26.08.2012

Meuterei (Teil 1) VI

Am nächsten Tag:

„Major?“
Vashtu, die gerade mit Walsh die Torflüge des heutigen Tages durchgegangen war, blickte auf. Dann atmete sie tief ein, als sie Anne sah, die ihr winkte. Die zivile Leiterin Vinetas stand vor dem Kommunikationspanel und sah sie angespannt an.
Vashtu reichte der Technikerin ihre Unterlagen und trat zögernd an Annes Seite.
Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann wollte sie das ganze lieber nicht mehr vertiefen. Sie wußte aber auch, ihr würde kaum etwas anderes übrig bleiben. Pendergast würde keine Ruhe geben, sie weiter verhöhnen, und das solange, bis er schließlich und endlich außer Reichweite war. Mittels des Satelliten hatte sie zumindest herausfinden können, daß die Triebwerke der Prometheus noch immer liefen, sich das Schiff langsam aber sicher aus der Umlaufbahn befreite. Ihnen blieben nicht mehr als ein paar Tage, um die restlichen Leute herunterzuholen, und sie zweifelte daran, daß ein erneutes Überfallkommando wieder ein solches Glück haben würde. Vor allem würde der Colonel seine Geiseln wesentlich besser bewachen lassen als die Horde, die sie heruntergeholt hatte.
Anne sah sie forschend und besorgt an, legte ihre Hand auf den Arm der Antikerin. „Geht es?“ fragte sie leise. „Wir könnten uns auch in mein Büro zurückziehen.“
Vashtu kniff die Lippen fest aufeinander, atmete wieder tief ein, dann schüttelte sie den Kopf. „Es wird gehen“, antwortete sie.
Anne nickte mitfühlend, gab dem Techniker dann ein Zeichen. „Hier Stross“, meldete sie sich, richtete sich unwillkürlich kerzengerade auf.
Vashtu staunte, wie sie plötzlich auf sie wirkte: Selbstsicher und genau wissend, was zu tun war. Ganz im Gegensatz zu ihr, mußte sie leider zugeben. Die Schmach der Niederlage fraß noch immer an ihr, vielleicht sogar noch mehr als sie sich selbst eingestehen wollte.
„Ist Major Uruhk auch anwesend?“ fragte die bekannte Stimme, die sie inzwischen am liebsten für immer zum Verstummen bringen würde.
„Ja, ich bin da“, antwortete sie, versuchte ihre Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen.
„Colonel oder Sir für Sie, Major“, wiederholte Pendergast seine Forderung von gestern.
„Für mich sind Sie nicht länger Mitglied der Streitkräfte“, entgegnete sie, ballte die Hände zu Fäusten, „und den Sir werden Sie sich wohl ebenfalls neu verdienen müssen.“
„Mutig, Major, mutig.“ Der blanke Hohn sprach aus seiner Stimme. „Aber immerhin ... Sie haben da einige hier vergessen bei Ihrem gestrigen Überfall. Denken Sie noch daran?“
Vashtu biß sich auf die Lippen, nickte dann. „Ich will mit Danea sprechen“, sagte sie dann.
„Danea?“
„Der Erethianer“, erklärte sie knapp.
„Ah ... Nun, ich dachte eigentlich eher, Sie wollten Ihre Diskussionen mit Major Barnes weiter fortsetzen. Aber gut ...“
Eine Pause folgte, die Vashtu unendlich lang erschien. Sie wagte gar nicht sich vorzustellen, was Pendergast mit ihrem Teammitglied angestellt haben mochte. Sie wollte es sich gar nicht vorstellen! In ihr selbst stiegen Erinnerungen auf, die sie lieber für immer tief in ihrem Geist vergraben hätte. Sie zwang sich zur Ruhe und fragte sich unwillkürlich, ob John damals ebenso empfunden hatte.
„Major Uruhk?“ fragte dann eine neue Stimme. Die Stimme des Erethianers.
Vashtu schloß erleichtert die Augen und senkte einen Moment lang den Kopf. Dann hob sie ihn wieder. „Wie geht es Ihnen?“ fragte sie. „Hat man Sie gut behandelt?“
„Ich ... mir geht es gut, auch den anderen“, antwortete Daneas Stimme. Er klang etwas unsicher, doch gefaßt. „Man hat uns gefesselt und eingesperrt. Der Colonel sagt, er will verhandeln.“
Ein Ruck ging durch Vashtus Körper. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Stross.
„Verhandeln?“ echote diese überrascht.
„Wie ich es sehe, haben Sie etwas, was ich will, und ich etwas, was Sie wollen, Dr. Stross“, sagte nun wieder Pendergasts Stimme.
„Und was wollen Sie?“ fragte Vashtu.
„Können Sie sich das nicht denken, Major?“ Wieder dieser höhnische Unterton in seiner Stimme.
„Major Uruhk hat sich entschieden, sich der Expedition anzuschließen“, wandte Anne sofort ein. „Außerdem würde soetwas selbst in unserer Dimension und auf unserer Erde unter Menschenhandel fallen und wäre damit widerrechtlich.“
Ein kühles Lachen. „Wer redet denn davon, daß ich diese weibliche Furie haben will?“ fragte die Stimme des Colonels schließlich. „Ich will Informationen, mehr nicht. Major Uruhk dürfte das auch noch wissen, wenn sie sich an ihren letzten 'Besuch' auf der Prometheus erinnert.“
Vashtu spannte unwillkürlich die Kiefer an. „Mein Besuch war doch wohl eher ein Verhör, oder nicht?“ entgegnete sie scharf.
„Wie dem auch sei. Mein Angebot steht, Major: Ihr Wissen gegen die Gefangenen. Nennen Sie mir einige Punkte, und ich lasse je nach Dringlichkeit dessen eine der Geiseln frei. Außerdem hätte ich dann auch noch gern einen dieser Puddlejumper, von denen der Erethianer gesprochen hat. Einen mit dieser Sekundärwaffe.“
Danea hatte was gesagt?
Vashtu riß die Augen auf und unterdrückte ein Keuchen.
Danea wußte nichts von den Sekundärwaffen, davon war sie überzeugt. Wenn überhaupt irgendjemand etwas davon erwähnt hatte, dann doch wohl eher sie unter dem Einfluß der Drogen, die man ihr verabreicht hatte.
„Sie können es haben, wie Sie es wollen, Major, Dr. Stross“, fuhr Pendergast fort. „Entweder wir verhandeln weiter, oder ich werfe die Geiseln, eine nach der anderen, in die Luftschleuse, nachdem die Prometheus die Umlaufbahn verlassen hat. Ihnen bleibt also noch etwas Zeit, um das zu beratschlagen. Sagen wir ... morgen um die gleiche Zeit?“
„Das können Sie nicht tun!“ brüllte Vashtu plötzlich los, doch da war nur noch Rauschen in der Leitung.
Anne faßte sie am Arm, sah sie sehr ernst an. „Kommen Sie mit in mein Büro“, sagte sie dann und drehte sich um.
Vashtu schluckte hart, kämpfte um ihre Beherrschung, dann folgte sie der Leiterin Vinetas aus dem Kontrollraum hinaus in deren Büro, das wie ein Schwalbennest an der Wand zu kleben schien, nur über eine schmale Treppe erreichbar.
Anne wartete, bis sie den kleinen, gläsernen Raum betreten hatte, dann schloß sie die Tür hinter ihnen und lehnte sich, die Arme vor der Brust kreuzend und mit sehr ernstem Gesicht, dagegen.
„Wir können uns darauf nicht einlassen. Wir wissen nicht, was Pendergast genau wissen will. Außerdem würde das vielleicht sogar voraussetzen, daß Sie zu ihm müssen“, sagte sie.
Vashtu trat an die großen Fenster und starrte in den Gateroom hinaus, die Lippen fest zusammengepreßt, um ja nicht wieder loszuschreien, wie es ihr gerade in der Kehle steckte.
Die drei im All! Einer nach dem anderen ohne Luft hinausgestoßen und tot.
Sie lehnte ihre Stirn gegen das kühle Glas und starrte nach unten, beobachtete scheinbar die beiden Marines, die vor dem Sternentor Wache hielten.
„Weiß Danea wirklich von den Mikrowellen?“ fragte Anne nach einer Weile des Schweigens.
Vashtu zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. „Nicht, daß ich es wüßte“, antwortete sie leise. „Pendergast muß das ... aus mir herausgeholt haben.“
„Sind Sie sich sicher, daß er nicht vielleicht unseren Funkkontakt abgehört und es dort aufgeschnappt hat?“
Vashtu richtete sich wieder auf, starrte aber noch immer aus dem Fenster. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie nach einer Weile zögernd.
„Ich auch nicht.“ Anne seufzte, trat näher und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich möchte, daß Sie morgen nicht anwesend sind, wenn Pendergast einen erneuten Funkspruch absetzt. Sie halten sich von jetzt an aus dieser Sache heraus, Major“, sagte sie dann mit eindringlicher Stimme.
Informationen. Pendergast wollte Informationen von ihr. Was für Informationen, das hatte er allerdings nicht gesagt. Auch die Sache mit der Sekundärwaffe ...
Vashtu starrte weiter aus dem Fenster, während es in ihrem Hirn zu arbeiten begann.
Wollte er wirklich nur Informationen? Konnte sie sie ihm gefahrlos geben? Was mochte er wissen wollen?
Die Sekundärwaffe war nicht einsatzbereit, keiner der modifizierten Jumper konnte die Mikrowellenwaffe abfeuern. Möglicherweise ...
„Haben Sie mich verstanden, Major?“ Annes Stimme klang eindringlich.
Wenn er nur ein paar Brocken haben wollte, konnte sie ihm diese geben, solange sie nicht in seine Reichweite mußte. Sie konnte ihm einige Dinge erzählen, sie auf Datenträger sprechen und ihm irgendwie zukommen lassen. Wenn er so dringend einen der nicht einsatzbereiten Jumper haben wollte, er würde sich nur selbst grillen, versuchte er, die Sekundärwaffe abzufeuern.
Vashtu atmete tief ein, blickte dann auf und sah die Leiterin der Stadt einen Moment lang an. Dann nickte sie. „Ich habe verstanden, Dr. Stross“, sagte sie.

***

Pendergast war nicht überrascht, als plötzlich ein Ruf vom Planeten ausging. Er hatte zwar damit gerechnet, daß das ganze etwas länger dauern würde, aber das mußte er seinem Vögelchen lassen, sie war schnell. Das hatte er ja auch schon gestern bemerken dürfen.
Er nickte den Marines zu, die die beiden Geiseln, diesen Erethianer und Major Barnes, wieder in die Brick zurückbringen sollten. Dabei bemerkte er den Blick, mit dem dieser Alien ihn bedachte, richtete sich auf und lächelte ihm kalt zu.
Dieser Danea würde als erster durch die Mannschleuse nach draußen befördert werden, sobald er seine eigentliche Beute endlich in der Gewalt hatte. Sein Lantianer-Vögelchen hatte angebissen, und er wußte es. Die Kennung, die für den Ruf verwendet wurde, hatte er ihr selbst gegeben.
„Schalten Sie sie durch, Sergeant“, wandte er sich an den zuständigen Marine, lehnte sich befriedigt auf dem Kommandosessel zurück.
„Hier Major Uruhk“, meldete sie sich, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. „Ich frage nur einmal: Was für Informationen wollen Sie, Pendergast?“
Er lächelte.
Alles, mein Vögelchen. Du wirst singen, wie noch nie in deinem Leben, glaube mir. Du wirst mir jede noch so kleine Kleinigkeit verraten und dein Liedchen trällern.
„Einige Informationen zu unserem Standort. Mir wurde mitgeteilt, daß Sie dazu offensichtlich eine Theorie haben, Major“, antwortete er. „Und ich wüßte gern mehr über die Devi als mir bisher bekannt ist. Die Prometheus wird wohl eine Weile brauchen, bis sie diese verseuchte Galaxie verlassen hat.“
Er hörte, wie sie einatmete. „Das sind Dinge, über die wir selbst nicht sehr viel wissen“, wandte sie ein.
„Aber mehr als ich und meine Leute“, entgegnete er.
Wieder dieses tiefe Atmen. Wenn er jetzt die Augen schließen würde, würde er die Muskeln und Sehnen in ihrem schlanken Hals arbeiten sehen bei einem solchen Atemzug. Wie würde es wohl sein, wenn sie darum kämpfen mußte? Wenn sich etwas um diesen schlanken Hals legte, während sie hilflos war? Er würde es herausfinden.
„Reicht es, wenn ich Ihnen die Daten mit dem Jumper zusammen zukommen lasse?“ fragte sie endlich.
Sie hatte angebissen! Sie war schon halb in seiner neuen Falle. Und diese würde narrensicher sein und sie ihm nicht mehr entkommen können. Sein kleines Lantianer-Vögelchen, dem er erst noch gründlich die Flügel stutzen mußte. Aber er würde es schaffen, davon war er überzeugt.
„Einen Austausch?“ fragte er so ruhig wie möglich.
„Ja“, war ihre ganze Antwort.
Komm nur zu mir, mein kleines Vögelchen. Komm!
Er nickte, warf Bates einen Blick zu. „Auf dem Planeten? Erethia, wie Sie ihn nennen?“ erkundigte er sich so unschuldig wie möglich.
„Ja.“ Diesmal hatte sie nicht gezögert, nicht eine Sekunde lang.
Pendergast nickte Bates zu, der sich daraufhin von der Brücke zurückzog, um die Vorbereitungen zu treffen, die notwendig waren.
„Wann?“
„Morgen bei Sonnenaufgang?“ fragte sie zurück.
Dann würde eine mögliche Wache, wie sie bestimmt aufgestellt wurde, sehr müde sein. Die beste Zeit, um seinen kleinen Plan auszuführen. Und sie hatte diese Zeit auch noch selbst vorgeschlagen. Sein kleines Vögelchen wollte wohl unbedingt zu ihm, oder?
„Gut, Major“, antwortete er. „Morgen bei Sonnenaufgang. Wo?“
„Zwei Meilen östlich der Devi-Stadt auf dem Hochplateau. Kommen Sie unbewaffnet, dann tue ich das auch.“
„Gut, aber nicht allein. Ich werde Bates mitbringen. Sie dürfen auch gern eine zweite Person dazuziehen, Major“, antwortete er.
Diesmal zögerte sie, aber nur den Bruchteil einer Sekunde. „Gut. Uruhk Ende und Aus.“ Es klickte in der Verbindung.
Pendergast lächelte zufrieden und faltete die Hände im Schoß.
Endlich kam Bewegung in die Sache. Und morgen um diese Zeit wäre sein Vögelchen schon in seinem neuen Käfig und würde zu singen beginnen. Besser konnte es doch gar nicht laufen.

***

Anne durchmaß ihr Büro nervös mit Schritten.
Irgendetwas war in der Antikerin vorgegangen, als sie hier am Fenster gestanden hatte. Nur wußte sie nicht, was das zu bedeuten haben mochte. Und sie wollte es auch nicht wissen, nicht wenn es gefährlich werden könnte. Und sie hatte das sichere Gefühl, es würde gefährlich werden.
Wie hielt man eine Wahnsinnige davon ab, sich in ein Unglück zu stürzen? Wie konnte sie Vashtu Uruhk davon überzeugen, daß es besser war, wenn sie ruhig blieb und die Zeit für sich arbeiten ließ? Wie konnte sie sie von ihrem Wahn befreien, sich in jede Gefahr zu stürzen, die auch nur am Horizont auftauchte?
Anne wußte es nicht. Aber seit der Sache mit der Rettungsaktion war sie sich sehr sicher, die Antikerin entglitt ihr immer mehr und tat, was sie für richtig hielt anstatt dem, was für Vineta das beste war.
Die Tür hinter ihr glitt auf. Anne stockte im Schritt, drehte sich dann um und erleichterte, als sie Lieutenant Markham erkannte, der, auf ihren Ruf hin, den Raum betrat.
„Mam?“ fragte der und musterte sie forschend.
Anne zwang sich zu einem Lächeln. „Lieutenant“, begann sie. „Meine Bitte wird Ihnen sicherlich etwas ... befremdlich erscheinen. Aber ich möchte, daß Sie Major Uruhk nicht aus den Augen lassen. Folgen Sie ihr, wohin auch immer sie geht, aber unauffällig. Sie muß davon nichts wissen.“
Markham runzelte die Stirn. „Sie meinen, Major Uruhk plant noch eine Rettungsmission?“ fragte er.
Anne zögerte, zuckte dann mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie. „Aber sie heckt irgendetwas aus, davon können wir alle ausgehen. Und ich bin mir sicher, Pendergast ...“ Sie schloß den Mund und sah den Air Force-Offizier nur an.
Markham nickte. „Er hat sich gemeldet, das weiß ich. Er stellt einen Austausch in den Raum“, berichtete er.
Diese dummen Klatschbasen im Kontrollraum! Aber vielleicht ... möglicherweise war es gerade gut, wenn die Stadt Bescheid wußte. Major Uruhk war beliebt. Sie hatte viel für Vineta getan. Wenn sie nicht gewesen wäre, wären sie wahrscheinlich nie hierher gekommen.
Vielleicht würde dieser Klatsch, so unangenehm er im ersten Moment auch war, genau das richtige sein, um die Antikerin von einer gewaltigen Dummheit abzuhalten. Wenn die Leute aufmerksam wurden, würden sie sie vielleicht nicht aus den Augen lassen und damit verhindern, was auch immer sie plante.
„Ich kümmere mich darum, Mam.“ Markham lächelte. „Major Uruhk macht ihre Sache sehr gut. Ich möchte keinen anderen leitenden Offizier.“
Anne nickte mit einem zögerlichen Lächeln auf den Lippen. „Das wollen wir alle nicht. Selbst Major Dethman würde lieber selbst ein SG-Team leiten als den militärischen Sektor. Aber soweit sind wir leider noch nicht.“
Bedauern leuchtete in Markhams Gesicht. „Aber es wird sicher noch so kommen, nicht wahr?“
„Wenn wir Major Uruhk jetzt vor einer gewaltigen Dummheit bewahren bin ich mir sicher, sie irgendwann überreden zu können.“
„Ich passe auf sie auf, Mam. Sie wird gar nicht bemerken, daß ich da bin.“
Hoffentlich!

TBC ...

19.08.2012

Meuterei (Teil 1) V

Anne glaubte ihren Augen nicht mehr trauen zu dürfen, als sie, kurze Zeit später, zu dem kleinen Platz vor der Jumper-Base von Vineta kam. Zwei der kleinen Gleiter waren gerade gelandet und entließen nun ihre kostbare Fracht.
Für die Leiterin der verbotenen Stadt war es, als würde ein lang ersehnter Traum endlich in Erfüllung gehen. Sie sah Gesichter, von denen sie sich im stillen bereits verabschiedet hatte, hörte Stimmen, von denen sie geglaubt hatte, sie nie wieder zu hören. Es herrschte eine lockere, glückliche Atmosphäre, selbst die wenigen Militärs, die aus den Jumpern kamen, lächelten, froh, endlich wieder frei zu sein.
Dann aber erhielt Annes Hochstimmung den ersten Dämpfer: Es fehlten einige Gesichter. Gesichter, die sie dringend brauchen würde oder auf die sie sich verlassen hatte: Barnes, Heightmeyer, Grodin. Auch dieser junge Lieutenant, Jason Frederics, war nicht da, sowie einige andere, die für sie bisher immer namenlos geblieben waren.
War es zu der Katastrophe gekommen, mit der sie gerechnet hatte? Ihr fiel auf, daß auch Major Uruhk bis jetzt nicht aufgetaucht war. Doch sie hatte mit hinunter kommen müssen, schon allein weil nur Babbis und sie fähig gewesen waren ...
Letzterer tauchte gerade auf, warf ihr einen kurzen, besorgten Blick zu und ging dann weiter zu dem zweiten Puddlejumper, um in dessen Inneren zu verschwinden.
Anne, der gerade von irgendjemandem die Schulter geklopft wurde, machte sich los und folgte dem jungen Wissenschaftler.
Irgendetwas war passiert, das wußte sie mit absoluter Sicherheit. Irgendetwas ...
Stimmen empfingen sie, als sie die Rampe betrat und in das Innere des Gleiters vordrang. Zwei männliche Stimmen: die von Babbis und die eines anderen, mit dem sie kaum je mehr als ein oder zwei Worte gewechselt hatte: Major Dethman.
„Sie können jetzt nicht umdrehen“, sagte dieser gerade. „Die Aktion wurde entdeckt, ist Ihnen das denn nicht klar? Wenn Sie jetzt zur Prometheus zurückfliegen, werden Sie auch noch gefangen genommen. Allein können Sie da erst einmal gar nichts tun, Major, wirklich nichts. Uns fällt schon etwas ein. Und wenn nicht uns, dann Stephen und Jason.“
„Vashtu, es muß Ihnen doch klar sein, daß das mehr als knapp gerade war“, wandte nun auch Dr. Babbis ein, der, mit dem Rücken zu Anne, in dem schmalen Durchgang zum Cockpit stand. „Bleiben Sie hier. Uns fällt sicher etwas ein.“
„Ich lasse niemanden zurück!“ Die Stimme der Antikerin klang anders als Anne sie je gehört hatte. Verzweifelt und ... resignierend? Es war wie ein Hilferuf, den sie gerade ausgestoßen hatte.
„Das ist gut, aber im Moment wohl das letzte, was wir brauchen könnten“, warf Dethman ein. „Halten Sie sich zurück, Major. Nur einen Moment. Ruhen Sie sich aus und kommen Sie zur Ruhe. Pendergast will Sie, darum hat er dieses ganze Theater doch nur aufgeführt. Er wollte Sie die ganze Zeit wieder zur Prometheus zurücklocken. Jetzt wollen Sie auch noch in seine Falle stolpern, nach allem, was Sie gerade getan haben? Der wird ... Lassen Sie das!“
Anne trat hinter Babbis, sah zu ihm hoch.
Der junge Wissenschaftler wurde rot, als ihm aufging, daß sie an ihm vorbeiwollte. Schnell trat er in das Cockpit.
Anne schob sich an ihm vorbei und sah Vashtu, die noch immer auf dem Pilotensitz saß, die Kontrollen in den Händen. Ihre Gestalt wirkte vollkommen verkrampft und gleichzeitig wie bereit zum Sprung.
„Major Uruhk?“ fragte Anne mit sanfter Stimme, konnte beobachten, wie die Antikerin zusammenzuckte, als sie ihre Stimme hörte.
Dann drehte sie sich um. In ihren großen, sprechenden Augen lag etwas, was Anne dort nie vermutet hätte: Hoffnungslosigkeit.
„Major ...“
Vashtu stand mit einem Ruck auf und nickte. „Ich weiß. Ich räume das Büro.“ Sie warf Dethman einen langen Blick zu, dann drängte sie sich an Anne vorbei und verließ den Jumper.
„Welches Büro?“ fragte der Marine irritiert.
„Sie denkt, Dr. Stross wolle sie bestrafen für die Rettungsaktion“, antwortete Babbis, drehte sich zu Anne um. „Aber das wollten Sie nicht, oder?“
„Nein“, antwortete sie. „Nein, zu beidem. Ich wollte sie nicht bestrafen, und sie räumt das Büro nicht wegen möglicher Repressalien. Sie denkt, jetzt, wo wenigstens ein Rangälterer als sie hier ist, wollte ich sie nicht mehr auf ihrem Posten. Selbst wenn der bisher nur inoffiziell war.“ Sie schüttelte in stummer Verzweiflung den Kopf, plötzlich sicher, daß sie gerade dabei war, die Antikerin vollkommen zu verlieren.
Mit einem Ruck riß sie sich aus diesem Gedanken und wandte sich den beiden Anwesenden zu: „Was genau ist dort oben passiert?“

***

Ein paar Stunden später hockte Vashtu mit angezogenen Knien auf ihrem Bett und starrte vor sich hin in der allgegenwärtigen Dämmerung Vinetas.
Sie hatte versagt! Sie hatte ganz kläglich versagt. Sie hätte sich denken müssen, daß Pendergast ihren Leuten eine Falle stellen würde. Sie hätte das ganze vollkommen anders aufziehen müssen, um Erfolg zu haben und alle heil nach unten zu bringen. Jetzt dagegen ...
Ein leises Läuten durchdrang die Stille ihres Quartiers.
Vashtu warf der Tür einen unwilligen Blick zu, kauerte sich nur noch mehr zusammen, um sich in ihrem Selbstmitleid zu suhlen.
Statt einmal das richtige zu tun, hatte sie ihre Leute, hatte sie Erethianer, ins Verderben geschickt und auch noch die Leben der Eingeschlossenen aufs Spiel gesetzt. Dr. Heightmeyers Leiche würde sie so schnell nicht vergessen. So kurz vor dem Ziel, und dann ...
Wieder läutete es.
Vashtu biß sich auf die Lippen. Einen Moment lang war sie versucht, sich die Ohren zuzuhalten. Konnte man sie denn nicht einmal hier in Ruhe lassen? Sie hatte sich doch schon bis hierher zurückgezogen, um endlich ...
Zum dritten Mal läutete es.
Vashtu zögerte noch einen Moment, dann aber rutschte sie vom Bett herunter und ging zur Tür hinüber. Auf ihren Befehl hin glitt diese in die Wand zurück und ließ das helle Licht vom Gang in ihre Düsternis hereinscheinen.
Ein hochgewachsener Schatten erhob sich vor ihr, hielt ihr etwas hin.
„Ich dachte, wir könnten uns noch einmal in Ruhe unterhalten“, sagte eine bekannte Stimme.
Vashtu runzelte die Stirn. „Peter?“ fragte sie ungläubig.
Warum kam denn ausgerechnet der junge Wissenschaftler zu ihr? Da hatte sie ...
Sie riß sich zusammen. „Was wollen Sie?“
Peter nickte in die Dämmerung ihres Quartiers. „Kann ich reinkommen?“ fragte er. „Ich habe auch etwas mitgebracht. Fragen Sie mich nur nicht, was mich das gekostet hat. Sind die letzten Reserven von Lieutenant Fisher.“ Wieder präsentierte er ihr die zwei Flaschen.
„Bier?“ Verwirrt trat sie zur Seite und ließ ihn passieren, während sie gedanklich das Licht wieder einschaltete. Dann schloß sie die Tür und drehte sich um.
Peter sah sich interessiert in ihrem Privatraum um, und ihr ging auf, daß er bisher noch nie hier gewesen war. Nicht, daß es bis jetzt hier viel zu sehen gab. Sie hatte sich ein paar kleinere Möbel aus leerstehenden Gebäuden besorgt, in der Ecke, unter den großen Fenstern, die hinaus in die Höhle führten, lehnte ihr neues Skateboard, das sie bis jetzt noch nicht ausprobiert hatte.
„Warum ist Ihr Quartier größer als meins?“ Leicht vorwurfsvoll drehte er sich zu ihr um.
Vashtu nickte zu dem Bett, einem Doppelbett. „Weil das hier das Quartier eines Ehepaares war.“ Sie trat näher und griff sich eine der Flaschen, die er jetzt schon die ganze Zeit mit sich herumschleppte. Von einem kleinen Board, das ihre wenigen Kleidungsstücke barg, nahm sie einen Schraubendreher und löste mit seiner Hilfe den Kronkorken. Dann nahm sie einen tiefen Schluck.
Normalerweise bevorzugte sie Root-Beer, aber dieses Mal würde es wohl auch so gehen. Vor allem der Alkohol würde wohl dafür sorgen, daß sie ...
Wieder läutete es.
Vashtu setzte die Flasche ab und drehte sich um. „Was ist hier los?“ fragte sie, während sie schon wieder zur Tür ging und diese öffnete.
Diesmal wartete ein sehr besorgt dreinblickender Sergeant George Dorn davor, hob dann die Hand und legte sie ihr auf die Schulter. „Mädchen, was machst du denn für Sachen?“ wisperte er ihr zärtlich zu.
Vashtu blinzelte.
Eigentlich hatte sie sich in aller Ruhe in ihrem Selbstmitleid suhlen wollen. Doch allmählich ...
„Komm rein. Sieht aus, als würde hier bald eine Party stattfinden“, seufzte sie, hob die Flasche wieder an die Lippen und nahm einen weiteren Schluck.
Dorn humpelte an ihr vorbei, ließ sich dann in einen der kleinen Sessel vor dem Fenster nieder und stützte sein Kinn sinnend auf die Krücke.
Vashtu betrachtete die beiden ungleichen Männer. Unwillkürlich mußte sie schlucken, als sie sich an andere, ihr jetzt sehr viel glücklicher erscheinende Zeiten, erinnerte.
„Auf die Reste von SG-27!“ Voll bitterem Hohn schwenkte sie die Flasche, doch trinken konnte sie nicht. Statt dessen ließ sie den Kopf sinken und fuhr sich mit der freien Hand durch ihren wirren Haarschopf.
„Ich denke, wir haben heute ganz gute Arbeit geleistet“, sagte Peter endlich, als ihm die Stille wohl zu drückend wurde.
Vashtu biß sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf.
„Bis auf ... naja, wir haben alle unten“, fuhr er fort.
„Nicht alle“, wisperte sie.
„Du hast getan, was du konntest, Vash“, sagte jetzt Dorn mit fester Stimme. „Wolltest du Pendergast auch noch in sein Netz laufen?“
Sie stellte die Bierflasche auf dem kleinen Board ab und stützte sich dann schwer mit beiden Händen darauf.
„Habe mit Dethman gesprochen. Pendergast hatte dir eine Falle gestellt. Der ganze Aufwand war wegen dir inzeniert worden. Du hast ihn an der Nase herumgeführt und doch mehr geschafft“, fuhr Dorn fort.
„Und den Rest ... die anderen holen wir auch noch - irgendwie!“ begehrte Peter, plötzlich kämpferisch, auf.
Ein bitteres Lachen stieg aus Vashtus Kehle auf. „Werden wir nicht“, entgegnete sie mit leiser Stimme. „Das wird Pendergast nicht zulassen. Wir hätten von Anfang an auf ...“
Erneutes Läuten unterbrach sie, ließ sie stirnrunzelnd zur Tür blicken. Dann richtete sie sich kopfschüttelnd wieder auf und öffnete. Um sehr erstaunt zu blinzeln.
„Dr. Stross! Anne!“ entfuhr es ihr.
Die Blonde lächelte, präsentierte ihr wieder zwei Flaschen Bier. „Ich hörte, Sie würden ab und an gern einmal eine Flasche trinken. Da dachte ich ...“ Ihr Blick fiel auf die Reste von SG-27, die bereits in dem Quartier versammelt waren. „Ich scheine nicht vollkommen allein mit meinem Gedanken gewesen zu sein.“
Vashtu sah über die Schulter nach hinten, dann trat sie schulterzuckend zur Seite. „Lassen Sie mich raten: Lieutenant Fisher?“ fragte sie mit einem Nicken zu den beiden Flaschen.
Anne nickte und lächelte sie entschuldigend an.
„Naja, jetzt hat zumindest jeder eine, und Fisher bestimmt das Geschäft seines Lebens gemacht.“ Vashtu lehnte sich gegen die geschlossene Tür und kreuzte die Arme vor der Brust. „Und was soll dieses Überfallkommando? Kommen noch mehr oder ... ?“
Als Antwort läutete es wieder.
Vashtu schüttelte den Kopf, stieß sich von der Tür ab und öffnete erneut.
Irgendwie wunderte es sie nicht im geringsten, jetzt Lieutenant Markham auf der Schwelle zu ihrem Quartier zu sehen. Ein wenig überrascht aber war sie, Andrea Walsh ebenfalls dort zu finden. Die Technikerin sah sie etwas verschämt an - und beide hatten sie Bierflaschen in der Hand.
„Ich denke, George, du solltest dir Fisher mal vornehmen. Soviel Bier, wie er offensichtlich irgendwo gebunkert hat ...“
Vashtu trat zur Seite und fragte sich, ob und wer sie jetzt wohl noch aufsuchen würde. Einer jedenfalls fehlte fehlte ihr: Danea. Doch der saß in der Prometheus mit Barnes und Grodin und wartete darauf, daß sie ihn dort herausholte.
Vashtu schluckte den Kloß, der ihr in die Kehle steigen wollte, wieder hinunter, linste mit langem Hals den Gang hoch und runter und schloß dann die Tür.

TBC...

12.08.2012

Meuterei (Teil 1) IV

Anne betrat, gefolgt von Lieutenant Markham, der ihr gerade Bericht erstattet hatte, den Kontrollraum und begegnete Walshs fragendem Blick mit ernster Miene. „Haben Major Uruhk und Dr. Babbis sich endlich zurückgemeldet?“ fragte sie.
Die Technikerin hob entschuldigend die Schultern. „Bisher nicht“, antwortete sie.
Anne kniff einen Moment lang die Lippen aufeinander, drehte sich dann zu dem jungen Lieutenant um. „Gehen Sie bitte sofort zur Pyramide und machen Sie einen Puddlejumper startklar. Ich melde mich“, befahl sie ihm.
Markham sah sie einen Moment lang besorgt an, dann nickte er und verließ eilig den Raum.
Anne atmete tief ein. „Geben Sie mir Major Uruhk, sofort!“ wandte sie sich dann an Walsh.

***

Pendergasts Blick hing an dem Bildschirm.
Wo blieb die Antikerin? Warum kam sie nicht endlich aus ihrem Versteck heraus und stürmte vor, wie er es sich gedacht hatte? Warum tat sie nicht endlich, was er provozieren wollte?
Statt dessen mußte er beobachten, wie der letzte Punkt, der bis jetzt am Schott des Decks gestanden und offensichtlich gewartet hatte, auch noch vom Bildschirm verschwand.
Fluchend richtete er sich auf. „Bates, konnten Sie sehen, wohin dieses Alien gerade verschwunden ist?“ fragte er.
„Positiv“, kam umgehend die Antwort.
„Dann holen Sie sie da endlich raus! Ich kann nicht warten, bis diese Meuterer das Deck betreten.“

***

Vashtu machte der Erethianerin ein Zeichen und zog ihre Beretta. Dann nahm sie Position an der Rampe und wartete aufmerksam.
„Peter, schließen Sie den Jumper“, zischte sie in ihr Funkgerät. Dann hörte sie das leise Summen, diesmal jedoch ohne jeden Kommentar. Zumindest einmal gehorchte der Wissenschaftler, ohne nachfragen zu müssen, das war doch schon einmal ein Fortschritt.
Basbara hob die P-90 an die Wange.
Vashtu hob die Faust, die Beretta zu Boden gerichtet.
Sie war sicher, gleich würde dieser ominöse einsame Punkt auftauchen, der da so wunderbar in der Mannschleuse aufgetaucht war, die sie bis jetzt nicht eines Blickes gewürdigt hatte. Und sie würde diesen Punkt ausschalten, das war sicher. Sie würde nicht mitansehen, wie die, die sie hier gerade zu befreien versuchten, in ein Sperrfeuer gerieten, selbst wenn dieses Sperrfeuer nur aus der Waffe einer Person stammte. Es konnte immer noch mehr als genug Schaden anrichten, und das wußte sie.
Schritte!
Vashtu öffnete die Faust, hielt einen Finger hoch.
Ein Mann, das war alles. Nur einer, wie der Detektor es ihr bereits verraten hatte.
Ihr Funkgerät meldete sich.
Zischend und leise fluchend aktivierte sie es. „Nicht jetzt“, wisperte sie so leise wie möglich.
Da!
Ein Schatten tauchte auf, von dem Licht der Leuchtstoffröhren unsicher und vielfach auf den Boden geworfen, doch er war da.
Vashtu hob die Waffe.
Wieder diese Schritte, die sich zögernd näherten.
„Major Uruhk, was denken Sie sich!“ wetterte Anne Stross' Stimme plötzlich in ihrem Ohr.
Vashtu verzog unwillig das Gesicht, versuchte sich zu konzentrieren.
„Ich habe Ihnen die sofortige Rückkehr befohlen. Also bewegen Sie sich endlich!“
Vashtu spannte die Kiefer an. Die Schritte hatten ausgesetzt.
War das Geschimpfe der Leiterin Vinetas so laut gewesen?
Sich wieder auf die Lippe beißend vor Anspannung aktivierte sie ihr Funkgerät. „Nicht jetzt, ich bin ... beschäftigt“, zischte sie.
Die Schritte entfernten sich.
Vashtu fluchte leise, sicherte ihre Waffe und nickte nach hinten. Dann aktivierte sie das Funkgerät wieder.

***

„Im Moment ist es mehr als ungünstig“, begehrte die Antikerin auf. „Danea kommt ja zurück. Es dauert nur etwas länger.“
„Was denken Sie sich?“ zeterte Anne wieder los. „Wollen Sie Pendergast so gern in den Rachen springen?“
„Wir brauchen noch ein paar Minuten, dann kommen wir zurück. Der Rückweg der Erethianer war versperrt, wir mußten erst einen anderen finden“, erklärte Vashtu mit kühler Stimme. „Und dann hatten wir noch einen Heckschützen hier. Aber den haben Sie wohl in die Flucht geschlagen.“
„Major!“ Annes Augen flammten auf. „Sie werden eine Menge zu erklären haben, wenn Sie zurückkommen. Ich hoffe, das ist Ihnen klar.“
„Das ist mir klar. Aber ich komme nicht allein.“ Leiser Triumph schwang in ihrer Stimme mit. „Die Eingeschlossenen sind mit Danea zusammen. Er ist bis in den Hangar gekommen.“
Anne holte tief Atem. „Dann wird Pendergast Sie erst recht jagen, Major. Ich hoffe, Ihnen ist das klar.“
„Glasklar. Aber soll er nur kommen. Ich habe sowieso noch ein Wörtchen mit ihm zu wechseln.“
In diesem Moment hörte Anne Schüsse und die Antikerin fluchen.
„Peter, Schott schließen, sofort!“
„Major Uruhk! Was geht da vor? Vashtu!“
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie keine Antwort erhielt.

***

Die erste Gruppe hatte das Flugdeck erreicht. Mit einem leisen Poltern schlug das Lüftungsgitter auf dem Metallboden auf, das hatte Vashtu gehört. Aber an etwas anderes hatte sie nicht mehr gedacht: den Schatten!
Schüsse hallten durch den Raum, ließen sie herumwirbeln.
„Peter, Schott schließen, sofort!“ befahl sie mit harter Stimme, griff sich jetzt doch ihre P-90 und trat auf die Rampe, blieb dabei aber noch im Feld, daß auch sie unsichtbar machte. „Basbara!“ rief sie nach hinten.
Beinahe sofort war die Erethianerin an ihrer Seite, und gemeinsam eröffneten sie das Sperrfeuer gegen den Trupp, dem der Schatten offensichtlich das Schott geöffnet hatte.
Trotzdem hörte Vashtu von der anderen Seite mehrere Schmerzensschreie, fühlte, wie diese sich in ihren Geist eingraben wollten, ließ dies aber nicht zu.
Sie mußte zumindest retten, was zu retten war.
Endlich schloß sich das Schott auf Peters Befehl. Dann ertönten noch mehr Schüsse.
Vashtu hielt direkt auf einen Marine, der im Schatten von einigen Kisten Schutz suchen wollte. In diesem Moment hörte sie den Schrei einer bekannten Stimme. Ihr Kopf ruckte herum und sie sah, wie eine schlanke Frau wie in Zeitlupe zu Boden fiel. Eine Frau, die ihr allerdings bekannt war, denn sie hatte sie mehrmals in ihrem Atlantis getroffen: Kate Heightmeyer!
Nein, dieses Wort rumorte in ihrem Schädel. Nein! Das konnte doch nicht sein. Nicht die sowieso schon unterbesetzte medizinische Abteilung. Nicht die wenigen Ärzte, die sie nach Vineta hatte holen wollen. Nicht ausgerechnet Kate, die in ihrer Dimension beinahe mit ihr befreundet war!
Blind feuerte sie weiter, hörte, wie ihre Schüsse erwidert wurden.
Die Flüchtigen suchten Schutz, wo immer sie auch konnten. Aber bis zu den beiden Jumpern kamen sie noch nicht.
Nicht noch mehr Verluste! Sie konnten sich nicht noch mehr Tote leisten. Nicht jetzt, nicht in dieser Situation.
Vashtu ging der Wahnsinn auf, dem sie verfallen war mit dieser Mission. Sie hatte mit dem Kopf durch die Wand gewollt, wieder einmal. Und jetzt starben unschuldige Menschen, weil sie sich in den Kopf gesetzt hatte, sie zu retten vor einem größenwahnsinnigen Colonel in einem schwer beschädigten Schiff.

***

Danea kroch hinter Barnes her, der, für sein Alter erstaunlich gelenkig war in seinen Augen. Das hätte er ihm nicht zugetraut.
„Major Uruhk? Wohin jetzt? Major?“ Barnes hielt mitten im Gang an.
Danea und Frederics, der noch hinter ihnen kroch, verhielten ebenfalls.
„Scheiße!“ entfuhr es Barnes. „Zurück, schnell, zurück!“ befahl er dann, begann bereits, rückwärts den Gang entlang zu kriechen.
„Was ist los?“ fragte Danea.
„Pendergast schickt uns Besuch hierher“, kam die Antwort.

***

Der Colonel starrte auf den Bildschirm. Seine Kiefer mahlten. Liebendgern wäre er in den Hangar marschiert und hätte die Antikerin aus ihrer verdammten Kiste geholt, um sie dann erst windelweich zu prügeln und dann, selbstverständlich gut verschnürt und geknebelt, in den Wartungsraum zu sperren. Statt dessen aber ...
Da!
„Bates, wo sind Sie?“
Pendergast triumphierte.
Da war sie. Sie war gerade aufgetaucht aus ihrem verfluchten Puddlejumper. Wahrscheinlich hatte sie sich nicht allzu weit entfernt, vielleicht stand sie sogar noch auf der Rampe. Aber auf jeden Fall war sie sichtbar. Und diese Chance mußten sie nutzen, sofort! Ehe sie wieder verschwinden konnte.
„Sir, ich bin auf dem Weg zurück, wie Sie befohlen haben“, antwortete der Marine-Sergeant. „Trupp 3 ist in den Wartungsschacht eingedrungen. Sie melden ersten Kontakt. Trupp 1 stürmt gerade den Hangar.“
Pendergasts Augen zuckten über den Bildschirm. Und tatsächlich, da strömten gerade seine Meuterer in den Raum, liefen ins Sperrfeuer seiner Männer und starben wie die Fliegen. Darum war sein Vögelchen endlich aus dem Nest gekommen.
„Lieutenant Jeffrey, ich befehle Ihnen, Major Uruhk sofort auszuschalten. Aber zielen Sie nicht auf ihr Herz oder ihren Kopf. Holen Sie sie von diesem verdammten Jumper weg, auf der Stelle!“ befahl er dem zuständigen Offizier, erntete aber nichts als Rauschen in seinem Ohr.
Pendergast bekam große Augen, dann fluchte er.
Seine Männer waren ausgeschaltet.
Dieses kleine Vögelchen hatte sich also wieder einmal in einen Falken verwandelt. Aber er würde ihr die Flügel schon noch stutzen.
„Bates, sofort zurück in den Hangar! Sie ist draußen.“

***

Vashtu raste, so schnell sie konnte, zu den überlebenden Eingeschlossenen hinüber. „Peter, Luke auf! Und Speisen Sie diese verdammten Programme endlich ein. Wir haben keine Zeit mehr!“ befahl sie, kam bei dem lang hingeschlagenen Körper von Dr. Heightmeyer an und ließ sich auf ein Knie nieder. Doch als sie nach dem Puls der Psychologin fühlen wollte, bemerkte sie, daß hier jede Hilfe zu spät kam. Heightmeyer war tot.
Vashtu schluckte hart und kniff die Lippen aufeinander. Dann richtete sie sich auf und drehte sich um. „Soviele wie möglich in die Puddlejumper. Los!“ befahl sie den anderen. Noch immer kletterten ein paar Leute aus dem Lüftungsschacht, doch der Strom versiegte nur zu schnell.
Vashtu ging auf, wer offensichtlich fehlte. Und das schnürte ihr erst recht die Kehle zu.
Danea, Grodin und Barnes waren nicht gekommen!

***

Pendergast beobachtete, wie der Punkt mit der ID-Kennung, die er wohl nie wieder vergessen würde, sich in dem Hangar bewegte. Endlich war sie aus ihrem Versteck gekommen, und er hatte niemanden in Reichweite, der sie ausschalten konnte.
Fluchend richtete er sich auf.
Hoffentlich war zumindest Bates noch nicht allzu weit entfernt.
„Sir, das Schott ist geschlossen. Ich komme nicht rein“, meldete dieser sich gerade in diesem Moment.
Pendergast starrte nun doch wieder auf den Bildschirm, gerade als ein zweiter benummerter Punkt erschien. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Dann nickte er mit einem kalten Lächeln.
„Kleveres Vögelchen, bringst sogar noch Verstärkung mit, was?“ Er ballte die Hand zur Faust, aktivierte sein Funkgerät.
„Walker? Wie steht es bei Ihnen?“
„Sir, wir haben sie“, kam die Antwort.
Pendergast nickte befriedigt. „Und wen haben Sie?“
„Major Barnes, Dr. Grodin und einen dieser Aliens, Sir. Danea Il'Eskanar nennt er sich.“

***

Lieutenant Jason Frederics zog sich vorsichtig tiefer in den engen Nebengang zurück, als er das starke Licht einer Handlampe aufleuchten sah. Dann hörte er die Nachricht, biß sich auf die Lippen und wartete.
Plötzlich waren sie eingeschlossen gewesen. Ihm war es gerade noch geglückt, sich hierher zurückzuziehen. Eigentlich hatte er auch noch den Erethianer retten wollen, doch das war ihm nicht mehr geglückt, da war schon das Licht aufgeflammt.
Jetzt saß er allein in den Schächten der Prometheus, abgeschnitten von denen, die wieder gefangen genommen worden waren und auch von denen, die es bis zum Flugdeck geschafft hatten.
Was sollte er jetzt tun?

***

„Major, Sie bleiben hier!“ Major Dethman stellte sich Vashtu in den Weg.
Die funkelte den dienstälteren wütend an. „Ich lasse niemanden zurück. Und hier fehlen noch mehr als genug.“
Der Marine schüttelte den Kopf, hob den Arm und wies zu den, inzwischen enttarnten Jumpern hinüber. „Wenn sie bis jetzt nicht hergekommen sind, kommen sie auch nicht mehr nach, Major. Das sollte ihnen auch klar sein. Wir können im Moment nichts mehr tun und sollten hier verschwinden. Barnes und Frederics werden schon zusehen, daß sie nicht wieder eingesperrt werden.“
„Das ...“
„Major Uruhk?“ sagte unvermittelt eine Stimme in ihrem Ohr.
Vashtu erstarrte. Sie kannte diese Stimme. Sie kannte sie sogar mehr als gut. Viel zu lange hatte sie sich von ihr drangsalieren lassen.
„Pendergast!“ zischte sie in ihr Mikro.
Dethman reichte es offenbar. Er packte sie hart am Arm und zerrte sie zurück zu den beiden Jumpern.
„Für Sie immer noch Colonel Pendergast oder Sir, Major“, sagte die Stimme mit einem sehr süffisanten Tonfall. „Ich muß Ihnen gratulieren, Major. Sie haben sogar mich überrascht. Aber Sie haben da jemanden vergessen, denken Sie nicht?“
Dethman stieß sie vor sich her die Rampe hoch.
Der Jumper war überfüllt, aber zumindest hatten sie irgendwie alle anderen hineinstopfen können.
Wie betäubt drängte Vashtu sich ins Cockpit und ließ sich auf dem Pilotensitz nieder. Sofort begannen die Triebwerke leise zu summen. Als sie den Kopf hob, zeigte der Detektor ihr das, was sie nicht sehen wollte.
Sie schloß die Augen einen Moment lang.
Sie hatte versagt!
„Lassen Sie jetzt doch jemanden zurück, Major?“ höhnte Pendergast in ihrem Ohr. „Was soll ich denn jetzt mit einem marodierenden Erethianer anstellen? Oder mit einem meuternden Major, der sich auf Ihre Seite gestellt hat? Oder möchten Sie lieber zuhören, wie ich Dr. Grodin erschießen lasse?“
Vashtu spannte die Kiefer an. Einen Moment lang war sie wirklich versucht, zurückzufliegen und auch noch die letzten Leute aus der Prometheus herauszuholen. Dann aber wurde ihr klar, daß das erst recht eine Falle war und sie stöhnte auf, voll innerer Qual.
„Was soll ich jetzt mit diesen drei Herren tun, Major? Was ...“
Vashtu riß sich das Funkgerät aus dem Ohr und warf es hart auf den Boden. Sie konnte nicht mehr mitanhören, wie Pendergast sie verhöhnte.

TBC ...

05.08.2012

Meuterei (Teil 1) III


„Uruhk hier. Was gibt es?“
Anne atmete tief ein. „Major, wo sind Sie?“ fragte sie dann so ruhig wie möglich.
Das überraschte Schweigen war ihr mehr als genug Antwort.
„Habe ich Ihnen nicht die klare Anweisung gegeben, sich so weit wie möglich von der Prometheus entfernt zu halten, Major? Ist das die Art, mit der ich noch öfter rechnen muß?“ warf sie der Antikerin vor.
„Ich lasse niemanden zurück. Wir holen nur unsere Leute hier heraus, ehe Pendergast ...“
„Sie sammeln auf der Stelle die ein, die Sie irgendwie für diese halsbrecherische Mission haben gewinnen können und kommen zurück. Haben Sie das verstanden?“ unterbrach Anne sie aufgebracht.
Was mußte sie eigentlich noch tun, um diese Frau von jedem Wahnsinn abzuhalten, der sie befallen mochte? Spürte sie denn wirklich nicht, daß sie geradewegs und offenen Auges in eine Falle lief? War ihr das dermaßen gleichgültig, weil sie auf ihr verändertes Genom vertraute?
Anne wußte es nicht, und sie fürchtete, sie würde es auch nie herausfinden. Pendergast würde schon dafür sorgen, davon war sie überzeugt.
„Ich habe verstanden, aber ich komme erst zurück, wenn wir die Leute hier heraus haben“, antwortete Vashtu mit kühler Stimme.
„Major!“ entfuhr es Anne entrüstet.
„Tut mir leid, ich lasse niemanden zurück“, fuhr die Antikerin fort. „Das habe ich Ihnen auch gesagt.“
„Und ich habe Ihnen gesagt, daß Sie sich selbst einen Strick drehen, wenn Sie dieses wahnwitzige Unternehmen durchziehen. Pendergast wartet doch nur darauf, daß Sie wieder in seine Reichweite kommen.“
„Er wird mich nicht erreichen. Er kann mich nicht orten. Die Jumper laufen über den Stadtschild“, entgegnete Vashtu.
„Die Jumper?“ Anne holte tief Atem, als ihr etwas aufging. „Sie haben Babbis mitgenommen!“
„Er ändert gerade einige Programme der Prometheus.“ Die Stimme der Antikerin klang sehr zufrieden mit sich selbst.
„Major!“
„Tut mir leid, Doc, aber ich werde nicht zusehen, wie die Prometheus mit dem Rest von unseren Leuten verschwindet. Ich kann das nicht, wenn ich weiß, ich kann etwas daran ändern. Soll Pendergast ruhig versuchen, mich aus der Reserve zu locken. Er weiß nicht, worauf er sich eingelassen hat.“ Wieder schwang in ihrer Stimme dieser Zorn mit, der Anne Magenschmerzen bereitete.
„Kommen Sie zurück, Major, so schnell, so vollständig und so unversehrt wie möglich. Aber wir werden noch darüber reden, darauf können Sie sich verlassen.“
Warum hatte sie nur das Gefühl, gerade ihre einzige Hoffnung auf die Zukunft ins Verderben entlassen zu haben?

***

„Verstecken wir uns ein bißchen, mein Lantianer-Vögelchen?“ fragte Pendergast den Bildschirm. Das allerdings hatte er nicht vorhergesehen. Und er konnte nichts weiter tun. Wenn er den Eindringlingen die Luft abschnitt, würde er auch das Schiff des Sauerstoffes berauben. Nicht, daß ihm das große Probleme bereitet hätte, aber allmählich schrumpfte seine Crew immer mehr zusammen, und er brauchte zumindest ein paar, die sich um das Schiff kümmern konnten. Außerdem ... wen sollte er denn in den engen Wartungsschacht schicken, ehe es begann zu stinken?
„Bates, sind Sie in Position?“ fragte er sein Funkgerät.
„In Position und bereit, Sir“, kam prompt die Antwort.
Irgendwann würde sie schon aus ihrem Fluggerät herauskommen. Und dann ... ein gezielter Schuß mit dem Betäubungsgewehr und das Problem hatte sich gelöst. Bei der Dosis würde es auf der Stelle einen Elefanten umhauen. Doch er wollte sicher gehen, daß seine Beute ihm nicht noch einmal entwischte. Sie mußte sofort kampfunfähig gemacht werden, oder zumindest so schnell wie möglich. Auf keinen Fall durfte sie die Prometheus wieder verlassen.
„Komm schon raus, mein Vögelchen. Du willst doch singen, oder? Warum wärst du denn sonst gekommen, mh?“

***

Danea kroch bis zu dem Gitter und hämmerte dann, nachdem er durch die Lamellen geblickt und einen Teil der Vermißten gesehen und erkannt hatte, dagegen.
„Was ... ? Wer ist da?“
Ein Gesicht tauchte auf der anderen Seite auf, undeutlich durch die verschiebbaren Metallverstrebungen. Doch Danea erkannte den jungen Marine-Lieutenant.
„Frederics! Major Uruhk und Dr. Babbis warten in einem der ... Hangars. Helfen Sie uns, schnell!“
Frederics bekam große Augen, dann nickte er eifrig. „Klar. Leute, wir haben Hilfe!“ rief er über die Schulter zurück.
Sofort tauchten andere Gesichter zwischen den Metallstreben auf und staunten Danea an wie ein seltenes Tier.
„Aufmachen. Los!“

***

„Wir sind im Hangar, Major“, meldete der Erethianer sich.
Vashtu atmete auf, rief sofort den entsprechenden Teil des Detektors groß auf den Bildschirm. „Peter, wir brauchen die Programmänderung so schnell wie möglich“, sagte sie in ihr Funkgerät, änderte die Frequenz, ehe ihr wieder eine Schimpftirade entgegenwettern konnte. Dennoch hörte sie den jungen Wissenschaftler gedämpft fluchen und grinste.
„Gut. Dann beginnt jetzt, die Leute durch den Gang zu schleusen. Wir warten. Der Code ist geändert und aktiviert. Basbara wird das Schott öffnen, sobald ihr hier seid. Macht schnell!“
Aufmerksam beobachtete sie die umliegenden Gänge der Prometheus, biß sich wieder auf die Lippen.
Irgendetwas stimmte da nicht. Selbst wenn Pendergast bis jetzt nicht aufgefallen sein sollte, daß da jemand in sein Schiff eingedrungen war, spätestens jetzt sollte er es erfahren haben. Aber an den Wachmannschaften, die die Umgebung des Hangars patrollierten, änderte sich nichts. Da war rein gar nichts.
Vashtu weigerte sich einen Moment lang, den Gedanken, der ihr unwillkürlich gekommen war, zu Ende zu denken oder überhaupt wahrzunehmen. Dann aber fühlte sie sich doch befleißigt, dies zu tun, als sie den restlichen Rückweg des Rettungstrupps kontrollierte.
Das war eine Falle!

***

„Kehrt nicht über den gleichen Weg zurück, Danea. Ich leite euch“, meldete die Schöpferin sich in seinem Ohr.
Danea, der gerade den letzten des ersten Trupps in den engen Gang half, richtete sich unwillkürlich auf. „Was meinen Sie?“ fragte er ungläubig.
„Das ist eine Falle. Danea, ihr dürft nicht auf dem gleichen Weg zurückkehren. Ihr müßt weiter durch den Wartungsgang bis zu einer anderen Ebene. Ich führe euch dann zum Hangar zurück“, wiederholte die Stimme in seinem Ohr.
Er wechselte einen Blick mit dem Air Force-Major, der die einzelnen Trupps einteilte, Barnes. „Was ist los?“ fragte der.
„Major Uruhk denkt, da gibt es eine Falle“, antwortete Danea mit leicht unsicherer Stimme.
Barnes strecke die Hand aus. „Geben Sie mir das Funkgerät.“
Der Erethianer zögerte, dann nahm er sich das winzige Gerät aus dem Ohr und reichte es weiter.
Der Offizier befestigte das Funkgerät geschickt. „Major? Was genau gibt es?“ fragte er dann mit harter Stimme.

***

Pendergast wartete mit angespannter Miene.
Sie müßte endlich aus ihrem Fluggerät stürzen. Sie mußte einfach bemerkt haben, daß sie ihre Leute hatte in eine Falle laufen lassen, sie mußte! So dämlich konnte sie nicht sein nach allem, was sie sich bisher geleistet hatte.
Aber die Antikerin blieb weiter unsichtbar für die Sensoren und auch für den bereitstehenden Bates.
Was ging da vor?

***

Vashtu war mehr als froh, die vertraute Stimme des älteren Air Force-Offiziers zu hören. Barnes verfügte über wesentlich mehr Erfahrung als sie, wenn es darum ging, irgendwelche Truppen zu befehligen. Sie war gut darin, allein loszuziehen, und das wußte sie auch sehr genau. Sie lernte zwar, aber das hier war etwas ganz anderes als eine Lehrstunde. Wenn sie versagte, würde das mehr als genug Menschen vielleicht sogar das Leben kosten. Und mit dieser Schuld würde sie nicht leben können.
„Es tauchen immer mehr Patrouillen um euch herum auf. Ich kann sie zwar mit dem Detektor verfolgen, aber mehr auch nicht“, antwortete sie. „Ihr könnt sie umgehen, bis auf die, die direkt im Gang wartet. Pendergast scheint inzwischen doch herausgefunden zu haben, daß jemand hier ist.“
„Das weiß er, seit Sie hier gelandet sind, Major“, entgegnete Barnes. „Spätestens als die Erethianer aus Ihrem Jumper gekommen sind. Pendergast ist nicht dumm. Er läßt alle Zugänge zu seinem Schiff bewachen.“
Vashtu holte scharf Atem.
Warum hatte sie nicht damit gerechnet? Warum war sie so blauäugig gewesen? Sie hatte Danea und die anderen in eine Falle geschickt, aus der sie nicht wieder herauskommen würden, half sie ihnen nicht.
Vashtu erhob sich vom Pilotensitz. „Ich helfe euch“, sagte sie mit entschlossener Stimme. „Basbara und ich kommen euch entgegen.“

***

Barnes nickte Frederics zu, der daraufhin in den Schacht kletterte und behende auf allen Vieren davonkroch.
„Das lassen Sie schön bleiben, Major“, entgegnete er bestimmt. „Sie beobachten genau weiter die Truppenverteilung und leiten uns ... Sind wir im Gang erreichbar?“
„Nein“, kam umgehend die Antwort. „Aber ...“
„Dann können wir Pendergasts Truppe vielleicht doch umgehen. Gibt es von diesem Schacht aus eine Verbindung mit dem Lüftungsschächten zum Flugdeck?“

***

Vashtu blieb unschlüssig am oberen Rand der Rampe stehen und nagte an ihrer Unterlippe.
Basbara, die Erethianerin, die am Schott Wache hielt, hatte sich umgedreht und sah forschend in ihre Richtung. Sie mußte ihre Schritte gehört haben, wenn sie sie auch nicht sehen konnte.
„Gibt es eine Verbindung, Major?“ wiederholte Barnes seine letzte Frage.
Vashtu starrte die Erethianerin an, als könne diese ihr die gewünschte Antwort geben. Unschlüssig stand sie noch immer an der Rampe, einen Arm in Richtung ihrer P-90 ausgestreckt.
„Gibt es eine Verbindung?“ Barnes klang ungeduldig.
Vashtu drehte sich um und ging zurück ins Cockpit. Dort schnappte sie sich das Pad mit den Daten der Prometheus und rief das entsprechende Programm auf.

***

„Ich glaube, sie kommt gleich. Diese Alien-Frau hat sich gerade umgedreht“, meldete Bates.
Pendergasts Lächeln wurde zu einem sehr zufriedenen Grinsen.
Natürlich kam sein Vögelchen, um sein Liedchen für ihn zu singen und sich zähmen zu lassen. Was sollte sie denn auch sonst tun? Ihre Leute waren in der Zange, sie mußte ihnen zu Hilfe kommen, sonst würde er nur noch mehr Gefangene haben. Mehr Geiseln, die er gegen sie einsetzen konnte. Und das wollte sie natürlich verhindern.
„Nun komm schon raus aus deinem Versteck“, wisperte er dem Bildschirm zu.

***

„Das ist ein ziemlicher Umweg“, sagte Vashtu mit verzweifelt gerunzelter Stirn. Es juckte sie immer mehr, den sicheren Jumper zu verlassen und ihren Leuten zu Hilfe zu kommen. Noch hielten Barnes' Fragen sie davon ab, einen Fehler zu machen, und sie wußte es. Aber was, wenn sie den Kontakt mit ihm verlor?
Vashtu konzentrierte sich auf den Bildschirm auf ihrem Schoß, beugte sich darüber. „Aber es müßte gelingen.“
„Gut, dann nehmen wir den längeren Weg“, entschied Barnes. „In regelmäßigen Abständen melden wir uns bei Ihnen ... Ist der Weg frei?“
Vashtus Kopf ruckte hoch, und da sah sie es.
Ungläubig starrte sie auf das Hologramm.
Wie hatte ihr dieser Punkt bisher entgehen können? Wie hatte sie ihn übersehen können?
„Ist der Weg frei?“ wiederholte Barnes.
Vashtu kniff die Lippen aufeinander, dann nickte sie. „Ja, er ist frei.“ Ihre Stimme klirrte wie Eis.