14.10.2012

Meuterei (Teil 2) III

Dr. Peter Grodin richtete sich wieder auf und beobachtete seine Patientin besorgt.
Im Gesicht des Majors zuckte es, die Augen hielt sie jetzt geschlossen, den Hinterkopf gegen die Rohre gelehnt. Schweiß stand auf ihrer Stirn und ihre blasse Haut schien noch blasser im Moment.
Er beobachtete, wie ihre Nasenflügel sich wölbten, als sie atmete, immer schneller und schneller. Kein Wunder, daß sie Schmerzen hatte. Das Natrium-Thiopental mußte ihrem Organismus sehr zusetzen, mehr als bei einem normalen Menschen. Hoffentlich würde nichts zurückbleiben, falls sie jemals hier herauskamen.
Ihm blieb nur zu hoffen, daß Pendergast irgendwann die Nase voll hatte, in ihrem Geheimnissen zu wühlen, oder daß diese ihr irgendwann ausgehen würden und der Colonel dies auch rechtzeitig genug begriff.
Bates packte ihn hart am Arm und zerrte ihn zurück, zwang ihn dann, sich auf einen der beiden Stühle zu setzen.
Grodin beobachtete mit hart klopfendem Herzen, wie Pendergast sich wieder über seine Gefangene beugte. Wieder umschloß er mit einer Hand ihren Hals.
Grodin erschauderte, als der Major jetzt die Augen öffnete. Nur einen Spaltbreit, gerade genug, daß man die dunkle Iris sehen konnte. Von den Pupillen war keine Spur mehr wahrzunehmen. Sie mußten jetzt winzigen Nadelspitzen gleichen.
Pendergast beugte sich noch tiefer, raunte ihr etwas ins Ohr.
Major Uruhk nickte beinahe unmerklich, wie sie vorhin, als sie noch geknebelt gewesen war, auch mit ihm getan hatte.
Eine lebende Antikerin! Eine Antikerin, die sich nicht nur der Air Force angeschlossen hatte, sondern auch noch über das eine oder andere Wissen verfügte. Und was geschah hier mit ihr?
Grodin schluckte, als sich ihr Mund öffnete.
„Mußte ... korrigieren ... Therapie korrigieren“, flüsterte sie mit belegter Stimme.
Also ging es wieder um die Gentherapie, die sie zu dem gemacht hatte, was sie immer noch war. Durch dieses Mittel, das sie wohl zum Teil mit selbst erschaffen hatte, hatte sie diese zehntausend Jahre überstehen können, und wohl inzwischen auch noch einige mehr.
„Bei deiner Therapie waren wir schon. Erzähl mir, was dann geschah? Du hast sie dir selbst gesetzt, und dann?“ fragte Pendergast lauernd.
In ihrem Gesicht zuckte es. Sie wollte nicht erzählen, was sie wußte. Es sollte ihr Geheimnis bleiben, was damals geschehen war. Doch konnte sie gegen das Natrium-Thiopental ankämpfen? So gründlich ankämpfen?
Die Dosis war nicht so hoch gewesen wie die erste. Alles andere würde an Wahnsinn grenzen, und das wußte Grodin. Dennoch mußte er vorsichtig sein, damit Pendergast das ganze nicht auffiel.
„Was geschah, nachdem du dir die Spritze gegeben hast?“ Der Colonel klang bereits ungeduldig. Ein Schmerzenslaut entfuhr ihrer Kehle, als er wieder zudrückte. Doch ihre Abwehrreaktionen blieben jetzt aus. Sie kämpfte nicht mehr diesen aussichtslosen Kampf gegen die Fesseln, wie sie es vor wenigen Minuten noch getan hatte. Im Gegenteil schien sie sich ihres Körpers nicht mehr recht bewußt zu sein.
„Rat ... ging zu ... Moros ...“ antwortete sie endlich. „Sagte ihm ... zeigte ... konnte nicht verhindern ... Moros ...“ Ihre Augen verdrehten sich, wieder begann es in ihrem Gesicht zu zucken. „Enkil ... Zelle ... Angriff ... Enkil ... Bruder ... Enkil ... Enkil!“ Sie riß unwillkürlich die Augen auf, dann verdrehten sie sich bis nur noch das Weiße zu sehen war.
Pendergast verstärkte seinen Druck auf ihren Hals noch. „Weiter! Was ist mit diesem Enkil? Was ist passiert? Du bist zu diesem Moros gegangen und ... ?“
Sie ächzte.
„Lassen Sie das! Da ist eine geistige Sperre in ihrem Inneren“, wandte Grodin unwillkürlich ein.
Pendergast warf ihm einen mörderischen Blick zu, beugte sich dann wieder über die Antikerin. „Was ist passiert?“ wiederholte er eindringlich.
„Wer überlebt ... sollte gehen ...“ Es kam wie ein schwerer Seufzer aus ihrem Innersten. Wieder schlossen sich ihre Augen bis zu diesem schmalen Spalt. „Griff an ... überlebte ... Enkil tot ...“
Irrte er sich, oder rann da eine Träne aus ihrem rechten Augenwinkel? Wer war dieser Enkil gewesen? Sie hatte seinen Namen auch schon während des ersten Verhörs genannt, mehrfach genannt. Wer auch immer er gewesen war, er hatte ihr viel bedeutet. So viel, daß sein Verlust sie noch heute schmerzte.
Grodin schnürte es die Kehle zu, sie zu beobachten. Er senkte den Kopf und schloß die Augen.
Er war Mediziner! Er war, verdammt noch einmal, Mediziner! Er hatte hart darum gekämpft, genau das zu werden, was er hatte sein wollen. Und jetzt ... verkam er zu einem billigen Handlanger eines Folterers und mußte auch noch zusehen, wie sein Opfer gequält wurde.
„Weiter!“
„Labor ... kam nicht heraus ... Labor“, wisperte sie. „Janus ... Blockade ... kam nicht durch. Wollte fliehen ... kam nicht durch. War unmöglich ... Kreuzer ... Jumper beschädigt ... mußte retten ... retten ... Kreuzer.“
Vor seinem inneren Auge erschien die gestammelte Lebensgeschichte wie ein Film, während er weiter zuhörte. Er konnte Major Uruhk beinahe sehen, wie sie, immer und immer wieder, zu Wraith-Schiffen flog. Es war gleich, welche Größe diese auch erreichen mochten. Was dieser Janus in Gang gesetzt hatte mit seinem überstürzten Rettungsversuch, man hatte es weiter verfolgt. Man hatte sich ihrer bedient. Und nach und nach war sie immer mehr zu einer Kriegerin geworden, hatte es werden müssen, sonst hätten die Wraith sie getötet.
Was für ein Schicksal! Grodin konnte es kaum glauben. Was blieb hier von dem Volk, das sie alle früher einmal bewundert hatten? Wo blieb es? All das Wissen, all diese unglaublichen Dinge, die die Antiker geschaffen hatten. Und was taten sie damit? Wie verhielten sie sich?
Major Uruhk stöhnte wieder auf. Etwas in diesem Stöhnen ließ ihn aufblicken.
Ihr Gesicht war mittlerweile von Schweiß bedeckt und noch blaßer als zu dem Zeitpunkt, an dem er ihr das Natrium-Thiopental gespritzt hatte. Ihre Augen waren inzwischen geschlossen, und irgendwie ...
Sie hatte endlich das Bewußtsein verloren, ging ihm auf. Eine Nebenwirkung des Natrium-Thiopental, das, in geringerer Dosis, als Narkosemittel dienen konnte. Irgendwann würde sie bei jeder Sitzung das Bewußtsein verlieren, ein Akt der Gnade in dieser Folter, an dem auch Pendergast nichts ändern konnte. Sicher, er konnte auch Adrenalin spritzen lassen, sie wieder wecken damit, aber er würde sich weigern, das zu tun. Das Natrium-Thiopental richtete schon genug Schaden in ihrem Bewußtsein und mit ihrem Körper an. Alles andere ...
Pendergast rammte wütend ihren Kopf wieder gegen die Rohre, ließ sie dann los und richtete sich knurrend auf, nachdem er begriffen hatte, daß all seine Drohungen nichts mehr bringen würden. Major Uruhk hatte endlich den Ausweg aus diesem Zustand gefunden.
Grodin schluckte, als der Blick des Colonels sich auf ihn legte. Dann verzog Pendergast das Gesicht zu einem wölfischen Grinsen.
„Interessante Geschichten, die sie da erzählt, nicht wahr?“ fragte er.
Grodins Herz schlug wieder schneller. Eine kalte Hand hielt seinen Nacken gepackt, als er begriff, in dem Moment, als Bates ihn über die Schwelle in diesen Raum gezerrt hatte, hatte er auch sein Todesurteil unterzeichnet. Mit diesem Wissen würde Pendergast ihn nicht am Leben lassen, niemals! Selbst wenn die Antikerin die Folter überlebte, er würde das nicht tun. Sobald alle ihre Geheimnisse offen lagen, würde er nicht mehr gebraucht werden und, wie sein Vorgänger Heisen, irgendeinen Unfall erleiden.
„Kümmern Sie sich um unser Vögelchen, Grodin.“ Pendergast winkte ab, trat zu Bates. „Es ist spät geworden, und selbst sie scheint Nahrung zu brauchen. Besorgen Sie etwas für die beiden. Noch brauchen wir sie.“
Grodin erhob sich langsam wieder, trat zu der Bewußtlosen und überprüfte als erstes deren Puls. Ihr Herz raste, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber es schlug stark und regelmäßig.

***

Frederics wanderte etwas ziellos durch die Gänge, versuchte dabei beschäftigt auszusehen. Eine seiner leichtesten Übungen, die er seit seiner Grundausbildung immer weiter perfektioniert hatte. Sah man einmal davon ab, daß er im Moment sehr gewichtige Probleme wälzte, sehr viel gewichtiger als seine üblichen, also ein recht normaler Tag.
Irgendetwas auf der Prometheus stimmte nicht so ganz. Er konnte es fühlen. Die Mannschaft war mehr als sonst gespalten unter dem Kommandanten. Es gab die einen, die Pendergast blind folgten, dann wieder aber auch solche, die dem Kommandanten dieses Schiffes skeptisch gegenüberstanden und sich ihre eigenen Gedanken machten. Zu dieser letzten Gruppe hatte er bisher gehört, bis er, mehr durch Zufall, Kontakt zur Atlantis-Crew hatte herstellen können und sich von ihnen hatte mitschleifen lassen. Ausschlaggebend für sein persönliches Meutern gegen Pendergast war aber schließlich diese Major Uruhk gewesen und das, was er hatte mit ihr auf dem Planeten, Erethia, erleben dürfen.
Die Prometheus war nach der der Grund- und den diversen Spezialausbildungen seine erste Stationierung, und eigentlich hatte er sich seinen Lebensweg etwas anders vorgestellt. Aber als Kind einer geschiedenen Frau mit einem miesen Job war ihm keine andere Wahl geblieben als zum Militär zu gehen. Jedenfalls hatte man ihm das damals nahegelegt, wenn er irgendwann studieren wollte. Und das hatte er eigentlich fest in seinem Leben eingeplant. Daß man in der Grundausbildung etwas anderes in ihm gesehen hatte als den üblichen Befehlsempfänger war schnell klar geworden, wenn er auch schon damals nicht immer jeden Befehl seiner Ausbilder blind befolgte, sondern auch einmal nachfragte und, vor allem in Manövern, seinen eigenen Weg ging.
Wenn er ehrlich zu sich war, legte er gar keinen Wert mehr darauf herauszufinden, wie es wohl mit seiner Personalakte bestellt war. Die dürfte inzwischen ziemliche Dimensionen erreicht haben. Hätte er nicht in Admiral Sumner einen Gönner gefunden, der ihn schließlich in das geheimste Projekt seiner Erde brachte, wäre er früher oder später entweder bei irgendeinem Himmelfahrtskommando verheizt oder unehrenhaft entlassen worden, und das war ihm mehr als klar. Doch gerade seine rebellische Art, sein Nachfragen und seine Kreativität, Befehle auszulegen, all das hatte den Admiral beeindruckt und ihn immer mehr aus dem üblichen Dienst herausgebracht.
Frederics war Sumner für einiges dankbar, inzwischen, mußte er zugeben, auch für seine Versetzung auf die Prometheus, auch wenn er ihn die ersten Wochen auf diesem Schiff mehr als einmal verflucht hatte. Aber ihm war auch schnell klar geworden, daß Pendergast sich sehr gut bei seinen Vorgesetzten einschmeicheln konnte und er sich nur aus diesem Grund im Kommando hielt. Auf Atlantis hatte der Colonel dann endlich gezeigt, wer er wirklich war: ein Feigling und ein Intrigant.
Frederics kannte die genauen Befehle nicht, aber aus dem, was er von der Mannschaft der Daedalus erfahren hatte, war eigentlich sehr klar hervorgegangen, daß es nicht darum gegangen war, den Außenposten aufzulösen, sondern um Hilfe gegen die Wraith. Pendergast aber hatte sich plötzlich quer gestellt und hatte darauf beharrt, daß der Außenposten der Menschheit in der Pegasus-Galaxie aufgegeben werden müsse. Als die Daedalus dann in das Feuer der Wraith-Schiffe geraten und die Millionen Jahre alte Stadt der Antiker gesprengt worden war ... In diesem Moment hatte Frederics sich innerlich von seinem Kommandanten verabschiedet und nach neuen Ufern Ausschau gehalten.
Daß er dieses neue Ufer in Form einer, nicht ganz regelkonformen Frau im Rang eines Air-Force-Majors finden würde, hätte er zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht, aber so war es gekommen. Als er Major Uruhk das erste Mal gesehen hatte, wie sie an ihrer F-302 herumbastelte mit sehr konzentriertem Gesicht, das schwarze Haar wild in alle Richtung abstehend und in dieser Fliegerkombination, in der sie aussah wie ein Schulmädchen, da hätte er sich fast am Boden gewälzt vor Lachen. Was sie dann aber auf Erethia gezeigt hatte, wie sie beide miteinander arbeiteten, daß sie ihm schließlich sogar soweit vertraut hatte, ihm die Durchsuchung eines Sektors dieser verlassenen Antiker-Stadt allein zuzutrauen - nun ja, weit war er nicht gekommen, ehe sie ihn zurückbeorderte, aber immerhin - , das alles hatte ihn stolz gemacht. Und er hatte schnell begriffen, daß er in ihr eine Vorgesetzte gefunden hatte, die dachte wie er, die ihre eigenen Wege ging und ihren Kopf durchsetzte, zum großen Teil sogar vehementer als er.
Gleich, nachdem sie wieder auf die Prometheus zurückgekehrt waren, hatte er sich mit Barnes besprochen, der ihm ebenfalls recht sympatisch war mit seiner Abgeklärtheit. Und während dieses Gespräches hatte er von den Plänen erfahren, die Dr. Stross mit dem Major, von der es hieß, sie sei eine lebende Antikerin, hatte. Und da hatte er sich entschieden. Er wollte die Prometheus verlassen, er wollte hinunter in diese Stadt und unter Major Uruhk dienen. Er war sicher, unter ihrer Leitung hätte er endlich eine echte Chance und würde mehr lernen als von diesem intriganten Schwein Pendergast, dem sein eigenes Leben wichtiger war als das aller anderen.
Frederics seufzte. Liebendgern hätte er seine Hände tief in seine Hosentaschen gerammt, doch das wäre ein zu deutliches Indiz dafür gewesen, daß er unbeschäftigt war. Also weiter den wichtigen Auftrag mimen und sehen, daß er allen, die ihn besser kannten und bei seiner Inhaftierung anwesend gewesen oder von ihr erfahren haben könnten, aus dem Weg ging, während er sich einen Plan zurechtlegte, wie er Barnes und diesen Erethianer aus der Brick holen konnte.
Da wurde er auf jemanden aufmerksam.
Frederics stutzte, drückte sich dann unvermittelt an die Wand und reckte den Hals.
Bates?
Was machte Pendergasts Schatten denn allein in diesem Teil des Schiffes? Und warum hatte er ein vollbeladenes Tablett aus der Messe dabei?
Frederics zögerte einen Moment, sah noch einmal den Gang hinauf und hinunter, dann folgte er dem Sergeanten vorsichtig.
Bates gehörte zu denen, die wußten, daß er ebenfalls in dem Hangar gefangengesetzt worden war. Außerdem war er immer über die Pläne des Colonels informiert. Wenn er also irgendwo und von irgendjemandem erfahren konnte, was hier passierte, dann von ihm.
Frederics nutzte jede Deckung, die er finden konnte, wurde immer ratloser.
Was wollte ausgerechnet Bates in der Nähe des Antriebs? Und wozu trug er dieses Tablett mit sich herum?
Der Sergeant öffnete ein Schott, trat dann in die große, unbeleuchtete Halle, in der, Frederics wußte nicht genau was, irgendetwas passierte, wurde der Hyperantrieb aktiviert. Und er sah zu, daß er so schnell wie möglich folgte, drückte sich dann in den Schatten und nutzte ihn aus.
Keinen Moment zu früh. Das Schott hatte sich gerade wieder geschlossen, als es erneut einfuhr.
Frederics erstarrte.
Pendergast!
Was wollten die beiden hier?
„Eine interessante Fragestunde, nicht wahr?“ wandte der Colonel sich an den Marine-Sergeanten.
Frederics huschte im Schatten einiger Kisten näher an die beiden heran, versuchte ihren Weg vorauszusehen. Sie schienen direkt auf den kleinen Wartungsraum zuzuhalten, der vollkommen abgeschirmt von allem war.
Was wollten sie dort? Ein munteres Stelldichein?
Frederics grinste, als er sich an Moore erinnerte, einen schon älteren Marine, der sehr begabt im Zeichnen gewesen war. Vor allem seine Karikaturen hatten es der Mannschaft angetan. Und hier empfand Frederics noch immer eine als besonders herausstechend, die Pendergast und Bates gezeigt hatte - in einer eindeutigen Situation.
„Ja, Sir. Das Vögelchen singt wie eine Lerche, Sir“, antwortete Bates endlich.
Vögelchen? Was für ein Vögelchen?
Frederics runzelte die Stirn, schüttelte dann verständnislos den Kopf und huschte weiter im Schatten an ihrer Seite.
„Diese Sache mit der Gentherapie könnte für uns von Interesse sein“, fuhr Pendergast fort. „Supersoldaten, die man kaum töten kann und über sehr interessante Kräfte verfügen. Ich frage mich, ob ein gestutzter Flügel reichen wird, läßt die Betäubung nach.“
Frederics blinzelte verständnislos. Aber zumindest einen Reim konnte er sich machen. Irgendetwas führten die beiden im Schilde, etwas, wovon das Schiff keine Ahnung hatte. Und genau darum hatten sie sich hierher zurückgezogen.
„Was wollen Sie mit dem Doc machen, wenn sie fertig ist?“ fragte Bates interesselos.
„Erst einmal werden wir Grodin noch brauchen. Aber ... Sie wissen doch, Unfälle passieren. Wenn Grodin das Schicksal von Heisen so unbedingt teilen möchte ... Aber erst einmal muß er weiter Uruhk zum Sprechen bringen. Da gibt es noch einiges, denken Sie nicht? Ich glaube sogar, sie hat uns nicht die Wahrheit über den Aufenthaltsort der Expedition gesagt. Ich werde auf jeden Fall nachfragen.“ Pendergasts Stimme klang siegessicher.
Frederics' Augen wurden groß, als er die beiden Namen hörte, vor allem den letzteren.
Major Uruhk war auf der Prometheus? Aber ...
Dann ging ihm endlich auf, was hier gespielt wurde.
Frederics kniff die Lippen aufeinander, um nicht loszufluchen.
Die beiden blieben vor dem Schott zum Wartungsraum stehen. Frederics fiel auf, daß irgendjemand die Verriegelung ausgewechselt hatte, als er jetzt darauf achtete. Ein Zahlenschloß, und Pendergast gab einen bestimmten Code ein.
Er mußte näher heran, um die Kombination herauszufinden, wurde ihm klar, als das Schott sich öffnete.
Frederics blieb stehen wie erstarrt. Er war zwar recht weit entfernt und mußte gegen das Licht aus dem Raum anblinzeln, aber diese schwarzen Haare mit der Sturmwindfrisur würde er immer und überall wiedererkennen.

TBC ...

07.10.2012

Meuterei (Teil 2) II

„Ich bin Arzt, kein Folterknecht!“ herrschte Dr. Peter Grodin den Colonel an. „Ich habe einen Eid abgelegt, Leben zu retten, nicht, anderen dieses Leben zur Qual zu machen.“
Major Vashtu Uruhk mußte zugeben, irgendwie war sie von dem sonst so stillen und gelassen wirkenden Mediziner beeindruckt. Sie hätte nicht erwartet, daß Grodin sich dermaßen gegen das wehren würde, was man von ihm verlangte. Vor allem, da sie sich kaum kannten.
Aber ... ein Pluspunkt mehr für ihn. Auch wenn seine Weigerung zu tun, was man ihm aufgetragen hatte, die Lage im Moment nicht gerade leichter für sie beide machte.
Wie um ihre Gedanken zu bestätigen, zog Pendergast in diesem Moment an dem, wahrscheinlich einen Strick oder ein Seil, was mit dem Gurt um ihren Hals verbunden war. Vashtus Hinterkopf knallte wieder hart gegen das, was auch immer sich hinter ihr befand, und augenblicklich wurde ihr die Atemluft abgeschnürt. Hilflos röchelte sie, zerrte an ihren Fesseln, was ihr nur noch mehr Schmerzen einbrachte.
„Es gibt auch noch andere, etwas ... kreativere Wege, unser Vögelchen zum Singen zu bringen, Dr. Grodin. Zwingen Sie mich nicht, diese Wege zu beschreiten. Denn dann würde Major Uruhks Leben ganz sicher zur Qual werden, zu einer einzigen, gewaltigen Qual“, knurrte der Colonel.
Grodin sah sie einen Moment lang an, blickte ihr direkt in die Augen.
Vashtu schüttelte unmerklich den Kopf.
Solange sie es verhindern konnte, würde sie sehen, daß ihr keine neuen Drogen verabreicht wurden. Und genau das verlangte Pendergast von dem Mediziner. Er sollte ihr irgendetwas spritzen, ein Mittel, das ihren Widerstand brechen und sie zum Sprechen bringen sollte.
Nein, sie hatte noch mehr als genug vom letzten Mal.
Pendergast ließ endlich wieder los, womit er ihr gerade die Atemluft abgeschnürt hatte. Hektisch fühlte sie ihre Lungen mit Sauerstoff, soviel sie nur kriegen konnte durch die Nasenlöcher, denn ihr Mund war noch immer mit irgendetwas verklebt. Und sofort folgte ein erster Hustenanfall, der in ihrem Hals schmerzte.
„Sie werden zusehen, wenn ich meine Methoden anwende, Dr. Grodin. Ich werde Sie dazu zwingen“, fuhr der Kommandant der Prometheus fort. „Wir haben viel Zeit, alle Zeit der Welt, wie man so sagt. Und irgendwann wird auch Major Uruhks Widerstand erlahmen, glauben Sie mir. Es gibt mehr als nur einen Weg, nur würde ich persönlich den ... saubereren bevorzugen. Sie nicht?“
Vashtu schluckte. Noch immer war sie ein wenig benommen von der Betäubung, die man ihr auf Erethia verpaßt hatte, um sie hierher bringen zu können.
Warum hatte sie sich auf dieses verdammte Treffen eingelassen? Ihr hätte doch klar sein müssen ...
Pendergasts Finger bohrten sich in ihr linkes Schultergelenk, und auf der Stelle erstarben alle ihre Gedanken bis auf die Wahrnehmung des Schmerzes.
Was auch immer er mit ihrem Arm angestellt hatte, es war für sie, als bohre er mit tausend Messern in dem Gelenk herum. Die Taubheit, die sich in den letzten Minuten in das beinahe nutzlose Glied geschlichen hatte, wich heißen Flammenzungen.
Vashtu knallte ihren Hinterkopf wieder gegen das, was auch immer hinter ihr war, keuchte würgend und ächzte und stöhnte vor Schmerz.
Verdammt, tat das weh!
„Wollen Sie das wirklich weiter mitansehen, Dr. Grodin?“ fragte Pendergast in ihren Schmerz hinein. „Wollen Sie sich das weiter mitanhören?“
Endlich ließ er sie los.
Vashtus Kopf sank etwas nach vorn. Keuchend holte sie wieder Atem.
Gut, wenn sie die Wahl hatte ... sollte sie es sich vielleicht doch noch einmal überlegen. Das war jetzt schon entschieden mehr Bereitschaft, sie zu foltern, als der Genii Kolya oder der Goa'uld Nisroch gezeigt hatten. Sie hatte zwar eine höhere Schmerzschwelle als ein normaler Mensch, aber das würde selbst sie nicht lange aushalten.
Unter ihren Ponyfransen blickte sie auf, suchte Grodins Blick, und nickte kaum merklich. Der Mediziner holte tief Atem, sah sie mitleidig an, dann nickte auch er.
„Na also, geht doch.“ Pendergast klang sehr zufrieden, beugte sich wieder über sie.
Vashtu erwiderte seinen Blick voll brodelndem Zorn. Eine Möglichkeit, nur eine, und sie würde ...
„Du wirst jetzt gleich hübsch dein Liedchen trällern, mein Lantianer-Vögelchen, und mir alles verraten, was ich wissen will. Hast du verstanden?“
Mit einem Ruck riß er ihr das Pflaster von den Lippen, mit dem sie bis jetzt geknebelt gewesen war. Vashtu verzog leicht das Gesicht, reckte dann aber den Hals, so weit sie konnte.
„Piep, piep, piep“, zischte sie. „Und das ist alles, was Sie von mir erfahren werden, Pendergast! Sie wollen mich singen hören? Ich werde Sie töten, langsam, ganz langsam, das schwöre ich Ihnen. Daraus sollte ich vielleicht ein Lied machen!“ Einen Hustenanfall unterdrückend atmete sie einige Male sehr flach ein.
Der Colonel starrte sie an, dann streckte er die Hand aus.
Vashtu zuckte unwillkürlich zurück und erwartete wieder diesen gemeinen Schmerz in ihrem Arm. Statt dessen aber packte er sie am Hals und riß ihren Kopf wieder in den Nacken.
„Du weißt nicht, worauf du dich eingelassen hast mit deinem Starrsinn, Major Uruhk“, wisperte er ihr zu. „Du hast noch nicht die blaßeste Ahnung, was dich noch erwarten wird. Erst einmal wirst du alles erzählen, was ich wissen will. Und dann ...“ Ein kaltes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Wenn wir wieder auf der Erde sind, wirst du mir mit solchem Enthusiasmus folgen, als wärst du mein Schatten. Du wirst meine Wünsche von den Augen ablesen, ehe ich sie aussprechen kann, mein Vögelchen. Du wirst mir sehr zu Willen sein, glaube mir.“
„Sie werden die Rückkehr doch gar nicht mehr erleben!“ knurrte Vashtu. „Haben Sie eine Ahnung, wie weit wir von der Milchstraße entfernt sind? Es wird Jahrtausende dauern, bis wir auch nur die Pegasus-Galaxie erreicht haben!“
„Nicht, wenn der Hyperantrieb repariert wird.“ Pendergast ließ sie los und richtete sich auf, als Grodin mit einer Spritze in der Hand zu ihnen kam.
Vashtu ruckte wieder an ihren Fesseln, auch wenn ihr dadurch wieder der Atem abgeschnürt wurde und Schmerzspeere durch ihren Arm jagten. „Der Hyperantrieb der Prometheus ist Geschichte, Pendergast! Das haben Ihnen schon mehr als genug Leute gesagt, und ich sage es Ihnen auch noch einmal! Der Wraith, der sich auf Ihr Schiff hat beamen lassen, hat ihn zerstört! Dieser Antrieb wird nie wieder irgendein Hyperraumfenster öffnen, nie!“
„Das werden wir noch sehen.“ Pendergast betrachtete sie lauernd, als erwarte er noch irgendetwas. „Wenn du dich so gut mit diesen Dingen auskennst, mein Vögelchen, vielleicht sollte ich dich an die Reparatur setzen, sobald ich dich gezähmt habe.“
„Vergessen Sie es!“
„Wie du meinst.“ Pendergast hob den Kopf. „Jetzt spritzen Sie ihr schon endlich das Zeug!“
Grodin zuckte sichtlich zusammen, beugte sich dann über sie und tastete in ihrem Ellenbogen herum, auf der Suche nach einer Vene. „Ihr Arm ist ausgekugelt, Major“, zischte er ihr zu.
Vashtu nickte verstehend. Darum also die Schmerzen und die Nutzlosigkeit. Sie mußte aufpassen, daß die Fremdzellen sich nicht befleißigt fühlten, eventuell zerstörtes Gewebe zu heilen und sie damit zu verkrüppeln.
„Tut mir leid“, wisperte der Mediziner. Die Spritze stach durch ihre Haut. „Ich bleibe bei Ihnen. Dieses ... Dreckszeug erfordert die Überwachung durch medizinisch geschultes Personal.“
„Es war meine Entscheidung, Doc.“ Vashtu brachte irgendwie ein schiefes Grinsen zu stande. „Hauptsache ich werde nicht sofort wieder süchtig nach dem Zeug.“
Grodin warf ihr einen irritierten Blick zu, dann zog er die leere Spritze aus der Vene und rieb mit einem Finger über die Stelle.
„Wir kommen hier heraus, verlassen Sie sich darauf. Vineta schickt uns Hilfe.“
Doch so richtig konnte sie nicht glauben, was sie da gerade gesagt hatte. Zumindest Peter dürfte ... Hoffentlich war er nur verwundet! Hoffentlich war nichts schlimmeres passiert.
Vashtu schluckte wieder, als ihr Hals begann, auszutrocknen. Sie schloß die Augen und wartete. Und lange brauchte sie nicht zu warten ...

***

Frederics lehnte sich in dem Nebengang an die Wand und dachte einen Moment lang nach.
Wo konnte sich ein Marine am besten verstecken auf einem Schiff voller Marines und Air-Force-Angehöriger? Wie konnte er am besten an Informationen kommen? Und wo würde er am wenigsten auffallen?
Natürlich da, wo sich andere Marines aufhielten. Also genau dort, wohin seine Schritte ihn gelenkt hatten: die Messe!
Er straffte sich, klopfte noch einmal kurz über seine Kleider und marschierte dann los, als sei überhaupt gar nichts geschehen in den letzten Wochen. Er grüßte freundlich, grinste den einen oder anderen verschwörerisch an, während er sich in der Schlange vor der Essensausgabe einreihte.
Vor ihm, sich irritiert zu ihm umdrehend, stand ein anderer Marine, Davidson, der jetzt fragend die Brauen hob. „Warst du nicht in dem leeren Hangar?“ fragte er schließlich.
Frederics blinzelte, riß dann die Augen auf. „Ich? Wie kommst du denn darauf?“ fragte er, scheinbar verblüfft, daß man ausgerechnet ihn mit den meuternden Gefangengesetzten in Verbindung bringen konnte.
Davidson zuckte mit den Schultern, drehte sich wieder nach vorn und rückte zu seinem Vordermann auf. „Ich dachte nur ...“
„Ich hatte mir was eingefangen und lag die letzten Wochen im Krankenrevier“, erklärte Frederics, runzelte, scheinbar entrüstet, die Stirn. „Ich und meutern! Wo hast du das denn her?“
Davidson zuckte mit den Schultern. „Hattest zumindest besseres Essen im Krankenrevier, und die nette Schwester, oder?“
Ein breites Grinsen erschien auf dem jungen Gesicht des Marine-Lieutenants. „Was denkst du denn?“ Verschwörerisch zwinkerte er dem anderen zu.
„Hast viel verpaßt, Jason“, wandte Davidson ein, griff sich jetzt eines der Tabletts. „Mann, hier war wirklich ne Menge los!“
„Hab was läuten hören.“ Frederics nickte verstehend, reckte den Hals. „Was war denn genau los? Ich hab nur noch erlebt, wie der Colonel da welche eingesperrt hat unter dem Vorwurf der Meuterei.“
„Und dieser weibliche Air-Force-Major hat sie vor ein paar Tagen wieder rausgeholt, bis auf eine Handvoll, die kriegte sie nicht mehr mit. Da war Pendergast schneller.“ Davidson ließ sich einen Teller mit irgendeiner undefinierbaren Pampe geben, Frederics machte der jungen, männlichen Küchenhilfe ein Zeichen, daß er das gleiche wollte, lauschte weiter sehr interessiert.
„Jetzt sitzen Barnes und dieser komische Alien vom Planeten unten in der Brick. Hab gehört, der Colonel, dieser alte ... naja, du weißt, was ich meine. Hab gehört, Pendergast wolle die beiden demnächst entsorgen. Durch die Mannschleuse und weg.“
Frederics ließ sich nichts anmerken, doch sein Herz setzte einen Schlag aus.
Auch das noch! Die Brick! Und dann diese Drohung. Das ... Mist! Er hätte nicht so lange warten dürfen, wurde ihm klar.
Aber er war zumindest noch nicht zu spät gekommen. Vielleicht würde er irgendwie ...
Nachdenklich folgte er Davidson zu einem der Tische, ließ sich neben ihm nieder und grinste breit in die Runde.
„Da sollten wir nur Atlantis Hilfe leisten und geraten mitten in einen Kleinkrieg. Mann, das ist echt starker Tobak!“ rief er lachend aus. Doch sein Lachen klang hohl in seinen Ohren.

***

„Major?“
Vashtu öffnete die Augen einen Spaltbreit und schluckte. Dann begann sie zu husten, hob den Kopf, so weit wie möglich, und versuchte tief und ruhig einzuatmen.
Ihre Kehle war trocken und ihre Lungen schienen sich unvermittelt in kleine Brandherde verwandelt zu haben.
„Trinken Sie, das wird etwas helfen.“
Ein Becher wurde ihr an die Lippen gedrückt. Gehorsam trank sie ein paar Schlucke, musterte Grodin aus schmalen Augenschlitzen.
Die Schmerzen in ihrer Luftröhre ließen etwas nach, ihr Hals war nicht mehr ganz so trocken. Wieder atmete sie ein, als der Arzt den Becher absetzte, holte durch den Mund Luft. „Was ... was ... habe ich ... ?“
„Bleiben Sie ruhig“, fiel Grodin ihr ins Wort. Seine Finger tasteten über ihren Hals. „Sie haben Pendergasts Fragen beantwortet, nicht für lange, aber es schien ihm ausreichend zu sein“, antwortete er dann endlich.
Vashtu nickte ermattet.
Wie beim letzten Mal. Nur dieses Mittel wirkte offensichtlich auch auf ihr Kurzzeitgedächtnis. Sie konnte sich nicht wirklich erinnern. Da war etwas in ihr gewesen, etwas, das ... Sie hatte Angst gefühlt, die nicht die ihre war, eine fremde Unruhe. Sie brauchten ein ZPM, dringend. Aber für was, das wußte sie nicht mehr.
„Was ist das für ein Zeug?“ stöhnte sie endlich auf.
„Natrium-Thiopental“, antwortete Grodin, schob sich langsam auf ihre linke Seite. Seine Finger berührten ihre Schulter.
Sofort begann sie wieder zu ächzen. „Lassen Sie das!“
„Wenn der Arm nicht behandelt wird ...“
Sie warf ihm einen mörderischen Blick zu und schüttelte sehr entschieden den Kopf. „Pendergast hat ihn ausgekugelt. So bin ich zu mir gekommen. Er wird sich schon etwas dabei gedacht haben“, keuchte sie heiser. „Wenn Sie ihn jetzt wieder einrenken ...“ Benommen blickte sie nach vorn, zum Schott. „Wo ist Bates?“
„Er soll Nachschub besorgen“, antwortete Grodin. „Ich will Ihnen helfen, Major. Aber ...“
„Wir kommen hier heraus. Wir kriegen Hilfe - irgendwie.“ Vashtu schluckte wieder. Ihr Hals begann schon wieder auszutrocknen. Sie leckte sich die Lippen. „Was ... was kann noch passieren? Sie waren unruhig, nachdem Sie die Ampulle gesehen haben.“
Grodin zögerte, richtete sich dann wieder auf und sah ebenfalls zum Schott hinüber. „Ihr Herz kann Störungen erleiden, die Venen reizen sich mit der Zeit. Es kann zu Muskelkrämpfen kommen, vor allem im ... Herz-Lungen-Bereich. Sie sind anfälliger für streßbedingte, plötzlich auftretende Phänomene wie ... wie ...“
„Herzinfarkt oder Schlaganfall. Meinen Sie das?“ Sie blickte hoch zu ihm und grinste gequält. „Und was ist mit meinen Lungen?“
Grodin schien sehr nervös. „Was ist mit Ihren Lungen?“
„Sie schmerzen.“
„Es kann zu Atemstillständen kommen, Major. Ihr gesamter Organismus wird durch dieses Mittel unter extremen Streß gesetzt. Das können Sie nicht lange durchhalten. Natrium-Thiopental ist das letzte Mittel, zu dem ein Arzt greifen würde.“
„Nette Aussichten.“ Ein sarkastisches Lächeln erschien auf ihren Lippen. Dann nickte sie langsam. „Okay, helfen Sie mir, Doc. Wir müssen hier heraus, und dazu muß ich erst wieder loskommen. Aber irgendetwas verhindert, daß ich meine Fremdzellen einsetzen kann.“
„Vielleicht das Beruhigungsmittel, das Pendergast Ihnen verabreicht hat, um Sie ruhig zu stellen“, schlug Grodin vor.
„Möglich.“ Vashtu nickte, schielte dann wieder zu ihm hoch. „Sagen Sie mir, wie und wo ich festgemacht bin. Ich kann kaum den Kopf drehen oder mich sonstwie bewegen.“
„Wir sind in der Nähe des Maschinendecks.“
Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Die Fesseln. Wie sehen die Fesseln aus? Wie sind sie miteinander verbunden“, erklärte sie.
„Oh!“ Grodin strich sich mit einer Hand durch das dunkle Haar. „Moment.“
Vashtu biß sich auf die Lippen, kämpfte mit dem nächsten Hustenanfall.
„Sie sitzen auf einem Stuhl, der direkt an zwei Rohre gestellt worden ist“, begann der Mediziner zu erläutern. „Ihre Hände sind hinter diesen Rohren mit Handschellen gefesselt. Ein Seil führt von der Kette nach oben.“ Er trat einen Schritt zurück. „Ihre Knöchel sind mit Plastikfesseln an den Stuhlbeinen festgemacht. Auch von ihnen geht ein Seil die Rohre hoch. Ich glaube, ich kann es nicht richtig sehen, aber ... diese Seile scheinen mit dem Gurt um Ihren Hals verbunden.“
„Sie reißen den Gurt nach hinten, wenn ich mich bewege“, korrigierte Vashtu heiser und schluckte etwas Speichel. „Diese Rohre, wohin führen sie?“
„In die Decke.“ Etwas hilflos zuckte Grodin mit den Schultern.
„Und der Stuhl steht direkt an diesen Rohren? Ist er irgendwie daran befestigt?“
Grodin beugte sich wieder über sie, schüttelte dann den Kopf. „Sieht nicht so aus. Warum?“
„Weil ich uns nicht aus Versehen beiden die Atemluft entziehen will, wenn ich versuche, mich irgendwie zu befreien, darum.“
„Und wie wollen Sie sich befreien, wenn Sie sich nicht bewegen können?“ wandte Grodin ein.
Da allerdings war etwas dran, mußte sie zugeben. Es mochten nicht die besten Fesseln sein, aber sie waren sehr effektiv. Dazu kam, daß sie sich benommen fühlte. Ihre Gedanken schwammen und sie hatte das Gefühl, als würde sie jeden Moment wieder in irgendeine andere Sphäre abdriften.
„Wir kommen hier schon raus“, entgegnete sie mit so fester Stimme, wie sie aufbringen konnte.
Und wie? Wenn sie sich noch richtig erinnerte, war Markham irgendetwas passiert, und Bates hatte auf Peter geschossen. Mit ihr als Entführungsopfer waren damit alle drei ATA-Träger Vinetas ausgeschaltet, alle Jumperpiloten außer Gefecht gesetzt. Selbst wenn Anne Stross jetzt bereit sein würde, ihr ein Rettungsteam hinterherzuschicken, sie würden es nicht bis auf die Prometheus schaffen.
„Geht es Ihnen gut?“ fragte Grodin leise.
Vashtu schüttelte den Kopf, gerade als das Schott sich wieder öffnete und Bates hereinkam, hinter ihm Pendergast, der der Antikerin einen sehr zufriedenen Blick sandte.
Vashtu spannte sich unwillkürlich an. Ihr Blick wurde kalt.
Diesmal würde ihr kein John Sheppard dazwischenkommen. Diesmal würde sie es mit einem eigenen Feind aufnehmen müssen. Und sie würde als die Überlebende aus diesem Kampf hervorgehen, das schwor sie sich.
Pendergasts Blick glitt von ihr ab zu Grodin, der noch immer neben ihr stand. Seine Brauen schoben sich zusammen. „Warum ist er nicht gefesselt, Bates?“ fragte er kalt.
„Weil ich nach meiner Patientin sehen wollte“, entgegnete der Mediziner prompt. „Und das kann ich nicht, wenn man mir Handschellen anlegt.“
„Hatte den Raum verriegelt, Sir“, antwortete Bates, begann, aus einer Tasche, die er mitgebracht hatte, verschiedene Fläschchen und Ampullen zu holen und stellte sie auf dem Tisch ab.
Vashtu atmete tief ein, warf Grodin einen langen Blick zu.
„Nun, Doktor ...“ Pendergast trat näher, musterte sie beide. „Ich sollte Ihnen vielleicht mitteilen, daß Sie tot sind, sobald Sie auch nur versuchen, Major Uruhk zu befreien. Ich hoffe, Ihnen ist das klar. Außerdem, Bates, schätze ich es nicht, wenn sich meine Gefangenen frei in einem Raum bewegen können, der ...“ Den Rest des Satzes ließ er offen.
Vashtu begriff. Es mußte hier irgendeine Schwachstelle geben! Der Raum war präpariert worden, um sie hier gefangenzuhalten. Aber das war nicht seine ursprüngliche Bedeutung.
„Ich werde ...“
„Lassen Sie den Doc zufrieden, Pendergast!“ fiel sie dem Medziner ins Wort. „Er tut nur seine Arbeit - also das, wozu Sie ihn gezwungen haben.“
Mit raschen Schritten war der Kommandant der Prometheus bei ihr und beugte sich über sie. „Was dich angeht, Major“, wandte er sich mit einem süffisanten Lächeln an sie, „du solltest deine Stimme schonen und Atemluft sparen für später.“ Seine Hand schoß vor, packte sie am Hals.
Vashtu knallte zum wiederholten Male mit dem Hinterkopf gegen diese Rohre. Ein schlechter Tag, ganz eindeutig! Er hatte bescheiden begonnen und war immer mehr zu dem verkommen, womit sie auch jetzt noch zu kämpfen hatte.
Pendergast starrte sie durchdringend an. „Bereit, wieder dein Liedchen zu trällern, mein Vögelchen?“
„Sind Sie bereit zu sterben?“ krächzte sie.
Seine Finger drückten zu.
Vashtu kniff die Augen zusammen, als der Schmerz an ihr zu zerren begann. Seine Finger lagen genau über den Sehnen, die ihren Hals stützten. Wenn er jetzt kräftiger zudrückte ...
Er verminderte den Druck wieder. „Wie möchtest du weitermachen, Major?“ fragte er. „Soll dein Doc dir noch einen Schuß setzen oder redest du jetzt freiwillig.“
Vashtu schluckte, starrte ihn an. „Sie wissen nicht, mit wem Sie sich angelegt haben, Pendergast. Sie haben ja keine Ahnung!“
Wieder brodelte kalte Wut in ihrem Inneren. Sie bezwang sie, so gut sie konnte. Doch sie wußte auch, daß dieser Kampf sehr wahrscheinlich schon jetzt verloren war. Kam sie hier nicht mehr heraus - und leider sah es im Moment ganz so aus - würde sie irgendwann auf diesem verdammten Stuhl krepieren, sehr wahrscheinlich wieder in eine Abhängigkeit getrieben, die sie nicht gewollt hatte.
Pendergast beugte sich noch weiter über sie. „Oh nein, mein Vögelchen“, raunte er ihr ins Ohr. „Du weißt nicht, was dich noch erwartet. Aber das werden wir beide schnell ändern, nicht wahr?“
Liebendgern, hätte sie genügend Speichel im Mund gehabt, hätte sie ihn angespuckt. So blieb ihr nur ein Blick, der einen Wraith hätte in die Flucht schlagen können.
Pendergast würde zahlen, er würde für alles zahlen. Und sie würde ihm die Rechnung präsentieren und kassieren, das schwor sie sich ...
Doch der lachte nur, verstärkte den Druck seiner Finger auf ihren Hals wieder. „Singst du freiwillig oder muß Grodin dich wieder überreden, das ist hier die Frage?“ zischte er ihr ins Ohr. „Und wie lautet deine Antwort?“
„Daß Sie von mir nichts, absolut gar nichts erfahren werden!“ krächzte sie heiser.
Pendergast ließ sie los.
Vashtu hustete und schluckte trocken.
„Sie haben es gehört, Grodin. Setzen Sie noch eine Dosis!“ befahl der Colonel.
Vashtu sandte ihm noch einen mörderischen Blick.
„Das kann ich nicht. Das Natrium-Thiopental muß erst noch ...“
„Setzen Sie ihr noch einen Schuß, sofort!“ bellte Pendergast den Mediziner an.
Vashtu suchte den Blick des Mediziners, versuchte ihm mitzuteilen, daß er besser tun sollte, was Pendergast verlangte. Ihr war nicht der Griff an das Hüftholster entgangen. Der Kommandant der Prometheus würde auf Grodin schießen, ließ der nicht endlich seine Prinzipien fallen.
Doch der Arzt stand inzwischen bei dem Tisch, auf dem Bates seine Mitbringsel aufgebaut hatte, starrte die Flaschen und Ampullen an, als seien sie seine persönlichen Feinde. Dann hob er plötzlich den Kopf, ignorierte sie vollkommen, starrte statt dessen Pendergast durchdringend an.
„Wenn Major Uruhk ständig unter dem Einfluß des Natrium-Thiopentals steht, wird sie Ihr Verhör nicht lange durchhalten. Es setzt ihr jetzt schon mehr zu als es eigentlich dürfte. Sie wollen doch, daß sie redet, oder? Das wird sie aber nicht mehr können, erleidet sie einen Herzinfarkt oder, noch schlimmer, einen Schlaganfall!“ Grodin nickte ernst. „Sie hat Ihnen Ihre Fragen doch schon beantwortet. Sie wissen jetzt, was mit ihr ist. Was wollen Sie denn noch?“
Pendergast drehte sich wieder zu ihr um.
Vashtu schluckte unwillkürlich, als sie in sein Gesicht sah.
Sie hatte also sich selbst verraten und sonst nichts? Das war gut. Sollte er nur wissen, was sie wirklich war. Irgendwann würde er sie nicht mehr halten können. Und dann ...
Wieder beugte er sich zu ihr hinunter. Seine Hand packte sie kurz unter dem Kinn.
Wieder der Hals! Was hatte ihm ihr Hals eigentlich getan? Aber besser als die Schulter, rief sie sich zur Ordnung. Wesentlich besser.
Er drückte langsam zu.
Vashtu schloß unwillkürlich die Augen. Nein, sie würde den Schmerz nicht zeigen, ihm vor allen Dingen nicht. Doch sie fühlte auch, wie ihr Gesicht sich verzog.
Zielsicher hatte er wieder die Sehnen gefunden, die er schon vorher drangsaliert hatte. Ein Ziehen und Pochen setzte in ihrem Kopf ein, ließ ihre Zähne schmerzen.
„Hast du ihm das verraten?“ flüsterte er ihr ins Ohr.
Vashtu öffnete die Augen wieder, als sie sich gewappnet fühlte. „Nein“, krächzte sie ergeben.
„Man muß nicht verletzt und gefesselt irgendwo sitzen, um mir soetwas zu verraten“, fiel Grodin ein. „Jetzt lassen Sie sie endlich in Ruhe, Colonel! Sobald die Droge etwas nachgelassen hat ...“
Pendergasts Druck verstärkte sich. Vashtu gab jetzt doch einen kleinen, unterdrückten Laut des Schmerzes von sich.
„Setzen Sie ihr noch eine Dosis, Grodin. Na los!“ bellte Pendergast den Mediziner wieder an. „Oder soll ich weitermachen, mein Vögelchen? Soll ich wirklich?“ Er drückte fester zu.
Vashtu ächzte, ruckte an ihren Fesseln, was ihr sofort auch noch die Luftzufuhr wieder abschnitt. Röchelnd und nach Atem ringend versuchte sie sich zu wehren, sah in Pendergasts Gesicht, das sichtlich zufrieden mit ihrer Reaktion schien. Und sie sah in seinen Augen noch etwas. Etwas ...
Mit der anderen Hand drückte er wieder ihre Schulter.
Diesmal war sie selbst es, die ihren Hinterkopf gegen die Rohre knallte, um einen heiseren Schrei, den sie ohnehin nicht hätte ausstoßen können, zu unterdrücken.
„Lassen Sie das endlich! Pendergast!“ hörte sie Grodin protestieren. „Das wird nichts ändern, hören Sie? Gar nichts!“
Vashtu kämpfte mit den Schmerzen, versuchte, sie sich nicht anmerken zu lassen. Doch sie wußte, das konnte sie nicht unterdrücken, so gern sie es auch gewollt hätte.
„Sagst du es ihm jetzt, Major? Sagst du ihm, was ich hören will? Du wirst nicht anders reden, nicht wahr? Nur so, nur unter der Droge. Oder möchtest du es mir jetzt mitteilen, mh?“
Dieser verdammte ... Dieses Schwein! Dieses verfluchte Schwein! Er hatte sie in eine Falle gelockt, hatte sie schon einmal unter Drogen gesetzt, sie danach süchtig gemacht, daß ihr nichts anderes übrig blieb, als ...
Der Druck auf ihre Schulter verstärkte sich, ließ die Gedanken verschwimmen. Mittlerweile schnürte der Gurt ihr die Atemluft vollkommen ab, der Druck seiner Finger sowohl auf das Schultergelenk wie auch auf die Sehnen ihres Halses waren zu einer einzigen, langen Qual verschmolzen, die sie immer mehr fort von der Realität trieben.
Weg von hier! Fort aus diesem Raum, raus aus ihrem Körper. Irgendwohin, wo es keine Schmerzen gab, keine Sorgen mehr. Ruhe, sie brauchte Ruhe.
Eine kleine Stimme in ihrem Inneren wisperte ihr zu, daß sie die nicht bekommen würde, solange Pendergast lebte. Sie war ihm ausgeliefert, und es lag nicht an ihr, wie weit sie sich treiben ließ. Sie konnte ihm Brocken hinwerfen. Irgendwie mußte sie das tun, sonst würde sie den Verstand verlieren, ehe die Droge ihr Hirn zu Brei verarbeiten konnte.
Irgendwie brachte sie einen zustimmenden Laut zu stande, ihr Kopf sank auf seine Hand, als er den Druck reduzierte, ihre Schulter losließ und den Gurt wieder lockerte.
Tief, hustend und würgend, holte sie Atem. Dann fühlte sie es. Als sie die Augen öffnete und zur Seite schielte, sah sie Grodin, der sich wieder über sie gebeugt hatte. Er setzte ihr endlich eine neue Spritze.
Vashtu sehnte sich nach dem Vergessen der Droge, ließ sich nur zu gern fallen. Es war egal, so lange sie nur diesen Schmerzen entkam.

TBC ...