Jetzt stand er in einer Auffahrt, sah sich etwas hilflos um. Einige moderne Bauten wiesen darauf hin, daß sich das Geschäft hier, mitten in den Everglades, doch wohl lohnte. Die Auffahrt war, wie eine dieser Villen aus alten Hollywoodschinken, groß und ausladend angelegt, mit einem überdimensionalen Blumenbeet inklusive Springbrunnen in der Mitte.
John rieb sich die Arme, als sei ihm kalt. Dann hatte er endlich einen Mann ins Auge gefaßt, unter dessen Sakko sich der Griff einer Waffe abzeichnete und in dessen Ohr einer dieser Ohrstöpsel steckte, wie sie immer wieder gern von den verschiedenen Geheimdiensten benutzt wurden. Um das Klischee voll zu machen hatte der Sicherheitsmann auch noch eine Sonnenbrille auf der Nase.
Gute Idee, ging John auf. Während er langsam zu dem anderen hinüberging und dabei kurz nach O'Neill sah, der den Wagen abstellte, holte er seine Sonnenbrille aus der Brusttasche und setzte sie sich auf die Nase.
„Kann ich Ihnen helfen, Sir?" wandte der Wachmann sich sofort an ihn, als er in dessen Nähe kam.
John blieb stehen, zückte den niegelnagelneuen Ausweis und hielt ihn dem anderen hin.
„Colonel John Sheppard, USAF", stellte er sich vor. „Sir, ich hätte da einige Fragen, eine Vermißte betreffend."
Mr. Security seufzte, verzog dann die Lippen. „Hören Sie, Colonel Sheppard von der USAF, die Polizei war schon mehrmals da und ich kann Ihnen nur das gleiche wie denen sagen: Keines ihrer Mordopfer hatte ein Zimmer in diesem Hotel. Für alles andere wenden Sie sich bitte an den Ältestenrat des Stammes."
John verstaute den Ausweis wieder und nickte, während er jetzt ein Foto von Vashtu aus seiner Brieftasche holte. „Es ist nur eine Frage, aber haben Sie vielleicht diese Frau gesehen?" Er hielt dem anderen das Bild unter die Nase und hoffte einfach nur das beste.
„Habe ich mich nicht gerade klar und deutlich ..."
„Wow, wer kommt denn mit einem Heli hier heraus?" unterbrach O'Neills Stimme das Abwiegeln.
Johns Blick irrte einen Moment lang ziellos hin und her, ehe er fand, was der General gemeint hatte: Ein äußerst gepflegt wirkender Helikopter dümpelte hinter den letzten Wirtschaftsgebäuden in einem Wasserarm und wartete offensichtlich nur darauf, daß irgendjemand ihn startete.
„Das ist vertraulich", wandte Mr. Security sich nun an O'Neill.
Der nickte, trat an Johns Seite. „Och, wissen Sie, kann doch nicht schaden, wenn Sie ein bißchen angeben", befand er.
„Bedaure, Sir", wiederholte Mr. Security und schüttelte ansatzweise den Kopf. „Einige unserer Kunden legen besonderen Wert auf Diskretion und Unabhängigkeit. Sie wissen sicher, wie es ist, über Nacht ein Star zu sein ..."
In O'Neills Gesicht zuckte nicht ein Muskel. „Um ehrlich zu sein nicht", antwortete er, zog jetzt seinerseits den Ausweis. „Major General Jack O'Neill von der Air Force. Der Colonel und ich sind auf der Suche nach einer vermißten Offizierin, die wir gern wieder hätten. Sehen Sie sich das Foto doch noch einmal an."
In weiter Ferne heulte plötzlich ein Motor auf.
John zuckte zusammen. „Was war das denn?"
„Ein Sumpfboot", Mr. Security war weiterhin die Ruhe selbst, doch zumindest hatte er jetzt einmal das Foto in die Hand genommen und schien es zu studieren. „Wenn es windstill ist wie heute kann man die Dinger meilenweit hören. Die Naturschutzbehörde versucht seit Jahren, die Boote aus dem Verkehr zu ziehen. Angeblich werden die Tiere von dem Lärm krank."
John wollte schon nicken, als er plötzlich noch einmal zusammenzuckte, und noch einmal. Beim dritten peitschenden Knall aus weiter Ferne fuhr er zu O'Neill herum, der ebenfalls lauschte.
„Das waren Schüsse!"
Was, wenn genau in diesem Moment auf Vashtu geschossen wurde? Was, wenn sie verletzt war und dringend Hilfe brauchte? Was, wenn ... ?
Der Lärm des Sumpfbootes wurde lauter und lauter. Und dann ...
John riß die Augen auf und strengte sich an, so gut er eben konnte.
Er fühlte sie! Vashtu war hier, ganz in der Nähe. Und sie kam näher und näher und ...
Das Boot mit dem überdimensionalen Rotor am Heck und dem extrem niedrigen Tiefgang tauchte so plötzlich auf, daß John, hätte er nicht Ausschau nach ihr gehalten, sie gar nicht bemerkt hätte. Sie hockte wie auf einem Referee-Stuhl direkt vor dem Rotor und steuerte ganz offensichtlich das Boot. Und ... es stimmte etwas mit ihrer Hautfarbe nicht!
Den Mann, der auf einem der beiden unteren Sitze hockte nahm John nur am Rande wahr, er sah einzig und allein Vashtu, wie sie das fremdartige Gefährt steuerte, an ihm vorbeifuhr und dem Kanal weiter folgte.
Dem Sumpfboot dicht auf den Fersen war ein normales kleines Boot mit Außenbordmotor, in dem zwei Menschen saßen: Einer hinten, der das Gefährt steuerte, einer hockte vorn im Bug und ...
John wirbelte zu O'Neill herum. „Sie ist es!"
Der General sah den beiden Wasserfahrzeugen besorgt nach. „Gehen Sie schon", sagte er.
John jagte los, bis zum Helikopter, der am einzigen Pier des Casinos vertäut lag. Kurz sah er sich suchend um, dann öffnete er die Tür und kletterte in das Innere des Fluggerätes.
Wie war das noch?
John stockte einen Moment, dann begann er so schnell wie möglich die nötigen Hebel und Schalter umzulegen, um den Motor starten zu können.
Himmel, er war jahrelang nicht mehr mit einem Heli unterwegs gewesen, ging ihm auf.
Als er kurz nach draußen sah konnte er beobachten, wie der Security-Mann auf O'Neill losging, der ihn offensichtlich davon abhalten wollte, ihn, John, wieder aus dem kostbaren fliegenden Untersatz eines der besser situierten Kunden des Casinos zu zerren. Und er sah, wie ein weiterer Wagen oben an der Zufahrt anhielt und ein rothaariger Mann, der ihm inzwischen leider mehr als bekannt war, auf ihn zuhielt, die Hand am Holster.
John fluchte, nahm den Knüppel in die Hand.
Er würde Vashtu folgen, und wenn es das letzte war, was er je tun würde. Er würde nicht weiter danebenstehen und zusehen, wie sein Traum von einer Familie zerplatzte, ehe sie drei ihn richtig genießen konnten.
John gab vorsichtig Gas. Der Heli ruckte nach vorn, schwenkte dann zur Seite.
Da wurde die Tür auf der anderen Seite aufgerissen und der rothaarige Polizist, der ihn gestern den ganzen Tag bearbeitet hatte, kletterte wenig elegant auf den Kopilotensitz.
Der Helikopter kam endlich vom Kai los und schwenkte auf die offene Wasserfläche.
„Können Sie denen hinterher?" brüllte Caine ihn an.
John kniff die Lippen aufeinander, nickte aber stumm. Der Polizist schien ihn noch nicht erkannt zu haben, ein Umstand, den er sich zu nutze machen wollte, solange er eben dauern würde.
Der Helikopter unter ihm bebten einmal, zweimal, dann verlor das Fluggerät den Boden, respektive Wasserkontakt.
***
Mike wurde übel bei dieser rasanten Fahrt durch eines der Feuchtgebiete der riesigen Everglades. Nicht nur, daß er von dem ganzen Spritzwasser inzwischen tropfnaß (und wahrscheinlich von diesen ... Amöben für den Rest seiner Tage verseucht) war, diese Frau, die er aus Zimmer 113 befreit hatte, fuhr wie eine Wahnsinnige. Vielleicht, ging es ihm durch den Kopf, wollte sie sie beide tatsächlich umbringen. Potenzial in diese Richtung konnte er ihr jedenfalls nicht absprechen.
Andererseits war ihm jetzt schon mehr als eine Kugel um die Ohren geflogen, und das Boot, das an ihnen klebte wie angekoppelt, war bedrohlich nahe.
Jedenfalls, so schloß Mike aus dem Gesicht der Frau, das hochkonzentriert war, schien sie soetwas nicht zum ersten Mal zu tun. Vielleicht nicht unbedingt mit einem Sumpfboot, aber die Art, wie sie das Wasserfahrzeug steuerte, verriet, daß sie sich mit Verfolgungen auskannte - jedenfalls damit, gejagt zu werden.
Ein Helikopter tauchte über ihnen auf, zog dann nach rechts weg, um kurz darauf zurückzukehren.
Die Fremde legte den Kopf in den Nacken, dann konzentrierte sie sich wieder auf den Weg und ließ das Boot einen Haken schlagen.
„Scheiße! Paß doch auf!" brüllte Mike, als er sich plötzlich dem Mann im Bug des Bootes gegenübersah.
Der kam ihm bekannt vor. War das nicht ... ?
Der nächste Haken, während schon wieder der Helikopter über ihnen klebte.
Mike prustete sich das Wasser aus dem Mund, in der Hoffnung, so eine innere Verseuchung verhindern zu können. Das fehlte ihm gerade noch! Diese komischen Miniviecher, wie sie in ihm herumschwammen und noch mehr Schaden anrichteten.
Das Boot machte den nächsten Schlenker, und allmählich ging ihm auf, wohin die Fremde wollte: Ein kurzes Stück weiter vorn begann einer der Magrovensümpfe der Everglades, Süßwassermangroven, um genau zu sein. Vom Delta zum Golf waren sie noch meilenweit entfernt ...
Riesige Bäume, deren Bezeichnung Mike nicht kannte, ragten bis dicht über die Wasserfläche und würden verhindern, daß der Helikopter sie weiter verfolgen konnte. Blieb dann nur noch das Verfolgerboot - und irgendwie war er sich ziemlich sicher, daß sie auch dafür eine Lösung finden würde ...
Der nächste Schuß schrammte über die Aufhängung des Pilotensitzes und ließ Mikes Zähne schmerzen. Das laute Quietschen war selbst über den Lärm des Propellers zu hören.
Das Boot schlug den nächsten Haken und er wurde allmählich seekrank.
Dem Piloten des Helikopters schien ebenfalls aufzugehen, daß er bald nicht mehr weiterkonnte, den plötzlich tauchte das Fluggerät direkt vor ihnen auf, vielleicht einen oder zwei Meter über der Wasseroberfläche, die die Rotoren aufpeitschten.
Mike riß die Augen ungläubig auf, als er erkannte, wer da auf dem Copilotensitz saß. Den Piloten dagegen konnte er nicht ausmachen, die Sonne strahlte zu sehr. Dafür aber erkannte er seine persönliche Nemesis: Horacio Caine, der gerade damit beschäftigt zu sein schien, die Tür auf seiner Seite zu öffnen.
„Das ist die Polizei!" brüllte Mike nach hinten, doch die Fremde hörte nicht.
Mit einem halsbrecherischen Schlenker umkurvte das Sumpfboot den tieffliegenden Helikopter und raste dann weiter bis direkt unter die Bäume.
Mike drehte sich wieder um und sah nach oben.
Sie schien voll konzentriert zu sein, behielt die schmale Wasserschneise im Auge, während ihr Kopf kurz mal nach links, mal nach rechts ruckte auf der Suche nach einem Ausweg. Erst im zweiten Hinsehen bemerkte er den Unterschied: Sie hatte sich noch weiter verändert! Ihre Haut war inzwischen wirklich hellgrün und glänzte. Und an beiden Seiten ihrer schmalen Nase befanden sich zwei hellrote Striche, sehr schmal und wie aufgemalt wirkend. Und ihre Augen ... Waren die nicht bis vor einer Stunde dunkel gewesen?
Sie riß das Boot aus der Fahrrinne und ...
Mike krallte sich an seinem Sitz fest, als er erkannte, daß sie über eine der natürlichen Erdwälle in einen anderen Kanal wechseln wollte.
Theoretisch war das möglich, das wußte er. Sumpfboote konnten sich kurzfristig über Land fortbewegen, da sie keinen tiefen Kiel oder gar ein Schwert besaßen. Andererseits ...
Er hatte keine Zeit mehr, dem Gedanken bis zu seinem Ende zu folgen. Das Boot stieß auf Land und arbeitete sich den schmalen Hügel hinauf, um auf der anderen Seite sofort wieder unsanft ins Wasser zurückzuplumpsen.
Er keuchte, drehte sich wieder um. „Bist du wahnsinnig, du Schlampe?" brüllte er sie an. „Du sitzt hier nicht allein!"
Das Adrenalin sang in seinen Adern und er hatte Mühe, seine Lungen mit genug Sauerstoff zu füllen.
„Festhalten!" schrie sie und nahm den nächsten Kanal in Angriff.
Offensichtlich wollte sie soviele Hindernisse wie möglich zwischen sich und ihre Verfolger bringen, ging Mike auf. Vielleicht nicht gerade die kleverste Lösung, bedachte man, daß sie allein durch den Lärm auffielen wie ein bunter Hund. Diese Sumpfboote jedenfalls waren nicht dafür berühmt, daß sie sonderlich gehörschonend waren. Wahrscheinlich konnte man sie noch in einigen Meilen Entfernung hören.
Doch sie beide irrten sich.
Der nächste Erdwall zwischen den Kanälen war zu hoch für das Boot, noch dazu hatte sie wohl irgendetwas übersehen. Jedenfalls verlor sie die Kontrolle über das Fahrzeug, das sich daraufhin gefährlich zur Seite neigte. Der Rotor geriet zwischen die dicken Äste eines uralt erscheinenden Baumes, selbst das Gestänge aus Metall half da nicht mehr viel. Im Holz schien ebenfalls Metall eingegraben zu sein, jedenfalls zersplitterten die beiden Flügel des Propellers noch bevor das Boot sich plötzlich überschlug und irgendwie doch noch auf der anderen Seite ins Wasser rutschte - um gleich unterzugehen, da etwas den Rumpf leck geschlagen hatte.
Mike wurde durch die Wucht aus seinem Sitz geschleudert und landete auf dem Boden neben den Überresten des Bootes. Den Kopf schrammte er sich an einer Luftwurzel an, ein großer Stein bohrte sich in seine Seite. Halb bewußtlos blieb er liegen und mußte warten, bis die Welt aufgehört hatte, sich wie irr um ihn zu drehen.
Er fühlte sich, als hätte er in einem Fleischwolf gesteckt, befand er schließlich, während er sich ächzend auf den Rücken rollte und einfach nur keuchend einatmete.
Er hatte ein Held sein wollen, kein Wunder, daß er dafür bestraft wurde. Er war kein Held, war es auch noch nie gewesen. Er hätte es besser wissen müssen, ehe er loszog auf der Suche nach Julie.
In einiger Entfernung konnte er den Motor des Außenborders hören, der Helikopter dagegen schien verschwunden zu sein.
Dann hörte er das würgende Keuchen - und sofort war die Wut wieder da.
Er rappelte sich, die Schmerzen vergessend, die ihn peinigten, auf und humpelte zu ihr hinüber, um sofort mit einem Fußtritt auf sich aufmerksam zu machen.
Auch sie war wohl aus dem Sitz geschleudert worden, hatte sogar eine weichere Landung als er hinter sich ... sah man von den Dornen ab, die das Gestrüpp, in dem sie gelandet war, an seinen dünnen Ästen hatte. Über seinen Tritt krümmte sie sich zusammen und rollte aus dem Busch heraus, um würgend liegenzubleiben und sich den Magen zu halten.
Hatte er sie nicht in der Seite getroffen?
Egal!
Mike trat über sie und beugte sich hinab. „Du blöde Kuh! Was denkst du dir dabei? Beinahe hättest du uns beide umgebracht!" brüllte er sie an, ballte die Rechte zu Faust und holte aus, um sie ihr mitten in ihr grünes Mutantengesicht zu rammen. Vielleicht würde ihn das ein bißchen von dem Trip runterholen ...
Doch soweit kam er nicht. Gerade als er zuschlagen wollte, riß sie die Augen auf und fuhr ihre Linke aus. Ihre Finger gruben sich schmerzhaft in seine Faust, während sie sich jetzt langsam aufrappelte, ihm den Arm dabei verdrehend.
„Mach das nie wieder, Mike", zischte sie.
Ihre Stimme ... sie klang anders, unmenschlich!
Mike ächzte und versuchte sich irgendwie loszuwinden.
Verdammt, dieses Weibstück war einen Kopf kleiner als er! Das konnte doch nicht wahr sein, was hier gerade geschah.
„Du wirst weder mich noch sonst eine Frau jemals wieder schlagen, hast du verstanden?" knurrte sie, riß ihn herum und warf ihn dabei flach auf den Boden. Nicht einmal einen Atemzug später hockte sie rittlinks auf ihm und ihre rechte Hand drückte sich in seinen Halsansatz, genau dort, wo Adern, Venen sowie Luft- und Speiseröhre saßen. Und augenblicklich fühlte Mike einen schneidenden kalten Schmerz, der seine gesamte Wahrnehmung beanspruchen wollte.
„Nie wieder, hörst du?" knurrte sie, beugte sich zu ihm herunter. „Sonst werde ich dich töten, Mike, verstehst du?"
„Was ... was bist du?" keuchte er. „Was für ein Freak ... ?"
Weiter kam er nicht, den augenblicklich überstieg der Schmerz alles, was er geglaubt hatte wahrnehmen zu können. Voller Argonie heulte er auf, bis seine Welt wieder ein wenig klarer wurde.
„Ich bin dein Alptraum, Mike Sheridan", zischte sie in sein Ohr und hob die Rechte, um sie ihm über das Gesicht zu halten.
Die Handfläche war blutverschmiert, doch das war nicht das, was ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Mitten in dieser Innenfläche befand sich ein pulsierender Schlitz, der jetzt ein wenig geöffnet war, so daß er einen Blick auf eine Art spitzer Röhre werfen konnte. Eine LEBENDE Röhre, die sich zurückzog in das Innere der Gliedmaße.
Fauchend kam die Fremde wieder auf die Beine und sah sich um.
Mike tastete mit zitternden Fingern nach der schmerzenden Stelle und fühlte sich bestätigt: es war sein Blut, das an ihrer Hand klebte. Langsam rappelte er sich auf bis in eine kniende Haltung.
„Julie ... war sie blond, mit glatten Haaren? Sehr weiblich und relativ groß?" fragte die Fremde plötzlich in die entstandene Stille hinein.
Mike schluckte, nickte dann aber. Sein Hals schmerzte und er hatte Angst. Angst vor diesem ... Monster! Wie kam er am besten von hier weg? Wie konnte er sich gefahrlos von ihr trennen?
Er wußte es nicht, und als sie sich zu ihm umdrehte und ihn mit ihren kalten, gelben Augen musterte, sank sein Mut unter Null.
Sie hockte sich bei ihm hin, fuhr sich mit der Hand durch ihr wirres, schwarzes Haar. „Ich kann mich ein bißchen erinnern", gestand sie ihm zu wissen. „Und ich weiß, daß ich, ehe ich in diesem Bett aufwachte, am Strand war und dort eine Leiche gesehen habe. Eine Leiche und ... noch jemanden." Sie schüttelte den Kopf.
Mike schluckte, tastete dann nach seiner Brieftasche. „Ich ... hab da ein Foto", flüsterte er heiser.
Sie nickte und beugte sich über ihn, als er ihr die geöffnete Brieftasche hinhielt. Dann wandte sie sich ab und richtete sich auf. Einige Male öffnete sie leicht die Lippen, kniff sie dann wieder zusammen, ehe sie schließlich wieder stumm nickte.
Mike schloß die Augen und wandte sich ab.
„Wir müssen hier verschwinden, ehe die wieder hinter uns herkommen", sagte sie nach einer Weile, in der sie beide nur stumm ihren eigenen Gedanken nachgehangen hatten.
Mike zögerte, rappelte sich aber schließlich wieder auf. Offensichtlich war die Gefahr erst einmal gebannt. Stand zu hoffen, daß das so bleiben würde ...
„Haben die dir das angetan?" fragte er, mutig geworden durch das, was vor einigen Minuten geschehen war.
„Zum Teil. Zu einem anderen steckte es in mir", antwortete sie ausweichend, hielt sich noch immer abgewandt. Jetzt, da ihr Zorn ebenfalls verflogen war, schien es ihr geradezu peinlich, daß er sie sehen konnte.
„Und ... und was ist das jetzt?"
„Die Art meines Körpers, mit Drogen umzugehen", antwortete sie, drehte sich dann plötzlich um und starrte in den Sumpf hinein. „Jemand kommt. Wir müssen verschwinden."
Mike war sicher, er machte gerade einen Fehler, dennoch aber folgte er ihr ohne Widerstand. Im Moment war sie wohl der sicherste Weg zum Überleben - solange sie nicht über ihn herfiel ...
***
John war noch mehrere Runden über das Gehölz geflogen, bis er endlich aufgab. Weder das Sumpfboot noch der Außenborder tauchten zwischen dem dichten Laubdach wieder auf, unter das sie mit Höchstgeschwindigkeit geflohen waren.
Vashtu hatte ihn nicht erkannt, ging ihm auf, während er den Helikopter so nahe wie möglich an dem Gehölz landete. Er hatte direkt vor ihr in der Luft geklebt, doch das Sonnenlicht mochte auf den Scheiben reflektiert haben. Die Antikerin hatte nur einen weiteren Haken geschlagen und war dem Kanal in das Gehölz gefolgt.
John stellte die Rotoren langsam ab und atmete tief durch.
Vashtu war mutiert, sie war, als er sie gesehen hatte, fast schon ein Wraith gewesen. Und er wußte sowohl von ihr wie auch aus den verschiedensten Aufzeichnungen, was das bedeutete: Ganz offensichtlich hatte man die Antikerin unter Drogen gesetzt.
„Wir sollten zurückfliegen", schlug Caine seltsam handzahm vor.
John zögerte einen Moment, als er zum wiederholten Male das Funkgerät betrachtete, öffnete dann aber die Tür auf seiner Seite und verließ den Helikopter.
Vielleicht hätte er den seltenen Flug sogar genießen können, wenn er nicht so in Sorge wäre, ging ihm auf, während er mit langen Schritten den Grashügel in Richtung auf das Wäldchen hinuntermarschierte.
„Hey!" rief Caine ihm nach.
Und wenn schon! Was sollte der Polizist hier draußen unternehmen? Ihn festnehmen und mit Handschellen fesseln? Und wie sollte Caine selbst dann wieder von hier wegkommen?
Johns Lippen verzogen sich zu einem zynischen Lächeln, während er unbeirrbar weiter marschierte.
Er konnte immer noch Vashtus Anwesenheit fühlen, sie war nahe. Aber was er sonst empfand hatte wenig mit dem gemeinsam, wie es sonst war, mit ihr verbunden zu sein. Da war eine eigenartige, unmenschliche Kälte, die von ihr zu ihm hinüberstrahlte und sämtliche Warnsignale in seinem Inneren läuten ließ.
John war klar, was das bedeutete: Die Verwandlung war abgeschlossen und er hatte jetzt das seltene Vergnügen, seine Lebensgefährtin als Wraith-Königin wahrnehmen zu dürfen. Keine sonderlich verlockende Aussicht, aber im Moment alles, was er eben hatte. Dabei hoffte er, die Verbindung zu Jordan würde durch die Entfernung abgeschwächt. Auf keinen Fall sollte das Kind seine Mutter so erleben!
„Hey, warten Sie! Sie können doch nicht so einfach ..."
Schritte näherten sich ihm, dann wurde er unsanft an der Schulter gepackt und herumgerissen.
John preßte die Kiefer aufeinander, nahm sich endlich die Sonnenbrille ab und sah Horacio herausfordernd an.
Der bekam große Augen. „Sie?"
„John Sheppard, immer noch. Und wenn Sie mich jetzt entschuldigen - ich möchte meine Lebensgefährtin wiederfinden und die Kerle, die sie gejagt haben, dingfest machen. Was dann mit ihnen geschieht stört mich nicht weiter." Er riß sich los und wandte sich wieder um.
„Sie haben gerade einen Helikopter gestohlen, Colonel Sheppard. Ich könnte Sie auf der Stelle festnehmen." Caine würde nicht so einfach aufgeben, das war ja klar gewesen.
„Sie sind in dem gestohlenen Helikopter mitgeflogen", entgegnete John, konnte den sehr befriedigten Unterton in seienr Stimme nicht wirklich unterdrücken. „Mitgefangen, mitgehangen."
„Ich bin in einem Einsatz ... Haben Sie überhaupt einen Flugschein?"
„Ich denke, ich bin so ziemlich alles gängige schon geflogen, das es gibt. Was soviel heißt wie: Ja, ich habe einen Flugschein."
„Trotzdem haben Sie ein Fluggerät ohne Genehmigung benutzt und den Flugverkehr dadurch gefährdet, daß Sie ohne Funkkontakt zu einer Flugleitstelle abgehoben sind."
„Ich war nie höher als für einen solchen Fall erlaubt."
Caine kam immer noch hinter ihm her. John hätte den Polizisten am liebsten am anderen Ende des Sumpfes gewußt, aber nun waren sie beide hier und mußten das beste aus iher Lage machen.
Vashtu als Wraith, ein persönlicher Alptraum von ihm wurde Wirklichkeit ...
Wie aufs Stichwort klingelte plötzlich das Handy von Horacio.
John warf einen Blick über die Schulter und nickte befriedigt, als er sah, daß der Polizist angehalten hatte, um das Gespräch entgegenzunehmen. Er selbst tat noch genug Schritte, um außer Hörweite zu sein, ehe er aus seiner Hosentasche den antikischen Kommunikator zog und aktivierte.
„Sheppard, ich versuche schon eine Weile, Sie zu erreichen", meldete sich augenblicklich O'Neill. Der General klang besorgt.
John seufzte, warf einen Blick auf Caine. „Wir haben Vashtu verloren. Sie hat sich in irgendein Gehölz am Kanalrand versteckt. Und ... Sir, Sie sollten sich Genelab noch einmal sehr genau ansehen. Vashtu ist mutiert."
„Mutiert wie ... was?" O'Neill zögerte, ehe er das letzte Wort seiner Frage aussprach. „Mutiert wie ein riesiger Käfer, oder mutiert wie ... ich könnte der Brüller auf der nächsten Halloweenfeier werden?"
„Letzteres. Da sind Drogen im Spiel, Sir", antwortete John. „Jemand sollte nach Jordan sehen, ob es ihr gut geht. Vashtus Empfindungen haben sich in der letzten halben Stunde ziemlich verändert, Sir."
„Kann ich mir denken." O'Neill klang wenig begeistert. „Aber das ist nicht, weswegen wir Sie suchen. Sie haben schon recht, Sheppard. Tatsache ist, einer der Firmengründer von Genelab spielt falsch."
John richtete sich alarmiert auf. „Was meinen Sie?"
„Storm war noch einmal bei Ihrem Bruder, nachdem er die Firmenunterlagen von Genelab kontrolliert hatte", berichtete O'Neill so kurz wie möglich. „Was genau da vor sich geht, wissen wir noch nicht. Aber irgendwie stand Genelab mit dem Trust in Verbindung bis vor einigen Wochen."
John holte tief Atem.
Der Trust! Hatte Storm nicht sogar noch selbst auf der Nemesis davon gesprochen? Diese Vereinigung niederer Goa'uld hatte sich bisher als so gut wie unzerstörbar erwiesen. Und es wußte niemand wirklich, wie viele der außerirdischen Parasiten sich auf die Erde geflüchtet hatten nach dem Ende der Systemlords.
John sah zu dem Wäldchen hinunter und runzelte die Stirn. „Es wäre eine Erklärung für die beiden Typen im Verfolgerboot", räumte er ein.
„Storm ist bereits unterwegs zur Klinik mit einem Team Marines. Wir hätten uns anschließen sollen, allerdings ..."
„Fahren Sie allein, Sir. Ich suche weiter nach Vashtu. Ich bin ihr dicht auf den Fersen."
„Kann ich mir denken ... Wie ist es mit diesem Caine? Der war das doch, der noch in den Heli gesprungen ist als Sie starteten, oder?"
John drehte sich wieder um und beobachtete einen Moment lang Horacio, der immer noch telefonierte. „Den habe ich im Griff, Sir. Aber es sollte wirklich auch nach Jordan gesehen werden. Wenn der Trust dahintersteckt ..."
„Es ist schon ein Team nach Wisconsin unterwegs. Machen Sie sich keine Sorgen." O'Neills Stimme klang beruhigend. „Wird das mit Vashtu wieder werden? Wie weit kann sie mutiert sein nach zwei Tagen."
John seufzte. „Ich weiß es nicht", gestand er schließlich.
„Aber Sie trauen ihr nicht zu, die Seiten zu wechseln, oder?"
„Nein!"
„Sie müssen sich übrigens auch keine Gedanken wegen des ... ausgeliehenen Helikopters machen", wechselte O'Neill das Thema. „Sie werden lachen, die Kiste gehört dem Typen, der Colonel Danning spielt."
John stutzte. „Der wen spielt?"
O'Neill schien sein Fauxpas aufzugehen. „Vashtu wird das verstehen. Wormhole extreme."
Schritte näherten sich.
„Ich muß Schluß machen, Sir. Wir reden später." John deaktivierte den Kommunikator und ließ ihn wieder in seiner Hosentasche verschwinden. „Sehen wir nach, ob wir meine Lebensgefährtin finden", wandte er sich dann so locker wie möglich an Horacio, ging bereits weiter.
Wormhole extreme und eine mutierte Antikerin - vielleicht hätte er sich damals in McMurdo krank melden sollen ...
***
Mike stapfte hinter ihr her, behielt sie immer im Auge.
Kurioserweise schien es ihr nichts auszumachen, daß sie nicht einmal Schuhe trug und ihre OP-Kluft alles andere als widerstandsfähig war in dieser Umgebung. Seine eigenen Phobien dagegen steigerten sich mit jedem Schritt, den er tat.
Wer war diese Mutantin? Wieso war sie so plötzlich von einer normalen Frau zu dem geworden, was er jetzt bewundern durfte? Und warum war sie so stark?
Vor einer kleinen Weile hatte sie zu ihm gesagt, er solle die Beine in die Hand nehmen, gab sie ihm ein Zeichen, weil dann sein Leben nicht mehr sicher sein würde. Sie war nicht weiter darauf eingegangen, WAS genau dann geschehen würde, aber er war sich ziemlich sicher, es hatte etwas mit dem zu tun, was sie ihm bereits gezeigt hatte.
„Wie lange geht das?" brach er die Stille zwischen ihnen.
Sie hob den Kopf, drehte ihn kurz in seine Richtung, ehe sie mit den Schultern zuckte. „Das erste Mal ist es ... vor Jahren passiert", antwortete sie. „Damals dauerte es mehrere Tage."
„So richtig kannst du dich immer noch nicht erinnern, oder?"
„Stimmt." Sie nickte.
„Und was ... was ist das? Ich meine, gibt es solche Wesen wie dich wirklich, ohne daß ihnen irgendwelche Genetika gespritzt werden?"
Sie blieb wieder stehen, ein Fauchen entwich ihren Lippen, während sie die Nase in die Luft hob. „Wraith", antwortete sie endlich. „Sie nennen sich Wraith und es gibt sie wirklich." Unvermittelt drehte sie sich zu ihm um und musterte ihn emotionslos. „Ich bin jetzt eine Königin. Aber ich werde es nicht für immer sein - hoffe ich zumindest."
Mike wich unwillkürlich unter ihrem Blick zurück und holte tief Atem.
„Eigentlich solltest du das alles nicht wissen, Mike Sheridan", fuhr sie fort. „Eigentlich solltest du nicht einmal mich sehen dürfen. Ich bin dir dankbar, daß du mir bei der Flucht geholfen hast, und das ist auch der einzige Grund, aus dem du noch lebst. Ein Frauenprügler wie du hätte es eigentlich wirklich verdient, mein Opfer zu werden. Und langsam kehrt der Hunger zurück." Mit einem kleinen Fauchen bewegte sie sich einen Schritt auf ihn zu.
Mikes Beine wurden weich.
Würde sie ihn jetzt töten? Aber sie hatte ihm das Zeichen nicht gegeben. Sie hatte ihm eine Chance lassen wollen, er sollte überleben.
„Ich habe Julie geliebt!" keuchte er endlich.
Sie blieb wieder stehen und neigte den Kopf. Und jetzt nahm er endlich war, daß da jemand in seinen Gedanken herumstocherte, in seinen Erinnerungen kramte und seine Erfahrungen durchblätterte. Ungläubig weiteten sich seine Augen, als er erkannte, daß sie es war. Irgendwie steckte sie in seinem Kopf, wenn er auch nicht wußte ...
Das Bild der kleinen, so glücklich wirkenden Familie tauchte plötzlich auf, wurde von ihr hervorgezerrt. Wieder beobachtete Mike, wie der Mann mit seinem Gesicht die Frau, die sie bis vor einigen Stunden gewesen war, liebevoll küßte, wie sie dem Kind zärtlich eine Gute Nacht wünschte.
Mit einem weiteren Fauchen zog sie sich zurück, wandte sich abrupt von ihm ab.
Mike schluckte hart und wartete.
„Du wirst niemals wieder eine Frau schlagen, Mike", knurrte sie nach einer Weile. „Niemals wieder, hörst du? Es ist gleich, was du dir als Ausrede noch ausdenken magst. Es gibt keine Entschuldigung dafür, jemanden zu verprügeln, der liebt. Und es ist erst recht kein Zeichen von Gegenliebe, wie du dir einreden willst. Das ist auch kein rüdes Vorspiel, das ist einfach krank!"
Mike kramte in seinem Inneren nach der Aggression, nach dem, was er bis dato als seine Männlichkeit begriffen hatte. Doch ... da war nichts mehr.
„Ich habe es dir genommen." Sie ging langsam weiter.
Mike starrte ihr einen Moment lang nach, dann beeilte er sich, wieder zu ihr aufzuschließen. „Wieso ... ? Warum hast du das getan?"
„Weil ich es kann", war ihr Antwort.
„Nicht gerade sehr höflich, im Kopf eines anderen herumzustochern, findest du nicht?" fuhr er fort. „Ich weiß, daß es nicht richtig war. Man hat mich oft genug zu diesen Aggressions-Abbau-Training-Sitzungen verdonnert."
„Dann brauche ich dir darüber zumindest nicht auch noch einen Vortrag zu halten."
„Und wenn ich jetzt angegriffen werde? Was, wenn ich mich verteidigen muß?" Mike kratzte alles, was er noch aufbieten konnte an klarem Verstand zusammen, in der Hoffnung, aufzuwachen und sich neben Julie liegend vorzufinden. Sie beide würden über diesen Traum lachen. Und wie sie lachen würden!
Sie blieb wieder stehen und musterte ihn von oben bis unten. „Du hast keine Ahnung, wie gut du es hast, Mike Sheridan. Du glaubst, wenn du keinen Zugriff auf deine Aggressionen hast, kannst du dich gegen Böse Buben nicht verteidigen? Aber, antworte mir, wie oft wurdest du denn in deinem Leben schon überfallen? Wie oft war dein Leben bedroht? Wann hättest du je auf das Tier in dir zugreifen müssen?"
Mike schüttelte nur stumm den Kopf.
Sie bedachte ihn noch mit einem Blick, dann ging sie weiter.
„Ich bin jetzt in Gefahr und müßte mich vielleicht gegen dich oder diese Kerle, die uns verfolgen, verteidigen", wandte er schließlich ein.
Sie lächelte humorlos. „Ich schätze, du kannst dich da ganz auf mich verlassen, Mike. Ich hab da so meine Erfahrungen. Die einzige Gefahr, die dir droht, bist du selbst. Früher oder später wirst wieder im Gefängnis sitzen und dieses Mal vielleicht wirklich erniedrigt werden. Es gibt oft genug einen Stärkeren. Man muß nur schlauer sein als er."
„Oder sich in einen Freak verwandeln? Oh Verzeihung ... Wraith, ich meinte Wraith."
Sie antwortete nicht, doch das Zischen, das ihrer Kehle entwich, zeigte mehr als deutlich, daß er gerade dabei war, wirklich sein Leben in Gefahr zu bringen.
Mike biß sich auf die Lippen, stapfte weiter hinter ihr her und beobachtete sie dabei.
Wraith, was war das? Wieso wußte er nichts darüber? Woher kamen diese Wraith? Wurden sie etwa genetisch hergestellt? Immerhin war er ja in eine Klinik eingebrochen, die von Genelab finanziert wurde.
Plötzlich blieb sie stocksteif stehen und er begriff erst jetzt, daß sie auch weiterhin in seinen Gedanken gelesen hatte, ohne daß er es bemerkte.
Langsam drehte sie sich herum. „Ich war in der Aqua Vitae-Klinik?" fragte sie.
Ihr Gedächtnis, fiel ihm ein. Sie wußte immer noch nicht, wer sie war und wie sie hieß. Auch seine Hinweise hatten da offenbar wenig gebracht. Es schien zwar, als würde ihr immer wieder das eine oder andere einfallen, aber es war offenbar noch längst nicht genug, um ihr Leben wieder herzustellen.
„Ja, in Zimmer 113 der Aqua Vitae-Klinik, die durch Genelab betrieben wird", antwortete er endlich, auch wenn er glaubte, sie habe die Antwort schon aus seinen Gedanken gefiltert.
Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. Das nächste Fauchen, das sie ausstieß, klang ungleich drohender und gefährlicher als die Laute, die sie bisher produziert hatte.
„Dann werden wir uns jetzt ein paar Antworten holen", knurrte sie und marschierte strammen Schrittes an ihm vorbei ... den Wildpfad zurück, dem sie bisher gefolgt waren.
„Aber ..." Mike drehte sich um und starrte in die Richtung, in die sie gegangen waren.
Er wollte hier heraus, nach Möglichkeit ganz aus den Everglades heraus und sie niemals in seinem Leben wieder betreten. Vielleicht würde er sogar umziehen, jetzt, nach Julies Tod hielt ihn zumindest nichts mehr in Florida. Hauptsache aber erst einmal aus diesem Sumpf heraus.
Andererseits war sie wohl im Moment so ziemlich die einzige Chance, die er überhaupt hatte. Er war unbewaffnet und hier lebten allerlei wilde Tiere - auch bedrohliche wie Puma oder gar die Alligatoren ...
„Verdammter Mist!" Er drehte sich zu ihr herum und joggte ihr so schnell wie möglich nach. Er durfte sich auf keinen Fall abhängen lassen - auf gar keinen Fall!
***
Jack O'Neill mußte tatsächlich noch einige Minuten warten, ehe der zweite Wagen mit Storm auf dem Parkplatz der Klinik auftauchte, direkt an dessen Heck klebte eine dunkle und sehr teuer wirkende Limousine. Jack verzog das Gesicht, als er sich aus seinem Auto schälte.
Sicher Sheppards Bruder, dieser Geschäftsmann, der gerade ein paar seiner Millionen den Bach runtergehen sah. Denn es war klar, daß er, Jack, der hiesigen Polizei einen kleinen Tip geben würde, nachdem sie dieses Goa'uld-Nest ausgeräuchert hatten. Sicher würde es noch das eine oder andere zu finden geben für die Experten des CSI. Und wenn er sich nicht sehr täuschte, war die hübsche Blonde, die ihm vom Casino hierher gefolgt war in einem Zivilfahrzeug, eine Polizistin, vielleicht sogar wirklich von der Spurensicherung. Warum sie ihn noch nicht vernommen hatte war ihm ein Rätsel. Aber vielleicht wollte sie erst einmal sehen, welche Ratten er aus ihren Löchern jagen konnte ...
Storm parkte den dunkelblauen Ford, den sie sich mit dessen heller Variante von der hiesigen Airbase geliehen hatten, und stieg aus.
„Sir", begrüßte der MP Jack und nickte nach hinten. „Mr. Sheppard wollte mitkommen. Ist der Colonel nicht hier?"
„Colonel Sheppard sucht seine Lebensgefährtin. Die Spur ist heiß", antwortete Jack. „Sie schwelt sogar noch. Wir haben sie beide gesehen. Böse Buben haben sie einen Kanal hinunter gejagt."
Wenn Storm bei dieser Eröffnung irgendetwas empfand, dann konnte er das sehr gut verbergen. Er nickte nur wieder, ansonsten blieb sein Gesicht ausdruckslos.
„Wir beide sehen uns hier ein bißchen um. Wenn der Trust seine Finger im Spiel hat, dann würde es mich nicht wundern, wenn wir hier eine Folterkammer für junggebliebene Antiker finden." Jack schob sich seine Sonnenbrille wieder auf die Nasenwurzel und richtete sein Interesse auf den hochgewachsenen Mann im maßgeschneiderten Anzug, der jetzt, sein Jacket noch geraderückend, zu ihnen trat.
„Sind Sie für dieses Chaos verantwortlich?" fragte der Neuankömmling sofort. Seine Stimme klang gezeizt.
„General Jack O'Neill - mit zwei L bitte." Jack grinste und hielt dem anderen seine Rechte hin. „Und Sie müssen Dave Sheppard sein, der Bruder unseres tapferen Helden. Sie können stolz auf John sein. Was der schon so alles weggesteckt oder gefunden hat ..." Er nickte anerkennend.
Dave musterte ihn mißtrauisch. „Ja, ich bin der Bruder Ihres teuren Colonels. Und wenn es um das Verschwinden seiner ... Lebensgefährtin geht, dann habe ich ihm gegenüber bereits meine Aussage gemacht. Ich habe sie nicht mehr gesehen, seit sie auf eigenen Wunsch meinen Wagen verlassen hat."
„Und vorher haben sie zwei sich gestritten, ich weiß." Jack zog stirnrunzelnd seine Hand wieder zurück. „Sie hätten nicht kommen müssen, Mr. Sheppard. Wir sind hier, um einen dringenden Verdacht zu verwerfen oder zu bestätigen, je nachdem. Im Moment deutet alles daraufhin, daß Colonel Uruhk entführt und hierher gebracht worden ist. Übrigens ist sie wieder aufgetaucht. Sie brauchen sich also keine Sorgen zu machen. John ist ihr nach in den Sumpf, und so eng, wie die beiden miteinander sind, laufen sie sich früher oder später über den Weg."
Daves Mundwinkel verzogen sich leicht. „Wenn Sie meinen ..." Noch einmal musterte er Jack scharf. „Allerdings hätte ich gern mehr als einen vagen Hinweis, daß Ihr Colonel Uruhk hierher entführt worden ist. Immerhin wurde ihr ein Chefsessel bei Genelab angeboten."
Jack nickte nachdenklich, drehte sich dann um und sah über den Parkplatz zu dem Gebäude hinüber.
Ein typischer Betonklotz aus den späten Sechzigern, dem man jetzt mit frischer Farbe und freundlichen Pflanzen ein bißchen Leben einzuhauchen versuchte. Allerdings gelang das nicht so ganz. Das gesamte Gebäude war ein Fremdkörper hier, mitten im Sumpf.
„Daran arbeiten wir und deshalb ist Major Storm auch hierher gekommen, Mr. Sheppard", antwortete Jack endlich und ging langsam los, Dave nur wenige Schritte hinter sich wissend. Ja, wenn er alles so gut einschätzen könnte wie manche Menschen ...
„Ich hoffe, Ihnen ist klar, daß ich offiziell Beschwerde einreichen werde, wird dieser Vorwurf nicht aus der Welt geschafft. Wie ich John schon sagte, seine kleine Freundin könnte man wieder dahin zurückschicken, woher auch immer sie gekommen ist."
„Ich bin sicher, da würden sehr viele Ihnen nicht zustimmen, Mr. Sheppard. Colonel Uruhk mag sehr eigenwillig sein, aber sie ist auch eine natürliche Anführerin und steht hundertprozentig ein für das, woran sie glaubt. Davon könnte so mancher von uns sich noch eine Scheibe abschneiden. Sie hat fünf Jahre ihr Kind quasi allein mitten in einem Krisengebiet aufgezogen, vorher die Schwangerschaft ohne jede Hilfe unsererseits hinter sich gebracht. Ähnlich wie Ihrem Bruder haben wir ihr eine Menge zu verdanken. Dinge, von denen auch Sie profitieren, Mr. Sheppard."
Ein Mann kam ihnen im Eilschritt entgegen.
„Dave, sind Sie das?" ließ der Neuankömmling, der aus der Klinik gekommen war, vernehmen.
„Theodor, ich bin froh, daß Sie hier sind." Dave Sheppard bedachte Jack mit einem unterkühlten Blick, als er an ihm vorbeitrat und neben dem Neuen Stellung bezog. „General O'Neill, das ist Doktor Theodor Hehnenburgh, einer der Firmengründer von Genelab und ein sehr angesehener Genetiker."
Storm tauchte an Jacks Seite auf, als müsse er seinen Anführer schützen, verzog noch immer keine Miene. Möglich, daß seine Mimik doch arbeitete, man das aber hinter seiner großen Sonnenbrille nicht sehen konnte, räumte der General ein.
„Was geht hier vor?" Hehnenburgh musterte die beiden Militärs argwöhnisch. „Erst sperrt Mel mich aus meinen eigenen Forschungen aus, dann tauchen diese eigenartigen Proben auf und dann fehlen plötzlich mein Partner sowie Sicherheitskräfte. Was soll das?"
„General O'Neill, Stabsmitglied im Weißen Haus. Das ist Major Storm von der Militärpolizei, Stützpunkt Cheyenne-Mountain", stellte Jack sie beide vor. „Sagten Sie gerade, Sie seien von Ihren Forschungen ausgeschlossen worden, Dr. Hehnenburgh?"
Der Genetiker nickte. „Schon vor einer Weile."
„Zirka vor ... drei bis vier Monaten?" fragte Storm sofort nach.
Hehnenburgh war irritiert, nickte aber.
„Tom, laß dich nicht festnageln. Der Air Force ist eine Offizierin abhanden gekommen, und die suchen sie jetzt ausgerechnet bei dir, weil irgendein Idiot sie hier in der Nähe gesehen haben will", wandte Dave sich an den Wissenschaftler.
Hehnenburgh warf dem Geschäftsmann einen irritierten Blick zu. „Ich habe nichts zu verbergen."
„Dann werden Sie uns sicher auch sagen können, woran Sie forschen, Sir?" bohrte Storm sofort nach.
Hehnenburghs Gesicht verfinsterte sich. „Ich arbeite an der Formel der Ewigen Jugend!"
Augenblicklich schlugen sämtliche Sirenen in Jacks Hirn Alarm.
Ewige Jugend? Da gab es doch etwas in Bezug auf die Antikerin, der Grund dafür, daß sie sich selbst nach zehntausend Jahren so gut gehalten hatte. Und wenn er sich nicht sehr irrte, dann ging es dabei um irgendein mikroskopisch kleines Ding, das bei den meisten Lebewesen auf der Erde am Genecode hing, daß Vashtu aber nicht trug und deshalb wesentlich langsamer alterte als normal gewesen wäre.
„Gott verdammt! Mel hat mich erst ausgelacht, aber plötzlich ... da tauchte die erste dieser eigenartigen Proben auf. Mel wollte nicht sagen, woher er das Zellmaterial hatte, aber es konnte nicht menschlich sein, auf keinen Fall. Aber es gab eine Art natürlicher Brücke, die es mit Menschen kompatibel gemacht hätte."
Storm warf Jack einen Blick zu, wechselte abrupt mehrmals das Standbein. Da wurde jemand nervös ...
„Und dann wurden Sie aus den Forschungen entfernt?" fragte Jack in aller Ruhe.
„Dann hat Tom den Großteil seiner Aktien an mich verkauft", warf Dave Sheppard ein. „Seinerzeit war ich noch der Meinung, Ihre Colonel Uruhk sei eine Bereicherung für diese Firma und setzte demnach alles daran, sie zur Konferenz zu holen."
„Und jetzt sind Sie das nicht mehr?"
„Was?" Dave war irritiert.
„Sicher, daß sie eine Bereicherung für Genelab ist", wiederholte Jack in aller Seelenruhe.
Dave lachte bitter auf. „Diese Frau ist eine verdammte Hochstaplerin, das ist sie!"
„Uruhk? Diese Frau, die plötzlich aus dem Nichts auftauchte mit dieser Gentherapie gegen Leukämie?" mischte Hehnenburgh sich wieder ein.
„Genau die", nickte Jack befriedigt.
Hehnenburghs Gesicht leuchtete auf. „Diese Frau ist schlichtweg genial! Ihr Ansatz ist vollkommen anders als sämtliche Forschungen, die Mel oder ich in den letzten Jahren unternommen hätten. Aber ihr Ansatz ist richtig, absolut richtig!"
Jack fühlte unwillkürlich soetwas wie väterlichen Stolz in sich wachsen. Hätte er damals nicht Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, als Vashtu zur Erde kam und niemand mit ihr wirklich auskam ...
„Sie war hier", sagte Storm ruhig.
Hehnenburgh riß die Augen auf. „Hier? In Miami? Wieso hat mir niemand etwas gesagt? Ich hätte sie gern getroffen."
„Sie war in dieser Klinik", präzesierte Jack. „Sie wurde vor einigen Tagen entführt. Alle Spuren weisen hierher."
„Mit anderen Worten, das Militär weiß nicht weiter und sucht einen Sündenbock", entgegnete Dave ätzend.
Hehnenburgh dagegen war mit einem Mal sehr still und ernst und sah Jack aufmerksam an, ehe er den Arm hob.
„Kommen Sie mit", sagte der Genetiker nur, ging wieder zurück zum Eingang der Klinik.
Na bitte, das ging doch!
Jack folgte Hehnenburgh und Sheppard mit sehr zufriedener Miene. Allmählich kamen sie doch hinter das ganze Schauspiel ...
TBC ...
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