Viel Spaß beim Lesen!
Am nächsten Morgen - eine Stunde
vor Sonnenaufgang:
Hart wurde er gerüttelt, und eine
Stimme schien ihm in sein Ohr zu brüllen, was er erst gar nicht
verstehen konnte.
Wo kam denn hier bitte eine Stimme her?
Er lag doch in seinem Bett. Wie sollte da ... ?
„Peter, ich brauche Sie, aufstehen!“
rief die Stimme wieder. Die Stimme von Vashtu Uruhk.
Er blinzelte, wollte sich einen Moment
lang unwillig wieder losmachen, um sich auf die Seite zu drehen. Dann
aber gab er es auf. Sie war einfach zu hartnäckig, außerdem flammte
jetzt auch noch das Licht in seinem Quartier auf.
Aber, wo zum Kuckuck, kam die Antikerin
her? Wie kam sie in seine privaten Räumlichkeiten hinein? Er
riegelte doch jeden Abend die Tür ab, damit er keine unliebsame
Überraschung in der Nacht erlebte, wie sie schon des öfteren
vorgekommen war.
„Was ... ?“ grummelte er unwillig.
„Aufstehen, los! Wir haben keine
Zeit. Und nehmen Sie ihre Automatik mit!“ befahl ihr Stimme.
Er blinzelte, als sie immer noch nicht
aufhörte, ihn an der Schulter zu rütteln, und gähnte herzhaft.
„Wie spät ist es?“
„Früh genug. Wir haben nicht viel
Zeit und ich muß noch unsere Spuren verwischen. Also los!“ In
ihren Augen blitzte es.
Was sollte das bedeuten? Sie hatten
doch gar keinen Einsatz am Sternentor. Und sein nächster Flug war
erst für den Nachmittag geplant, weil er noch eine Testreihe
durchführen wollte.
„Jetzt machen Sie schon, Peter!“
Sie knuffte ihn in den Oberarm.
„Autsch!“ rief er protestierend
aus, setzte sich jetzt endlich auf und rieb sich die schmerzende
Stelle. „Irgendwann brechen Sie mir noch einmal den Arm“,
beschwerte er sich.
„Machen Sie schon.“ Sie richtete
sich ungeduldig auf, trat zu dem Stuhl, über dem seine Kleider vom
gestrigen Tag zum Auslüften hingen, und warf sie ihm zu. „Wir
haben eine Verabredung. Na los!“
„Eine Verabredung?“ Er schwang
sich aus dem Bett und griff nach dem Pullover, den er sich besorgt
hatte, weil es ihm allmählich zu kalt in diesen Höhlen wurde.
Vashtu nickte ungeduldig. „Mit
Pendergast“, fuhr sie fort.
Er stockte mitten in der Bewegung. „Mit
wem?“ Seine Augen wurden groß.
Sie starrte ihn durchdringend an. „Wir
treffen uns mit Pendergast, um die Geiseln auszutauschen, Peter. Und
jetzt machen Sie endlich! Wir müssen den halben Planeten umkurven,
damit er nicht herausfindet, wo wir wirklich stecken.“
„Sind Sie irre? Sie wollen ...“ Er
stutzte. „Was wollen sie eigentlich?“ fragte er.
Vashtu präsentierte ihm eine glänzende
Cd. „Er wollte einige Informationen und einen der
Mikrowellen-Jumper“, erklärte sie. „Ich habe die ganze Nacht
daran gesessen und einen normalen präpariert. Von mir kriegt er
absolut nichts, schon gar keine Waffe, die er am Ende noch gegen uns
einsetzen kann.“
„Haben Sie denn vollkommen den
Verstand verloren? Sie wollen ihm einen getürkten Puddlejumper geben
im Austausch gegen die drei, die oben in der Prometheus hocken? Und
Sie denken, Pendergast wird sich darauf einlassen? Der will Sie doch
nur so schnell wie möglich in seiner Reichweite haben. Haben Sie
denn noch nicht genug von seinem Drogencocktails?“
„Ziehen Sie sich an, Peter. Sie sind
mein Schatten. Ein Begleiter, so war es ausgemacht.“ Wieder ein
listiges Grinsen von ihr. „Außerdem nehmen wir beide unsere Waffen
mit. Das war nicht abgemacht, also verstecken Sie Ihre Automatik gut,
aber auch so, daß Sie schnell daran kommen.“
Endlich stülpte Peter sich den
Pullover über den Kopf, starrte sie dann aber wieder groß an, ehe
er auch in seine Hose schlüpfte. „Ich gehe zu Stross“, drohte
er.
„Sie werden mit mir kommen, Peter.
Und ehe wir uns versehen, haben wir die restlichen drei hier in der
Stadt und man wird uns dankbar sein“, entgegnete die Antikerin.
Peter blinzelte wieder, blickte von
seinem Fuß auf. „Dankbar?“
Vashtu nickte ernst. „Grodin ist der
leitende Arzt. Was wir mitgebracht haben, sind Assistenzärzte, die
sich noch in der Ausbildung befinden. Die können noch nicht alles.
Und Danea ... dazu muß ich ja wohl nichts sagen, oder? Er ist
Teammitglied.“
Peter preßte die Lippen aufeinander.
„Natürlich ist er das“, knurrte er dann wütend.
Hätte er gekonnt, er hätte irgendwie
gesehen, daß sie den Erethianer doch noch irgendwie einpackten vor
zwei Tagen. Immerhin war Danea der Neue in ihrem Team, ehemals SG-27.
Selbst wenn er noch nicht lange dabei war, er gehörte zu ihrer
kleinen Truppe.
„Also gut“, entschied er endlich,
schnürte sich auch den zweiten Schuh zu. „Lassen Sie uns unsere
Leute retten!“
Vashtu nickte befriedigt.
***
Markham folgte den beiden ungleichen
Personen in einigem Abstand. Er hatte sich fast die ganze Nacht um
die Ohren geschlagen, weil er den Major beobachtet hatte. Erst als
dieser Techniker, Bakerman?, aufgetaucht war, hatte er sich zumindest
für eine Stunde hinlegen können, ehe der ihn wieder weckte.
Jetzt waren die beiden, Dr. Babbis und
Major Uruhk, wieder auf dem Weg in die Jumper-Base. Markham hätte
fluchen können. Hätte er das gewußt, dann wäre er gleich dort
geblieben.
Was wollte der Major schon wieder mit
dem arroganten Wissenschaftler? Wieso holte sie immer ihn dazu, wenn
es irgendetwas gab?
Markham verstand das nicht so ganz, und
es stand ihm auch nicht zu, an einem führenden Offizier Kritik zu
üben. Dennoch hätte es ihn wirklich interessiert, was Major Uruhk
wohl in Babbis zu sehen glaubte, was sie sonst nicht finden konnte.
Irgendetwas mußte da wohl sein, sonst ...
Die Wand glitt auf und öffnete damit
den Blick auf die Reihen um Reihen von Puddlejumpern, die auf ihren
Einsatz warteten. Bakerman war damit beschäftigt, die Gleiter mit
Nummern zu versehen, und tat dies lieber des Nachts, um Babbis aus
dem Weg zu gehen, der momentan wieder einmal mit den Sekundärwaffen
bei dem halben Dutzend Fluggeräten beschäftigt war.
Markham verbarg sich hinter einem der
anderen Gebäude und beobachtete, wie ein Jumper startete. Einer ohne
Kennung.
Das mußten die beiden sein, denn die
Wand schloß sich hinter ihnen wieder.
Der Lieutenant huschte in die Pyramide
hinein, schnappte sich den nächstbesten Puddlejumper und folgte den
beiden im Tarnmodus und sicheren Abstand.
***
Vashtu landete den Jumper nahe der
kleinen Quelle, die sie während der ersten Expedition nach dem
verheerenden Brand gefunden hatte. Angespannt starrte sie nach
draußen und fluchte leise.
„Sie sind schon da“, bemerkte Peter
an ihrer Seite überflüssigerweise.
Vashtu nickte und durchbohrte die
beiden Gestalten, die in einigem Abstand zu ihnen auf dem Plateau
warteten, mit ihren Blicken. Dann riß sie sich von dem Anblick los
und erhob sich mit einem Ruck. „Los!“
Wo hatte Pendergast die Geiseln? Warum
waren die drei nicht auch hier?
Sie wußte es nicht, aber sie würde es
herausfinden. Auf jeden Fall würde dieser Wahnsinnige da draußen
noch einiges von ihr zu hören bekommen, nachdem der Austausch
stattgefunden hatte.
Peter folgte ihr auf dem Fuße, während
sie von der Rampe hinuntersprang und durch die knöchelhohe,
aufgeweichte Asche stapfte. Zumindest regnete es im Moment nicht.
Dafür aber dampfte ihr Atem in der morgendlichen Kühle.
Bald würden sie sich etwas einfallen
lassen müssen, wurde ihr klar. Wenn die Temperaturen, wie berechnet,
weiter absanken, würde ihnen irgendwann nichts anderes mehr übrig
bleiben, als sich irgendwoher wärmende Kleidung und ein ZPM zu
besorgen. Die PKs mochten eine gute Übergangslösung sein, aber sie
entluden einfach zu schnell.
„Guten Morgen, Major Uruhk.“
Pendergast hatte sich umgedreht, als sie näherkamen, und lächelte
sie jetzt kalt an. „Und Dr. Babbis, was für eine Überraschung!“
„Colonel.“ Peters Stimme klang
unterkühlt.
„Wo sind Danea, Barnes und Grodin?“
fragte Vashtu sofort.
Sergeant Bates, der sich inzwischen
auch ihnen zugewandt hatte, musterte sie aufmerksam, warf Pendergast
dann einen kurzen Blick zu.
„Die drei sind in Sicherheit“,
antwortete der gelassen. „Oder dachten Sie, ich schleppe sie mit
hier herunter und vielleicht in einen Hinterhalt? Ich werde sie
freilassen, sobald ich wieder auf der Prometheus bin. Mein Wort
darauf.“
Vashtu kreuzte die Arme vor der Brust.
„Was ich von Ihrem Wort zu halten habe, weiß ich“, entgegnete
sie kalt. „Was wohl bedeutet, wir haben ein Patt. Ich werde Ihnen
nicht geben, was Sie wollen, wenn ich nicht die Geiseln bekomme.“
Pendergast schürzte nachdenklich die
Lippen, nickte dann. „Verstehe“, sagte er, ehe wieder sein kaltes
Lächeln auf seinem Gesicht erschien. „Aber wir werden uns doch
sicherlich auf einen Kompromiß einigen können, oder?“
Vashtu betrachtete ihn mißtrauisch.
„Und was schlagen Sie vor?“
„Lassen Sie sich auf nichts ein,
Vashtu“, zischte Peter ihr zu.
Sie wußte, was sie hier tat, verdammt!
Sie warf ihm einen kalten Blick zu, damit er das auch endlich
verstand.
Pendergast hob die Hände als wolle er
zeigen, daß er unbewaffnet war. „Einen Teil jetzt, einen Teil
später?“ stellte er in den Raum.
Vashtu hob das Kinn, musterte ihn
wieder forschend.
Wenn sie nur wüßte, was dieser Kerl
ausheckte. Wenn sie es auch nur wirklich sagen könnte. Aber ...
„Reden wir miteinander, Major, von
Offizier zu Offizier. Nur Sie und ich“, schlug er unversehens vor.
„Ich bin sicher, wir werden eine Einigung erzielen.“
„Sie und ich?“ echote sie
mißtrauisch.
„Sehen Sie hier noch jemanden? Bates
und Babbis können sich derweil allein vergnügen. Was sagen Sie?“
Vashtu begann, an ihrer Unterlippe zu
nagen.
Sie konnte Pendergast nicht wirklich
einschätzen. Sie hatte geglaubt, sie könnte es, aber jetzt ging ihr
auf, daß das nicht der Fall war. Er war ... unberechenbar für sie.
Sie kannte ihn nicht gut genug, aber sie traute ihm auch nicht zu,
hinterhältig genug zu sein, irgendeine Dummheit hier ausgeheckt zu
haben.
Sie nickte. „Gut, reden wir -
allein.“
„Vashtu!“ zischte Peter ihr
entsetzt zu.
„Ich weiß, was ich tue. Vertrauen
Sie mir“, wisperte sie zurück, auch wenn das nicht so ganz
stimmte. „Seien Sie nur vorsichtig mit Bates. Der ist link.“
Sie trat vor, nickte nach rechts.
„Gehen wir.“
Pendergast sah noch einen Moment zu
Bates, dann trat er an ihre Seite und ging neben ihr her. Schweigend.
Vashtu wurde nervös. Sie war sich der
Nähe des Militärs nur allzu bewußt. Und sie wußte auch, daß es
leicht schiefgehen konnte, was sie hier tat. Ob Anne und die anderen
nun recht hatten oder nicht, sie hatte sich Pendergast zum Feind
gemacht. Sie hatte sich gegen einen leitenden Offizier, dem sie
eigentlich unterstand, aufbegehrt und war von seinem Schiff geflohen.
Seite an Seite schritten sie weiter,
Richtung Abgrund.
Von hier aus, das wußte sie, hatte man
einen sehr guten Blick auf die ausgebrannte Devi-Stadt. Man sah nicht
die Trümmer und die ausgebrannten Gebäude, nur das ganze, das noch
recht intakt wirkte. Aus diesem Grund waren Anne und sie ja auch auf
den Gedanken gekommen, die Ruinen als Heimstatt zu nennen statt
Vineta, das sicher verborgen unter dem Gestein lag.
„Ziemlich ruhig dort drüben“,
bemerkte Pendergast, nachdem sie am Hang angekommen waren.
Vashtu mußte gegen die Versuchung
ankämpfen, herumzuwirbeln und den Colonel in den Abgrund zu stoßen.
Sie warf einen kurzen Blick über die Schulter und sah, daß Peter
und Bates noch immer so standen, wie sie sie verlassen hatten. Dann
richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Mann neben sich.
„Wir hatten einen Deal, Pendergast“,
sagte sie. „Sie haben sich nicht daran gehalten.“
Er nickte nachdenklich, warf ihr einen
kurzen Blick zu. „Meine Sicherheit war mir wichtiger als das, was
wir gestern ausgemacht haben. Ich gebe es gern zu.“
„Als Zeichen Ihres guten Willens
hätten Sie aber zumindest wenigstens eine der Geiseln mit
hinunterbringen können“, warf Vashtu ihm vor, verbarg sich in
ihrem Zorn, um ihre Unsicherheit zu überspielen.
Je länger diese Farce dauerte, desto
sicherer wurde sie sich plötzlich, daß sie einen Fehler begangen
hatte, als sie sich auf dieses Treffen einließ.
Pendergast nickte wieder. „Das hätte
ich sicher“, gestand er ihr zu wissen. „Aber ...“
In diesem Moment knallte es hinter ihr
und sie hörte Peter kurz aufschreien.
Sie wirbelte herum, gerade als der
junge Wissenschaftler fiel.
„Peter!“
Ihre Augen weiteten sich, als sie
begriff. Sie wollte loshetzen, zurück zu Babbis, ihn sich schnappen
und dann mit dem Jumper in die Stadt.
Doch soweit kam es nicht.
Nie hätte sie Pendergast so schnelle
Reflexe zugetraut, und sie konnte sich wirklich nur sagen, daß er
das hier irgendwie geplant hatte.
Blitzschnell packte er sie, seine Hand
legte sich über ihren Mund. Er riß sie zurück, und dann fühlte
sie, wie etwas gegen ihren Hals gedrückt wurde. Sie wollte die
Fremdzellen aktivieren, wollte sich losreißen, da hörte sie bereits
das Zischen, und einen Atemzug später ...
Sie war noch bei Bewußtsein, sie hörte
das Summen und Markhams Stimme in ihrem Ohr, dann eine Detonation.
Doch sie sackte in sich zusammen, kraftlos und von einem Moment zum
anderen unvorstellbar müde. Unsanft wurde ihr das Funkgerät aus dem
Ohr gerissen. Sie wollte wegen des kurzen Schmerzes protestieren,
doch noch immer war da diese fremde Hand auf ihrem Mund, so daß nur
undeutliche Laute aus ihrer Kehle stiegen. Sie wunderte sich, was
hier gerade geschah ... dann sank sie in die erlösende
Bewußtlosigkeit.
„Enttarnen!“ bellte Pendergast in
das Funkgerät der Antikerin. „Enttarnen oder ich breche dem Major
das Genick!“
Er riß die Bewußtlose hoch, packte
mit der Hand anders zu, so daß ein kurzer Ruck genügte, um sich
ihrer für immer zu entledigen. Dann erschien ein kaltes Lächeln auf
seinen Lippen, als sich, kurz vor ihm, der Puddlejumper enttarnte. Er
aktivierte seine eigenes Funkgerät und sagte ein einziges Wort:
„Feuer!“
Im nächsten Moment raste eine der
Raketen der Prometheus auf den Jumper von Lieutenant Markham hinunter
und verwandelte den Gleiter in einen Feuerball, der langsam im
Abgrund verschwand.
„Sir?“
Bates war angelaufen gekommen, stand
jetzt neben ihm.
Pendergast drehte sich zu ihm um. „Wir
haben unser Vögelchen. Jetzt müssen wir es nur noch sichern und
nach Hause in seinen Käfig bringen.“ Seine Stimme klang
triumphierend.
***
„Dr. Stross? Dr. Stross!“ Jemand
hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür ihres Quartiers.
Anne kämpfte sich widerwillig aus
ihren Träumen. Dann aber war sie sofort hellwach und richtete sich
auf.
Irgendetwas war passiert, dessen war
sie sich sicher. Irgendetwas ...
Sie kämpfte sich aus dem Bett, warf
sich so schnell wie möglich zumindest einen Pullover über, rang
noch mit ihrer Hose, während sie schon, auf einem Bein, zur Tür
hüpfte. „Was ist los?“ fragte sie, noch während sie öffnete.
Andrea Walsh stand auf ihrer Schwelle
und starrte sie mit schreckensgeweiteten Augen an. „Das Tor ist
blockiert“, sagte sie.
Anne blinzelte. „Was?“
Walsh nickte. „Williams war noch
einmal auf P1V-121. Er wollte vor knapp einer Stunde zurück sein.
Aber ...“ Hilflos zuckte sie mit den Schultern.
Anne atmete tief ein. „Dann wecken
Sie Babbis oder Major Uruhk. Es wird wohl wieder an diesem verdammten
Einschußloch liegen.“
Gott sei Dank nichts schlimmes! Gott
sei Dank nicht die Nachricht, die sie gefürchtet hatte.
Sie wußte gar nicht, wie erleichtert
sie sein konnte, bis zu diesem Moment. Doch dann blickte sie in das
ernste Gesicht der Chef-Technikerin und erstarrte unwillkürlich.
„Major Uruhk und auch Dr. Babbis sind
nicht auffindbar“, berichtete Walsh endlich zögernd.
Anne glaubte, ihr Herz müsse
stehenbleiben. „Dann ...“ Hilflos irrte ihr Blick hin und her,
bis er schließlich auf der Technikerin haften blieb, die kurz
erstarrte, dann das Funkgerät in ihrem Ohr aktivierte.
„Wann war das?“ fragte Walsh. Ihr
wich alles Blut aus dem Gesicht. „Sicher?“ Dann ein Stöhnen und
ein hilfloser Blick in Annes Richtung.
„Was ist los?“
„Wir haben einen ... Energieanstieg
gemessen“, antwortete Walsh zögernd. „Und ... vielleicht eine
Minute vorher ... hat ... Colonel Pendergast Major Uruhks Funkgerät
benutzt.“
Anne taumelte einen Schritt zurück.
Es war passiert! Der Alptraum war
Wirklichkeit geworden. Und sie hatte es nicht verhindern können. Sie
hatte gar nichts tun können, weil sie auf Markham vertraut und sich
ins Bett gelegt hatte.
Markham!
„Versuchen Sie Lieutenant Markham zu
erreichen“, befahl sie, wirbelte herum und griff sich ihr eigenes
Funkgerät.
„Lieutenant Markham ist ebenfalls
nicht erreichbar. Er wollte wohl eine Meldung absetzen, aber ... er
wurde unterbrochen - gerade als dieser Energieanstieg erfolgte.“
Nein, nein, nein! Anne glaubte, jeden
Moment den Verstand verlieren zu müssen. Hilflos stöhnte sie auf,
während sie mit ihren Schuhen kämpfte.
„Haben wir irgendeine Ortung?“
fragte sie schließlich und blickte die Technikerin an.
Walsh zögerte, nickte dann aber.
„Dann ein Rettungsteam dahin, aber so
schnell wie möglich! Die Leute sollen schwere Bewaffnung tragen. Wir
wissen nicht, ob ...“ Sie schloß den Mund und schluckte. „Wir
wissen nicht, was uns da draußen erwartet.“
Walsh nickte, drehte sich um und wollte
gehen. Dann blieb sie wieder stehen. „Ein Funkspruch von der
Prometheus“, sagte sie vollkommen emotionslos.
Anne schluckte wieder, richtete sich
auf und klopfte auf ihr Funkgerät. „Stellen Sie durch!“ befahl
sie dann.
„Dr. Stross?“ hörte sie
Pendergasts Stimme. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht geweckt. Ich
wollte Ihnen nur kurz mitteilen, daß jetzt ... alles erledigt ist.
Viel Glück für Ihre Expedition.“ Ein Zögern. „Major Uruhk läßt
Ihnen übrigens mitteilen, daß Sie sich doch umentschieden hat. Es
brauchte zwar etwas ... Überredungskunst, aber sie ist jetzt sicher
auf der Prometheus und wird nicht mehr zurückkehren.“ Ein leises,
schmerzerfülltes Stöhnen, dann ein unterdrückter Schrei.
Anne schloß die Augen. Sie hatte die
Stimme erkannt.
„Das als letzten Gruß von Major
Uruhk. Sie bedauert, es Ihnen nicht selbst mitteilen zu können, aber
sie ist im Moment ... sprachlich etwas behindert.“ Die Leitung
knackte, als sie getrennt wurde.
Anne kniff hilflos die Lippen zusammen.
Das konnte nicht geschehen sein, nein!
***
Das Erwachen ging qualvoll langsam vor
sich.
Vashtu stöhnte leise auf. Ihre Lider
flatterten. Undeutlich konnte sie eine Gestalt neben sich ausmachen,
hörte Worte, die sie jedoch nicht verstand. Ihr Kopf sank ihr immer
wieder auf die Brust herab, weil er plötzlich Tonnen zu wiegen
schien.
Dann aber hörte und fühlte sie es,
konnte einen unterdrückten Schmerzensschrei nicht verhindern. Ein
gemeines Knacken, als ihr linker Arm verdreht und aus dem Gelenk
gezogen wurde. Sie brüllte in ihren Knebel vor Schmerz, verlor fast
wieder das Bewußtsein, ehe er nachließ. Wieder sank sie benommen in
sich sich zusammen, kämpfte darum, wach zu bleiben.
Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas
...
Endlich, wahrscheinlich durch den
Schmerz beschleunigt, begann ihr Geist wieder zu arbeiten, gerade als
ihr Kopf in den Nacken gerissen wurde.
Sie schluckte und blinzelte wieder. Das
Bild vor ihren Augen klärte sich etwas.
„Bist du wieder wach, mein Vögelchen?
Hast du schon genug geschlafen?“ fragte eine bekannte Stimme.
Vögelchen?
Vashtus Hinterkopf knallte unsanft
gegen etwas, das metallisch hohl klang.
Wo war sie? Gerade war sie doch noch
...
Endlich begann sie zu begreifen, riß
die Augen auf und starrte in das Gesicht, das sich über sie gebeugt
hatte.
Pendergast!
In ihren Augen loderte blanker Haß
auf. Mit aller Kraft versuchte sie sich loszureißen, was ihr
allerdings nur neuerlichen Schmerz einbrachte, der sie keuchen ließ.
„Ich mußte dir deinen Flügel ein
bißchen stutzen“, erklärte der Colonel ihr. „Wir wollen doch
nicht, daß du dich losreißt, oder? Erst einmal mußt du handzahm
gemacht werden, dann können wir darüber sprechen. Aber solange ...“
Vashtu sah, wie er etwas hob, es sah
aus wie ein schmaler Gürtel.
Was hatte er vor? Wollte er sie
auspeitschen mit dem Ding?
Unwillkürlich versteifte sie sich,
starrte ihn noch immer voller Zorn an.
Allmählich ging ihr auf, was mit ihr
gerade passierte. Und sie begriff, allzu lange konnte sie nicht
betäubt gewesen sein, wenn er immer noch damit beschäftigt war, sie
zu fesseln.
Versuchsweise ruckte sie erneut an den
Schellen, die ihre Handgelenke umwanden, und wieder erntete sie einen
gemeinen Schmerz im linken Arm.
Was hatte dieser Wahnsinnige ihr
angetan? Warum konnte sie den Arm nicht wirklich bewegen?
Pendergast schüttelte den Kopf,
schlang ihr dann diesen eigenartigen Gürtel um den Hals.
Vashtu versuchte, ihn zu treten. Er
stand geradezu wie ein Paradebeispiel vor ihr. Doch ihre Knöchel
waren ebenfalls gefesselt und an irgendetwas festgemacht.
Was tat er da?
Pendergast beugte sich in aller
Seelenruhe über sie. Dann ging ein Ruck durch diesen Gürtel, den er
ihr um den Hals gebunden hatte.
Vashtu röchelte, so gut es ging, um
überhaupt noch Luft zum Atmen zu erhalten.
„So geht es dir, wenn du dich wehrst.
Hast du das jetzt verstanden?“ Er packte ihr Kinn und hob ihr
Gesicht an. „Du wirst brav sitzenbleiben. Eine falsche Bewegung,
und die Schlinge zieht sich zu. Nicht gerade angenehm für dich,
oder? Nein, ganz sicher nicht. Also wirst du dich jetzt nicht mehr
rühren - und auch keinen Piep von dir geben. Es sei denn, mein
Lantianer-Vögelchen möchte singen. Und singen wirst du, darauf
kannst du dich verlassen.“
Er ließ sie los und trat einige
Schritte zurück.
Vashtu wurde auf den Raum aufmerksam
und begriff, daß sie sich wohl wieder auf der Prometheus befand. Die
Kabine, in der sie sich aufhielt, war klein und bis auf zwei Stühle
und einen Tisch leer. Sie fand auch keine Ecken oder Kanten,
irgendetwas, was ihr vielleicht helfen konnte.
Das Schott öffnete sich, es befand
sich direkt ihr gegenüber, so daß sie jeden Eintretenden sehr genau
sehen konnte, ebenso wie er sie.
„Wir haben jetzt eine Menge Zeit“,
wandte Pendergast sich wieder an sie, lächelte triumphierend zu ihr
hinunter. „Und du hast sicher viel zu erzählen, nicht wahr?“
Vashtus Aufmerksamkeit glitt von ihm
ab, als sie Bewegung am Schott wahrnahm.
Bates trat ein, und er zerrte noch
jemanden mit sich.
Vashtus Augen weiteten sich vor
Schrecken, als sie begann zu begreifen.
Ende Teil 1 - Fortsetzung folgt
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