete sie schulterzuckend, senkte dann den Blick und begann erneut, den Bildschirm des Datenpads anzustarren. Doch es war klar, daß sie das vollkommen unkonzentriert tat.
Und warum wurden die Gate-Reisen ausgesetzt?"
Vashtu biß sich auf die Lippen, tat einen Moment lang noch immer so, als wäre sie auf etwas anderes konzentriert, dann aber blickte sie seufzend auf. „Weil wir im Moment keine Devi mehr sehen können, darum", antwortete sie giftig.
Peter zuckte zurück. „Wieder morgenmuffelig?"
Sie funkelte ihn an. „Nein!"
Er stutzte. „Was dann?"
Nichts." Wieder senkte sie den Kopf zum Pad hin, richtete sich dann aber seufzend auf und fixierte ihn mit ernstem Blick. „Peter", begann sie, dann versteifte sie sich sichtlich und klopfte kurz auf das Funkgerät in ihrem Ohr. „Verstanden. Bin unterwegs."
Gibt es etwas neues?" erkundigte er sich, während er beobachtete, wie sie sich erhob und nach dem Pad griff.
Vielleicht. Mal sehen", antwortete sie ausweichend. „Ich muß los." Damit war sie weg, als wäre sie vor ihm geflohen, und ließ ihn allein am Tisch zurück.
Peter sah ihr stirnrunzelnd nach, dann bemerkte er wieder die Blicke der anderen Anwesenden, drehte ihnen seine Schulter zu und verbarg sich hinter seiner Tasse.
Warum hatte er plötzlich das Gefühl, ausgeschlossen zu werden?

 TBC ...

10.06.2012

2.09 Die undichte Stelle


In den Jumper, schnell!"
Major Vashtu Uruhk wirbelte im Lauf herum und ließ ihre P-90 eine Garbe Kugeln in den lockeren Waldboden graben. Hinter ihr hetzten ihre beiden anderen Teammitglieder in Richtung des getarnten Puddlejumpers, Dr. Peter Babbis schwer auf den Erethianer Danea Il'Eskanar gestützt.
Vashtu fuhr wieder herum, raste den beiden nach und fummelte die Fernbedienung aus ihrer Überlebensweste.
Energiesalven zuckten zwischen den Bäumen hervor und schlugen dicht bei ihr ein. Blind richtete sie die Waffe nach hinten und gab eine weitere Salve ab, während sie mit der ungeliebten Rechten die Fernbedienung drückte.
Danea, da rüber!" rief sie, als der Puddlejumper wie aus dem Nichts auf der kleinen Lichtung auftauchte.
Der Erethianer fand keine Zeit zu sprechen, drückte Peter weiter nach links und verlängerte seine Schritte.
Vashtu zog den Kopf ein, als ein weiterer Energiestrahl direkt über ihren Kopf einen Ast ansengte. „Verdammte Mistkerle! Wollt ihr uns lebend oder lieber tot?" schrie sie über die Schulter zurück, während sie schon wieder in ihrer Überlebensweste kramte. Mit einem befriedigten Lächeln zog sie schließlich eine Granate hervor. Mit den Zähnen entfernte sie den Draht, hielt die Waffe aber weiterhin fest und raste weiter. Erst kurz vor dem Jumper, in dem ihre beiden Begleiter gerade verschwunden waren, wirbelte sie noch einmal herum und warf die Granate zwischen die Bäume, ehe sie sich mit einem Hechtsprung in Sicherheit brachte.
Danea drückte die Verriegelung, während die Antikerin sich schon wieder auf die Beine kämpfte und nach vorn ins Cockpit hetzte. Trotzdem war sie nicht schnell genug. Erdbrocken wurden gegen das Heck des Jumpers geworfen, als die Granate hochging.
Vashtu startete ungeduldig die Triebwerke und zog den Gleiter hoch, um sofort wieder auf Tarnung zu gehen und eine Steilkurve zu fliegen, als ein Devi-Rochen direkt in ihrer Flugbahn auftauchte.
Wo kam der denn her?" keuchte sie.
Beinahe ohne ihr Zutun schoß eine Antiker-Drohne nach hinten und raste dem Jäger hinterher, während sie in der entgegengesetzten Richtung gen Ozean verschwand.
Danea kam endlich nach vorn, hockte sich auf den Copilotensitz und starrte nach draußen. „Schon wieder", murmelte er dabei.
Vashtu nickte mit verkniffener Miene.
Auf den letzten Planeten war es überall das gleiche gewesen. Und diese Seuche hing nicht nur ihr an, auch Lieutenant David Markham konnte kaum einen Planeten aufsuchen, auf dem es nicht von Devi wimmelte.
Tor anwählen", befahl sie, ließ den Jumper in das Wasser tauchen und behielt dabei weiter die Anzeigen im Auge.
Danea drückte die Symbole und wartete. Dann zog er ein kleines Gerät aus seiner Überlebensweste und drückte dort einen bestimmten Knopf.
Vineta, könnte etwas unsanft werden. Uns hängt ein Rochen direkt am Hintern", meldete Vashtu über Funk, beschleunigte noch etwas.
Doch das würde ihr wenig bis gar keine Zeit erkaufen. Immerhin mußte sie noch in das Autopilot-Feld des Tores. Und der Rochen war verdammt nahe an ihr dran. Ein Glück, daß das Stargate auf diesem Planeten fast auf dem Grund des Ozeans lag, so daß er seine Energiewaffen nicht einsetzen konnte.
Vashtu startete eine weitere Drohne in der mageren Hoffnung, den Rochen diesmal zu erwischen. Doch der wich geschickt aus.
Irgendeine Möglichkeit mußte es doch geben, diese Jäger auszuschalten, verdammt!
Das Tor tauchte vor ihr auf. Vashtu ließ die Tarnung fallen.
Achtung, wird holprig!" rief sie ihren beiden Begleitern zu. „Festhalten!"
Sie gab noch einmal vollen Schub und raste in den Schutzschild hinein, um fast aus ihrem Sitz gerissen zu werden, als der Autopilot übernahm und den Jumper in das Tor hineinzog.
Auf der anderen Seite materialisierte er sich wieder und blieb kurz vor dem Gate in der Luft stehen.

Andrea Walsh, die zuständige Technikerin für den Torbetrieb, schaltete sofort die beiden Schilde zu. Keine Sekunde zu früh, wie das kurze Aufleuchten ihr verriet.
Notfallteam in den Gateroom, sofort!" befahl die Stimme der Antikerin, die den Jumper jetzt so sanft wie möglich auf dem Boden des Torraumes absetzte.
Das Wurmloch fiel in sich zusammen, gerade als sich die Heckluke des klatschnassen Gleiters sich wieder öffnete.
Dr. Anne Stross, die gerade im Eilschritt aus ihrem Büro gekommen war, raste durch den Kontrollraum nach draußen, Walsh im Schlepptau.
Vashtu und Danea stützten zusammen den halb betäubten Peter und schleppten ihn aus dem Jumper heraus.
Einer dieser Energiestäbe hat ihn getroffen", meldete die Antikerin über das schmerzerfüllte Stöhnen hinweg.
Sorgsam setzten sie und Danea den Halbbetäubten auf der Treppe ab. Vashtu beugte sich über ihn, hob sein Gesicht. „Alles in Ordnung, Peter. Wir sind zu Hause", sagte sie, doch sie war sich nicht sicher, ob er sie überhaupt verstehen konnte.
Was ist passiert?" verlangte Anne aufgeregt zu wissen.
Vashtu richtete sich wieder auf, ließ eine Hand auf der Schulter des jungen Wissenschaftlers liegen. „Was wohl. Wir waren kaum da, als Devi auf P1V-139 auftauchten. Weit sind wir nicht gekommen. Das Dorf war noch mindestens eine halbe Stunde Fußmarsch entfernt."
Anne sah sie stirnrunzelnd an. „Das wäre dann der ..."
Siebte Planet diese Woche, ja, ich weiß", knurrte die Antikerin. „Und allmählich nehme ich es persönlich, das können Sie mir glauben."
Marc Boyer und zwei andere Pfleger der Krankenstation stürzten durch die obere Tür.
Vashtu blickte auf und nickte Anne dann zu. „Ich fliege den Jumper hier heraus, ehe Markham zurückkommt. Hoffentlich hat zumindest er ein bißchen mehr Glück diesmal."
Anne beobachtete, wie Babbis auf eine Trage gebettet und dann fortgetragen wurde, während der Jumper wieder vom Boden abhob und langsam Richtung Schott schwebte. Dann wandte sie sich Danea zu.
Was denken Sie?"
Der Erethianer zuckte mit den Schultern. „Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen, wir haben einen Verräter", antwortete er, folgte dann den Pflegern aus dem Gateroom hinaus.
Anne sah nun auch ihm nach, Walsh an ihrer Seite. Und ihrer beider Gesichter waren sehr ernst.

***

Als Vashtu kurz darauf die Krankenstation betrat, war Boyer gerade damit beschäftigt, Peter, der inzwischen ohnmächtig geworden war, Blut abzunehmen.
Wie geht es ihm?" Die Antikerin beugte sich besorgt über das Bett, was bei dem Pfleger einen unwilligen Blick auslöste.
Er wird wohl einen ziemlichen Brummschädel haben, wenn er wieder zu sich kommt", gab Boyer zu. „Ansonsten ist er aber unversehrt." Er richtete sich auf und funkelte die Antikerin an. „Und er sollte die Betäubung auch erst einmal ausschlafen, Major. Also lassen Sie das auch zu!"
Danea, der neben dem Bett auf einem eilig herbeigeschafften Stuhl saß, sah den Pfleger groß an, schwieg aber.
Vashtu richtete sich wieder auf. In ihren Augen stand Sorge. „Es ist das erste Mal, daß er von so einer Waffe getroffen wurde", erklärte sie. „Sind Sie sich sicher, daß alles glatt gehen wird?"
Boyer runzelte die Stirn. „Ich weiß, was ich tue, Major. Oder sind Sie neuerdings Ärztin?"
Ich mache mir nur Sorgen", entgegnete sie.
Dann geben Sie Ihre Sorgen besser an der Tür ab. Dr. Babbis wird es bald wieder gut gehen. Sie sollten sich besser um Ihre Arbeit kümmern. Immerhin sind Sie doch zuständig für die Torflüge, oder nicht?" Boyer funkelte sie gereizt an. „Dann sollten Sie die vielleicht neu ordnen. Immerhin ist Ihnen jetzt ein Pilot ausgefallen."
Vielleicht sollten wir alle uns erst einmal wieder beruhigen?" schlug Danea beschwichtigend vor.
Ich habe in den letzten Tagen mehr als genug Leute hier gehabt, die von diesen Waffen getroffen wurden. Ich weiß, was ich tue!" brauste Boyer gereizt auf.
Vashtu hob beschwichtigend die Hände. „Schon gut. Ich wollte nur sehen, wie es meinem Teammitglied geht."
Er wird es überleben. Es war nur ein Streifschuß. Fliegen wird er die nächsten Tage allerdings nicht können. Bis die Betäubung ganz abgeklungen ist, kann er die Schulter und den Arm nicht bewegen." Schnaubend drehte Boyer sich um und marschierte in den angrenzenden Raum hinein, in dem sich das Labor verbarg.
Vashtu sah ihm mit langem Hals nach und runzelte die Stirn. „Diese Stabwaffen sind alles andere als leicht zu nehmen", murmelte sie dem Pfleger nach, doch so leise, daß dieser es sicher nicht hören konnte. Sie kreuzte die Arme vor der Brust und sah wieder zu dem bewußtlosen Peter hinunter.
Machen Sie sich keine Sorgen. Es tut nicht wirklich lange weh", sagte Danea mit einem zerknirschten Lächeln.
Vashtu hob die Brauen. „Bei Peter wird es sich anhören, als würde er gleich sterben müssen, fürchte ich", seufzte sie ergeben, sah sich dann ihrerseits nach einem Sitzplatz um, um neben dem jungen Wissenschaftler warten zu können, bis dieser wieder zu sich kam.
Danea betrachtete sie nachdenklich. „Wird ein bißchen viel, oder?" fragte er schließlich.
Vashtu blinzelte. „Was?" Sie blickte hoch.
Die Devi. In letzter Zeit ist der einzige, der bis jetzt nicht betroffen war, Dr. Babbis." Danea nickte zu dem Bewußtlosen hinunter.
Vashtus Brauen schoben sich wieder zusammen. „Ein dummer Zufall, mehr nicht", entgegnete sie. Dann beobachtete sie, wie Leben in die Krankenstation kam.
Boyer raste aus dem Labor heraus, zwei Pfleger, die gleichen, die auch Peter auf die Bahre gelegt hatten, folgten ihm aus einem anderen Raum.
Markham also auch", seufzte sie ergeben.
Welche Seuche hatten sie sich da denn nur eingefangen? Es war ja schon beinahe unheimlich, wieviele Übergriffe von Seiten der Devi sie in den letzten Tagen zu verzeichnen hatten. Es wirkte wirklich, als hätten sie einen Verräter unter sich, mußte sie zugeben. Aber wer sollte sie an die Hybridwesen verraten? Und warum? Es war niemand zu ihnen gestoßen, und auch niemand irgendwie aufgetaucht, der vielleicht etwas hätte herausfinden können.
Vashtu dachte nach.
Das ganze war unheimlich und hatte bereits vor einer Woche begonnen, war mit der Zeit aber immer öfter geschehen. Ein oder zweimal, das ließ sie sich ja noch gefallen. Aber die Häufigkeit, mit der die Angriffe nur allein in dieser einen Woche bisher erfolgt waren, sprachen da eine ganz eigene Sprache. Und irgendwie wollte sie das Gefühl nicht loswerden, daß das ganze vielleicht sogar noch schlimmer werden konnte, je nachdem.
Major?" meldete sich ihr Funkgerät.
Vashtu warf Peter einen langen Blick zu, dann aktivierte sie das kleine Gerät in ihrem Ohr. „Ja?"
Würden Sie bitte umgehend im Konferenzraum erscheinen? Und bringen Sie bitte Danea mit", hörte sie Walshs Stimme, wechselte einen ratlosen Blick mit dem Erethianer.
Aber ... Dr. Babbis ist noch ..."
Kommen Sie bitte sofort, Major", wiederholte Walsh mit eindringlicher Stimme.
Vashtu zögerte noch einen Moment, dann zuckte sie etwas hilflos mit den Schultern. „Gut, wir sind unterwegs. Uruhk Ende." Sie deaktivierte das kleine Gerät und nickte Danea zu. „Stross will uns sprechen."

TBC ...

03.06.2012

Klimawandel VIII


Anne sortierte die restlichen Unterlagen zusammen und dachte angestrengt nach.
Alles in allem war die Versammlung doch wohl recht positiv verlaufen, wie sie fand. Überrascht hatte sie vor allem aber die Aussage der Antikerin, diese Galaxie nicht zu verlassen. Bisher hatte sie eigentlich eher angenommen, Vashtu wolle so schnell wie möglich von hier fort, aus der Stadt, für deren Schicksal sie sich irgendwie verantwortlich fühlte. Jetzt zu erfahren, daß dem wohl doch nicht so war, beruhigte sie und ließ sie hoffen.
Sergeant Dorn würde in ein paar Wochen wieder zurückkehren auf seinen Posten. Sie beide hatten sich diesen Plan zurechtgelegt in der Hoffnung, Major Uruhk für die Leitung Vinetas gewinnen zu können. Und bisher, das mußte Anne wohl oder übel zugeben, schien der alternde Marine mit seiner Annahme richtig zu liegen, ebenso wie sie mit ihrer Vermutung. Die Antikerin blühte im Moment richtig auf, da sie nicht nur Vorschläge machen, sondern diese auch ohne große Absprachen durchführen konnte. Die Änderungen in der kleinen Wachmannschaft waren bis jetzt schon beeindruckend genug, da brauchte man gar nicht die offensichtliche neu belebte Motivation der Männer zu bedenken. Die Taten der Majorin hatten sich wohl schon ziemlich weit herumgesprochen und führten zu einer Akzeptanz eines Offiziers aus einer anderen Waffenform, noch dazu aus einer, die mit den Marines nicht so recht zurechtkam.
Die Lockerheit, die Major Uruhk sonst an den Tag gelegt hatte, fehlte Anne ein wenig. Doch sie war sich sicher, diese irgendwann wiederzusehen. Im Moment schien für die Antikerin noch alles recht neu, und die Zeit, in der sie gegen die Drogen in ihrem Körper hatte ankämpfen müssen, lag noch nicht so weit zurück. Und sie schien sich wirklich Sorgen wegen der Devi zu machen, das war mehr als deutlich geworden bei der Besprechung.
Anne hob den Kopf, als sie laute Stimmen auf dem Gang vor den Türen hörte.
Vashtu und ... Dr. Babbis? Worüber stritten die beiden sich denn jetzt?
Anne war einen Moment lang versucht, das ganze zu ignorieren, bis sich plötzlich die vorderen Wände wieder bewegten und sie aufblicken ließen.
Major Vashtu Uruhk marschierte zurück in den Konferenzraum, dicht gefolgt von Dr. Peter Babbis, und die beiden wetterten immer noch gegeneinander.
Die Daten sind nicht vollständig!"
Sie sind vollständig genug!"
Sind sie nicht, und das wissen Sie auch ganz genau!"
Verdammt, Peter, wir haben mehr als nur einen Brand ausgelöst. Wir sollten daran arbeiten, zumindest diese Katastrophe zu verhindern!"
Und wie? Selbst wenn die Daten wider Erwarten doch stimmen sollten, wie wollen Sie das dann aufhalten?"
Eine kontrollierte Gegenreaktion würde vielleicht helfen."
Sind Sie irre?"
Nein, ich will nur nicht erfrieren!"
Dann sollten Sie vielleicht einmal nachdenken. Eine kontrollierte Gegenreaktion würde eine zweite Zündung von der anderen Seite des Planeten bedeuten. Und wir hätte wieder einen Brand."
Das wäre zumindest besser als das, was Sie mir hier präsentieren!"
Kann ich Ihnen beiden vielleicht helfen?" Anne hatte sich aufgerichtet, fixierte die beiden Streitenden, die sich offensichtlich an einen ruhigen Ort hatten zurückziehen wollen, um ihr Wortgefecht weiter austragen zu können.
Babbis atmete tief ein, funkelte die Antikerin böse an. „Das haben Sie angerichtet!"
Woher sollte ich denn wissen, daß hier noch jemand ist? Ich habe keinen Röntgenblick!" gab die zurück.
Naja, zumindest ein kleines bißchen der alten Vashtu Uruhk schien wieder zurückgefunden zu haben in die Gegenwart.
Anne seufzte und kreuzte die Arme vor der Brust. „Was gibt es denn so dringendes?" wiederholte sie ihre Frage.
Vashtu sah sie einen Moment lang an, dann hob sie einen Ordner, in dem sie bis jetzt geblättert hatte. „Ich habe Babbis die Sache mit dem Klima noch einmal durchrechnen lassen", antwortete sie.
Ja, mit den Gegenwerten von vor schlappen zehntausend Jahren. Vashtu, seien Sie vernünftig. Meine Berechnungen sind wahrscheinlich so viel wert wie ... wie ..." Hilflos zuckte er mit den Schultern.
Zehntausend Jahre?" Anne schmunzelte leicht amüsiert, streckte dann die Hand aus. „Kann ich sehen?"
Vashtu trat näher und reichte ihr den Ordner, unter einem weiteren, wütenden Blick des jungen Wissenschaftlers.
Anne blätterte und las hier und da etwas, doch viel sagten ihr die Berechnungen nicht. Bis zur letzten Seite, dort wo etwas ausgeschrieben stand. Und zwar die Prognosen und Ergebnisse der Berechnungen. Unwillkürlich riß sie die Augen auf, als sie den kurzen Text las. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie in ein Paar ernste, sprechende Augen. Die Antikerin nickte stumm.
Anne wandte sich Babbis zu und hielt ihm den Ordner hin. „Und wenn Sie sich irgendwo verrechnet haben?" fragte sie.
Hat er nicht", entgegnete Vashtu mit angespannter Stimme.
Dann könnten wir demnächst in den Tropen aufwachen. Und jetzt hören Sie endlich mit Ihrer Unkerei auf, Vashtu! Es ist durchaus möglich, daß irgendwo ein Rechenfehler vorliegt."
Wir schliddern in eine Eiszeit, Peter, das und nichts anderes tun wir!" Vashtu war zu ihm herumgefahren und blitzte ihn wütend an. „Selbst wenn Sie sich irgendwo anders verrechnet haben, steht da immer noch das eine Grad, das Erethia von seiner normalen Umlaufbahn abgewichen ist. Und dieses eine Grad können selbst Sie nicht wegdiskutieren!"
Und das steht fest?" fragte Anne mit zitternder Stimme.
Oh Gott, nur nicht das auch noch! Sie war froh, daß sie gerade irgendwie über die Runden kamen. Jetzt auch noch eine Eiszeit zu überstehen, würde vielleicht die Kräfte übersteigen.
Ja!"
Nein!"
Vashtu funkelte den jungen Wissenschaftler wieder an. „Seit wann zweifeln denn ausgerechnet Sie an Ihrem eigenen Können, Peter?" fragte sie lauernd.
Das tue ich nicht! Aber die Vergleichsparameter sind einfach zu alt", verteidigte der sich.
Anne sank gegen den Tisch, schlug erneut den Ordner auf und las sich die letzte Seite noch einmal sehr genau durch. „Und den Mond werden wir verlieren?"
Sieht so aus. Er ist ja jetzt schon kaum auszumachen", antwortete Vashtu. „Wahrscheinlich haben wir nur beschleunigt, was sich ohnehin schon lange angekündigt hat. Über die nächsten Jahre werden wir ihn noch nutzen können, aber irgendwann gerät er in ein anderes Feld - und dann müssen wir von dort verschwinden."
Anne nickte.
Zumindest ein kleines bißchen Zeit. Vielleicht gerade genug, um irgendwie unabhängig von diesem Mond zu werden. Aber wie? Wenn sie tatsächlich in eine Eiszeit gerieten, würden sie nicht in der Lage sein, irgendetwas auf diesem Planeten anzubauen. Und ob der zweite Mond ... ?
Was ist mit dem anderen, dem großen?" fragte sie hoffnungsvoll.
Vashtu hob die Hände. „Vom All aus wirkt er nicht sehr vielversprechend. Selbst wenn wir irgendwie Terraforming betreiben könnten, bezweifle ich, ob der hochzupäppeln ist. Aber wir können gern nachsehen. Allwissend bin ich nicht."
Anne nickte, kniff die Lippen aufeinander. „Aber wir haben diese paar Jahre", wiederholte sie.
Ja, die haben wir auf alle Fälle", bestätigte nun Peter Babbis. „Selbst wenn sich irgendwo ein Rechenfehler ..."
Sie haben sich nicht verrechnet!" Vashtu warf ihm einen warnenden Blick zu.
Anne schluckte. „Dann sollten wir die Jahre nutzen, die wir haben." Sie blickte auf und sah die Antikerin offen an. „Ihr Vorschlag mit einer Alpha-Basis klang nicht schlecht. Vielleicht finden wir sogar einen bewohnbaren Planeten, der verlassen und fruchtbar ist."
Sie konnte die deutlichen Zweifel in den dunklen Augen lesen, doch dann nickte Vashtu. „Ja, vielleicht."

***
 
Es war der erste Tag, an dem er endlich wieder frische Höhlenluft schnappen konnte. Nicht daß es da einen besonders großen Unterschied gegeben hätte. Die Hohlenluft schien sogar noch etwas ... naja, hielt man sich allzu lange in den gewaltigen Gebäuden auf, fiel es erst richtig auf, wie feucht und muffig es hier roch.
Aber er beschwerte sich nicht. Das tat er nie. Er hatte in seinem Leben gelernt, sich auf jede mögliche Situation einzustellen, und das tat er auch jetzt. Außerdem war er in einem Auftrag unterwegs, einem sehr wichtigen Auftrag sogar.
Er hielt sich im Schatten eines der großen Wohngebäude, die zur Zeit nicht genutzt wurden, aber direkt an der Hauptstraße gelegen war. Und er wartete, sicher, daß sein Opfer so bald wie möglich zu ihm kommen würde. Immerhin sollte es auch in einem wichtigen Auftrag unterwegs sein, so war ihm gesagt worden.
Also wartete er, voller stoischer Ruhe und Gelassenheit und beobachtete die Passanten. Die wenigsten von ihnen hielten sich hier ganz zufällig auf. Vielmehr sollten sie sein Opfer ... nun ja. Man würde sehen, ob der Plan aufging.
Und da hörte er es. Das Rollen. Laut und vernehmlich hallte es durch den gewaltigen Dom der Höhle, schien sich in den Löchern zu fangen und zurückgeworfen zu werden.
Er verharrte im Hauseingang und gab ein Zeichen.
Achtung! Aus der Bahn!" rief eine Frauenstimme, während das Rollen beinahe zu einem Getöse wurde.
Er richtete sich auf und hielt seine Waffe bereit.
Die „Passanten" verhielten sich, wie er es ihnen gesagt hatte. Sie ließen nur einen schmalen Pfad offen, den sein Opfer nehmen mußte. Allzu schmal und sehr dicht am Hauseingang vorbei.
Er machte sich bereit, lehnte sich gegen die Wand.
Bahn frei!" rief die Stimme wieder, wurde jetzt fast von dem Rollen übertönt.
Und dann tauchte sein Opfer auf.
Ihm blieb nicht viel Zeit, doch er vertraute auf seine geschulten Reflexe. Und sobald er sein Opfer da hatte, wo er es haben wollte ...
Sergeant George Dorn schnellte vor und schlug mit seiner Krücke zu, gerade als die Antikerin direkt neben ihm auftauchte. Sie hatte nicht mehr die Zeit zu reagieren. Der Metallstock prallte hart auf ihren Oberarm und ihre Brust. Und sie verlor das Gleichgewicht.
Mit überraschter Miene plumpste sie wenig elegant auf ihren Hosenboden und starrte ihn groß an, während der Oberpfleger Marc Boyer, mit dem zusammen Dorn diesen Plan ausgeheckt hatte, das selbstgebastelte Skateboard an sich nahm und die Antikerin mit einem bösen Blick bedachte.
Hey!" entrüstete Vashtu sich, richtete sich wieder auf.
Dorn hielt die Krücke wie ein Schwert auf sie gerichtet und schüttelte den Kopf.
Vashtu starrte ihn entgeistert an. „Aber ... Das ist mein Board!" wagte sie sich dann zu entrüsten.
Konfisziert", entgegnete er einfach, senkte die Krücke wieder und humpelte auf sie zu. „Wegen Gefährdung des öffentlichen Straßenverkehrs."
Vashtus Brauen schoben sich zusammen. „Das ist unfair!"
Ist es nicht. Du störst die Ruhe, Vash", entgegnete er. „Und wage ja nicht daran zu denken, dir ein neues zu bauen." Damit wandte er sich ab und humpelte Boyer nach.
Vashtu Uruhk blieb, die Arme vor der Brust gekreuzt, mit funkelnden Augen auf der Straße stehen und sah dem Marine nach. Dann hellte sich ihre Miene wieder auf und sie schmunzelte, ehe sie, voller Elan, den Weg wieder zurück marschierte, den sie gerade gekommen war.

Ende