25.03.2012

2.08 Klimawandel


Aus dem Weg! Achtung!"
Danea Il'Eskanar sprang mit großen Augen in den nächsten Hauseingang, als plötzlich etwas an ihm vorbeisauste. Mit einer Geschwindigkeit, die er jemandem wie Sergeant Dorn niemals zugetraut hatte.
Dann aber ging ihm auf, daß er gerade nicht den Marine gesehen hatte, der ohnehin im Moment auf der Krankenstation war und dort das Laufen neu lernte mit seinem künstlichen Bein, sondern jemand anderen. Eine schlanke Gestalt mit kurzen schwarzen Haaren, die an ihm ... vorbeigerollt war?
Danea drehte sich um und staunte einfach nur.
Major Vashtu Uruhk stand auf einem kleinen Brett mit Rädern, lehnte sich gerade in die Kurve und verschwand um die nächste Hausecke. Unter ihrem Arm hatte sie etwas getragen.
Aber ... was war das für ein merkwürdiges Brett?
Danea joggte zurück, als er erneut diesen Ausruf hörte.
Aus dem Weg! Achtung!"
Ungläubig blinzelnd beobachtete er die so merkwürdige Schöpferin, wie sie auf ihrem Brett geschickt Nesrin und Basbara, das neue Paar in den Reihen der Erethianer, umkurvte, gezielt auf den gewaltigen Zentralturm zuhielt.
Danea zögerte nun nicht mehr. Die Neugier hielt ihn fest gepackt. Er joggte mit schnellen Schritten hinter der Schöpferin her. Die hatte mittlerweile einen Fuß von ihrem fahrbaren Untersatz gelöst und gab dem Brett mehr Schwung, weil sie wohl an Geschwindigkeit verloren hatte während der Umschiffung der beiden Erethianer.
Danea beobachtete sie genau, konnte sich allerdings noch immer keinen Reim auf das machen, was er da sah. Wie kam man auf den Gedanken, ein Brett mit Rädern zu versehen und damit dann durch die Stadt zu fahren? Zumal der Major doch wohl ebensogut einen der Lifte hätte benutzen können für den Weg.
Er beschleunigte seine Schritte, um halbwegs mit ihr Schritt zu halten.
Eine Gruppe Wissenschaftler tauchte vor ihnen auf. Wieder stieß die Antikerin ihren Ruf aus und erntete ungläubige Blicke. Aber zumindest war es Danea, als würden diese fremden Menschen, die ihm schon mehr als genug Rätsel aufgaben, erkennen, um was für ein Brett es sich da handelte, auf dem Vashtu Uruhk sich fortbewegte. Bruchstückhaft schnappte er etwas von einem „Board" auf, konnte damit erst recht nichts anfangen.
Geschickt bremste die Schöpferin vor dem Zentralturm, indem sie offensichtlich ihr Gewicht auf den hinteren Teil des beräderten Brettes verlagerte, es auf diese Weise wohl aus dem Gleichgewicht brachte. Genau konnte Danea es nicht erkennen. Jedenfalls bremste sie irgendwie ab und sprang von ihrem eigenartigen fahrbaren Untersatz herunter, um ihn dann, mit einem Fuß angekickt, aufzunehmen und unter den anderen Arm zu klemmen.
Major! Warten Sie!" rief er ihr zu.
Überrascht drehte sie sich zu ihm um und blinzelte. Dann breitete sich ein Lächeln über ihr Gesicht aus. „Danea, wollten Sie zu mir?"
Der junge Erethianer verlangsamte seine Schritte wieder, blieb schließlich bei ihr stehen und musterte voller Interesse dieses eigenartige Brett. „Was ist das?" fragte er nach einigem Zögern und wies mit einer Hand darauf.
Major Uruhk blinzelte wieder, senkte dann den Blick. „Ein Skateboard", antwortete sie schulterzuckend. „Wollen Sie mit?" Sie nickte zum Turm hin.
Danea zögerte wieder, nickte dann aber und folgte ihr dichtauf.
Was war, bei allen Dämonen der acht mal acht mal acht Höllen, ein Skateboard? Er hoffte, auf diese Frage doch irgendwann eine Antwort zu erhalten. Zumindest hatte er endlich erkannt, was sie unter dem anderen Arm geklemmt trug: einen Planetenkiller. Offensichtlich war sie gerade auf dem Weg in die Energieversorgung der Stadt.
Er betrat hinter ihr den gewaltigen Turm, der die Decke der riesigen Höhle zu kratzen schien, und wurde gleich von einer ernst dreinblickenden Dr. Anne Stross begrüßt.
Major, wie oft soll ich Ihnen noch sagen, daß Sie das unterlassen sollen? Schön, wenn Sie sich irgendwie betätigen, aber dieses Ding ist lebensgefährlich für jeden, der Ihnen über den Weg läuft", wetterte die Leiterin der Stadt los.
Major Uruhk warf Danea einen zwinkernden Blick über die Schulter zu, drehte sich dann mit einem vollkommen unschuldigen Gesichtsausdruck wieder zu Stross um. „Meinen Sie den PK? Der ist auf Energieabgabe geeicht. Wir müssen den Schutzschild wieder austauschen, Doc." Ihre Stimme klang lässig bei diesen Worten.
Danea konnte sich ein Kichern kaum verkneifen.
Stross funkelte ihn ebenso wütend an wie die Antikerin. „Lassen Sie Ihr Board bitte in Ihrem Quartier, Major! Wir werden schon noch irgendein Plätzchen finden, wo Sie es problemlos fahren können. Aber nicht auf den öffentlichen Straßen!"
Ich warne doch vor", verteidigte die Antikerin sich.
Ja, damit auch wirklich jedem beinahe das Herz stehenbleibt! So geht das nicht. Entweder Sie lassen ihr Skateboard in Ihrem Quartier, oder ich werde dafür sorgen, daß es konfisziert wird."
Ein breites Grinsen breitete sich über Major Uruhks Gesicht aus. „Solange Dorn in der Krankenstation ist, bin ich seine Stellvertreterin. Sie wollten das so. Und ich werde nicht mein eigenes Board konfiszieren. Bis dann, Doc. Kommen Sie, Danea?" Mit diesen Worten ließ sie die Wissenschaftlerin mitten im Gang stehen und marschierte strammen Schrittes zur Treppe.
Wir reden über diese Angelegenheit noch, Major!" drohte Stross ihr, doch die Antikerin ließ diese Drohung an sich abprallen wie Wasser.
Und von Ihnen hätte ich ein bißchen mehr Verantwortungsgefühl erwartet, Danea", wandte Stross sich unversehens an den jungen Erethianer.
Ehe sie um die erste Kehre der Treppe bog, warf Major Uruhk noch einen triumphierenden Blick und ein sehr zufriedenes Grinsen zu ihm zurück. Und Danea ging es auf, daß sie ihn eigentlich nur mit in den Turm genommen hatte, damit Stross von ihr abgelenkt war.
Verständnislos schüttelte er den Kopf. „Was, bitte, ist ein Skateboard?" fragte er die Wissenschaftlerin. Der klappte mit einem dumpfen Laut der Mund zu.

***

Dr. Peter Babbis steuerte den Puddlejumper durch den Sturm, der über diesen Teil von Erethia tobte. Eigentlich hatte er sich diesen Flug etwas anders vorgestellt. Immerhin chauffierte er die hübsche Französin Dr. Jaqueline LeDunde - eine Französin wohlgemerkt! Doch die schien tatsächlich nur das Wetter im Kopf zu haben. Statt eines romantischen Picknicks hatte sie in aller Eile die Meßsonden kontrolliert, die ihr Team schon vor einer Weile an verschiedensten Stellen des zerstörten Planeten aufgestellt hatte. Und jetzt klebte sie geradezu an dem großen Frontfenster und starrte hinaus.
Das dachte ich mir", sagte sie schließlich, lehnte sich mit einem sichtlich zufriedenen Lächeln zurück und griff sich erneut ihr Pad, in dem sie auch die Daten der Meßsonden gespeichert hatte.
Peter fühlte sich in seiner männlichen Ehre untergraben. Was mußte man denn noch auffahren, um diese Frau zu beeindrucken? Außerdem glaubte er, in ihren Augen sei er inzwischen kaum mehr als ein Roboter, der dazu da war, sie von A nach B zu bringen.
Ein Sturm?" erkundigte er sich.
Hagelkörner schlugen den das Frontfenster. Er korrigierte die Flugbahn und brachte den Jumper in höhere Luftschichten.
Wenn ich mir die Aussagen der Erethianer ansehe, sollten wir noch längst nicht soweit sein. Orkane sind ein Phänomen der Zwischenzeiten, nicht des Sommers - oder nur in den seltensten Fällen", antwortete sie mit ihrem verführerischen Akzent.
Peter blinzelte, setzte sich gerade auf. War er gerade wieder zu einem lebenden Wesen aufgestiegen in ihren Augen? Man sollte es doch kaum für möglich halten.
Was meinen Sie?" fragte er. „Immerhin ... äh, in den USA gibt es den Sommer über Tornados."
Tornados, Dr. Babbis! Tornados", entgegnete sie in einem Tonfall, als würde der bereits alles erklären.
Peter zuckte mit den Schultern. Tornados waren in seinen Augen auch Stürme. Aber gut, er war auch kein Meterologe. Und seit der Sache mit dem Megasturm ... Nun, er hielt es da eher mit gutem Wetter.
Aber möglicherweise konnte er damit auch bei ihr weiter punkten ... ?
Ich habe übrigens als Thema meiner Doktorarbeit die Megastürme gewählt", begann er zu erzählen. „SG-27 wurde auf einen Planeten der Milchstraße geschickt, auf dem ein solcher ..." Er verstummte, als er bemerkte, daß sie ihm gar nicht zuhörte.
Das schien ja noch heiter zu werden. Hoffentlich würde er bald umkehren können.
Fliegen Sie bitte etwas niedriger, ja?" bat LeDunde kurze Zeit später.
Peter warf ihr einen verächtlichen Blick zu, senkte den Jumper wieder ab.
Die Wolken, über die er bis jetzt geflogen war, verschluckten sie wieder. Doch hier war nichts mehr von dem Sturm zu fühlen, der vorhin noch an dem kleinen Gleiter gerissen hatte. Statt dessen tauchte tief unter ihnen eine ... Wasserfläche auf?
Peter blinzelte, ging tiefer und glaubte seinen Augen nicht mehr trauen zu dürfen.
Seit wann gab es auf Erethia ein Meer? Er meinte sich erinnern zu können, daß vor ihrer ersten Landung nicht einmal ein Wort darüber gefallen war. Dabei hatte Vashtu doch den ganzen Planeten gescannt. Und auch die erste Expedition nach der verheerenden Katastrophe mit den PKs hatte keinen Hinweis darauf ergeben. Und doch breitete sich jetzt unter ihm, von Horizont zu Horizont, eine gewaltige Wasserfläche aus.
Interessant. Genau das richtige für diese Klimabildung", bemerkte LeDunde an.
Ein Meer?" fragte er irritiert.
Ein Ozean, Dr. Babbis." Wieder dieser verächtliche Tonfall, der ihn auf den Stand eines Schuljungen degradieren wollte.
Wir haben einen Ozean hier?"
Einzelne Inseln ragten aus der gewaltigen Wasserfläche. Inseln, die allerdings eigenartig geformt waren.
Bedenken Sie Vineta, Dr. Babbis", fuhr LeDunde fort. „Dieser Planet besteht aus mehreren Schichten. Ich sollte mich darüber noch einmal mit Dr. Carpenter unterhalten."
Carpenter! Peter verzog angewidert das Gesicht. Ausgerechnet dieser selbstvergessene Steineklopfer von einem Geologen. Nein, danke.
Möglicherweise lagen Teile dieses Ozeans, ebenso wie die Stadt, unter dem Gestein der Oberfläche. Der Brand könnte die Massen weiter perforiert haben, so daß die äußere Hülle aufbrach", fuhr LeDunde fort. „Auf jeden Fall aber könnte sich das hier als ein großes Problem erweisen. Können wir vielleicht eine Wasserprobe nehmen?"
Hieß er Vashtu Uruhk?
Peter zögerte, nun doch versucht, ein wenig männlicher dazustehen, dann aber fand er sich mit den Gegebenheiten ab. Und die hießen, er war ein Fluganfänger, noch dazu in einer Maschine, die er nicht ganz verstand. Er war überhaupt froh, daß die Jumper vom Boden abhoben, wenn er hinter den Steuerelementen saß.
Stumm schüttelte er den Kopf.
Da tauchte auf der holografischen Projektion etwas auf, eine Meldung, die er, wieder einmal, wie er seufzend feststellte, nicht lesen konnte.
Oh, das ist gut", freute LeDunde sich.
Was?" Er schob seine Brauen zusammen, starrte auf die fremden Schiftzeichen.
Gehen Sie etwas tiefer. Eine Meßeinheit wird uns eine Probe verschaffen. Dann können wir den Salzgehalt des Ozeans prüfen."
Eine Meßeinheit? Was für eine Meßeinheit?
Die AI reagierte prompt auf seine Frage, ließ einen neuen Bildschirm entstehen, offensichtlich eine Art Hilfeprogramm. Nur leider konnte er das ebensowenig lesen wie die Meldung davor.
Seufzend fügte er sich in sein Schicksal, ging tiefer, sobald er meinte, eine ausreichend lange weite und gerade Fläche gefunden zu haben.
Das könnte noch einiges erklären, denken Sie nicht?" LeDunde lächelte ihn an und sank entspannt in den Copilotensitz zurück.
Erklären?" Die Frage klang dumpf in seinen Ohren.
Ja, erklären, Dr. Babbis."
Dr. Babbis, wie weit sind Sie?" meldete sich in diesem Moment die Stimme von Andrea Walsh in seinem Ohr.
Peter zuckte tatsächlich kurz zusammen. Irgendwann mußte doch einmal jemandem auffallen, daß es hier eine Sprecheinrichtung mit Lautsprechern gab, Herrgottnochmal! Er sollte das wirklich noch einmal Vashtu vortragen.
Er tippte kurz auf das Empfangsteil des winzigen Funkgerätes. „Wir haben da etwas gefunden und nehmen gerade eine Probe. Ansonsten ..." Er warf LeDunde einen fragenden Blick zu und wartete auf ihre Reaktion. Als sie nickte, fuhr er fort: „Wir sind gleich auf dem Weg zurück."
Gut, Major Uruhk hat ein Treffen der Piloten einberufen, um die Aufgaben für diese Woche zu verteilen", erklärte Walsh. „Da Sie mit dazu gehören, wäre es vielleicht nicht schlecht, wenn Sie so schnell wie möglich zurückkämen. Packen Sie den Turbo aus, Dr. Babbis. Vineta Ende."
Ein deutliches Klicken in der Leitung.
Den Turbo?" Peter atmete tief ein, zog den Jumper wieder hoch. „Hast du einen Turbo?" fragte er den Gleiter ernsthaft und achtete nicht auf den verwirrten Blick, den LeDunde ihm zuwarf.

TBC ...

18.03.2012

Kalter Entzug VII


Drei Tage vor der Rückkehr:
Major?"
Vashtu blickte verschlafen auf und blinzelte einige Male. Sie fühlte sich so unendlich müde, so ... sie wußte es selbst nicht wirklich zu sagen, was da eigentlich in ihr vor sich ging.
Pendergast ließ sie inzwischen immer öfter zu sich bringen. Die Leistungstests schienen abgeschlossen zu sein, aber auch an die erinnerte sie sich nicht mehr wirklich, ebenso wie an die Gespräche mit dem Colonel. Alles schien ihr eigenartig weit entfernt zu sein. So weit entfernt, daß sie es kaum greifen konnte.
Major Uruhk?" hörte sie die Stimme wieder, die sie aus dem Schlaf gerissen hatte.
Vashtu gähnte herzhaft, setzte sich nun doch auf und blinzelte wieder zur Tür.
Bates war weg!
Was ... ?"
Benommen schüttelte sie den Kopf, rieb sich die Nasenwurzel mit zwei Fingern.
Seit wann war ihr persönlicher Schatten verschwunden? Irgendwie wußte sie, es sollte sie interessieren. Auf der anderen Seite aber ... Es war soviel bequemer, sich diesem Wissen nicht zu stellen, sondern sich einfach wieder auf die Pritsche sinken zu lassen und weiter zu schlafen.
Major Uruhk, sind Sie da?" zischte die Stimme nun zum dritten Mal.
Okay, offensichtlich wollte wohl doch jemand etwas von ihr.
Stöhnend setzte Vashtu die Füße, warum ging sie mit Stiefeln ins Bett?, auf den Boden. Schwankend kam sie auf die Beine und tapste etwas hilflos zur Tür. Verschlafen drückte sie den Türöffner, doch nichts rührte sich.
Mit einem Mal war sie wacher, wenn auch lange noch nicht wach genug.
Blinzend berührte sie erneut den Öffner, doch das Schott glitt nicht zurück.
Vashtu sah sich irritiert um, drückte dann ihr Ohr an das Metall. „Die Tür ist zu", sagte sie und wartete.
Ich weiß", kam die Antwort von der anderen Seite.
Endlich war es ihr, als würde sie die Stimme erkennen. Einer der anderen Majors ... Barnes? Aber wieso?
Hören Sie, Major", zischte es von der anderen Seite. „Wir haben nicht viel Zeit. Bates wird bald mit Ihrem Abendessen zurück sein. Ich wollte Ihnen mitteilen, daß wir vielleicht eine Möglichkeit gefunden haben, wie wir Sie in die Stadt zurückbringen können, möglicherweise mit Heimdahl zusammen."
Vashtu versuchte sich zu konzentrieren, doch so recht wollte ihr das nicht gelingen.
Was war denn nur los mit ihr?
Sie fühlte etwas eigenartiges und sah auf ihre Hände hinunter. Die zitterten leicht.
Verblüfft und fasziniert zugleich hob sie den linken Arm und betrachtete, wie ihre Hand leise im Gelenk bebte. Was war das?
Major Uruhk? Sind Sie noch da?" flüsterte Barnes von der anderen Seite der Tür.
Vashtu riß sich von dem Anblick ihrer zitternden Hand los, drückte ihr Ohr wieder an das kühle Metall. „Ja ... ja, ich bin noch da."
Pendergast hat irgendetwas mit Ihnen vor, Major", zischte Barnes. „Bates hat da etwas in der Messe verlauten lassen, aber wir wurden nicht so recht schlau daraus. Aber wir wußten, es ist besser für Sie, wenn Sie so schnell wie möglich verschwinden vom Schiff."
Vashtu nickte sinnend, schüttelte dann den Kopf, als ihre Konzentration wieder abzugleiten begann. „Gut", flüsterte sie. „Wann geht es los?"
Frederics wird Sie holen. Erinnern Sie sich noch an ihn? Jung, rot-braunes Haar und vorlaut - paßt zu Ihnen", beschrieb Barnes.
Ein kleines Lächeln umspielte Vashtus Mundwinkel. „Okay. Ich ... ich bin bereit."
Sie hörte eine zweite Stimme, die ihr ebenfalls bekannt vorkam, doch die sie nicht zuordnen konnte. Ebensowenig wie sie die Worte verstehen konnte. Aber zumindest die letzte Frage wurde ihr schnell beantwortet.
Bates kommt zurück. Wir sehen uns."
Ein letzter Rest ihres Verstandes sagte ihr, sie solle so schnell wie möglich wieder zurück auf die Pritsche. Halb taumelnd, halb schlurfend schaffte sie den Weg sogar, ließ sich einfach fallen und vergrub ihr Gesicht in dem Kissen.
Was Barnes sich da wohl dachte? Es war doch alles in Ordnung, oder?

***

Jetzt:
Dr. Stross, ein Funkspruch", meldete Andrea Walsh mit einem eigenartigen Unterton in der Stimme.
Anne, die an ihrem Schreibtisch gesessen und mit sorgenvoller Miene die neuesten Berichte von Dorn studiert hatte, blickte auf. „Ja? Was für ein Funkspruch?"
Wieder begann ihr Herz schneller zu schlagen. War die Abschirmung des militärischen Hauptgebäudes doch nicht so hundertprozentig, wie sie bisher angenommen hatten? Oder spielte vielleicht sogar die Verwandlung von Major Uruhk eine Rolle dabei? Mutierte nicht nur ihr Aussehen und wurde ihr mehr Kraft verliehen? Sorgte diese körperliche Veränderung vielleicht auch dafür, daß der ID-Chip unter ihrer Haut besser erreichbar war für die Scanner der Prometheus? Denn wer sonst sollte sie anfunken? Den Torbetrieb hatte sie erst einmal aussetzen lassen, damit sie ihre anderen Probleme in den Griff bekamen. Es befanden sich keine Teams mehr auf anderen Planeten, und innerhalb der Stadt? Dann würde Andrea sicher nicht so irritiert klingen.
Wer ist es? Pendergast?" fragte sie.
Äh, nein, Doktor", antwortete die Technikerin. „Es ist ... Major Barnes."
Anne richtete sich stocksteif auf.
Barnes? Aber der sollte doch unter Arrest stehen nach allem, was sie wußte.
Stellen Sie durch!" keuchte sie.
Es knisterte augenblicklich in ihrem Ohr. Die Funkeinrichtung, die der Major benutzte, war offensichtlich alles andere als sonderlich modern und neu.
Major? Wo sind Sie? Ich hörte ..." Anne stand unvermittelt auf und begann, ihr Büro mit Schritten zu durchmessen.
Alles in Ordnung, Doc", antwortete der Air Force-Offizier mit ruhiger Stimme. „Machen Sie sich keine Sorgen um uns. Es geht uns gut - allen. Sie sollten das wissen, ehe Sie oder Major Uruhk irgendein Himmelfahrtskommando planen."
Ein erleichtertes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Aber wie ist das möglich?" fragte sie.
Indem Pendergast auch einen Teil der Techniker in Gewahrsam nehmen ließ", antwortete Barnes prompt. „Die haben sich in die Funkleitungen eingeklinkt. Allerdings wird uns wohl nicht allzu viel Zeit bleiben, wenn wir diese Leitung weiter benutzen wollen."
Anne nickte und fühlte sich einfach nur erleichtert.
Ist Major Uruhk gut bei Ihnen angekommen? Und Heimdahl?"
Anne verhielt im Schritt. „Heimdahl geht es gut", antwortete sie ausweichend. „Im Moment arbeitet er mit Dr. Babbis zusammen, damit wir den Schild der Stadt wieder hochziehen können."
Das klingt gut", sagte Barnes. „Sehr gut sogar. Hilft Major Uruhk mit?"
Diese herrliche Unbekümmertheit in der Stimme des gestandenen Mannes!
Anne wünschte sich einen Moment lang wirklich, ebenso ahnungslos wie er sein zu können und nicht einen halben Wraith in einer der Zellen zu wissen.
Major Uruhk ist ... Der Colonel setzte sie unter Drogen, Major. Sie ... kämpft zur Zeit mit den Entzugserscheinungen", antwortete sie endlich.
Ein scharfes Einatmen. „Das ist übel", sagte Barnes. Dann wechselte unvermittelt die Stimme.
Anne? Hier ist Peter", meldete sich der Arzt Dr. Peter Grodin.
Peter!" Dieser Name entwich ihren Lippen wie ein Gebet. „Was würde ich darum geben, dich jetzt hier unten zu haben!"
Wie geht es Major Uruhk?" kam der sofort auf den Punkt.
Anne atmete tief ein und zögerte plötzlich. Sie wußte nicht, ob es der Antikerin recht war, daß ihre Probleme offen von allen mitgehört werden konnten auf der Prometheus. Zumindest von denen, die sich offensichtlich irgendwo eingesperrt befanden.
Wir sind unter uns. Keiner hört mit, dafür sorgen schon Barnes und Frederics", beruhigte Grodin sie mit sanfter Stimme.
Major Uruhk verwandelt sich zur Zeit ... in einen ... Wraith", antwortete Anne endlich.
Wieder ein scharfes Einatmen. „Sicher?"
Ich war gestern bei ihr, Peter. Und ich habe genug Wraith in meinem Leben gesehen. Ja, ich bin mir sicher!" antwortete sie, plötzlich aggressiv geworden.
Steuert sie es?"
Was?" Anne blinzelte verblüfft.
Grodin seufzte. „Soweit ich das verstanden habe, als wir miteinander darüber redeten, steuert sie die Fremdzellen zu einem Gutteil selbst und bewußt, Anne. Vielleicht hilft es ihr, über die Drogen hinwegzukommen. Was hat man ihr gegeben?"
Valium und Skopolamin", antwortete sie mechanisch.
Konnte das tatsächlich sein? War das möglich? Aber ... der Major hatte gestern nicht gewirkt, als habe sie wirklich über alle ihre Handlungen die Kontrolle.
Skopolamin?" Grodin schien bestürzt. „Wo kommt das Zeug denn her?"
Das wußte Marc auch nicht zu sagen", antwortete sie mechanisch. „Wahrscheinlich hatte Pendergast es irgendwo versteckt für den Fall, daß er es brauchen könnte."
Würde zu diesem Kerl passen nach dem, was er mit Heisen angestellt hat." Grodin atmete einige Male tief ein. „Was meint Marc dazu?"
Er sagt, sie muß den kalten Entzug durchstehen. Und sie war, zumindest zu Anfang, auch bereit dazu."
Dann laß Marc machen. Was Drogenmißbrauch angeht gehört er zu den besten, die du kriegen kannst. Sobald das ganze etwas nachgelassen hat, soll er noch einmal ihr Blut untersuchen, damit auch wirklich nichts zurückbleibt. Gerade dieses Teufelszeug ist verflixt anhänglich. Das sollte sie auch wissen, hörst du?"
Anne nickte. „Was können wir für euch tun?"
Uns geht es im Moment gut. Und wenn wir jetzt diese Leitung nicht überstrapazieren, werden wir auch in Kontakt bleiben können. Tut nichts unüberlegtes, Anne", warnte Grodin. „Im Moment sieht es ganz gut für uns aus, so unwahrscheinlich das für dich auch klingen mag. Pendergast läßt uns weitestgehend in Ruhe, wir erhalten genug Nahrung und Wasser. Und, dank dir, wissen wir jetzt auch, worauf wir zu achten haben. Major Uruhk soll sich erst einmal auskurieren, hörst du? Dann reden wir weiter."
Anne nickte, auch wenn sie sich am liebsten, auch wenn sie nicht über das seltene ATA-Gen verfügte, einen Puddlejumper genommen und zur Prometheus geflogen wäre, um ihre restlichen Leute da herauszuholen.
Dr. Stross?" meldete sich Barnes wieder. „Hören Sie, lassen Sie uns erst einmal selbst machen. Vielleicht kommen wir auch ohne Hilfe hier heraus. Wir werden sehen, okay? Barnes Ende."
Es klickte in der Leitung.
Anne stand am Fenster und starrte in den Gateroom hinaus.
Hoffentlich ging alles gut, hoffentlich!

***

Peter beobachtete mit scheelem Auge den Asgard, der voll konzentriert an einem der Planetenkiller herumbastelte.
Irgendwie fiel es ihm schwer, diesem kleinen Wesen wirklich zu vertrauen, vor allem, wenn er bedachte, daß Heimdahl von sich selbst behauptete, quasi noch ein Kind zu sein. Der erste Asgard, der seit Jahrhunderten - oder waren es bereits Jahrtausende? - geboren worden war. Geboren, wie auch immer. Vielleicht aus der Retorte? Zumindest nicht geklont, soviel stand fest.
Peter konzentrierte sich wieder auf seine eigene Arbeit.
Doch da war noch etwas anderes, was an ihm fraß. Etwas, was ihn persönlich sehr belastete: Die Sache mit Vashtu.
Was, wenn es ihr nicht gelang, sich wieder zurückzuverwandeln? Was, wenn sie jetzt für immer dieses ... dieser Wraith bleiben würde, den er gestern gesehen hatte? Was, wenn die Drogen in ihrem Blut sich nicht abbauten, sondern sie noch tiefer in ihre Fremdzellen stürzen ließen?
Als er sie gestern gesehen hatte, war ihm beinahe das Herz stehengeblieben. Er hätte sich nie vorstellen können, nach allem, was sie schon durchgemacht hatte, sie dermaßen verändert vorzufinden. Er hatte sie als unendlich alte Frau gesehen, er hatte gesehen, wie sie ihre Augen in die eines Käfers verwandelte, wie sie ihre Wraith-Kräfte einsetzte und damit stärker wurde als die meisten Männer. Aber nie hätte er angenommen, daß sie sich dermaßen verwandeln konnte, nie!
Kann ich den Laptop haben?" brach Heimdahls emotionslose Stimme plötzlich das Schweigen.
Peter zuckte zusammen, als habe der Asgard ihn geschlagen. „Was?"
Heimdahl blinzelte vertrauensvoll. „Den Laptop brauche ich, wenn du ihn erübrigen kannst, Dr. Babbis", wiederholte er seine Frage.
Peter fiel erst jetzt auf, daß der Planetenkiller, an dem der Asgard bis jetzt gearbeitet hatte, wieder vollständig zusammengesetzt war und leise funkelte, gelblich funkelte. Ungläubig blinzelte er. „Was ... ?"
Brauchst du den Rechner noch?"
Peter schüttelte abwehrend den Kopf. Eilig schob er dem kleinen Alien seinen Laptop hinüber und beobachtete, wie Heimdahl einige Kabel mit dem Planetenkiller verband, dann sinnend den Bildschirm betrachtete.
Unwillkürlich breitete sich wieder Neid in ihm aus, doch er bekämpfte ihn.
Er war einfach abgelenkt, punktum. Wenn es Heimdahl tatsächlich gelungen sein sollte, die Wirkung dieser Raummine umzukehren, dann ...
Es funktioniert." Der Asgard blickte wieder auf und blinzelte.
Es funktioniert?" Peter riß die Augen auf. „Aber ..."
Wer war jetzt der führende PK-Forscher, höhnte eine kleine Stimme in ihm, während er um den Tisch herumhetzte und ungläubig staunend die Anzeigen ablas.
Das war einfach unglaublich! Der Asgard schien ja sogar noch schneller als Vashtu zu arbeiten! Das war ...
Peter richtete sich unvermittelt auf und tippte auf das Empfangsteil seines Funkgerätes. „Wir sind soweit. Wir können den Schild hochfahren", meldete er, nachdem Stross ihn nach seinem Begehr gefragt hatte.

***

Eine Woche später:
Ein wenig unsicher betrat sie das große Büro in der obersten Etage des militärischen Kontrollturms. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und sie wußte nicht, ob sie wirklich bereits bereit war für das, was sie möglicherweise erwartete. Doch schließlich trat sie über die Schwelle und atmete tief ein.
Willkommen in Vineta, Major!" Anne Stross trat ihr entgegen, hielt ihr einen Becher hin.
Vashtu sah die andere einen Moment lang an, dann breitete sich ein kleines Lächeln über ihr Gesicht. „Danke", sagte sie leise und nahm den Becher.
Im Gedenken an Atlantis, Major, und natürlich für Ihre Genesung." Anne hielt noch einen zweiten Becher in der Hand, nickte ihr auffordernd zu.
Vashtu zögerte einen Moment, dann stieß sie mit der zivilen Leiterin der verbotenen Stadt an und nahm einen Schluck von dem kribbelnden Alkohol, der etwas ... mehr Geschmack verdient hätte, hätte man sie gefragt. Aber wenn man schon einmal Champagner bekam ...
Anne lächelte, legte ihr vertraulich eine Hand auf die Schulter. „Ich freue mich, daß ich Sie jetzt doch endlich in Vineta willkommen heißen kann, Major. Sie können sich gar nicht denken, wie sehr ich mich über Ihre Entscheidung freue."
Vashtu nickte, atmete tief ein und sah sich um. Über der Stadt, durch die großen Fenster nach draußen sehr gut zu sehen, leuchtete blaß der Schutzschild in einem beinahe träumerischen Blau. Der Schutzschild, der ihr Sicherheit versprach, Sicherheit vor ...
Sie zwang sich, nicht weiter zu denken, trat an der Wissenschaftlerin vorbei an eines der, bis zum Boden reichenden Fenster und gab gedanklich den Befehl.
Das hatte sie sich schon lange gewünscht, so lange!
Ein Lächeln erschien auf Vashtus Lippen, als die verborgene Tür aufschwang und sie hinaus auf den Balkon treten konnte. Sinnend lehnte sie sich an das Geländer, betrachtete weiter den Schutzschild, Stross neben sich wissend. Die Wissenschaftlerin war ihr gefolgt.
Wie lange hält ein PK?" fragte sie leise.
Babbis schätzt, in etwa zwei bis drei Wochen", antwortete Stross, lehnte sich neben sie und blickte zur Höhlendecke hinauf. „Genau werden wir das wohl erst feststellen können, wenn es soweit ist."
Vashtu nickte, spielte mit dem Becher in ihren Händen.
Vineta, die Chance ... War sie das wirklich? Oder hatte sie Pendergast am Ende doch mehr verraten als sie eigentlich gewollt hatte?
Sie wußte es nicht mehr. Wie so vieles in den letzten vierzehn Tagen auf der Prometheus verblaßte auch diese Erinnerung, die Erinnerung an die Fragespielchen des Colonels, solange sie sein willenloses Opfer gewesen war.
Den Eingesperrten geht es offensichtlich gut", fuhr Stross an ihrer Seite fort. „Sie melden sich regelmäßig und erkundigen sich auch nach Ihnen, Major."
Vashtu nickte wieder, betrachtete nun die beleuchteten Bereiche der verbotenen Stadt. Vineta zeigte sich von einer freundlichen Seite, doch selbst all das Licht in den Fenstern konnte nicht über den letzten Bereich, den Bereich der dunklen Schatten und finsteren Geheimnisse hinwegtäuschen.
Vashtu nahm noch einen Schluck von dem Champagner, rollte ihn ein wenig im Mund, ehe sie ihn hinunterschluckte.
Es war, wie sie es zu Anfang erwartet hatte. Diese Galaxie forderte alles von ihr, oder zumindest mehr, als sie bisher hatte geben müssen. Aber, im Gegensatz zu dem, was sie angenommen hatte, war es weniger Vineta selbst, sondern die Erben ihres Volkes, die ihr übel mitspielten und sie in ihre allerletzten Reserven trieben. Die Stadt wurde für sie dagegen immer mehr zu etwas ... zu einer Art ... Heimat? Zumindest aber eine feste Anlaufstelle und erfüllt von Menschen, die zu ihr standen und sich selbst von ihren dunkelsten Seiten nicht schrecken ließen, wie sie in der vergangenen Woche wieder einmal erlebt hatte.
Was denken Sie, Major?" wandte Stross sich unvermittelt an sie.
Vashtu seufzte, richtete sich wieder auf und runzelte die Stirn, während sie die Leiterin dieser Stadt sinnend betrachtete. „Sind wir jetzt im Dienst?" fragte sie schließlich.
Stross schmunzelte und warf ihrem Becher einen langen Blick zu. „Wenn wir es wären, würden wir wohl gerade gegen eines der ehernsten Gesetze verstoßen: Kein Alkohol am Arbeitsplatz."
Vashtu lächelte und senkte den Blick. Dann blickte sie wieder auf, in die Augen der anderen. Ihr Gesicht wurde ernst. „Was Sie mir erzählt haben in den letzten Tagen ..." Sie stockte und runzelte wieder die Stirn. Dann schüttelte sie den Kopf und holte tief Atem. „Nennen Sie mich Vashtu, Doc. Zumindest, wenn wir nicht im Dienst sind."
Stross' Augen weiteten sich überrascht, dann breitete sich ein Lächeln in ihrem Gesicht aus. Sie richtete sich auf und hielt ihr die Rechte hin. „Anne für Sie, Vashtu", sagte sie leise.
Die Antikerin schlug ein, gerade als sich hinter ihnen die Tür zum großen Büro wieder öffnete und die anderen den Raum betraten.

ENDE

11.03.2012

Kalter Entzug VI


Sieben Tage vor der Rückkehr:
Vashtu ließ sich von Bates zum Quartier von Pendergast bringen. Dabei fühlte sie sich eigenartig gleichgültig. Sie spürte selbst, irgendwo tief in sich drin, daß es nicht gleichgültig sein sollte, was mit ihr geschah, aber ... irgendetwas hinderte sie daran, etwas anderes zu empfinden.
Der Sergeant öffnete die Tür, ließ ihr den Vortritt.
Vashtu sah sich mit halbem Auge um, wartete, bis Bates sie am Arm nahm und zu dem großen Tisch dirigierte, der bereits gedeckt war. Auf seine stumme Aufforderung ließ sie sich nieder, sank gegen die Rückenlehne und schloß die Augen.
Sie war so müde. Wirklich müde. Sie konnte sich gar nicht erinnern, sich jemals dermaßen nach Schlaf und Ruhe gesehnt zu haben. Nie! Zwar mochte sie schon an Punkte gekommen sein, an denen sie geglaubt hatte, nicht mehr weiterzukönnen. Doch jetzt begriff sie erst wirklich, was es bedeutete, dermaßen die Kontrolle zu verlieren.
Schön, daß Sie gekommen sind, Major", begrüßte Pendergasts Stimme sie. „Bleiben Sie ruhig sitzen. Sie sind jetzt nicht im Dienst."
Mühsam öffnete sie die Augen wieder. Kurz zuckte sie zusammen, als sie den Colonel direkt über sich gebeugt fand, dann aber kehrte diese eigenartige Gleichgültigkeit wieder zurück und ließ sie zurücksinken in das Polster.
So ist es schon sehr gut, Major", lobte Pendergast sie. Vom Tisch nahm er ein Glas und hielt es ihr an die Lippen. „Trinken Sie, Sie sind durstig, nicht wahr?"
Nein, das war sie an für sich nicht, aber wenn er meinte.
Vashtu nahm einen Schluck. Die Flüssigkeit schmeckte bitter, erinnerte sie an etwas. Irgendwo, ganz tief in sich, fühlte sie, wie eine winzige Alarmglocke anschlagen wollte. Doch es war zu anstrengend, sich darum zu kümmern.
Vashtu konzentrierte sich auf ihren Atem, weil sie glaubte, wenn sie das nicht tun würde, würde sie schlicht vergessen, daß selbst sie Luft zum Leben brauchte. Sie schluckte und schloß die Augen wieder halb.
Pendergast hatte sich offensichtlich neben ihr niedergelassen. Saß sie nicht am Kopfende seines Tisches? Egal!
Wir waren gestern bei Ihrem Kampf gegen die Wraith vor zehntausend Jahren, Major", begann der Colonel jetzt wieder. „Aber Sie haben mir nicht erklärt, wie Sie, von einer einfachen Lantianerin, zu dem wurden, was Sie jetzt sind. Wie konnten Sie zehntausend Jahre überstehen?"
Vashtu öffnete den Mund, wollte antworten. Doch ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Benommen begann sie den Kopf zu schütteln. „Kann nicht ..." murmelte sie.
Trinken Sie noch einen Schluck, das wird helfen."
Wieder wurde ihr das Glas an die Lippen gehalten, wieder trank sie diese bittere Flüssigkeit. Allmählich versank alles um sie her in einem Nebel, die Müdigkeit wurde immer größer, schien sie aufzusaugen.
Was sind Sie, Major?"
Die Lider fielen ihr über die Augen. Wieder mühte sie sich, den Kopf zu schütteln.
Sie verstand es ja selbst nicht. Pendergast schien plötzlich sehr freundlich ihr gegenüber zu sein, vielleicht hatte er tatsächlich begriffen, daß sie sich sträuben würde, bis ... Ja, bis was? Er war ihr Vorgesetzter. Sie sollte ihm gehorchen. Aber sie konnte nicht.
Was sind Sie?" kehrte die Frage zurück.
Unwillig stöhnte sie auf, wandte den Kopf ab, als sie wieder fühlte, wie das kühle Glas ihre Lippen berührte.
... geistige Sperre, Sir ..." hörte sie Bates undeutlich sagen, brachte es fertig, die Augen jetzt doch wieder einen Spalt weit zu öffnen, um sich konzentrieren zu können. Das Gesicht des Marines wirkte, als habe er Seidentücher über dem Kopf. „ ... stärkeres Mittel ... reicht nicht!"
Unsinn!"
Unsanft wurde sie plötzlich gepackt und geschüttelt, bis sie mühsam den Kopf hob und mit verschleierten Augen zu dem Colonel aufsah.
Warum wirkte er plötzlich so wütend?
Was haben Stross und Sie ausgeheckt, Major? Was geht hier auf meinem Schiff vor sich? Antworten Sie!" herrschte er sie hart an.
Vashtu runzelte benommen die Stirn. „Weiß nicht ..." nuschelte sie, ihr Kopf sank auf ihre Brust.
Mit einem Fluch wurde sie zurückgestoßen, sank gegen die gepolsterte Rückenlehne.
Sie war so müde ...

***

Jetzt:
Vashtu hockte wieder auf der Pritsche, horchte tief in sich hinein und stemmte sich mit aller Macht gegen eine noch weitere Verwandlung. Sie war froh um die Schatten und die Dunkelheit, in denen sie sich verstecken konnte. Das letzte Mal, und da war die Verwandlung noch lange nicht soweit gegangen, als sie ähnlich aussah, war es heller Tag gewesen und sie hatte geglaubt, den Verstand verlieren zu müssen, als sie ihr eigenes Spiegelbild sah.
Wie lange war das jetzt her? Knapp drei Jahre mußten es wohl sein, rief sie sich ins Gedächnis. Drei Jahre, von denen sie eines noch relativ verschlafen hatte, in der Hoffnung, die Fremdgene auf diese Weise wieder unter Kontrolle zu bringen und sich John stellen zu können. Und vor ungefähr zwei Jahren hatte sie andere getötet, die ihr in diesem Moment noch ähnlicher waren als die Menschen auf Atlantis.
Vashtu ballte die Hände zu Fäusten.
Sie hatte sich teils bewußt in die Wraith-Zellen gestürzt, um das schlimmste abwenden zu können. Doch daß die Verwandlung soweit ging, damit hätte sie niemals gerechnet. Sie besaß einen Saugmund, sie fühlte den schmerzenden Hunger in ihren Eingeweiden. Dabei fragte sie sich allerdings auch, ob sie tatsächlich fähig war ...
Kleines?"
Vashtu hob den Kopf, hielt ihr Gesicht aber weiter abgewandt und starrte die Wand an. Dabei aber fühlte sie den dringenden Wunsch, sich in Dorns Arme zu stürzen, sich von ihm halten zu lassen wie ein kleines Mädchen. Wie ihr Vater es damals getan hatte, nachdem die Wraith ...
Vashtu stöhnte auf und schloß die Augen.
Ich weiß, daß du dich verwandelt hast", fuhr Dorns Stimme sanft fort. „Du kannst dich mir ruhig zeigen. Ich bin außerhalb der Reichweite."
Sie nickte stumm.
Die zusätzlichen Zahnreihen, die sie mit aller Macht zurückhielt, aber doch ihren Kiefer zu verformen begannen und das Zahnfleisch schmerzen ließen, ließen ihre Stimme selbst in ihren Ohren undeutlich klingen. Es strengte sie an, zu sprechen.
Ich wollte dir sagen, daß die Wachen ausgetauscht und verstärkt wurden. Ich habe sie ein wenig von der Zelle abgezogen, damit du nicht ... in Versuchung kommst."
Wieder nickte sie.
Wir hatten tatsächlich einige Stunner. Denkst du, das wird reichen?" fragte Dorn leise und mit sanfter Stimme.
Wieder ein Nicken, während sie weiter die Wand fixierte. Dann setzte sie sich aufrecht hin und schluckte. „Könnt ihr das Gitter unter Spannung setzen?"
Es ist unter Spannung, Vashtu", antwortete Dorn.
Die Hoffaner-Paradoxe! Sie schloß die Augen.
Nach ihrer Geiselhaft hatte Dr. Weir ihr die Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt, die Carson hatte sammeln können während der kurzen Partnerschaft mit dem Volk der Pegasus-Galaxie. Sie wußte, daß etwas in ihrem Inneren dafür sorgte, daß der Energieschirm nicht auf sie ansprang. Eine Chance weniger für die Wachen. Aber vielleicht ...
Du wirkst ruhiger. Geht es dir besser?"
Sie schüttelte den Kopf.
Brauchst du irgendetwas?"
Habt ihr noch etwas von der Prometheus gehört?" fragte sie unvermittelt.
Bis jetzt nicht. Es herrscht Funkstille", antwortete Dorn. „Babbis arbeitet mit diesem Heimdahl an den Planetenkillern. Weiß er, wie er den Schild verändern muß?"
Vashtu zögerte. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihm mitgeteilt hatte, was er tun mußte, um den Schild abzugleichen und die ID-Chips damit für jeden Scanner außerhalb der Stadt unsichtbar zu machen.
Frag ihn", antwortete sie. „Wenn nicht ... Ich werde versuchen, einen kurzen Winterschlaf zu halten, dann könnt ihr mir einen Laptop hereinschieben."
Wird es noch lange dauern?"
Ein bitteres Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. „Ich weiß es nicht", antwortete sie, zögerte noch einen Moment, dann drehte sie sich um und sah Dorn, der in seinem Rollstuhl auf der anderen Seite des Gitters saß und sie musterte. Im Gegensatz zu Peter schien er nicht zu erschrecken, oder es sich wenigstens nicht annmerken zu lassen.
Der Entzug dürfte noch das kleinste Problem sein", gab sie zu. „Die Rückverwandlung ... könnte etwas länger dauern."
Dorns schattenumspielte Gestalt nickte. „Aber du schaffst das, nicht wahr?"
Ich hoffe es." Sie erhob sich, plötzlich ruhelos geworden. „Im Moment hätte ich nicht übel Lust, zur Prometheus zurückzufliegen und Bates und Pendergast ein bißchen ... auszusaugen!" Ihre Augen glühten bei dem letzten Wort gierig auf.
Kann ich mir vorstellen. Würde mir nicht anders gehen." Dorn nickte bedächtig. „Stross sagte, du wüßtest, was man dir gegeben hat?"
Ich bin Genetikerin, George. Ich kenne mich mit Pflanzen aus, sie waren mein Spezialgebiet." Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Sie schmeckte Blut auf der Zunge, konzentrierte sich sofort wieder. „Ich habe mich mit der Flora der Erde beschäftigt nach meiner Ankunft dort. Über halluzinogene Pflanzen gibt es eine Menge. Aber ich wußte nicht, daß mein Körper so darauf reagieren würde." Sie sah an sich hinunter, ein tiefes Knurren in der Kehle.
Dann hast du diese Verwandlung nicht selbst ausgelöst?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich bemerkte, daß die Fremdzellen es mir erleichterten, die Schmerzen auszuhalten. Aber soweit habe ich nicht gedacht. Ich bin weiter mutiert als je zuvor." Sie blickte wieder auf. „Ich bin eine Bedrohung für euch, wenn der nächste Schub kommt. Der Hunger wird immer schlimmer. Ihr solltet euch so weit wie möglich von mir entfernt halten."
Ich werde dich nicht allein lassen, Kleines. Vor allem nicht, wenn du mich brauchst", entgegnete Dorn. „Wenn du mir Lebenskraft entziehen willst, dann tu es. Ich bin bereit."
NEIN!" Vashtu wich bis an die rückwärtige Wand zurück, funkelte den Marine an. „Sag soetwas niemals wieder, George! Nie wieder!"
Dann bist du auch kein Wraith, Vashtu. Selbst wenn du den Hunger spürst. Peter hat mir erzählt, du hättest ihn angegriffen. Aber du wolltest ihn nur erschrecken, habe ich recht? Er sollte verschwinden und an die Arbeit gehen."
Ich weiß nicht, ob ich könnte", gab sie zu. „Es ist wie ... damals auf Atlantis, als ich mit John zusammen das Mutterschiff in die Luft jagte. Von ihm hätte ich mich auch nähren können - einen Moment lang."
Dorn nickte bedächtig. „Aber du hast es nicht getan, und du würdest auch jetzt nicht tun." Sie meinte, allein in seinen Worten ein Lächeln zu hören. „Du bist zu menschlich, Vash, selbst für einen Wraith."
Vielleicht sollte ich mich das nächste Mal in einen Iratus-Käfer verwandeln." Sie schloß die Augen, als eine neue Schmerzwelle durch ihren Körper fuhr. Unwillkürlich umschlang sie mit ihren Armen ihren Brustkorb, lehnte sich an die Wand.
Vashtu?" Dorn klang besorgt.
Geh jetzt!" ächzte sie, schlug ihren Hinterkopf hart gegen die Wand. „Geh, George!"
Kurz darauf hörte sie, wie sein Rollstuhl den langen Gang wieder hinauffuhr. Vor Schmerz krümmte sie sich zusammen und ächzte wieder leise.
Sie fühlte sich unendlich allein in einem beinahe grenzenlosen Haß.
Pendergast!" stieß sie zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. „Irgendwann ..."

TBC ...

04.03.2012

Kalter Entzug V


Was soll das heißen? Dorn!" Peter lehnte sich entrüstet über den Schreibtisch des Marines. „Das können Sie doch nicht machen!"
Der blickte auf und schüttelte wieder den Kopf. „Tut mir leid, Doc. Aber es ist besser für Sie, wenn Sie sie so nicht sehen."
Sie kommt gerade aus der Gefangenschaft, verdammt!" Peter schlug mit der Faust auf den Tisch, jaulte dann auf und rieb sich die Handkante. „Ich muß dringend mit ihr sprechen." Seine Stimme war mehr ein Wimmern.
Dorn seufzte. „Vashtu ist im Moment nicht wirklich für irgendwelche wissenschaftlichen Sachen zu gewinnen, Doc", sagte er mit eindringlicher Stimme. „Pendergast hat ihr übel mitgespielt. Sie ist freiwillig in die Zelle gegangen. Und sie will niemanden sehen, ehe sie nicht freiwillig wieder da heraus kommt."
Vashtu und freiwillig in irgendeine Zelle gehen? Dorn, hören Sie sich eigentlich selbst reden?" Peters Augen hinter den Brillengläsern weiteten sich. „Ich muß wissen, wie weit sie mit den PKs gekommen ist, ehe ich mich selbst wieder daran setze. Nicht daß ich etwas übersehe, was sie vielleicht geändert hat. Und in meinen Daten stand nichts, auf ihre habe ich aber keinen Zugriff."
Sie hat im Moment andere Sorgen, Doc. Tut mir leid."
Die Tür hinter Peter öffnete sich. „Sergeant, wie sieht es ... ? Dr. Babbis? Sind Sie schon wieder auf dem Posten?"
Ich ... Was ist mit Major Uruhk passiert?" Peter fuhr zu der zivilen Leiterin der Stadt herum und starrte sie fordernd an.
Stross wich überrascht einen Schritt zurück unter diesem Blick. Dann strich sie sich mit einer nervösen Geste das Haar aus dem Gesicht und wechselte einen kurzen Augenkontakt mit Dorn, ehe sie sich wieder an ihn wandte: „Wie es aussieht, hat Colonel Pendergast Major Uruhk einen Drogencocktail verabreicht, und das über zehn Tage lang. Sie ist im Moment ... Nicht ganz bei sich, wie ich hörte. Ich wollte selbst kurz zu ihr."
Keine gute Idee", wandte Dorn hinter dem Schreibtisch ein.
Ich denke, es würde sie interessieren, was ihr da gegeben wurde. Vielleicht ist sie dann in der Lage, den kalten Entzug zu beschleunigen. Sie werden mir sicher zustimmen, Sergeant Dorn, daß der momentane Zustand für uns alles andere als günstig ist. Wir brauchen die Leute von der Prometheus", entgegnete Stross scharf.
Pendergast hat ihr Drogen gegeben?" Peter riß die Augen wieder auf. „Sie ist in einem kalten Entzug? Was für ein Zeug hat er ihr denn gespritzt?"
Dorn lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück und schüttelte den Kopf. „Sie ist meist nicht ganz bei sich, Doc", sagte er.
Das ist egal. Wir brauchen sie hier. Sie wollen doch auch, daß sie Ihre Vorgesetzte wird, oder nicht?" Stross wandte sich Peter zu. „Kommen Sie mit, wenn Sie sie sehen wollen. Ansonsten sollten Sie sich so schnell wie möglich wieder an Ihre Arbeit begeben, Dr. Babbis." Damit drehte sie sich um und marschierte wieder aus dem Büro heraus zum nächsten Lift.
Peter warf Dorn noch einen triumphierenden Blick zu, dann machte er, daß er der Leiterin Vinetas hinterherkam.
Dabei ging ihm jetzt allerdings vieles im Kopf herum, das er kaum zu verdauen wußte. Vashtu unter Drogen! Vashtu in einem kalten Entzug! Das war ... das war einfach unglaublich! Dabei hatte Dorn gestern doch alles andere als besorgt gewirkt, als er ihm von ihrer Rückkehr erzählte.
Was war da passiert?
Er sprang hinter Stross in den Antiker-Lift und atmete tief ein, während die Türen sich schlossen. „Was heißt, unter Drogen gesetzt?" fragte er dann schließlich.
Stross warf ihm nur einen halben Blick zu, dann trat sie wieder aus dem Aufzug heraus und marschierte den Gang entlang. „Soweit Mr. Boyer mir das mitteilen konnte, hat man ihr einen Cocktail mit zwei verschiedenen Bestandteilen verabreicht und sie süchtig gemacht, ohne daß sie es selbst bemerkte", antwortete sie, blieb vor einer Tür stehen und öffnete diese. „Es fiel ihr wohl nur auf, wenn die Dosis in ihrem Blut geringer wurde und erste Entzugserscheinungen zu bemerken waren. Aber sie schrieb es wohl ihrem eigenen Körper zu."
Sie reagiert manchmal anders als wir, das ist wahr", wandte Peter ein.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er hatte sich darauf gefreut, endlich wieder mit Vashtu zusammenarbeiten zu können. Und jetzt das! Wie hatte das überhaupt geschehen können? Warum hatte sie nichts davon bemerkt? Warum hatte nicht einer der anderen etwas bemerkt? Er war sicher, er hätte es getan, irgendwie.
Sie wirkte sehr viel ruhiger, als sie hier ankam. Ihre Scherze ... sie waren anders", sagte Stross nachdenklich, als habe sie seine Gedanken lesen können. „Sie mußte vorher noch eine ganze Ladung erhalten haben. Mr. Boyer meinte, ihr Körper baut die Drogen schneller ab als unserer."
Sie bogen um eine Ecke.
Peter fiel sofort auf, daß hier irgendetwas nicht stimmte. Und das lag nicht allein an den drei Marines, die an der Seite des Ganges an einem Tisch saßen und offensichtlich mit Kartenspielen beschäftigt waren.
Dorn sollte seine Männer besser im Griff haben, kam Peter in den Sinn. Dann erst ging ihm auf, was an diesem eigenartigen Stilleben ihn gestört hatte: die Dunkelheit, die sich hinter den Dreien ausbreitete und erst ein Stück weiter von einem neuen Lichtkegel gebrochen wurde.
Was war hier los?
Einer der Marines blickte auf, wurde rot, als er sah, mit wem er hier unterwegs war.
Peter fiel die bedrückende Stimmung auf, die in diesem Gang herrschte. Er fragte sich, wen und warum man früher hier eingesperrt hatte. Er war sicher, das keine Stunde aushalten zu können. Und Vashtu saß bereits seit gestern abend in der Zelle, wenn er Dorn und Stross richtig verstanden hatte.
Mam? Doc", begrüßte der Marine sie.
Stross blieb stehen, als nun auch die anderen aufmerksam wurden. Sofort verschwanden die Karten vom Tisch, und alle drei wechselten unangenehme Blicke miteinander.
Wie geht es dem Major?" fragte die Leiterin schließlich.
Im Moment ruhig, Mam", antwortete wieder der erste der drei. „Das Licht hat sie selbst zerschlagen. Und sie will nicht ... Naja, wir sollen es im Moment nicht auswechseln, Mam."
Peter runzelte die Stirn.
Seit wann wurde Vashtu eitel? Sonst störte es sie doch nicht, ob und was gerade an Licht zur Verfügung stand. Warum ... ?
Gut, machen Sie weiter." Stross nickte den Männern zu, ging an ihnen vorbei, blieb dann aber noch einmal stehen. „Und vielleicht sollten Sie Ihren Dienst in Zukunft gewissenhafter verrichten. Vielleicht wird bald jemand anderes die oberste Leitung des militärischen Dienstes übernehmen, Lieutenant. Es wäre besser, wenn Sie Ihre Aufgaben dann ernster nehmen würden."
Wieder wurde der Marine rot, nickte beklommen.
Peter beeilte sich, mit Stross wieder aufzuschließen, warf aber noch einen Blick über die Schulter zurück. „Was die sich denken ..." Er schüttelte den Kopf, wäre beinahe in die blonde Frau hineingelaufen, die plötzlich, vor der abgedunkelten Zelle stehenblieb.
Peter warf Stross ein entschuldigendes Lächeln zu, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den kleinen, vergitterten Raum.
Major?" Stross trat näher.
Nicht!"
Peter zuckte zusammen. Vashtus Stimme klang eigenartig, irgendwie undeutlich.
Er blinzelte, damit seine lichtempfindlichen Augen sich an den Dämmer in der Zelle gewöhnen konnten.
Die Antikerin hockte, ihnen den Rücken zukehrend, am Kopf- oder Fußende der Pritsche und starrte die Wand vor sich an, die allerdings in Dunkelheit gehüllt war, so daß Peter sich fragte, was es da wohl zu sehen gab.
Stross war bei dem einen Wort unwillkürlich wieder zurückgewichen, warf ihm jetzt einen Blick zu, atmete dann tief ein. „Wir wissen jetzt, was Pendergast Ihnen hat geben lassen, Major. Und ... es sieht gut aus. Sie werden es überstehen. Mr. Boyer meint, in ein oder zwei Tagen ..."
Verdoppeln Sie die Wachen", sagte diese dunkle, eigenartige Stimme. „Und, wenn wir irgendwo Betäubungswaffen haben, holen Sie sie und rüsten die Männer damit aus. Am besten Stunner, aber notfalls auch ZATs. Wenn nicht ... ein paar Kugeln überlebe ich auch."
Was reden Sie da?" Jetzt trat Peter doch näher. „Was ist los mit Ihnen, Vashtu? Ich weiß, daß Pendergast Sie unter Drogen gesetzt hat, aber ..."
Machen Sie sich lieber wieder an die Arbeit, Peter! Ich kann für nichts garantieren beim nächsten Anfall. Es wäre besser, wenn bis dahin der Schild steht. Die Autorisation habe ich Ihnen gegeben", fiel die Antikerin ihm ins Wort.
Was ist mit Ihnen, Major?" Jetzt trat auch Stross wieder näher.
Der dunkle Schatten mit den strubbeligen Haaren schien sich zusammenzukrümen. „Gehen ... Sie ... zurück ... alle beide!" Die Stimme zischte beinahe wie die einer Schlange.
Peter stellten sich die Nackenhaare auf. Doch noch war er nicht bereit, aufzugeben. „Vashtu, wir brauchen Sie hier. Hören Sie?"
Im Moment ist es besser, wenn Sie jemand anderen brauchen, Peter. Schnappen Sie sich Heimdahl. Der ist kleverer als man denkt." Ein tiefes Stöhnen. Wieder bewegte sich die Gestalt. Kurz schien etwas in dem wenigen Licht aufzublitzen, gelblich aufzublitzen.
Hatte sie ihre Fremdzellen aktiviert?
Peter beugte sich vor, um mehr erkennen zu können.
Major?" fragte Stross an seiner Seite. „Sollen wir Ihnen irgendetwas bringen? Brauchen Sie etwas hier?"
Im nächsten Moment war es, als wüte ein Wirbelwind durch die enge Zelle. Mit einem tiefen Knurren sprang die Antikerin auf, wirbelte herum und griff durch die Gitterstäbe.
Peter wich so hart zurück, daß er das Gleichgewicht verlor. Mit großen Augen starrte er auf die Gestalt, die nun deutlicher zu sehen war. Und er begriff, als er noch etwas bemerkte - in der sich ihm entgegenstreckenden rechten Handfläche.
Oh mein Gott!" stöhnte Stross auf, die sich hektisch außer Reichweite gebracht hatte.
Peter brauchte länger, um zu begreifen, was sich da hinter den Gitterstäben befand. Die Wraith-Zellen hatten die Herrschaft über den Körper der Antikerin übernommen und sie ... verwandelt! Das gelbliche Glühen waren tatsächlich ihre Augen, die Haut wirkte fahl und zwei Schlitze wie Kiemen zogen sich von ihrer Nase über die Wangen. Aber das schlimmste befand sich in der rechten Handfläche. Ein vertikaler Strich, wie ein Schnitt quer durch die Handfläche. Aber dieser Strich bewegte sich.
Vashtu wich wieder zurück, kauerte sich zusammen. „Gehen Sie, Dr. Stross, Peter. Es ist besser. Und geben Sie Dorn meine Anweisungen weiter."
Peter rappelte sich langsam wieder auf, starrte sie immer noch an.
Er hatte noch nie einen Wraith gesehen, zumindest nicht leibhaftig und lebendig. Aber das Bild, das sie im Moment bot ... es mußte dem schon sehr nahe kommen.
Es ... Mr. Boyer rechnet mit einem oder zwei Tagen, Major." Stross schien sich endlich wieder im Griff zu haben, hob jetzt beschwörend die Hände.
Vashtu ließ sie nicht einen Moment lang aus den Augen. Sie blinzelte nicht einmal, zeigte keine Reaktion. Sie stand an der gegenüberliegenden Seite der Zelle, als müsse sie sich selbst zurückhalten.
Er hat Ihr Blut untersucht und die Drogen gefunden. Pendergast hat Ihnen Valium gegeben, ein Beruhigungsmittel", fuhr Stross fort, während Peter sich jetzt endlich wieder auf die Beine stellte und seine Hosen abklopfte.
Endlich begann die Antikerin zu nicken. „Damit ich mit mir machen lasse, was er will. Das war die Gleichgültigkeit", sagte sie nach einer kleinen Weile.
Stross hob beschwörend die Hände. „Aber das war nicht alles, Major. Da war noch etwas in Ihrem Blut. Und sehr wahrscheinlich ... ist diese zweite Droge für Ihren jetzigen Zustand verantwortlich. Skopolamin heißt sie, falls Ihnen das etwas sagt."
Ein Ruck ging durch den mutierenden Körper. Ein tiefes Knurren entrang sich der Kehle. „Dieser Mistkerl!"
Peter war überrascht. Er hätte nie gedacht, daß ausgerechnet Vashtu sich mit Drogen auskannte. Aber offensichtlich sagte ihr dieser Name etwas.
Dann kann ich die anderen also verraten haben", fuhr sie leise fort. Noch immer schwang ein Knurren bei ihren Worten mit.
Peter erschauderte.
Denken Sie, Sie werden ... das überstehen?" fragte Stross leise.
Die gelblichen Augen blinzelten. Dann nickte Vashtu. „Ja, das überstehe ich. Und Sie sollten jetzt wirklich gehen, Doc. Ich weiß nicht, wie lange ich ... ich habe Hunger!" Das letzte Wort hallte wie aus einem Grab und verlieh ihm eine völlig neue Bedeutung.
Stross nickte. „Ich werde Ihre Anweisungen an Dorn weitergeben, keine Sorge. Sie kommen hier heraus, Major."
Was ist mit Heimdahl?" fragte die Antikerin. „Ist er ebenfalls ... ?"
Ein leises Lächeln schob sich auf Stross' Lippen. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, glücklicherweise nicht. Offenbar wollte Pendergast hinter Ihre Geheimnisse kommen, Major. Den Asgard nahm er wohl nicht so ganz ernst."
Vashtu nickte, wandte sich wieder ab. „Gehen Sie - jetzt!"
Peter biß sich auf die Lippen.
Er hatte schon so viel mit ihr durchgemacht, aber so hatte er sie noch nie gesehen. Nicht als ... Wraith! Und endlich begann er zu verstehen, was es mit ihrer Gentherapie auf sich hatte.
Stross tippte ihm kurz auf den Arm und nickte ihm zu.
Peter schluckte, ging aber widerstrebend vor ihr her.
Was konnten sie tun?


TBC ...