14.10.2012

Meuterei (Teil 2) III

Dr. Peter Grodin richtete sich wieder auf und beobachtete seine Patientin besorgt.
Im Gesicht des Majors zuckte es, die Augen hielt sie jetzt geschlossen, den Hinterkopf gegen die Rohre gelehnt. Schweiß stand auf ihrer Stirn und ihre blasse Haut schien noch blasser im Moment.
Er beobachtete, wie ihre Nasenflügel sich wölbten, als sie atmete, immer schneller und schneller. Kein Wunder, daß sie Schmerzen hatte. Das Natrium-Thiopental mußte ihrem Organismus sehr zusetzen, mehr als bei einem normalen Menschen. Hoffentlich würde nichts zurückbleiben, falls sie jemals hier herauskamen.
Ihm blieb nur zu hoffen, daß Pendergast irgendwann die Nase voll hatte, in ihrem Geheimnissen zu wühlen, oder daß diese ihr irgendwann ausgehen würden und der Colonel dies auch rechtzeitig genug begriff.
Bates packte ihn hart am Arm und zerrte ihn zurück, zwang ihn dann, sich auf einen der beiden Stühle zu setzen.
Grodin beobachtete mit hart klopfendem Herzen, wie Pendergast sich wieder über seine Gefangene beugte. Wieder umschloß er mit einer Hand ihren Hals.
Grodin erschauderte, als der Major jetzt die Augen öffnete. Nur einen Spaltbreit, gerade genug, daß man die dunkle Iris sehen konnte. Von den Pupillen war keine Spur mehr wahrzunehmen. Sie mußten jetzt winzigen Nadelspitzen gleichen.
Pendergast beugte sich noch tiefer, raunte ihr etwas ins Ohr.
Major Uruhk nickte beinahe unmerklich, wie sie vorhin, als sie noch geknebelt gewesen war, auch mit ihm getan hatte.
Eine lebende Antikerin! Eine Antikerin, die sich nicht nur der Air Force angeschlossen hatte, sondern auch noch über das eine oder andere Wissen verfügte. Und was geschah hier mit ihr?
Grodin schluckte, als sich ihr Mund öffnete.
„Mußte ... korrigieren ... Therapie korrigieren“, flüsterte sie mit belegter Stimme.
Also ging es wieder um die Gentherapie, die sie zu dem gemacht hatte, was sie immer noch war. Durch dieses Mittel, das sie wohl zum Teil mit selbst erschaffen hatte, hatte sie diese zehntausend Jahre überstehen können, und wohl inzwischen auch noch einige mehr.
„Bei deiner Therapie waren wir schon. Erzähl mir, was dann geschah? Du hast sie dir selbst gesetzt, und dann?“ fragte Pendergast lauernd.
In ihrem Gesicht zuckte es. Sie wollte nicht erzählen, was sie wußte. Es sollte ihr Geheimnis bleiben, was damals geschehen war. Doch konnte sie gegen das Natrium-Thiopental ankämpfen? So gründlich ankämpfen?
Die Dosis war nicht so hoch gewesen wie die erste. Alles andere würde an Wahnsinn grenzen, und das wußte Grodin. Dennoch mußte er vorsichtig sein, damit Pendergast das ganze nicht auffiel.
„Was geschah, nachdem du dir die Spritze gegeben hast?“ Der Colonel klang bereits ungeduldig. Ein Schmerzenslaut entfuhr ihrer Kehle, als er wieder zudrückte. Doch ihre Abwehrreaktionen blieben jetzt aus. Sie kämpfte nicht mehr diesen aussichtslosen Kampf gegen die Fesseln, wie sie es vor wenigen Minuten noch getan hatte. Im Gegenteil schien sie sich ihres Körpers nicht mehr recht bewußt zu sein.
„Rat ... ging zu ... Moros ...“ antwortete sie endlich. „Sagte ihm ... zeigte ... konnte nicht verhindern ... Moros ...“ Ihre Augen verdrehten sich, wieder begann es in ihrem Gesicht zu zucken. „Enkil ... Zelle ... Angriff ... Enkil ... Bruder ... Enkil ... Enkil!“ Sie riß unwillkürlich die Augen auf, dann verdrehten sie sich bis nur noch das Weiße zu sehen war.
Pendergast verstärkte seinen Druck auf ihren Hals noch. „Weiter! Was ist mit diesem Enkil? Was ist passiert? Du bist zu diesem Moros gegangen und ... ?“
Sie ächzte.
„Lassen Sie das! Da ist eine geistige Sperre in ihrem Inneren“, wandte Grodin unwillkürlich ein.
Pendergast warf ihm einen mörderischen Blick zu, beugte sich dann wieder über die Antikerin. „Was ist passiert?“ wiederholte er eindringlich.
„Wer überlebt ... sollte gehen ...“ Es kam wie ein schwerer Seufzer aus ihrem Innersten. Wieder schlossen sich ihre Augen bis zu diesem schmalen Spalt. „Griff an ... überlebte ... Enkil tot ...“
Irrte er sich, oder rann da eine Träne aus ihrem rechten Augenwinkel? Wer war dieser Enkil gewesen? Sie hatte seinen Namen auch schon während des ersten Verhörs genannt, mehrfach genannt. Wer auch immer er gewesen war, er hatte ihr viel bedeutet. So viel, daß sein Verlust sie noch heute schmerzte.
Grodin schnürte es die Kehle zu, sie zu beobachten. Er senkte den Kopf und schloß die Augen.
Er war Mediziner! Er war, verdammt noch einmal, Mediziner! Er hatte hart darum gekämpft, genau das zu werden, was er hatte sein wollen. Und jetzt ... verkam er zu einem billigen Handlanger eines Folterers und mußte auch noch zusehen, wie sein Opfer gequält wurde.
„Weiter!“
„Labor ... kam nicht heraus ... Labor“, wisperte sie. „Janus ... Blockade ... kam nicht durch. Wollte fliehen ... kam nicht durch. War unmöglich ... Kreuzer ... Jumper beschädigt ... mußte retten ... retten ... Kreuzer.“
Vor seinem inneren Auge erschien die gestammelte Lebensgeschichte wie ein Film, während er weiter zuhörte. Er konnte Major Uruhk beinahe sehen, wie sie, immer und immer wieder, zu Wraith-Schiffen flog. Es war gleich, welche Größe diese auch erreichen mochten. Was dieser Janus in Gang gesetzt hatte mit seinem überstürzten Rettungsversuch, man hatte es weiter verfolgt. Man hatte sich ihrer bedient. Und nach und nach war sie immer mehr zu einer Kriegerin geworden, hatte es werden müssen, sonst hätten die Wraith sie getötet.
Was für ein Schicksal! Grodin konnte es kaum glauben. Was blieb hier von dem Volk, das sie alle früher einmal bewundert hatten? Wo blieb es? All das Wissen, all diese unglaublichen Dinge, die die Antiker geschaffen hatten. Und was taten sie damit? Wie verhielten sie sich?
Major Uruhk stöhnte wieder auf. Etwas in diesem Stöhnen ließ ihn aufblicken.
Ihr Gesicht war mittlerweile von Schweiß bedeckt und noch blaßer als zu dem Zeitpunkt, an dem er ihr das Natrium-Thiopental gespritzt hatte. Ihre Augen waren inzwischen geschlossen, und irgendwie ...
Sie hatte endlich das Bewußtsein verloren, ging ihm auf. Eine Nebenwirkung des Natrium-Thiopental, das, in geringerer Dosis, als Narkosemittel dienen konnte. Irgendwann würde sie bei jeder Sitzung das Bewußtsein verlieren, ein Akt der Gnade in dieser Folter, an dem auch Pendergast nichts ändern konnte. Sicher, er konnte auch Adrenalin spritzen lassen, sie wieder wecken damit, aber er würde sich weigern, das zu tun. Das Natrium-Thiopental richtete schon genug Schaden in ihrem Bewußtsein und mit ihrem Körper an. Alles andere ...
Pendergast rammte wütend ihren Kopf wieder gegen die Rohre, ließ sie dann los und richtete sich knurrend auf, nachdem er begriffen hatte, daß all seine Drohungen nichts mehr bringen würden. Major Uruhk hatte endlich den Ausweg aus diesem Zustand gefunden.
Grodin schluckte, als der Blick des Colonels sich auf ihn legte. Dann verzog Pendergast das Gesicht zu einem wölfischen Grinsen.
„Interessante Geschichten, die sie da erzählt, nicht wahr?“ fragte er.
Grodins Herz schlug wieder schneller. Eine kalte Hand hielt seinen Nacken gepackt, als er begriff, in dem Moment, als Bates ihn über die Schwelle in diesen Raum gezerrt hatte, hatte er auch sein Todesurteil unterzeichnet. Mit diesem Wissen würde Pendergast ihn nicht am Leben lassen, niemals! Selbst wenn die Antikerin die Folter überlebte, er würde das nicht tun. Sobald alle ihre Geheimnisse offen lagen, würde er nicht mehr gebraucht werden und, wie sein Vorgänger Heisen, irgendeinen Unfall erleiden.
„Kümmern Sie sich um unser Vögelchen, Grodin.“ Pendergast winkte ab, trat zu Bates. „Es ist spät geworden, und selbst sie scheint Nahrung zu brauchen. Besorgen Sie etwas für die beiden. Noch brauchen wir sie.“
Grodin erhob sich langsam wieder, trat zu der Bewußtlosen und überprüfte als erstes deren Puls. Ihr Herz raste, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. Aber es schlug stark und regelmäßig.

***

Frederics wanderte etwas ziellos durch die Gänge, versuchte dabei beschäftigt auszusehen. Eine seiner leichtesten Übungen, die er seit seiner Grundausbildung immer weiter perfektioniert hatte. Sah man einmal davon ab, daß er im Moment sehr gewichtige Probleme wälzte, sehr viel gewichtiger als seine üblichen, also ein recht normaler Tag.
Irgendetwas auf der Prometheus stimmte nicht so ganz. Er konnte es fühlen. Die Mannschaft war mehr als sonst gespalten unter dem Kommandanten. Es gab die einen, die Pendergast blind folgten, dann wieder aber auch solche, die dem Kommandanten dieses Schiffes skeptisch gegenüberstanden und sich ihre eigenen Gedanken machten. Zu dieser letzten Gruppe hatte er bisher gehört, bis er, mehr durch Zufall, Kontakt zur Atlantis-Crew hatte herstellen können und sich von ihnen hatte mitschleifen lassen. Ausschlaggebend für sein persönliches Meutern gegen Pendergast war aber schließlich diese Major Uruhk gewesen und das, was er hatte mit ihr auf dem Planeten, Erethia, erleben dürfen.
Die Prometheus war nach der der Grund- und den diversen Spezialausbildungen seine erste Stationierung, und eigentlich hatte er sich seinen Lebensweg etwas anders vorgestellt. Aber als Kind einer geschiedenen Frau mit einem miesen Job war ihm keine andere Wahl geblieben als zum Militär zu gehen. Jedenfalls hatte man ihm das damals nahegelegt, wenn er irgendwann studieren wollte. Und das hatte er eigentlich fest in seinem Leben eingeplant. Daß man in der Grundausbildung etwas anderes in ihm gesehen hatte als den üblichen Befehlsempfänger war schnell klar geworden, wenn er auch schon damals nicht immer jeden Befehl seiner Ausbilder blind befolgte, sondern auch einmal nachfragte und, vor allem in Manövern, seinen eigenen Weg ging.
Wenn er ehrlich zu sich war, legte er gar keinen Wert mehr darauf herauszufinden, wie es wohl mit seiner Personalakte bestellt war. Die dürfte inzwischen ziemliche Dimensionen erreicht haben. Hätte er nicht in Admiral Sumner einen Gönner gefunden, der ihn schließlich in das geheimste Projekt seiner Erde brachte, wäre er früher oder später entweder bei irgendeinem Himmelfahrtskommando verheizt oder unehrenhaft entlassen worden, und das war ihm mehr als klar. Doch gerade seine rebellische Art, sein Nachfragen und seine Kreativität, Befehle auszulegen, all das hatte den Admiral beeindruckt und ihn immer mehr aus dem üblichen Dienst herausgebracht.
Frederics war Sumner für einiges dankbar, inzwischen, mußte er zugeben, auch für seine Versetzung auf die Prometheus, auch wenn er ihn die ersten Wochen auf diesem Schiff mehr als einmal verflucht hatte. Aber ihm war auch schnell klar geworden, daß Pendergast sich sehr gut bei seinen Vorgesetzten einschmeicheln konnte und er sich nur aus diesem Grund im Kommando hielt. Auf Atlantis hatte der Colonel dann endlich gezeigt, wer er wirklich war: ein Feigling und ein Intrigant.
Frederics kannte die genauen Befehle nicht, aber aus dem, was er von der Mannschaft der Daedalus erfahren hatte, war eigentlich sehr klar hervorgegangen, daß es nicht darum gegangen war, den Außenposten aufzulösen, sondern um Hilfe gegen die Wraith. Pendergast aber hatte sich plötzlich quer gestellt und hatte darauf beharrt, daß der Außenposten der Menschheit in der Pegasus-Galaxie aufgegeben werden müsse. Als die Daedalus dann in das Feuer der Wraith-Schiffe geraten und die Millionen Jahre alte Stadt der Antiker gesprengt worden war ... In diesem Moment hatte Frederics sich innerlich von seinem Kommandanten verabschiedet und nach neuen Ufern Ausschau gehalten.
Daß er dieses neue Ufer in Form einer, nicht ganz regelkonformen Frau im Rang eines Air-Force-Majors finden würde, hätte er zu diesem Zeitpunkt nicht gedacht, aber so war es gekommen. Als er Major Uruhk das erste Mal gesehen hatte, wie sie an ihrer F-302 herumbastelte mit sehr konzentriertem Gesicht, das schwarze Haar wild in alle Richtung abstehend und in dieser Fliegerkombination, in der sie aussah wie ein Schulmädchen, da hätte er sich fast am Boden gewälzt vor Lachen. Was sie dann aber auf Erethia gezeigt hatte, wie sie beide miteinander arbeiteten, daß sie ihm schließlich sogar soweit vertraut hatte, ihm die Durchsuchung eines Sektors dieser verlassenen Antiker-Stadt allein zuzutrauen - nun ja, weit war er nicht gekommen, ehe sie ihn zurückbeorderte, aber immerhin - , das alles hatte ihn stolz gemacht. Und er hatte schnell begriffen, daß er in ihr eine Vorgesetzte gefunden hatte, die dachte wie er, die ihre eigenen Wege ging und ihren Kopf durchsetzte, zum großen Teil sogar vehementer als er.
Gleich, nachdem sie wieder auf die Prometheus zurückgekehrt waren, hatte er sich mit Barnes besprochen, der ihm ebenfalls recht sympatisch war mit seiner Abgeklärtheit. Und während dieses Gespräches hatte er von den Plänen erfahren, die Dr. Stross mit dem Major, von der es hieß, sie sei eine lebende Antikerin, hatte. Und da hatte er sich entschieden. Er wollte die Prometheus verlassen, er wollte hinunter in diese Stadt und unter Major Uruhk dienen. Er war sicher, unter ihrer Leitung hätte er endlich eine echte Chance und würde mehr lernen als von diesem intriganten Schwein Pendergast, dem sein eigenes Leben wichtiger war als das aller anderen.
Frederics seufzte. Liebendgern hätte er seine Hände tief in seine Hosentaschen gerammt, doch das wäre ein zu deutliches Indiz dafür gewesen, daß er unbeschäftigt war. Also weiter den wichtigen Auftrag mimen und sehen, daß er allen, die ihn besser kannten und bei seiner Inhaftierung anwesend gewesen oder von ihr erfahren haben könnten, aus dem Weg ging, während er sich einen Plan zurechtlegte, wie er Barnes und diesen Erethianer aus der Brick holen konnte.
Da wurde er auf jemanden aufmerksam.
Frederics stutzte, drückte sich dann unvermittelt an die Wand und reckte den Hals.
Bates?
Was machte Pendergasts Schatten denn allein in diesem Teil des Schiffes? Und warum hatte er ein vollbeladenes Tablett aus der Messe dabei?
Frederics zögerte einen Moment, sah noch einmal den Gang hinauf und hinunter, dann folgte er dem Sergeanten vorsichtig.
Bates gehörte zu denen, die wußten, daß er ebenfalls in dem Hangar gefangengesetzt worden war. Außerdem war er immer über die Pläne des Colonels informiert. Wenn er also irgendwo und von irgendjemandem erfahren konnte, was hier passierte, dann von ihm.
Frederics nutzte jede Deckung, die er finden konnte, wurde immer ratloser.
Was wollte ausgerechnet Bates in der Nähe des Antriebs? Und wozu trug er dieses Tablett mit sich herum?
Der Sergeant öffnete ein Schott, trat dann in die große, unbeleuchtete Halle, in der, Frederics wußte nicht genau was, irgendetwas passierte, wurde der Hyperantrieb aktiviert. Und er sah zu, daß er so schnell wie möglich folgte, drückte sich dann in den Schatten und nutzte ihn aus.
Keinen Moment zu früh. Das Schott hatte sich gerade wieder geschlossen, als es erneut einfuhr.
Frederics erstarrte.
Pendergast!
Was wollten die beiden hier?
„Eine interessante Fragestunde, nicht wahr?“ wandte der Colonel sich an den Marine-Sergeanten.
Frederics huschte im Schatten einiger Kisten näher an die beiden heran, versuchte ihren Weg vorauszusehen. Sie schienen direkt auf den kleinen Wartungsraum zuzuhalten, der vollkommen abgeschirmt von allem war.
Was wollten sie dort? Ein munteres Stelldichein?
Frederics grinste, als er sich an Moore erinnerte, einen schon älteren Marine, der sehr begabt im Zeichnen gewesen war. Vor allem seine Karikaturen hatten es der Mannschaft angetan. Und hier empfand Frederics noch immer eine als besonders herausstechend, die Pendergast und Bates gezeigt hatte - in einer eindeutigen Situation.
„Ja, Sir. Das Vögelchen singt wie eine Lerche, Sir“, antwortete Bates endlich.
Vögelchen? Was für ein Vögelchen?
Frederics runzelte die Stirn, schüttelte dann verständnislos den Kopf und huschte weiter im Schatten an ihrer Seite.
„Diese Sache mit der Gentherapie könnte für uns von Interesse sein“, fuhr Pendergast fort. „Supersoldaten, die man kaum töten kann und über sehr interessante Kräfte verfügen. Ich frage mich, ob ein gestutzter Flügel reichen wird, läßt die Betäubung nach.“
Frederics blinzelte verständnislos. Aber zumindest einen Reim konnte er sich machen. Irgendetwas führten die beiden im Schilde, etwas, wovon das Schiff keine Ahnung hatte. Und genau darum hatten sie sich hierher zurückgezogen.
„Was wollen Sie mit dem Doc machen, wenn sie fertig ist?“ fragte Bates interesselos.
„Erst einmal werden wir Grodin noch brauchen. Aber ... Sie wissen doch, Unfälle passieren. Wenn Grodin das Schicksal von Heisen so unbedingt teilen möchte ... Aber erst einmal muß er weiter Uruhk zum Sprechen bringen. Da gibt es noch einiges, denken Sie nicht? Ich glaube sogar, sie hat uns nicht die Wahrheit über den Aufenthaltsort der Expedition gesagt. Ich werde auf jeden Fall nachfragen.“ Pendergasts Stimme klang siegessicher.
Frederics' Augen wurden groß, als er die beiden Namen hörte, vor allem den letzteren.
Major Uruhk war auf der Prometheus? Aber ...
Dann ging ihm endlich auf, was hier gespielt wurde.
Frederics kniff die Lippen aufeinander, um nicht loszufluchen.
Die beiden blieben vor dem Schott zum Wartungsraum stehen. Frederics fiel auf, daß irgendjemand die Verriegelung ausgewechselt hatte, als er jetzt darauf achtete. Ein Zahlenschloß, und Pendergast gab einen bestimmten Code ein.
Er mußte näher heran, um die Kombination herauszufinden, wurde ihm klar, als das Schott sich öffnete.
Frederics blieb stehen wie erstarrt. Er war zwar recht weit entfernt und mußte gegen das Licht aus dem Raum anblinzeln, aber diese schwarzen Haare mit der Sturmwindfrisur würde er immer und überall wiedererkennen.

TBC ...

07.10.2012

Meuterei (Teil 2) II

„Ich bin Arzt, kein Folterknecht!“ herrschte Dr. Peter Grodin den Colonel an. „Ich habe einen Eid abgelegt, Leben zu retten, nicht, anderen dieses Leben zur Qual zu machen.“
Major Vashtu Uruhk mußte zugeben, irgendwie war sie von dem sonst so stillen und gelassen wirkenden Mediziner beeindruckt. Sie hätte nicht erwartet, daß Grodin sich dermaßen gegen das wehren würde, was man von ihm verlangte. Vor allem, da sie sich kaum kannten.
Aber ... ein Pluspunkt mehr für ihn. Auch wenn seine Weigerung zu tun, was man ihm aufgetragen hatte, die Lage im Moment nicht gerade leichter für sie beide machte.
Wie um ihre Gedanken zu bestätigen, zog Pendergast in diesem Moment an dem, wahrscheinlich einen Strick oder ein Seil, was mit dem Gurt um ihren Hals verbunden war. Vashtus Hinterkopf knallte wieder hart gegen das, was auch immer sich hinter ihr befand, und augenblicklich wurde ihr die Atemluft abgeschnürt. Hilflos röchelte sie, zerrte an ihren Fesseln, was ihr nur noch mehr Schmerzen einbrachte.
„Es gibt auch noch andere, etwas ... kreativere Wege, unser Vögelchen zum Singen zu bringen, Dr. Grodin. Zwingen Sie mich nicht, diese Wege zu beschreiten. Denn dann würde Major Uruhks Leben ganz sicher zur Qual werden, zu einer einzigen, gewaltigen Qual“, knurrte der Colonel.
Grodin sah sie einen Moment lang an, blickte ihr direkt in die Augen.
Vashtu schüttelte unmerklich den Kopf.
Solange sie es verhindern konnte, würde sie sehen, daß ihr keine neuen Drogen verabreicht wurden. Und genau das verlangte Pendergast von dem Mediziner. Er sollte ihr irgendetwas spritzen, ein Mittel, das ihren Widerstand brechen und sie zum Sprechen bringen sollte.
Nein, sie hatte noch mehr als genug vom letzten Mal.
Pendergast ließ endlich wieder los, womit er ihr gerade die Atemluft abgeschnürt hatte. Hektisch fühlte sie ihre Lungen mit Sauerstoff, soviel sie nur kriegen konnte durch die Nasenlöcher, denn ihr Mund war noch immer mit irgendetwas verklebt. Und sofort folgte ein erster Hustenanfall, der in ihrem Hals schmerzte.
„Sie werden zusehen, wenn ich meine Methoden anwende, Dr. Grodin. Ich werde Sie dazu zwingen“, fuhr der Kommandant der Prometheus fort. „Wir haben viel Zeit, alle Zeit der Welt, wie man so sagt. Und irgendwann wird auch Major Uruhks Widerstand erlahmen, glauben Sie mir. Es gibt mehr als nur einen Weg, nur würde ich persönlich den ... saubereren bevorzugen. Sie nicht?“
Vashtu schluckte. Noch immer war sie ein wenig benommen von der Betäubung, die man ihr auf Erethia verpaßt hatte, um sie hierher bringen zu können.
Warum hatte sie sich auf dieses verdammte Treffen eingelassen? Ihr hätte doch klar sein müssen ...
Pendergasts Finger bohrten sich in ihr linkes Schultergelenk, und auf der Stelle erstarben alle ihre Gedanken bis auf die Wahrnehmung des Schmerzes.
Was auch immer er mit ihrem Arm angestellt hatte, es war für sie, als bohre er mit tausend Messern in dem Gelenk herum. Die Taubheit, die sich in den letzten Minuten in das beinahe nutzlose Glied geschlichen hatte, wich heißen Flammenzungen.
Vashtu knallte ihren Hinterkopf wieder gegen das, was auch immer hinter ihr war, keuchte würgend und ächzte und stöhnte vor Schmerz.
Verdammt, tat das weh!
„Wollen Sie das wirklich weiter mitansehen, Dr. Grodin?“ fragte Pendergast in ihren Schmerz hinein. „Wollen Sie sich das weiter mitanhören?“
Endlich ließ er sie los.
Vashtus Kopf sank etwas nach vorn. Keuchend holte sie wieder Atem.
Gut, wenn sie die Wahl hatte ... sollte sie es sich vielleicht doch noch einmal überlegen. Das war jetzt schon entschieden mehr Bereitschaft, sie zu foltern, als der Genii Kolya oder der Goa'uld Nisroch gezeigt hatten. Sie hatte zwar eine höhere Schmerzschwelle als ein normaler Mensch, aber das würde selbst sie nicht lange aushalten.
Unter ihren Ponyfransen blickte sie auf, suchte Grodins Blick, und nickte kaum merklich. Der Mediziner holte tief Atem, sah sie mitleidig an, dann nickte auch er.
„Na also, geht doch.“ Pendergast klang sehr zufrieden, beugte sich wieder über sie.
Vashtu erwiderte seinen Blick voll brodelndem Zorn. Eine Möglichkeit, nur eine, und sie würde ...
„Du wirst jetzt gleich hübsch dein Liedchen trällern, mein Lantianer-Vögelchen, und mir alles verraten, was ich wissen will. Hast du verstanden?“
Mit einem Ruck riß er ihr das Pflaster von den Lippen, mit dem sie bis jetzt geknebelt gewesen war. Vashtu verzog leicht das Gesicht, reckte dann aber den Hals, so weit sie konnte.
„Piep, piep, piep“, zischte sie. „Und das ist alles, was Sie von mir erfahren werden, Pendergast! Sie wollen mich singen hören? Ich werde Sie töten, langsam, ganz langsam, das schwöre ich Ihnen. Daraus sollte ich vielleicht ein Lied machen!“ Einen Hustenanfall unterdrückend atmete sie einige Male sehr flach ein.
Der Colonel starrte sie an, dann streckte er die Hand aus.
Vashtu zuckte unwillkürlich zurück und erwartete wieder diesen gemeinen Schmerz in ihrem Arm. Statt dessen aber packte er sie am Hals und riß ihren Kopf wieder in den Nacken.
„Du weißt nicht, worauf du dich eingelassen hast mit deinem Starrsinn, Major Uruhk“, wisperte er ihr zu. „Du hast noch nicht die blaßeste Ahnung, was dich noch erwarten wird. Erst einmal wirst du alles erzählen, was ich wissen will. Und dann ...“ Ein kaltes Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Wenn wir wieder auf der Erde sind, wirst du mir mit solchem Enthusiasmus folgen, als wärst du mein Schatten. Du wirst meine Wünsche von den Augen ablesen, ehe ich sie aussprechen kann, mein Vögelchen. Du wirst mir sehr zu Willen sein, glaube mir.“
„Sie werden die Rückkehr doch gar nicht mehr erleben!“ knurrte Vashtu. „Haben Sie eine Ahnung, wie weit wir von der Milchstraße entfernt sind? Es wird Jahrtausende dauern, bis wir auch nur die Pegasus-Galaxie erreicht haben!“
„Nicht, wenn der Hyperantrieb repariert wird.“ Pendergast ließ sie los und richtete sich auf, als Grodin mit einer Spritze in der Hand zu ihnen kam.
Vashtu ruckte wieder an ihren Fesseln, auch wenn ihr dadurch wieder der Atem abgeschnürt wurde und Schmerzspeere durch ihren Arm jagten. „Der Hyperantrieb der Prometheus ist Geschichte, Pendergast! Das haben Ihnen schon mehr als genug Leute gesagt, und ich sage es Ihnen auch noch einmal! Der Wraith, der sich auf Ihr Schiff hat beamen lassen, hat ihn zerstört! Dieser Antrieb wird nie wieder irgendein Hyperraumfenster öffnen, nie!“
„Das werden wir noch sehen.“ Pendergast betrachtete sie lauernd, als erwarte er noch irgendetwas. „Wenn du dich so gut mit diesen Dingen auskennst, mein Vögelchen, vielleicht sollte ich dich an die Reparatur setzen, sobald ich dich gezähmt habe.“
„Vergessen Sie es!“
„Wie du meinst.“ Pendergast hob den Kopf. „Jetzt spritzen Sie ihr schon endlich das Zeug!“
Grodin zuckte sichtlich zusammen, beugte sich dann über sie und tastete in ihrem Ellenbogen herum, auf der Suche nach einer Vene. „Ihr Arm ist ausgekugelt, Major“, zischte er ihr zu.
Vashtu nickte verstehend. Darum also die Schmerzen und die Nutzlosigkeit. Sie mußte aufpassen, daß die Fremdzellen sich nicht befleißigt fühlten, eventuell zerstörtes Gewebe zu heilen und sie damit zu verkrüppeln.
„Tut mir leid“, wisperte der Mediziner. Die Spritze stach durch ihre Haut. „Ich bleibe bei Ihnen. Dieses ... Dreckszeug erfordert die Überwachung durch medizinisch geschultes Personal.“
„Es war meine Entscheidung, Doc.“ Vashtu brachte irgendwie ein schiefes Grinsen zu stande. „Hauptsache ich werde nicht sofort wieder süchtig nach dem Zeug.“
Grodin warf ihr einen irritierten Blick zu, dann zog er die leere Spritze aus der Vene und rieb mit einem Finger über die Stelle.
„Wir kommen hier heraus, verlassen Sie sich darauf. Vineta schickt uns Hilfe.“
Doch so richtig konnte sie nicht glauben, was sie da gerade gesagt hatte. Zumindest Peter dürfte ... Hoffentlich war er nur verwundet! Hoffentlich war nichts schlimmeres passiert.
Vashtu schluckte wieder, als ihr Hals begann, auszutrocknen. Sie schloß die Augen und wartete. Und lange brauchte sie nicht zu warten ...

***

Frederics lehnte sich in dem Nebengang an die Wand und dachte einen Moment lang nach.
Wo konnte sich ein Marine am besten verstecken auf einem Schiff voller Marines und Air-Force-Angehöriger? Wie konnte er am besten an Informationen kommen? Und wo würde er am wenigsten auffallen?
Natürlich da, wo sich andere Marines aufhielten. Also genau dort, wohin seine Schritte ihn gelenkt hatten: die Messe!
Er straffte sich, klopfte noch einmal kurz über seine Kleider und marschierte dann los, als sei überhaupt gar nichts geschehen in den letzten Wochen. Er grüßte freundlich, grinste den einen oder anderen verschwörerisch an, während er sich in der Schlange vor der Essensausgabe einreihte.
Vor ihm, sich irritiert zu ihm umdrehend, stand ein anderer Marine, Davidson, der jetzt fragend die Brauen hob. „Warst du nicht in dem leeren Hangar?“ fragte er schließlich.
Frederics blinzelte, riß dann die Augen auf. „Ich? Wie kommst du denn darauf?“ fragte er, scheinbar verblüfft, daß man ausgerechnet ihn mit den meuternden Gefangengesetzten in Verbindung bringen konnte.
Davidson zuckte mit den Schultern, drehte sich wieder nach vorn und rückte zu seinem Vordermann auf. „Ich dachte nur ...“
„Ich hatte mir was eingefangen und lag die letzten Wochen im Krankenrevier“, erklärte Frederics, runzelte, scheinbar entrüstet, die Stirn. „Ich und meutern! Wo hast du das denn her?“
Davidson zuckte mit den Schultern. „Hattest zumindest besseres Essen im Krankenrevier, und die nette Schwester, oder?“
Ein breites Grinsen erschien auf dem jungen Gesicht des Marine-Lieutenants. „Was denkst du denn?“ Verschwörerisch zwinkerte er dem anderen zu.
„Hast viel verpaßt, Jason“, wandte Davidson ein, griff sich jetzt eines der Tabletts. „Mann, hier war wirklich ne Menge los!“
„Hab was läuten hören.“ Frederics nickte verstehend, reckte den Hals. „Was war denn genau los? Ich hab nur noch erlebt, wie der Colonel da welche eingesperrt hat unter dem Vorwurf der Meuterei.“
„Und dieser weibliche Air-Force-Major hat sie vor ein paar Tagen wieder rausgeholt, bis auf eine Handvoll, die kriegte sie nicht mehr mit. Da war Pendergast schneller.“ Davidson ließ sich einen Teller mit irgendeiner undefinierbaren Pampe geben, Frederics machte der jungen, männlichen Küchenhilfe ein Zeichen, daß er das gleiche wollte, lauschte weiter sehr interessiert.
„Jetzt sitzen Barnes und dieser komische Alien vom Planeten unten in der Brick. Hab gehört, der Colonel, dieser alte ... naja, du weißt, was ich meine. Hab gehört, Pendergast wolle die beiden demnächst entsorgen. Durch die Mannschleuse und weg.“
Frederics ließ sich nichts anmerken, doch sein Herz setzte einen Schlag aus.
Auch das noch! Die Brick! Und dann diese Drohung. Das ... Mist! Er hätte nicht so lange warten dürfen, wurde ihm klar.
Aber er war zumindest noch nicht zu spät gekommen. Vielleicht würde er irgendwie ...
Nachdenklich folgte er Davidson zu einem der Tische, ließ sich neben ihm nieder und grinste breit in die Runde.
„Da sollten wir nur Atlantis Hilfe leisten und geraten mitten in einen Kleinkrieg. Mann, das ist echt starker Tobak!“ rief er lachend aus. Doch sein Lachen klang hohl in seinen Ohren.

***

„Major?“
Vashtu öffnete die Augen einen Spaltbreit und schluckte. Dann begann sie zu husten, hob den Kopf, so weit wie möglich, und versuchte tief und ruhig einzuatmen.
Ihre Kehle war trocken und ihre Lungen schienen sich unvermittelt in kleine Brandherde verwandelt zu haben.
„Trinken Sie, das wird etwas helfen.“
Ein Becher wurde ihr an die Lippen gedrückt. Gehorsam trank sie ein paar Schlucke, musterte Grodin aus schmalen Augenschlitzen.
Die Schmerzen in ihrer Luftröhre ließen etwas nach, ihr Hals war nicht mehr ganz so trocken. Wieder atmete sie ein, als der Arzt den Becher absetzte, holte durch den Mund Luft. „Was ... was ... habe ich ... ?“
„Bleiben Sie ruhig“, fiel Grodin ihr ins Wort. Seine Finger tasteten über ihren Hals. „Sie haben Pendergasts Fragen beantwortet, nicht für lange, aber es schien ihm ausreichend zu sein“, antwortete er dann endlich.
Vashtu nickte ermattet.
Wie beim letzten Mal. Nur dieses Mittel wirkte offensichtlich auch auf ihr Kurzzeitgedächtnis. Sie konnte sich nicht wirklich erinnern. Da war etwas in ihr gewesen, etwas, das ... Sie hatte Angst gefühlt, die nicht die ihre war, eine fremde Unruhe. Sie brauchten ein ZPM, dringend. Aber für was, das wußte sie nicht mehr.
„Was ist das für ein Zeug?“ stöhnte sie endlich auf.
„Natrium-Thiopental“, antwortete Grodin, schob sich langsam auf ihre linke Seite. Seine Finger berührten ihre Schulter.
Sofort begann sie wieder zu ächzen. „Lassen Sie das!“
„Wenn der Arm nicht behandelt wird ...“
Sie warf ihm einen mörderischen Blick zu und schüttelte sehr entschieden den Kopf. „Pendergast hat ihn ausgekugelt. So bin ich zu mir gekommen. Er wird sich schon etwas dabei gedacht haben“, keuchte sie heiser. „Wenn Sie ihn jetzt wieder einrenken ...“ Benommen blickte sie nach vorn, zum Schott. „Wo ist Bates?“
„Er soll Nachschub besorgen“, antwortete Grodin. „Ich will Ihnen helfen, Major. Aber ...“
„Wir kommen hier heraus. Wir kriegen Hilfe - irgendwie.“ Vashtu schluckte wieder. Ihr Hals begann schon wieder auszutrocknen. Sie leckte sich die Lippen. „Was ... was kann noch passieren? Sie waren unruhig, nachdem Sie die Ampulle gesehen haben.“
Grodin zögerte, richtete sich dann wieder auf und sah ebenfalls zum Schott hinüber. „Ihr Herz kann Störungen erleiden, die Venen reizen sich mit der Zeit. Es kann zu Muskelkrämpfen kommen, vor allem im ... Herz-Lungen-Bereich. Sie sind anfälliger für streßbedingte, plötzlich auftretende Phänomene wie ... wie ...“
„Herzinfarkt oder Schlaganfall. Meinen Sie das?“ Sie blickte hoch zu ihm und grinste gequält. „Und was ist mit meinen Lungen?“
Grodin schien sehr nervös. „Was ist mit Ihren Lungen?“
„Sie schmerzen.“
„Es kann zu Atemstillständen kommen, Major. Ihr gesamter Organismus wird durch dieses Mittel unter extremen Streß gesetzt. Das können Sie nicht lange durchhalten. Natrium-Thiopental ist das letzte Mittel, zu dem ein Arzt greifen würde.“
„Nette Aussichten.“ Ein sarkastisches Lächeln erschien auf ihren Lippen. Dann nickte sie langsam. „Okay, helfen Sie mir, Doc. Wir müssen hier heraus, und dazu muß ich erst wieder loskommen. Aber irgendetwas verhindert, daß ich meine Fremdzellen einsetzen kann.“
„Vielleicht das Beruhigungsmittel, das Pendergast Ihnen verabreicht hat, um Sie ruhig zu stellen“, schlug Grodin vor.
„Möglich.“ Vashtu nickte, schielte dann wieder zu ihm hoch. „Sagen Sie mir, wie und wo ich festgemacht bin. Ich kann kaum den Kopf drehen oder mich sonstwie bewegen.“
„Wir sind in der Nähe des Maschinendecks.“
Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Die Fesseln. Wie sehen die Fesseln aus? Wie sind sie miteinander verbunden“, erklärte sie.
„Oh!“ Grodin strich sich mit einer Hand durch das dunkle Haar. „Moment.“
Vashtu biß sich auf die Lippen, kämpfte mit dem nächsten Hustenanfall.
„Sie sitzen auf einem Stuhl, der direkt an zwei Rohre gestellt worden ist“, begann der Mediziner zu erläutern. „Ihre Hände sind hinter diesen Rohren mit Handschellen gefesselt. Ein Seil führt von der Kette nach oben.“ Er trat einen Schritt zurück. „Ihre Knöchel sind mit Plastikfesseln an den Stuhlbeinen festgemacht. Auch von ihnen geht ein Seil die Rohre hoch. Ich glaube, ich kann es nicht richtig sehen, aber ... diese Seile scheinen mit dem Gurt um Ihren Hals verbunden.“
„Sie reißen den Gurt nach hinten, wenn ich mich bewege“, korrigierte Vashtu heiser und schluckte etwas Speichel. „Diese Rohre, wohin führen sie?“
„In die Decke.“ Etwas hilflos zuckte Grodin mit den Schultern.
„Und der Stuhl steht direkt an diesen Rohren? Ist er irgendwie daran befestigt?“
Grodin beugte sich wieder über sie, schüttelte dann den Kopf. „Sieht nicht so aus. Warum?“
„Weil ich uns nicht aus Versehen beiden die Atemluft entziehen will, wenn ich versuche, mich irgendwie zu befreien, darum.“
„Und wie wollen Sie sich befreien, wenn Sie sich nicht bewegen können?“ wandte Grodin ein.
Da allerdings war etwas dran, mußte sie zugeben. Es mochten nicht die besten Fesseln sein, aber sie waren sehr effektiv. Dazu kam, daß sie sich benommen fühlte. Ihre Gedanken schwammen und sie hatte das Gefühl, als würde sie jeden Moment wieder in irgendeine andere Sphäre abdriften.
„Wir kommen hier schon raus“, entgegnete sie mit so fester Stimme, wie sie aufbringen konnte.
Und wie? Wenn sie sich noch richtig erinnerte, war Markham irgendetwas passiert, und Bates hatte auf Peter geschossen. Mit ihr als Entführungsopfer waren damit alle drei ATA-Träger Vinetas ausgeschaltet, alle Jumperpiloten außer Gefecht gesetzt. Selbst wenn Anne Stross jetzt bereit sein würde, ihr ein Rettungsteam hinterherzuschicken, sie würden es nicht bis auf die Prometheus schaffen.
„Geht es Ihnen gut?“ fragte Grodin leise.
Vashtu schüttelte den Kopf, gerade als das Schott sich wieder öffnete und Bates hereinkam, hinter ihm Pendergast, der der Antikerin einen sehr zufriedenen Blick sandte.
Vashtu spannte sich unwillkürlich an. Ihr Blick wurde kalt.
Diesmal würde ihr kein John Sheppard dazwischenkommen. Diesmal würde sie es mit einem eigenen Feind aufnehmen müssen. Und sie würde als die Überlebende aus diesem Kampf hervorgehen, das schwor sie sich.
Pendergasts Blick glitt von ihr ab zu Grodin, der noch immer neben ihr stand. Seine Brauen schoben sich zusammen. „Warum ist er nicht gefesselt, Bates?“ fragte er kalt.
„Weil ich nach meiner Patientin sehen wollte“, entgegnete der Mediziner prompt. „Und das kann ich nicht, wenn man mir Handschellen anlegt.“
„Hatte den Raum verriegelt, Sir“, antwortete Bates, begann, aus einer Tasche, die er mitgebracht hatte, verschiedene Fläschchen und Ampullen zu holen und stellte sie auf dem Tisch ab.
Vashtu atmete tief ein, warf Grodin einen langen Blick zu.
„Nun, Doktor ...“ Pendergast trat näher, musterte sie beide. „Ich sollte Ihnen vielleicht mitteilen, daß Sie tot sind, sobald Sie auch nur versuchen, Major Uruhk zu befreien. Ich hoffe, Ihnen ist das klar. Außerdem, Bates, schätze ich es nicht, wenn sich meine Gefangenen frei in einem Raum bewegen können, der ...“ Den Rest des Satzes ließ er offen.
Vashtu begriff. Es mußte hier irgendeine Schwachstelle geben! Der Raum war präpariert worden, um sie hier gefangenzuhalten. Aber das war nicht seine ursprüngliche Bedeutung.
„Ich werde ...“
„Lassen Sie den Doc zufrieden, Pendergast!“ fiel sie dem Medziner ins Wort. „Er tut nur seine Arbeit - also das, wozu Sie ihn gezwungen haben.“
Mit raschen Schritten war der Kommandant der Prometheus bei ihr und beugte sich über sie. „Was dich angeht, Major“, wandte er sich mit einem süffisanten Lächeln an sie, „du solltest deine Stimme schonen und Atemluft sparen für später.“ Seine Hand schoß vor, packte sie am Hals.
Vashtu knallte zum wiederholten Male mit dem Hinterkopf gegen diese Rohre. Ein schlechter Tag, ganz eindeutig! Er hatte bescheiden begonnen und war immer mehr zu dem verkommen, womit sie auch jetzt noch zu kämpfen hatte.
Pendergast starrte sie durchdringend an. „Bereit, wieder dein Liedchen zu trällern, mein Vögelchen?“
„Sind Sie bereit zu sterben?“ krächzte sie.
Seine Finger drückten zu.
Vashtu kniff die Augen zusammen, als der Schmerz an ihr zu zerren begann. Seine Finger lagen genau über den Sehnen, die ihren Hals stützten. Wenn er jetzt kräftiger zudrückte ...
Er verminderte den Druck wieder. „Wie möchtest du weitermachen, Major?“ fragte er. „Soll dein Doc dir noch einen Schuß setzen oder redest du jetzt freiwillig.“
Vashtu schluckte, starrte ihn an. „Sie wissen nicht, mit wem Sie sich angelegt haben, Pendergast. Sie haben ja keine Ahnung!“
Wieder brodelte kalte Wut in ihrem Inneren. Sie bezwang sie, so gut sie konnte. Doch sie wußte auch, daß dieser Kampf sehr wahrscheinlich schon jetzt verloren war. Kam sie hier nicht mehr heraus - und leider sah es im Moment ganz so aus - würde sie irgendwann auf diesem verdammten Stuhl krepieren, sehr wahrscheinlich wieder in eine Abhängigkeit getrieben, die sie nicht gewollt hatte.
Pendergast beugte sich noch weiter über sie. „Oh nein, mein Vögelchen“, raunte er ihr ins Ohr. „Du weißt nicht, was dich noch erwartet. Aber das werden wir beide schnell ändern, nicht wahr?“
Liebendgern, hätte sie genügend Speichel im Mund gehabt, hätte sie ihn angespuckt. So blieb ihr nur ein Blick, der einen Wraith hätte in die Flucht schlagen können.
Pendergast würde zahlen, er würde für alles zahlen. Und sie würde ihm die Rechnung präsentieren und kassieren, das schwor sie sich ...
Doch der lachte nur, verstärkte den Druck seiner Finger auf ihren Hals wieder. „Singst du freiwillig oder muß Grodin dich wieder überreden, das ist hier die Frage?“ zischte er ihr ins Ohr. „Und wie lautet deine Antwort?“
„Daß Sie von mir nichts, absolut gar nichts erfahren werden!“ krächzte sie heiser.
Pendergast ließ sie los.
Vashtu hustete und schluckte trocken.
„Sie haben es gehört, Grodin. Setzen Sie noch eine Dosis!“ befahl der Colonel.
Vashtu sandte ihm noch einen mörderischen Blick.
„Das kann ich nicht. Das Natrium-Thiopental muß erst noch ...“
„Setzen Sie ihr noch einen Schuß, sofort!“ bellte Pendergast den Mediziner an.
Vashtu suchte den Blick des Mediziners, versuchte ihm mitzuteilen, daß er besser tun sollte, was Pendergast verlangte. Ihr war nicht der Griff an das Hüftholster entgangen. Der Kommandant der Prometheus würde auf Grodin schießen, ließ der nicht endlich seine Prinzipien fallen.
Doch der Arzt stand inzwischen bei dem Tisch, auf dem Bates seine Mitbringsel aufgebaut hatte, starrte die Flaschen und Ampullen an, als seien sie seine persönlichen Feinde. Dann hob er plötzlich den Kopf, ignorierte sie vollkommen, starrte statt dessen Pendergast durchdringend an.
„Wenn Major Uruhk ständig unter dem Einfluß des Natrium-Thiopentals steht, wird sie Ihr Verhör nicht lange durchhalten. Es setzt ihr jetzt schon mehr zu als es eigentlich dürfte. Sie wollen doch, daß sie redet, oder? Das wird sie aber nicht mehr können, erleidet sie einen Herzinfarkt oder, noch schlimmer, einen Schlaganfall!“ Grodin nickte ernst. „Sie hat Ihnen Ihre Fragen doch schon beantwortet. Sie wissen jetzt, was mit ihr ist. Was wollen Sie denn noch?“
Pendergast drehte sich wieder zu ihr um.
Vashtu schluckte unwillkürlich, als sie in sein Gesicht sah.
Sie hatte also sich selbst verraten und sonst nichts? Das war gut. Sollte er nur wissen, was sie wirklich war. Irgendwann würde er sie nicht mehr halten können. Und dann ...
Wieder beugte er sich zu ihr hinunter. Seine Hand packte sie kurz unter dem Kinn.
Wieder der Hals! Was hatte ihm ihr Hals eigentlich getan? Aber besser als die Schulter, rief sie sich zur Ordnung. Wesentlich besser.
Er drückte langsam zu.
Vashtu schloß unwillkürlich die Augen. Nein, sie würde den Schmerz nicht zeigen, ihm vor allen Dingen nicht. Doch sie fühlte auch, wie ihr Gesicht sich verzog.
Zielsicher hatte er wieder die Sehnen gefunden, die er schon vorher drangsaliert hatte. Ein Ziehen und Pochen setzte in ihrem Kopf ein, ließ ihre Zähne schmerzen.
„Hast du ihm das verraten?“ flüsterte er ihr ins Ohr.
Vashtu öffnete die Augen wieder, als sie sich gewappnet fühlte. „Nein“, krächzte sie ergeben.
„Man muß nicht verletzt und gefesselt irgendwo sitzen, um mir soetwas zu verraten“, fiel Grodin ein. „Jetzt lassen Sie sie endlich in Ruhe, Colonel! Sobald die Droge etwas nachgelassen hat ...“
Pendergasts Druck verstärkte sich. Vashtu gab jetzt doch einen kleinen, unterdrückten Laut des Schmerzes von sich.
„Setzen Sie ihr noch eine Dosis, Grodin. Na los!“ bellte Pendergast den Mediziner wieder an. „Oder soll ich weitermachen, mein Vögelchen? Soll ich wirklich?“ Er drückte fester zu.
Vashtu ächzte, ruckte an ihren Fesseln, was ihr sofort auch noch die Luftzufuhr wieder abschnitt. Röchelnd und nach Atem ringend versuchte sie sich zu wehren, sah in Pendergasts Gesicht, das sichtlich zufrieden mit ihrer Reaktion schien. Und sie sah in seinen Augen noch etwas. Etwas ...
Mit der anderen Hand drückte er wieder ihre Schulter.
Diesmal war sie selbst es, die ihren Hinterkopf gegen die Rohre knallte, um einen heiseren Schrei, den sie ohnehin nicht hätte ausstoßen können, zu unterdrücken.
„Lassen Sie das endlich! Pendergast!“ hörte sie Grodin protestieren. „Das wird nichts ändern, hören Sie? Gar nichts!“
Vashtu kämpfte mit den Schmerzen, versuchte, sie sich nicht anmerken zu lassen. Doch sie wußte, das konnte sie nicht unterdrücken, so gern sie es auch gewollt hätte.
„Sagst du es ihm jetzt, Major? Sagst du ihm, was ich hören will? Du wirst nicht anders reden, nicht wahr? Nur so, nur unter der Droge. Oder möchtest du es mir jetzt mitteilen, mh?“
Dieser verdammte ... Dieses Schwein! Dieses verfluchte Schwein! Er hatte sie in eine Falle gelockt, hatte sie schon einmal unter Drogen gesetzt, sie danach süchtig gemacht, daß ihr nichts anderes übrig blieb, als ...
Der Druck auf ihre Schulter verstärkte sich, ließ die Gedanken verschwimmen. Mittlerweile schnürte der Gurt ihr die Atemluft vollkommen ab, der Druck seiner Finger sowohl auf das Schultergelenk wie auch auf die Sehnen ihres Halses waren zu einer einzigen, langen Qual verschmolzen, die sie immer mehr fort von der Realität trieben.
Weg von hier! Fort aus diesem Raum, raus aus ihrem Körper. Irgendwohin, wo es keine Schmerzen gab, keine Sorgen mehr. Ruhe, sie brauchte Ruhe.
Eine kleine Stimme in ihrem Inneren wisperte ihr zu, daß sie die nicht bekommen würde, solange Pendergast lebte. Sie war ihm ausgeliefert, und es lag nicht an ihr, wie weit sie sich treiben ließ. Sie konnte ihm Brocken hinwerfen. Irgendwie mußte sie das tun, sonst würde sie den Verstand verlieren, ehe die Droge ihr Hirn zu Brei verarbeiten konnte.
Irgendwie brachte sie einen zustimmenden Laut zu stande, ihr Kopf sank auf seine Hand, als er den Druck reduzierte, ihre Schulter losließ und den Gurt wieder lockerte.
Tief, hustend und würgend, holte sie Atem. Dann fühlte sie es. Als sie die Augen öffnete und zur Seite schielte, sah sie Grodin, der sich wieder über sie gebeugt hatte. Er setzte ihr endlich eine neue Spritze.
Vashtu sehnte sich nach dem Vergessen der Droge, ließ sich nur zu gern fallen. Es war egal, so lange sie nur diesen Schmerzen entkam.

TBC ...

30.09.2012

2.11 Meuterei (Teil 2)

Author's Note: Und damit ist die Pause beendet. Viel Spaß jetzt bei der Fortsetzung!



Lieutenant Jason Frederics kroch bis an das Gitter heran, suchte dann mit den Augen, so gut es ging, die Umgebung ab, ehe er vorsichtig mit den Fingerknöcheln gegen das Metall klopfte.
„Roger, mach auf. Los, mach auf, Mann!“ zischte er.
Ein junger Mann mit blondem, kurzen Haar, drehte sich um, sein Kopf ruckte suchend hin und her.
„Ich bin hier. In der Lüftung“, wisperte Frederics.
Der andere blinzelte, trat dann aber näher. „Jason?“ fragte er ungläubig. „Aber ich dachte ...“
„Laß mich hier raus, verdammt. Und mach schnell!“
Der andere nickte. „Moment.“ Er verschwand aus Frederics Blickfeld.
Der junge Marine linste aufmerksam in den Raum hinein, zumindest so gut er ihn erkennen konnte.
Seit zwei Tagen kroch er durch die Schächte der Prometheus, irgendwie auf ein Wunder hoffend. Doch dieses Wunder wollte sich einfach nicht einstellen. Also hatte er beschlossen, selbst aktiv zu werden.
Es gab noch genug Unzufriedene unter der Besatzung, die bisher nicht in das Fadenkreuz des Colonels geraten waren wie er. Und er hatte Freunde, die ihm vielleicht helfen würden. Freunde wie Roger Vanderbilt, mit denen er zusammen in der Ausbildung gewesen war und denen er vertraute. Pendergast konnte einfach noch nicht alle mit seinem Größenwahn angesteckt haben, es ging einfach nicht!
Die Verschraubungen wurden gelöst, als Vanderbilt wieder auftauchte, einen Schraubendreher in der Hand und konzentriert arbeitend.
„Was ist passiert?“ verlangte er zu wissen. „Der Colonel hat uns durch die Gänge gescheucht wie bei einem Herdentrieb. Aber gesehen habe ich erst etwas, als wir in den 302-Hangar gekommen sind. Da waren Leichen.“
Frederics kniff die Lippen fest aufeinander. „Leichen?“ fragte er nach einiger Zeit.
Sollte sich die Möglichkeit, die Danea, dieser Erethianer ihnen geboten hatte, sich als Falle herausgestellt haben? Waren die anderen, die nicht wieder eingefangen worden waren, in feindliches Feuer gelaufen und umgekommen?
„Einige Leute des Colonels und ein paar, die mit dir eingesperrt gewesen sind. Jason, was war da los?“ Vanderbilt blickte auf.
Frederics rüttelte wieder an dem Gitter. „Das erzähle ich dir, wenn ich hier raus bin. Und jetzt mach endlich! Wir müssen den Schacht wieder verschlossen haben, wenn jemand kommt.“
„Klar.“ Der junge Marine nickte, schraubte weiter.
Einige Leute von Pendergast und ein paar von den Eingesperrten. Ein paar. Wieviele waren in Rogers Augen ein paar? Sie waren rund dreißig Leute in dem Hangar gewesen, und dann war da noch dieser Erethianer-Trupp gewesen, den Major Uruhk ihnen zu Hilfe geschickt hatte. Das waren definitv mehr als ein paar.
Aber was war danach passiert?
Frederics hatte getan, was er konnte, um eben nicht aufzufallen und doch irgendwie Informationen zu erhalten. Bis zur Brücke kam er nicht, die Lüftungsschächte dort waren mehrfach versiegelt. Er hatte sein Glück bei der Messe versucht, war sogar bis in Bates' Quartier gekrochen in der Hoffnung, irgendetwas herauszufinden. Doch mehr als ein paar Brocken hatte ihm das nicht gebracht. Und diese Brocken ergaben keinen rechten Sinn für ihn. Er wußte nicht, was er damit anfangen sollte.
Endlich löste sich das Gitter.
Frederics schwang sich geschickt aus dem engen Schacht, kam auf die Beine und sah sich aufmerksam um. Dann half er seinem Freund, alles wieder zu präparieren, wie es vorher gewesen war, oder doch zumindest so gut er konnte.
Nachdem sie das Gitter wieder angeschraubt hatten, wischte er mit dem Fuß über die Staubschicht, die sich unten an der Wand gebildet hatte durch das Entfernen und Wiederanschrauben, um das ganze etwas zu verteilen. Ein Fehler, es liegenzulassen, und er wußte es. Doch leider wurden solche Kleinigkeiten viel zu oft übersehen.
„Also, was ist hier los?“ zischte er Vanderbilt zu, packte den anderen bei den Schultern. „Was ist passiert?“
„Wir sind gestartet“, antwortete der.
Frederics nickte.
Das wußte er. Wie er auch wußte, daß sie nicht allzu schnell vorankamen. Noch immer hingen sie in der Umlaufbahn. Die beschädigte Prometheus brauchte lange, ehe sie sich von dem Himmelskörper lösen konnte.
„Was war das mit den Leichen? Roger!“
Der sah ihn etwas hilflos an. „Jeffreys Trupp war vollständig aufgerieben“, antwortete er. „Wer war das? DieseMajorin, die wir zusammen mit den Wissenschaftlern auf dem Mond aufgelesen haben?“
Frederics nickte. „Weiter“, forderte er.
Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Er mußte sehen, daß er die anderen Gefangenen, sofern er sie finden konnte, befreien und irgendwie auf den Planeten hinunterbringen konnte. Denn offensichtlich wurde Major Uruhk irgendwie von einer weiteren Rettungsmission, die mit Selbstmord gleichzusetzen gewesen wäre, mußte er zugeben, abgehalten.
„Von den anderen ... diese Gehirnklempnerin und einer der Pfleger waren tot“, antwortete Vanderbilt zögernd. „Und da war doch dieser kleine Techniker mit der dicken Brille? Den hatte es auch erwischt.“
Heightmeyer?
„Oh Mann!“ Frederics schluckte. Er hatte die Psychologin gemocht. Während der letzten Wochen im Hangar war es auch sie gewesen, die den anderen immer wieder Mut machte und ihnen Trost zusprach.
„Was ist mit Major Uruhk? Konnte sie entkommen?“ fragte er, auch wenn er sich da, nach allem, was er hatte läuten gehört, ziemlich sicher war.
Vanderbilt nickte. „Die war so schnell weg, wie sie gekommen war. Der Colonel hat danach ...“ Er stockte.
Frederics wurde mißtrauisch. Vanderbilt war einer der wenigen, die Zutritt hatten und Dienst auf der Brücke leisteten. Gerade darum hatte er sich ihn ja auch ausgesucht als Informanten.
„Pendergast hat was? Roger?“ fragte er lauernd und starrte dem anderen tief in die Augen.
„Er wollte einen Deal mit ihr durchziehen ... wegen Barnes und diesem Alien-Typen“, stotterte Vanderbilt.
„Einen Deal?“ Frederics dachte rasend schnell nach. „Wann soll dieser Deal über die Bühne gehen?“
„Er sollte schon längst vorbei sein“, platzte es aus Vanderbilt heraus. „Der Colonel war heute morgen unten auf dem Planeten. Aber die beiden hat er zurückgelassen. Und er und Bates sind auch wieder zurückgekommen.“
Frederics' Herz schlug ihm bis zum Hals. „Allein?“ fragte er.
„Keine Ahnung. Auf der Brücke war dieser Major jedenfalls nicht.“
Natürlich nicht.
Frederics nickte, ließ Vanderbilt endlich los. „Okay, dank dir, Kumpel. Und zu keinem ein Wort!“ Mit einem spitzbübischen Grinsen legte er einen Finger an die Lippen.
„Und wo willst du jetzt hin?“
Frederics drehte sich um.
Gute Frage, darüber hatte er sich noch keine echten Gedanken gemacht. Er wußte nur, er brauchte Verstärkung und Waffen. Also würde sein nächster Schritt wohl ...
„Laß das meine Sorge sein.“


***

Dr. Anne Stross kam im Eilschritt aus dem Antiker-Lift heraus und ging hinüber zur Tür der Krankenstation.
Vor knapp einer Viertelstunde hatte sie die Nachricht des Suchtrupps erreicht, daß man wieder in der Stadt wäre. Mit dabei, einen schwer verletzten Dr. Peter Babbis. Von Lieutenant David Markham fehlte noch immer jede Spur. Doch Sergeant George Dorn, der für die innere Sicherheit der Stadt zuständig war, hatte bereits einen neuen Trupp ausgesandt, der hoffentlich bald Neuigkeiten bringen würde.
Anne aber zweifelte nicht daran, daß es sich um schlechte Neuigkeiten handeln würde. Pendergast hatte sich bei ihr gemeldet, und sie hatte den Schmerzensschrei gehört, den Major Vashtu Uruhk ausgestoßen hatte. Die Antikerin lebte zwar, befand sich aber in der Gewalt des Kommandanten der Prometheus. Und niemand konnte sagen, ob und wie ihr das Kunststück gelingen würde, sich erneut zu befreien und wieder herunterzukommen.
Anne trat durch die Tür und sah sich um.
Marc Boyer, der Oberpfleger, kam gerade an ihr vorbei, mit toternstem Gesicht und tief gerunzelter Stirn. Anne hängte sich sofort an ihn.
„Marc, wie geht es Dr. Babbis?“ fragte sie, folgte ihm auf dem Fuße.
Der Pfleger zuckte mit den Schultern. „Schlecht“, antwortete er einsilbig, öffnete die kleine Tür zum Labor. Dann drehte er sich zu ihr um und sah sie ernst an. „Sehr schlecht. Wenn Sie mich fragen, hat er kaum eine Überlebenschance, es sei denn, Grodin kommt von der Prometheus herunter. Die Kugel hat knapp sein Herz verfehlt, aber er hat viel Blut verloren. Dr. Stevenson und Dr. LaCrux haben noch nicht genug Erfahrung. Und Dr. Miong hat selbst noch mit einer Schußwunde zu kämpfen. Wir brauchen Grodin, und das dringenst!“ Mit diesen Worten trat er durch die Tür, die sich direkt hinter ihm wieder schloß.
Anne starrte ihm nach und schluckte.
Alle drei ATA-Träger außer Gefecht, verwundet, verschleppt oder vermißt. Sie konnten absolut gar nichts tun. Selbst wenn es ihr irgendwie gelang, zur Prometheus Kontakt aufzunehmen, glaubte sie nicht, daß Pendergast Grodin zur Behandlung eines Wissenschaftlers hier herunterlassen würde. Ganz zu schweigen davon, daß ...
Anne drehte sich um und betrachtete einen Moment lang die Etage, auf der sie sich befand, bis sie fand, was sie suchte. In der Krankenstation war es ansonsten ruhig, nur um ein abgetrenntes Abteil herrschte etwas Hektik. Und dort ...
Anne biß sich auf die Lippen und marschierte wieder los.
Irgendwie mußte dieser Alptraum doch endlich enden! Sie hoffte immer noch, in ihrem Bett wieder aufzuwachen und sich dann entspannt zurücklehnen zu können. Aber sie wußte auch, das würde nicht der Fall sein.
Was auch immer Major Uruhk sich dabei gedacht hatte, sie hätte eigentlich wissen müssen, daß sie sich auf keinen Handel mit Pendergast einlassen konnte. Der Colonel hatte ihr schon das letzte Mal übel mitgespielt, sehr übel mitgespielt, wie Anne sich erinnerte. Es fehlte nicht viel um sich ausmalen zu können, was die Antikerin jetzt erwarten würde.
Sie blieb vor dem Abteil stehen und atmete wieder einige Male tief ein.
Hinter dem Vorhang wurde hektisch gearbeitet, sie sah es und konnte es auch hören. Aber es war merkwürdig still. So als ob der Tod bereits Einzug gehalten hatte in diesen Raum. Als würde man nur noch ...
Anne riß sich mit aller Gewalt aus ihren Gedanken und trat um den Vorhang herum.
Auf dem OP-Tisch lag, mit nacktem Oberkörper, Babbis, die Brille immer noch auf der Nase. Offensichtlich hatte niemand daran gedacht, sie ihm abzunehmen. Seine Brust war blutbedeckt, ein Loch, aus dem der rote Lebenssaft noch immer pulsierend floß, war nahe seines Herzens.
Die beiden jungen Assistenzärzte, LaCrux und Stevenson, versuchten hektisch, die Blutung zu stillen, doch in ihren Gesichtern war nichts als die pure Ratlosigkeit.
Anne kniff die Lippen zusammen, starrte auf den jungen Mann hinunter, der um sein Leben kämpfte.
Nicht Babbis, nicht auch noch er! So nervend er auch oft war, so rechthaberisch und eigenwillig, sie brauchten ihn hier. Er mußte einfach überleben, auch für Major Uruhk, die in ihm wohl mehr sah als nur einen Wissenschaftler.
Anne hob die Hand, legte den Daumen an ihre Lippen. Dann begann sie, an dem Nagel zu knabbern, wie sie es schon eine Weile nicht mehr getan hatte. Dabei beobachtete sie weiter die hilflosen Versuche der beiden Ärzte, den jungen Wissenschaftler zu retten.
„Mam, Doc“, wandte sich nach einer Weile eine ruhige, tiefe Stimme an sie.
Anne versteifte sich, ließ die Hand sinken. „Dorn“, flüsterte sie, wagte nicht, einen Blick abzuwenden.
„Wir haben ... einen ausgebrannten Puddlejumper gefunden“, sagte die Stimme des Marines im einem tiefen Timbre, das sie nicht kannte.
Anne nickte auffordernd, noch immer den Blick auf Babbis fixiert.
„Lieutenant Markham ist tot, Doc“, schloß Dorn seinen kurzen Bericht.
Anne schloß die Augen.

TBC ...

02.09.2012

Meuterei (Teil 1) VII

Author's Note: Da bei mir im Moment das RL eine ziemlich große Rolle spielt, gehe ich nach diesem Post für ein paar Wochen in "Urlaub". Nennt es Season-Break, wenn ihr wollt. Sobald ich wieder fit bin, geht's weiter. Falls ich es vergessen sollte ... ;) ich besitze auch ein Mailfach und die Leute, die mich kennen, wissen, wie sie mich erreichen können.
Viel Spaß beim Lesen!


Am nächsten Morgen - eine Stunde vor Sonnenaufgang:

Hart wurde er gerüttelt, und eine Stimme schien ihm in sein Ohr zu brüllen, was er erst gar nicht verstehen konnte.
Wo kam denn hier bitte eine Stimme her? Er lag doch in seinem Bett. Wie sollte da ... ?
„Peter, ich brauche Sie, aufstehen!“ rief die Stimme wieder. Die Stimme von Vashtu Uruhk.
Er blinzelte, wollte sich einen Moment lang unwillig wieder losmachen, um sich auf die Seite zu drehen. Dann aber gab er es auf. Sie war einfach zu hartnäckig, außerdem flammte jetzt auch noch das Licht in seinem Quartier auf.
Aber, wo zum Kuckuck, kam die Antikerin her? Wie kam sie in seine privaten Räumlichkeiten hinein? Er riegelte doch jeden Abend die Tür ab, damit er keine unliebsame Überraschung in der Nacht erlebte, wie sie schon des öfteren vorgekommen war.
„Was ... ?“ grummelte er unwillig.
„Aufstehen, los! Wir haben keine Zeit. Und nehmen Sie ihre Automatik mit!“ befahl ihr Stimme.
Er blinzelte, als sie immer noch nicht aufhörte, ihn an der Schulter zu rütteln, und gähnte herzhaft. „Wie spät ist es?“
„Früh genug. Wir haben nicht viel Zeit und ich muß noch unsere Spuren verwischen. Also los!“ In ihren Augen blitzte es.
Was sollte das bedeuten? Sie hatten doch gar keinen Einsatz am Sternentor. Und sein nächster Flug war erst für den Nachmittag geplant, weil er noch eine Testreihe durchführen wollte.
„Jetzt machen Sie schon, Peter!“ Sie knuffte ihn in den Oberarm.
„Autsch!“ rief er protestierend aus, setzte sich jetzt endlich auf und rieb sich die schmerzende Stelle. „Irgendwann brechen Sie mir noch einmal den Arm“, beschwerte er sich.
„Machen Sie schon.“ Sie richtete sich ungeduldig auf, trat zu dem Stuhl, über dem seine Kleider vom gestrigen Tag zum Auslüften hingen, und warf sie ihm zu. „Wir haben eine Verabredung. Na los!“
„Eine Verabredung?“ Er schwang sich aus dem Bett und griff nach dem Pullover, den er sich besorgt hatte, weil es ihm allmählich zu kalt in diesen Höhlen wurde.
Vashtu nickte ungeduldig. „Mit Pendergast“, fuhr sie fort.
Er stockte mitten in der Bewegung. „Mit wem?“ Seine Augen wurden groß.
Sie starrte ihn durchdringend an. „Wir treffen uns mit Pendergast, um die Geiseln auszutauschen, Peter. Und jetzt machen Sie endlich! Wir müssen den halben Planeten umkurven, damit er nicht herausfindet, wo wir wirklich stecken.“
„Sind Sie irre? Sie wollen ...“ Er stutzte. „Was wollen sie eigentlich?“ fragte er.
Vashtu präsentierte ihm eine glänzende Cd. „Er wollte einige Informationen und einen der Mikrowellen-Jumper“, erklärte sie. „Ich habe die ganze Nacht daran gesessen und einen normalen präpariert. Von mir kriegt er absolut nichts, schon gar keine Waffe, die er am Ende noch gegen uns einsetzen kann.“
„Haben Sie denn vollkommen den Verstand verloren? Sie wollen ihm einen getürkten Puddlejumper geben im Austausch gegen die drei, die oben in der Prometheus hocken? Und Sie denken, Pendergast wird sich darauf einlassen? Der will Sie doch nur so schnell wie möglich in seiner Reichweite haben. Haben Sie denn noch nicht genug von seinem Drogencocktails?“
„Ziehen Sie sich an, Peter. Sie sind mein Schatten. Ein Begleiter, so war es ausgemacht.“ Wieder ein listiges Grinsen von ihr. „Außerdem nehmen wir beide unsere Waffen mit. Das war nicht abgemacht, also verstecken Sie Ihre Automatik gut, aber auch so, daß Sie schnell daran kommen.“
Endlich stülpte Peter sich den Pullover über den Kopf, starrte sie dann aber wieder groß an, ehe er auch in seine Hose schlüpfte. „Ich gehe zu Stross“, drohte er.
„Sie werden mit mir kommen, Peter. Und ehe wir uns versehen, haben wir die restlichen drei hier in der Stadt und man wird uns dankbar sein“, entgegnete die Antikerin.
Peter blinzelte wieder, blickte von seinem Fuß auf. „Dankbar?“
Vashtu nickte ernst. „Grodin ist der leitende Arzt. Was wir mitgebracht haben, sind Assistenzärzte, die sich noch in der Ausbildung befinden. Die können noch nicht alles. Und Danea ... dazu muß ich ja wohl nichts sagen, oder? Er ist Teammitglied.“
Peter preßte die Lippen aufeinander. „Natürlich ist er das“, knurrte er dann wütend.
Hätte er gekonnt, er hätte irgendwie gesehen, daß sie den Erethianer doch noch irgendwie einpackten vor zwei Tagen. Immerhin war Danea der Neue in ihrem Team, ehemals SG-27. Selbst wenn er noch nicht lange dabei war, er gehörte zu ihrer kleinen Truppe.
„Also gut“, entschied er endlich, schnürte sich auch den zweiten Schuh zu. „Lassen Sie uns unsere Leute retten!“
Vashtu nickte befriedigt.

***

Markham folgte den beiden ungleichen Personen in einigem Abstand. Er hatte sich fast die ganze Nacht um die Ohren geschlagen, weil er den Major beobachtet hatte. Erst als dieser Techniker, Bakerman?, aufgetaucht war, hatte er sich zumindest für eine Stunde hinlegen können, ehe der ihn wieder weckte.
Jetzt waren die beiden, Dr. Babbis und Major Uruhk, wieder auf dem Weg in die Jumper-Base. Markham hätte fluchen können. Hätte er das gewußt, dann wäre er gleich dort geblieben.
Was wollte der Major schon wieder mit dem arroganten Wissenschaftler? Wieso holte sie immer ihn dazu, wenn es irgendetwas gab?
Markham verstand das nicht so ganz, und es stand ihm auch nicht zu, an einem führenden Offizier Kritik zu üben. Dennoch hätte es ihn wirklich interessiert, was Major Uruhk wohl in Babbis zu sehen glaubte, was sie sonst nicht finden konnte. Irgendetwas mußte da wohl sein, sonst ...
Die Wand glitt auf und öffnete damit den Blick auf die Reihen um Reihen von Puddlejumpern, die auf ihren Einsatz warteten. Bakerman war damit beschäftigt, die Gleiter mit Nummern zu versehen, und tat dies lieber des Nachts, um Babbis aus dem Weg zu gehen, der momentan wieder einmal mit den Sekundärwaffen bei dem halben Dutzend Fluggeräten beschäftigt war.
Markham verbarg sich hinter einem der anderen Gebäude und beobachtete, wie ein Jumper startete. Einer ohne Kennung.
Das mußten die beiden sein, denn die Wand schloß sich hinter ihnen wieder.
Der Lieutenant huschte in die Pyramide hinein, schnappte sich den nächstbesten Puddlejumper und folgte den beiden im Tarnmodus und sicheren Abstand.

***

Vashtu landete den Jumper nahe der kleinen Quelle, die sie während der ersten Expedition nach dem verheerenden Brand gefunden hatte. Angespannt starrte sie nach draußen und fluchte leise.
„Sie sind schon da“, bemerkte Peter an ihrer Seite überflüssigerweise.
Vashtu nickte und durchbohrte die beiden Gestalten, die in einigem Abstand zu ihnen auf dem Plateau warteten, mit ihren Blicken. Dann riß sie sich von dem Anblick los und erhob sich mit einem Ruck. „Los!“
Wo hatte Pendergast die Geiseln? Warum waren die drei nicht auch hier?
Sie wußte es nicht, aber sie würde es herausfinden. Auf jeden Fall würde dieser Wahnsinnige da draußen noch einiges von ihr zu hören bekommen, nachdem der Austausch stattgefunden hatte.
Peter folgte ihr auf dem Fuße, während sie von der Rampe hinuntersprang und durch die knöchelhohe, aufgeweichte Asche stapfte. Zumindest regnete es im Moment nicht. Dafür aber dampfte ihr Atem in der morgendlichen Kühle.
Bald würden sie sich etwas einfallen lassen müssen, wurde ihr klar. Wenn die Temperaturen, wie berechnet, weiter absanken, würde ihnen irgendwann nichts anderes mehr übrig bleiben, als sich irgendwoher wärmende Kleidung und ein ZPM zu besorgen. Die PKs mochten eine gute Übergangslösung sein, aber sie entluden einfach zu schnell.
„Guten Morgen, Major Uruhk.“ Pendergast hatte sich umgedreht, als sie näherkamen, und lächelte sie jetzt kalt an. „Und Dr. Babbis, was für eine Überraschung!“
„Colonel.“ Peters Stimme klang unterkühlt.
„Wo sind Danea, Barnes und Grodin?“ fragte Vashtu sofort.
Sergeant Bates, der sich inzwischen auch ihnen zugewandt hatte, musterte sie aufmerksam, warf Pendergast dann einen kurzen Blick zu.
„Die drei sind in Sicherheit“, antwortete der gelassen. „Oder dachten Sie, ich schleppe sie mit hier herunter und vielleicht in einen Hinterhalt? Ich werde sie freilassen, sobald ich wieder auf der Prometheus bin. Mein Wort darauf.“
Vashtu kreuzte die Arme vor der Brust. „Was ich von Ihrem Wort zu halten habe, weiß ich“, entgegnete sie kalt. „Was wohl bedeutet, wir haben ein Patt. Ich werde Ihnen nicht geben, was Sie wollen, wenn ich nicht die Geiseln bekomme.“
Pendergast schürzte nachdenklich die Lippen, nickte dann. „Verstehe“, sagte er, ehe wieder sein kaltes Lächeln auf seinem Gesicht erschien. „Aber wir werden uns doch sicherlich auf einen Kompromiß einigen können, oder?“
Vashtu betrachtete ihn mißtrauisch. „Und was schlagen Sie vor?“
„Lassen Sie sich auf nichts ein, Vashtu“, zischte Peter ihr zu.
Sie wußte, was sie hier tat, verdammt! Sie warf ihm einen kalten Blick zu, damit er das auch endlich verstand.
Pendergast hob die Hände als wolle er zeigen, daß er unbewaffnet war. „Einen Teil jetzt, einen Teil später?“ stellte er in den Raum.
Vashtu hob das Kinn, musterte ihn wieder forschend.
Wenn sie nur wüßte, was dieser Kerl ausheckte. Wenn sie es auch nur wirklich sagen könnte. Aber ...
„Reden wir miteinander, Major, von Offizier zu Offizier. Nur Sie und ich“, schlug er unversehens vor. „Ich bin sicher, wir werden eine Einigung erzielen.“
„Sie und ich?“ echote sie mißtrauisch.
„Sehen Sie hier noch jemanden? Bates und Babbis können sich derweil allein vergnügen. Was sagen Sie?“
Vashtu begann, an ihrer Unterlippe zu nagen.
Sie konnte Pendergast nicht wirklich einschätzen. Sie hatte geglaubt, sie könnte es, aber jetzt ging ihr auf, daß das nicht der Fall war. Er war ... unberechenbar für sie. Sie kannte ihn nicht gut genug, aber sie traute ihm auch nicht zu, hinterhältig genug zu sein, irgendeine Dummheit hier ausgeheckt zu haben.
Sie nickte. „Gut, reden wir - allein.“
„Vashtu!“ zischte Peter ihr entsetzt zu.
„Ich weiß, was ich tue. Vertrauen Sie mir“, wisperte sie zurück, auch wenn das nicht so ganz stimmte. „Seien Sie nur vorsichtig mit Bates. Der ist link.“
Sie trat vor, nickte nach rechts. „Gehen wir.“
Pendergast sah noch einen Moment zu Bates, dann trat er an ihre Seite und ging neben ihr her. Schweigend.
Vashtu wurde nervös. Sie war sich der Nähe des Militärs nur allzu bewußt. Und sie wußte auch, daß es leicht schiefgehen konnte, was sie hier tat. Ob Anne und die anderen nun recht hatten oder nicht, sie hatte sich Pendergast zum Feind gemacht. Sie hatte sich gegen einen leitenden Offizier, dem sie eigentlich unterstand, aufbegehrt und war von seinem Schiff geflohen.
Seite an Seite schritten sie weiter, Richtung Abgrund.
Von hier aus, das wußte sie, hatte man einen sehr guten Blick auf die ausgebrannte Devi-Stadt. Man sah nicht die Trümmer und die ausgebrannten Gebäude, nur das ganze, das noch recht intakt wirkte. Aus diesem Grund waren Anne und sie ja auch auf den Gedanken gekommen, die Ruinen als Heimstatt zu nennen statt Vineta, das sicher verborgen unter dem Gestein lag.
„Ziemlich ruhig dort drüben“, bemerkte Pendergast, nachdem sie am Hang angekommen waren.
Vashtu mußte gegen die Versuchung ankämpfen, herumzuwirbeln und den Colonel in den Abgrund zu stoßen. Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah, daß Peter und Bates noch immer so standen, wie sie sie verlassen hatten. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Mann neben sich.
„Wir hatten einen Deal, Pendergast“, sagte sie. „Sie haben sich nicht daran gehalten.“
Er nickte nachdenklich, warf ihr einen kurzen Blick zu. „Meine Sicherheit war mir wichtiger als das, was wir gestern ausgemacht haben. Ich gebe es gern zu.“
„Als Zeichen Ihres guten Willens hätten Sie aber zumindest wenigstens eine der Geiseln mit hinunterbringen können“, warf Vashtu ihm vor, verbarg sich in ihrem Zorn, um ihre Unsicherheit zu überspielen.
Je länger diese Farce dauerte, desto sicherer wurde sie sich plötzlich, daß sie einen Fehler begangen hatte, als sie sich auf dieses Treffen einließ.
Pendergast nickte wieder. „Das hätte ich sicher“, gestand er ihr zu wissen. „Aber ...“
In diesem Moment knallte es hinter ihr und sie hörte Peter kurz aufschreien.
Sie wirbelte herum, gerade als der junge Wissenschaftler fiel.
„Peter!“
Ihre Augen weiteten sich, als sie begriff. Sie wollte loshetzen, zurück zu Babbis, ihn sich schnappen und dann mit dem Jumper in die Stadt.
Doch soweit kam es nicht.
Nie hätte sie Pendergast so schnelle Reflexe zugetraut, und sie konnte sich wirklich nur sagen, daß er das hier irgendwie geplant hatte.
Blitzschnell packte er sie, seine Hand legte sich über ihren Mund. Er riß sie zurück, und dann fühlte sie, wie etwas gegen ihren Hals gedrückt wurde. Sie wollte die Fremdzellen aktivieren, wollte sich losreißen, da hörte sie bereits das Zischen, und einen Atemzug später ...
Sie war noch bei Bewußtsein, sie hörte das Summen und Markhams Stimme in ihrem Ohr, dann eine Detonation. Doch sie sackte in sich zusammen, kraftlos und von einem Moment zum anderen unvorstellbar müde. Unsanft wurde ihr das Funkgerät aus dem Ohr gerissen. Sie wollte wegen des kurzen Schmerzes protestieren, doch noch immer war da diese fremde Hand auf ihrem Mund, so daß nur undeutliche Laute aus ihrer Kehle stiegen. Sie wunderte sich, was hier gerade geschah ... dann sank sie in die erlösende Bewußtlosigkeit.
„Enttarnen!“ bellte Pendergast in das Funkgerät der Antikerin. „Enttarnen oder ich breche dem Major das Genick!“
Er riß die Bewußtlose hoch, packte mit der Hand anders zu, so daß ein kurzer Ruck genügte, um sich ihrer für immer zu entledigen. Dann erschien ein kaltes Lächeln auf seinen Lippen, als sich, kurz vor ihm, der Puddlejumper enttarnte. Er aktivierte seine eigenes Funkgerät und sagte ein einziges Wort: „Feuer!“
Im nächsten Moment raste eine der Raketen der Prometheus auf den Jumper von Lieutenant Markham hinunter und verwandelte den Gleiter in einen Feuerball, der langsam im Abgrund verschwand.
„Sir?“
Bates war angelaufen gekommen, stand jetzt neben ihm.
Pendergast drehte sich zu ihm um. „Wir haben unser Vögelchen. Jetzt müssen wir es nur noch sichern und nach Hause in seinen Käfig bringen.“ Seine Stimme klang triumphierend.

***

„Dr. Stross? Dr. Stross!“ Jemand hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür ihres Quartiers.
Anne kämpfte sich widerwillig aus ihren Träumen. Dann aber war sie sofort hellwach und richtete sich auf.
Irgendetwas war passiert, dessen war sie sich sicher. Irgendetwas ...
Sie kämpfte sich aus dem Bett, warf sich so schnell wie möglich zumindest einen Pullover über, rang noch mit ihrer Hose, während sie schon, auf einem Bein, zur Tür hüpfte. „Was ist los?“ fragte sie, noch während sie öffnete.
Andrea Walsh stand auf ihrer Schwelle und starrte sie mit schreckensgeweiteten Augen an. „Das Tor ist blockiert“, sagte sie.
Anne blinzelte. „Was?“
Walsh nickte. „Williams war noch einmal auf P1V-121. Er wollte vor knapp einer Stunde zurück sein. Aber ...“ Hilflos zuckte sie mit den Schultern.
Anne atmete tief ein. „Dann wecken Sie Babbis oder Major Uruhk. Es wird wohl wieder an diesem verdammten Einschußloch liegen.“
Gott sei Dank nichts schlimmes! Gott sei Dank nicht die Nachricht, die sie gefürchtet hatte.
Sie wußte gar nicht, wie erleichtert sie sein konnte, bis zu diesem Moment. Doch dann blickte sie in das ernste Gesicht der Chef-Technikerin und erstarrte unwillkürlich.
„Major Uruhk und auch Dr. Babbis sind nicht auffindbar“, berichtete Walsh endlich zögernd.
Anne glaubte, ihr Herz müsse stehenbleiben. „Dann ...“ Hilflos irrte ihr Blick hin und her, bis er schließlich auf der Technikerin haften blieb, die kurz erstarrte, dann das Funkgerät in ihrem Ohr aktivierte.
„Wann war das?“ fragte Walsh. Ihr wich alles Blut aus dem Gesicht. „Sicher?“ Dann ein Stöhnen und ein hilfloser Blick in Annes Richtung.
„Was ist los?“
„Wir haben einen ... Energieanstieg gemessen“, antwortete Walsh zögernd. „Und ... vielleicht eine Minute vorher ... hat ... Colonel Pendergast Major Uruhks Funkgerät benutzt.“
Anne taumelte einen Schritt zurück.
Es war passiert! Der Alptraum war Wirklichkeit geworden. Und sie hatte es nicht verhindern können. Sie hatte gar nichts tun können, weil sie auf Markham vertraut und sich ins Bett gelegt hatte.
Markham!
„Versuchen Sie Lieutenant Markham zu erreichen“, befahl sie, wirbelte herum und griff sich ihr eigenes Funkgerät.
„Lieutenant Markham ist ebenfalls nicht erreichbar. Er wollte wohl eine Meldung absetzen, aber ... er wurde unterbrochen - gerade als dieser Energieanstieg erfolgte.“
Nein, nein, nein! Anne glaubte, jeden Moment den Verstand verlieren zu müssen. Hilflos stöhnte sie auf, während sie mit ihren Schuhen kämpfte.
„Haben wir irgendeine Ortung?“ fragte sie schließlich und blickte die Technikerin an.
Walsh zögerte, nickte dann aber.
„Dann ein Rettungsteam dahin, aber so schnell wie möglich! Die Leute sollen schwere Bewaffnung tragen. Wir wissen nicht, ob ...“ Sie schloß den Mund und schluckte. „Wir wissen nicht, was uns da draußen erwartet.“
Walsh nickte, drehte sich um und wollte gehen. Dann blieb sie wieder stehen. „Ein Funkspruch von der Prometheus“, sagte sie vollkommen emotionslos.
Anne schluckte wieder, richtete sich auf und klopfte auf ihr Funkgerät. „Stellen Sie durch!“ befahl sie dann.
„Dr. Stross?“ hörte sie Pendergasts Stimme. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt. Ich wollte Ihnen nur kurz mitteilen, daß jetzt ... alles erledigt ist. Viel Glück für Ihre Expedition.“ Ein Zögern. „Major Uruhk läßt Ihnen übrigens mitteilen, daß Sie sich doch umentschieden hat. Es brauchte zwar etwas ... Überredungskunst, aber sie ist jetzt sicher auf der Prometheus und wird nicht mehr zurückkehren.“ Ein leises, schmerzerfülltes Stöhnen, dann ein unterdrückter Schrei.
Anne schloß die Augen. Sie hatte die Stimme erkannt.
„Das als letzten Gruß von Major Uruhk. Sie bedauert, es Ihnen nicht selbst mitteilen zu können, aber sie ist im Moment ... sprachlich etwas behindert.“ Die Leitung knackte, als sie getrennt wurde.
Anne kniff hilflos die Lippen zusammen.
Das konnte nicht geschehen sein, nein!

***

Das Erwachen ging qualvoll langsam vor sich.
Vashtu stöhnte leise auf. Ihre Lider flatterten. Undeutlich konnte sie eine Gestalt neben sich ausmachen, hörte Worte, die sie jedoch nicht verstand. Ihr Kopf sank ihr immer wieder auf die Brust herab, weil er plötzlich Tonnen zu wiegen schien.
Dann aber hörte und fühlte sie es, konnte einen unterdrückten Schmerzensschrei nicht verhindern. Ein gemeines Knacken, als ihr linker Arm verdreht und aus dem Gelenk gezogen wurde. Sie brüllte in ihren Knebel vor Schmerz, verlor fast wieder das Bewußtsein, ehe er nachließ. Wieder sank sie benommen in sich sich zusammen, kämpfte darum, wach zu bleiben.
Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas ...
Endlich, wahrscheinlich durch den Schmerz beschleunigt, begann ihr Geist wieder zu arbeiten, gerade als ihr Kopf in den Nacken gerissen wurde.
Sie schluckte und blinzelte wieder. Das Bild vor ihren Augen klärte sich etwas.
„Bist du wieder wach, mein Vögelchen? Hast du schon genug geschlafen?“ fragte eine bekannte Stimme.
Vögelchen?
Vashtus Hinterkopf knallte unsanft gegen etwas, das metallisch hohl klang.
Wo war sie? Gerade war sie doch noch ...
Endlich begann sie zu begreifen, riß die Augen auf und starrte in das Gesicht, das sich über sie gebeugt hatte.
Pendergast!
In ihren Augen loderte blanker Haß auf. Mit aller Kraft versuchte sie sich loszureißen, was ihr allerdings nur neuerlichen Schmerz einbrachte, der sie keuchen ließ.
„Ich mußte dir deinen Flügel ein bißchen stutzen“, erklärte der Colonel ihr. „Wir wollen doch nicht, daß du dich losreißt, oder? Erst einmal mußt du handzahm gemacht werden, dann können wir darüber sprechen. Aber solange ...“
Vashtu sah, wie er etwas hob, es sah aus wie ein schmaler Gürtel.
Was hatte er vor? Wollte er sie auspeitschen mit dem Ding?
Unwillkürlich versteifte sie sich, starrte ihn noch immer voller Zorn an.
Allmählich ging ihr auf, was mit ihr gerade passierte. Und sie begriff, allzu lange konnte sie nicht betäubt gewesen sein, wenn er immer noch damit beschäftigt war, sie zu fesseln.
Versuchsweise ruckte sie erneut an den Schellen, die ihre Handgelenke umwanden, und wieder erntete sie einen gemeinen Schmerz im linken Arm.
Was hatte dieser Wahnsinnige ihr angetan? Warum konnte sie den Arm nicht wirklich bewegen?
Pendergast schüttelte den Kopf, schlang ihr dann diesen eigenartigen Gürtel um den Hals.
Vashtu versuchte, ihn zu treten. Er stand geradezu wie ein Paradebeispiel vor ihr. Doch ihre Knöchel waren ebenfalls gefesselt und an irgendetwas festgemacht.
Was tat er da?
Pendergast beugte sich in aller Seelenruhe über sie. Dann ging ein Ruck durch diesen Gürtel, den er ihr um den Hals gebunden hatte.
Vashtu röchelte, so gut es ging, um überhaupt noch Luft zum Atmen zu erhalten.
„So geht es dir, wenn du dich wehrst. Hast du das jetzt verstanden?“ Er packte ihr Kinn und hob ihr Gesicht an. „Du wirst brav sitzenbleiben. Eine falsche Bewegung, und die Schlinge zieht sich zu. Nicht gerade angenehm für dich, oder? Nein, ganz sicher nicht. Also wirst du dich jetzt nicht mehr rühren - und auch keinen Piep von dir geben. Es sei denn, mein Lantianer-Vögelchen möchte singen. Und singen wirst du, darauf kannst du dich verlassen.“
Er ließ sie los und trat einige Schritte zurück.
Vashtu wurde auf den Raum aufmerksam und begriff, daß sie sich wohl wieder auf der Prometheus befand. Die Kabine, in der sie sich aufhielt, war klein und bis auf zwei Stühle und einen Tisch leer. Sie fand auch keine Ecken oder Kanten, irgendetwas, was ihr vielleicht helfen konnte.
Das Schott öffnete sich, es befand sich direkt ihr gegenüber, so daß sie jeden Eintretenden sehr genau sehen konnte, ebenso wie er sie.
„Wir haben jetzt eine Menge Zeit“, wandte Pendergast sich wieder an sie, lächelte triumphierend zu ihr hinunter. „Und du hast sicher viel zu erzählen, nicht wahr?“
Vashtus Aufmerksamkeit glitt von ihm ab, als sie Bewegung am Schott wahrnahm.
Bates trat ein, und er zerrte noch jemanden mit sich.
Vashtus Augen weiteten sich vor Schrecken, als sie begann zu begreifen.


Ende Teil 1 - Fortsetzung folgt

26.08.2012

Meuterei (Teil 1) VI

Am nächsten Tag:

„Major?“
Vashtu, die gerade mit Walsh die Torflüge des heutigen Tages durchgegangen war, blickte auf. Dann atmete sie tief ein, als sie Anne sah, die ihr winkte. Die zivile Leiterin Vinetas stand vor dem Kommunikationspanel und sah sie angespannt an.
Vashtu reichte der Technikerin ihre Unterlagen und trat zögernd an Annes Seite.
Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann wollte sie das ganze lieber nicht mehr vertiefen. Sie wußte aber auch, ihr würde kaum etwas anderes übrig bleiben. Pendergast würde keine Ruhe geben, sie weiter verhöhnen, und das solange, bis er schließlich und endlich außer Reichweite war. Mittels des Satelliten hatte sie zumindest herausfinden können, daß die Triebwerke der Prometheus noch immer liefen, sich das Schiff langsam aber sicher aus der Umlaufbahn befreite. Ihnen blieben nicht mehr als ein paar Tage, um die restlichen Leute herunterzuholen, und sie zweifelte daran, daß ein erneutes Überfallkommando wieder ein solches Glück haben würde. Vor allem würde der Colonel seine Geiseln wesentlich besser bewachen lassen als die Horde, die sie heruntergeholt hatte.
Anne sah sie forschend und besorgt an, legte ihre Hand auf den Arm der Antikerin. „Geht es?“ fragte sie leise. „Wir könnten uns auch in mein Büro zurückziehen.“
Vashtu kniff die Lippen fest aufeinander, atmete wieder tief ein, dann schüttelte sie den Kopf. „Es wird gehen“, antwortete sie.
Anne nickte mitfühlend, gab dem Techniker dann ein Zeichen. „Hier Stross“, meldete sie sich, richtete sich unwillkürlich kerzengerade auf.
Vashtu staunte, wie sie plötzlich auf sie wirkte: Selbstsicher und genau wissend, was zu tun war. Ganz im Gegensatz zu ihr, mußte sie leider zugeben. Die Schmach der Niederlage fraß noch immer an ihr, vielleicht sogar noch mehr als sie sich selbst eingestehen wollte.
„Ist Major Uruhk auch anwesend?“ fragte die bekannte Stimme, die sie inzwischen am liebsten für immer zum Verstummen bringen würde.
„Ja, ich bin da“, antwortete sie, versuchte ihre Stimme so fest wie möglich klingen zu lassen.
„Colonel oder Sir für Sie, Major“, wiederholte Pendergast seine Forderung von gestern.
„Für mich sind Sie nicht länger Mitglied der Streitkräfte“, entgegnete sie, ballte die Hände zu Fäusten, „und den Sir werden Sie sich wohl ebenfalls neu verdienen müssen.“
„Mutig, Major, mutig.“ Der blanke Hohn sprach aus seiner Stimme. „Aber immerhin ... Sie haben da einige hier vergessen bei Ihrem gestrigen Überfall. Denken Sie noch daran?“
Vashtu biß sich auf die Lippen, nickte dann. „Ich will mit Danea sprechen“, sagte sie dann.
„Danea?“
„Der Erethianer“, erklärte sie knapp.
„Ah ... Nun, ich dachte eigentlich eher, Sie wollten Ihre Diskussionen mit Major Barnes weiter fortsetzen. Aber gut ...“
Eine Pause folgte, die Vashtu unendlich lang erschien. Sie wagte gar nicht sich vorzustellen, was Pendergast mit ihrem Teammitglied angestellt haben mochte. Sie wollte es sich gar nicht vorstellen! In ihr selbst stiegen Erinnerungen auf, die sie lieber für immer tief in ihrem Geist vergraben hätte. Sie zwang sich zur Ruhe und fragte sich unwillkürlich, ob John damals ebenso empfunden hatte.
„Major Uruhk?“ fragte dann eine neue Stimme. Die Stimme des Erethianers.
Vashtu schloß erleichtert die Augen und senkte einen Moment lang den Kopf. Dann hob sie ihn wieder. „Wie geht es Ihnen?“ fragte sie. „Hat man Sie gut behandelt?“
„Ich ... mir geht es gut, auch den anderen“, antwortete Daneas Stimme. Er klang etwas unsicher, doch gefaßt. „Man hat uns gefesselt und eingesperrt. Der Colonel sagt, er will verhandeln.“
Ein Ruck ging durch Vashtus Körper. Sie wechselte einen kurzen Blick mit Stross.
„Verhandeln?“ echote diese überrascht.
„Wie ich es sehe, haben Sie etwas, was ich will, und ich etwas, was Sie wollen, Dr. Stross“, sagte nun wieder Pendergasts Stimme.
„Und was wollen Sie?“ fragte Vashtu.
„Können Sie sich das nicht denken, Major?“ Wieder dieser höhnische Unterton in seiner Stimme.
„Major Uruhk hat sich entschieden, sich der Expedition anzuschließen“, wandte Anne sofort ein. „Außerdem würde soetwas selbst in unserer Dimension und auf unserer Erde unter Menschenhandel fallen und wäre damit widerrechtlich.“
Ein kühles Lachen. „Wer redet denn davon, daß ich diese weibliche Furie haben will?“ fragte die Stimme des Colonels schließlich. „Ich will Informationen, mehr nicht. Major Uruhk dürfte das auch noch wissen, wenn sie sich an ihren letzten 'Besuch' auf der Prometheus erinnert.“
Vashtu spannte unwillkürlich die Kiefer an. „Mein Besuch war doch wohl eher ein Verhör, oder nicht?“ entgegnete sie scharf.
„Wie dem auch sei. Mein Angebot steht, Major: Ihr Wissen gegen die Gefangenen. Nennen Sie mir einige Punkte, und ich lasse je nach Dringlichkeit dessen eine der Geiseln frei. Außerdem hätte ich dann auch noch gern einen dieser Puddlejumper, von denen der Erethianer gesprochen hat. Einen mit dieser Sekundärwaffe.“
Danea hatte was gesagt?
Vashtu riß die Augen auf und unterdrückte ein Keuchen.
Danea wußte nichts von den Sekundärwaffen, davon war sie überzeugt. Wenn überhaupt irgendjemand etwas davon erwähnt hatte, dann doch wohl eher sie unter dem Einfluß der Drogen, die man ihr verabreicht hatte.
„Sie können es haben, wie Sie es wollen, Major, Dr. Stross“, fuhr Pendergast fort. „Entweder wir verhandeln weiter, oder ich werfe die Geiseln, eine nach der anderen, in die Luftschleuse, nachdem die Prometheus die Umlaufbahn verlassen hat. Ihnen bleibt also noch etwas Zeit, um das zu beratschlagen. Sagen wir ... morgen um die gleiche Zeit?“
„Das können Sie nicht tun!“ brüllte Vashtu plötzlich los, doch da war nur noch Rauschen in der Leitung.
Anne faßte sie am Arm, sah sie sehr ernst an. „Kommen Sie mit in mein Büro“, sagte sie dann und drehte sich um.
Vashtu schluckte hart, kämpfte um ihre Beherrschung, dann folgte sie der Leiterin Vinetas aus dem Kontrollraum hinaus in deren Büro, das wie ein Schwalbennest an der Wand zu kleben schien, nur über eine schmale Treppe erreichbar.
Anne wartete, bis sie den kleinen, gläsernen Raum betreten hatte, dann schloß sie die Tür hinter ihnen und lehnte sich, die Arme vor der Brust kreuzend und mit sehr ernstem Gesicht, dagegen.
„Wir können uns darauf nicht einlassen. Wir wissen nicht, was Pendergast genau wissen will. Außerdem würde das vielleicht sogar voraussetzen, daß Sie zu ihm müssen“, sagte sie.
Vashtu trat an die großen Fenster und starrte in den Gateroom hinaus, die Lippen fest zusammengepreßt, um ja nicht wieder loszuschreien, wie es ihr gerade in der Kehle steckte.
Die drei im All! Einer nach dem anderen ohne Luft hinausgestoßen und tot.
Sie lehnte ihre Stirn gegen das kühle Glas und starrte nach unten, beobachtete scheinbar die beiden Marines, die vor dem Sternentor Wache hielten.
„Weiß Danea wirklich von den Mikrowellen?“ fragte Anne nach einer Weile des Schweigens.
Vashtu zögerte, dann schüttelte sie den Kopf. „Nicht, daß ich es wüßte“, antwortete sie leise. „Pendergast muß das ... aus mir herausgeholt haben.“
„Sind Sie sich sicher, daß er nicht vielleicht unseren Funkkontakt abgehört und es dort aufgeschnappt hat?“
Vashtu richtete sich wieder auf, starrte aber noch immer aus dem Fenster. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie nach einer Weile zögernd.
„Ich auch nicht.“ Anne seufzte, trat näher und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich möchte, daß Sie morgen nicht anwesend sind, wenn Pendergast einen erneuten Funkspruch absetzt. Sie halten sich von jetzt an aus dieser Sache heraus, Major“, sagte sie dann mit eindringlicher Stimme.
Informationen. Pendergast wollte Informationen von ihr. Was für Informationen, das hatte er allerdings nicht gesagt. Auch die Sache mit der Sekundärwaffe ...
Vashtu starrte weiter aus dem Fenster, während es in ihrem Hirn zu arbeiten begann.
Wollte er wirklich nur Informationen? Konnte sie sie ihm gefahrlos geben? Was mochte er wissen wollen?
Die Sekundärwaffe war nicht einsatzbereit, keiner der modifizierten Jumper konnte die Mikrowellenwaffe abfeuern. Möglicherweise ...
„Haben Sie mich verstanden, Major?“ Annes Stimme klang eindringlich.
Wenn er nur ein paar Brocken haben wollte, konnte sie ihm diese geben, solange sie nicht in seine Reichweite mußte. Sie konnte ihm einige Dinge erzählen, sie auf Datenträger sprechen und ihm irgendwie zukommen lassen. Wenn er so dringend einen der nicht einsatzbereiten Jumper haben wollte, er würde sich nur selbst grillen, versuchte er, die Sekundärwaffe abzufeuern.
Vashtu atmete tief ein, blickte dann auf und sah die Leiterin der Stadt einen Moment lang an. Dann nickte sie. „Ich habe verstanden, Dr. Stross“, sagte sie.

***

Pendergast war nicht überrascht, als plötzlich ein Ruf vom Planeten ausging. Er hatte zwar damit gerechnet, daß das ganze etwas länger dauern würde, aber das mußte er seinem Vögelchen lassen, sie war schnell. Das hatte er ja auch schon gestern bemerken dürfen.
Er nickte den Marines zu, die die beiden Geiseln, diesen Erethianer und Major Barnes, wieder in die Brick zurückbringen sollten. Dabei bemerkte er den Blick, mit dem dieser Alien ihn bedachte, richtete sich auf und lächelte ihm kalt zu.
Dieser Danea würde als erster durch die Mannschleuse nach draußen befördert werden, sobald er seine eigentliche Beute endlich in der Gewalt hatte. Sein Lantianer-Vögelchen hatte angebissen, und er wußte es. Die Kennung, die für den Ruf verwendet wurde, hatte er ihr selbst gegeben.
„Schalten Sie sie durch, Sergeant“, wandte er sich an den zuständigen Marine, lehnte sich befriedigt auf dem Kommandosessel zurück.
„Hier Major Uruhk“, meldete sie sich, wie nicht anders zu erwarten gewesen war. „Ich frage nur einmal: Was für Informationen wollen Sie, Pendergast?“
Er lächelte.
Alles, mein Vögelchen. Du wirst singen, wie noch nie in deinem Leben, glaube mir. Du wirst mir jede noch so kleine Kleinigkeit verraten und dein Liedchen trällern.
„Einige Informationen zu unserem Standort. Mir wurde mitgeteilt, daß Sie dazu offensichtlich eine Theorie haben, Major“, antwortete er. „Und ich wüßte gern mehr über die Devi als mir bisher bekannt ist. Die Prometheus wird wohl eine Weile brauchen, bis sie diese verseuchte Galaxie verlassen hat.“
Er hörte, wie sie einatmete. „Das sind Dinge, über die wir selbst nicht sehr viel wissen“, wandte sie ein.
„Aber mehr als ich und meine Leute“, entgegnete er.
Wieder dieses tiefe Atmen. Wenn er jetzt die Augen schließen würde, würde er die Muskeln und Sehnen in ihrem schlanken Hals arbeiten sehen bei einem solchen Atemzug. Wie würde es wohl sein, wenn sie darum kämpfen mußte? Wenn sich etwas um diesen schlanken Hals legte, während sie hilflos war? Er würde es herausfinden.
„Reicht es, wenn ich Ihnen die Daten mit dem Jumper zusammen zukommen lasse?“ fragte sie endlich.
Sie hatte angebissen! Sie war schon halb in seiner neuen Falle. Und diese würde narrensicher sein und sie ihm nicht mehr entkommen können. Sein kleines Lantianer-Vögelchen, dem er erst noch gründlich die Flügel stutzen mußte. Aber er würde es schaffen, davon war er überzeugt.
„Einen Austausch?“ fragte er so ruhig wie möglich.
„Ja“, war ihre ganze Antwort.
Komm nur zu mir, mein kleines Vögelchen. Komm!
Er nickte, warf Bates einen Blick zu. „Auf dem Planeten? Erethia, wie Sie ihn nennen?“ erkundigte er sich so unschuldig wie möglich.
„Ja.“ Diesmal hatte sie nicht gezögert, nicht eine Sekunde lang.
Pendergast nickte Bates zu, der sich daraufhin von der Brücke zurückzog, um die Vorbereitungen zu treffen, die notwendig waren.
„Wann?“
„Morgen bei Sonnenaufgang?“ fragte sie zurück.
Dann würde eine mögliche Wache, wie sie bestimmt aufgestellt wurde, sehr müde sein. Die beste Zeit, um seinen kleinen Plan auszuführen. Und sie hatte diese Zeit auch noch selbst vorgeschlagen. Sein kleines Vögelchen wollte wohl unbedingt zu ihm, oder?
„Gut, Major“, antwortete er. „Morgen bei Sonnenaufgang. Wo?“
„Zwei Meilen östlich der Devi-Stadt auf dem Hochplateau. Kommen Sie unbewaffnet, dann tue ich das auch.“
„Gut, aber nicht allein. Ich werde Bates mitbringen. Sie dürfen auch gern eine zweite Person dazuziehen, Major“, antwortete er.
Diesmal zögerte sie, aber nur den Bruchteil einer Sekunde. „Gut. Uruhk Ende und Aus.“ Es klickte in der Verbindung.
Pendergast lächelte zufrieden und faltete die Hände im Schoß.
Endlich kam Bewegung in die Sache. Und morgen um diese Zeit wäre sein Vögelchen schon in seinem neuen Käfig und würde zu singen beginnen. Besser konnte es doch gar nicht laufen.

***

Anne durchmaß ihr Büro nervös mit Schritten.
Irgendetwas war in der Antikerin vorgegangen, als sie hier am Fenster gestanden hatte. Nur wußte sie nicht, was das zu bedeuten haben mochte. Und sie wollte es auch nicht wissen, nicht wenn es gefährlich werden könnte. Und sie hatte das sichere Gefühl, es würde gefährlich werden.
Wie hielt man eine Wahnsinnige davon ab, sich in ein Unglück zu stürzen? Wie konnte sie Vashtu Uruhk davon überzeugen, daß es besser war, wenn sie ruhig blieb und die Zeit für sich arbeiten ließ? Wie konnte sie sie von ihrem Wahn befreien, sich in jede Gefahr zu stürzen, die auch nur am Horizont auftauchte?
Anne wußte es nicht. Aber seit der Sache mit der Rettungsaktion war sie sich sehr sicher, die Antikerin entglitt ihr immer mehr und tat, was sie für richtig hielt anstatt dem, was für Vineta das beste war.
Die Tür hinter ihr glitt auf. Anne stockte im Schritt, drehte sich dann um und erleichterte, als sie Lieutenant Markham erkannte, der, auf ihren Ruf hin, den Raum betrat.
„Mam?“ fragte der und musterte sie forschend.
Anne zwang sich zu einem Lächeln. „Lieutenant“, begann sie. „Meine Bitte wird Ihnen sicherlich etwas ... befremdlich erscheinen. Aber ich möchte, daß Sie Major Uruhk nicht aus den Augen lassen. Folgen Sie ihr, wohin auch immer sie geht, aber unauffällig. Sie muß davon nichts wissen.“
Markham runzelte die Stirn. „Sie meinen, Major Uruhk plant noch eine Rettungsmission?“ fragte er.
Anne zögerte, zuckte dann mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, antwortete sie. „Aber sie heckt irgendetwas aus, davon können wir alle ausgehen. Und ich bin mir sicher, Pendergast ...“ Sie schloß den Mund und sah den Air Force-Offizier nur an.
Markham nickte. „Er hat sich gemeldet, das weiß ich. Er stellt einen Austausch in den Raum“, berichtete er.
Diese dummen Klatschbasen im Kontrollraum! Aber vielleicht ... möglicherweise war es gerade gut, wenn die Stadt Bescheid wußte. Major Uruhk war beliebt. Sie hatte viel für Vineta getan. Wenn sie nicht gewesen wäre, wären sie wahrscheinlich nie hierher gekommen.
Vielleicht würde dieser Klatsch, so unangenehm er im ersten Moment auch war, genau das richtige sein, um die Antikerin von einer gewaltigen Dummheit abzuhalten. Wenn die Leute aufmerksam wurden, würden sie sie vielleicht nicht aus den Augen lassen und damit verhindern, was auch immer sie plante.
„Ich kümmere mich darum, Mam.“ Markham lächelte. „Major Uruhk macht ihre Sache sehr gut. Ich möchte keinen anderen leitenden Offizier.“
Anne nickte mit einem zögerlichen Lächeln auf den Lippen. „Das wollen wir alle nicht. Selbst Major Dethman würde lieber selbst ein SG-Team leiten als den militärischen Sektor. Aber soweit sind wir leider noch nicht.“
Bedauern leuchtete in Markhams Gesicht. „Aber es wird sicher noch so kommen, nicht wahr?“
„Wenn wir Major Uruhk jetzt vor einer gewaltigen Dummheit bewahren bin ich mir sicher, sie irgendwann überreden zu können.“
„Ich passe auf sie auf, Mam. Sie wird gar nicht bemerken, daß ich da bin.“
Hoffentlich!

TBC ...