11.03.2012
Kalter Entzug VI
Sieben Tage vor der Rückkehr:
Vashtu ließ sich von Bates zum Quartier von Pendergast bringen. Dabei fühlte sie sich eigenartig gleichgültig. Sie spürte selbst, irgendwo tief in sich drin, daß es nicht gleichgültig sein sollte, was mit ihr geschah, aber ... irgendetwas hinderte sie daran, etwas anderes zu empfinden.
Der Sergeant öffnete die Tür, ließ ihr den Vortritt.
Vashtu sah sich mit halbem Auge um, wartete, bis Bates sie am Arm nahm und zu dem großen Tisch dirigierte, der bereits gedeckt war. Auf seine stumme Aufforderung ließ sie sich nieder, sank gegen die Rückenlehne und schloß die Augen.
Sie war so müde. Wirklich müde. Sie konnte sich gar nicht erinnern, sich jemals dermaßen nach Schlaf und Ruhe gesehnt zu haben. Nie! Zwar mochte sie schon an Punkte gekommen sein, an denen sie geglaubt hatte, nicht mehr weiterzukönnen. Doch jetzt begriff sie erst wirklich, was es bedeutete, dermaßen die Kontrolle zu verlieren.
„Schön, daß Sie gekommen sind, Major", begrüßte Pendergasts Stimme sie. „Bleiben Sie ruhig sitzen. Sie sind jetzt nicht im Dienst."
Mühsam öffnete sie die Augen wieder. Kurz zuckte sie zusammen, als sie den Colonel direkt über sich gebeugt fand, dann aber kehrte diese eigenartige Gleichgültigkeit wieder zurück und ließ sie zurücksinken in das Polster.
„So ist es schon sehr gut, Major", lobte Pendergast sie. Vom Tisch nahm er ein Glas und hielt es ihr an die Lippen. „Trinken Sie, Sie sind durstig, nicht wahr?"
Nein, das war sie an für sich nicht, aber wenn er meinte.
Vashtu nahm einen Schluck. Die Flüssigkeit schmeckte bitter, erinnerte sie an etwas. Irgendwo, ganz tief in sich, fühlte sie, wie eine winzige Alarmglocke anschlagen wollte. Doch es war zu anstrengend, sich darum zu kümmern.
Vashtu konzentrierte sich auf ihren Atem, weil sie glaubte, wenn sie das nicht tun würde, würde sie schlicht vergessen, daß selbst sie Luft zum Leben brauchte. Sie schluckte und schloß die Augen wieder halb.
Pendergast hatte sich offensichtlich neben ihr niedergelassen. Saß sie nicht am Kopfende seines Tisches? Egal!
„Wir waren gestern bei Ihrem Kampf gegen die Wraith vor zehntausend Jahren, Major", begann der Colonel jetzt wieder. „Aber Sie haben mir nicht erklärt, wie Sie, von einer einfachen Lantianerin, zu dem wurden, was Sie jetzt sind. Wie konnten Sie zehntausend Jahre überstehen?"
Vashtu öffnete den Mund, wollte antworten. Doch ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Benommen begann sie den Kopf zu schütteln. „Kann nicht ..." murmelte sie.
„Trinken Sie noch einen Schluck, das wird helfen."
Wieder wurde ihr das Glas an die Lippen gehalten, wieder trank sie diese bittere Flüssigkeit. Allmählich versank alles um sie her in einem Nebel, die Müdigkeit wurde immer größer, schien sie aufzusaugen.
„Was sind Sie, Major?"
Die Lider fielen ihr über die Augen. Wieder mühte sie sich, den Kopf zu schütteln.
Sie verstand es ja selbst nicht. Pendergast schien plötzlich sehr freundlich ihr gegenüber zu sein, vielleicht hatte er tatsächlich begriffen, daß sie sich sträuben würde, bis ... Ja, bis was? Er war ihr Vorgesetzter. Sie sollte ihm gehorchen. Aber sie konnte nicht.
„Was sind Sie?" kehrte die Frage zurück.
Unwillig stöhnte sie auf, wandte den Kopf ab, als sie wieder fühlte, wie das kühle Glas ihre Lippen berührte.
„ ... geistige Sperre, Sir ..." hörte sie Bates undeutlich sagen, brachte es fertig, die Augen jetzt doch wieder einen Spalt weit zu öffnen, um sich konzentrieren zu können. Das Gesicht des Marines wirkte, als habe er Seidentücher über dem Kopf. „ ... stärkeres Mittel ... reicht nicht!"
„Unsinn!"
Unsanft wurde sie plötzlich gepackt und geschüttelt, bis sie mühsam den Kopf hob und mit verschleierten Augen zu dem Colonel aufsah.
Warum wirkte er plötzlich so wütend?
„Was haben Stross und Sie ausgeheckt, Major? Was geht hier auf meinem Schiff vor sich? Antworten Sie!" herrschte er sie hart an.
Vashtu runzelte benommen die Stirn. „Weiß nicht ..." nuschelte sie, ihr Kopf sank auf ihre Brust.
Mit einem Fluch wurde sie zurückgestoßen, sank gegen die gepolsterte Rückenlehne.
Sie war so müde ...
***
Jetzt:
Vashtu hockte wieder auf der Pritsche, horchte tief in sich hinein und stemmte sich mit aller Macht gegen eine noch weitere Verwandlung. Sie war froh um die Schatten und die Dunkelheit, in denen sie sich verstecken konnte. Das letzte Mal, und da war die Verwandlung noch lange nicht soweit gegangen, als sie ähnlich aussah, war es heller Tag gewesen und sie hatte geglaubt, den Verstand verlieren zu müssen, als sie ihr eigenes Spiegelbild sah.
Wie lange war das jetzt her? Knapp drei Jahre mußten es wohl sein, rief sie sich ins Gedächnis. Drei Jahre, von denen sie eines noch relativ verschlafen hatte, in der Hoffnung, die Fremdgene auf diese Weise wieder unter Kontrolle zu bringen und sich John stellen zu können. Und vor ungefähr zwei Jahren hatte sie andere getötet, die ihr in diesem Moment noch ähnlicher waren als die Menschen auf Atlantis.
Vashtu ballte die Hände zu Fäusten.
Sie hatte sich teils bewußt in die Wraith-Zellen gestürzt, um das schlimmste abwenden zu können. Doch daß die Verwandlung soweit ging, damit hätte sie niemals gerechnet. Sie besaß einen Saugmund, sie fühlte den schmerzenden Hunger in ihren Eingeweiden. Dabei fragte sie sich allerdings auch, ob sie tatsächlich fähig war ...
„Kleines?"
Vashtu hob den Kopf, hielt ihr Gesicht aber weiter abgewandt und starrte die Wand an. Dabei aber fühlte sie den dringenden Wunsch, sich in Dorns Arme zu stürzen, sich von ihm halten zu lassen wie ein kleines Mädchen. Wie ihr Vater es damals getan hatte, nachdem die Wraith ...
Vashtu stöhnte auf und schloß die Augen.
„Ich weiß, daß du dich verwandelt hast", fuhr Dorns Stimme sanft fort. „Du kannst dich mir ruhig zeigen. Ich bin außerhalb der Reichweite."
Sie nickte stumm.
Die zusätzlichen Zahnreihen, die sie mit aller Macht zurückhielt, aber doch ihren Kiefer zu verformen begannen und das Zahnfleisch schmerzen ließen, ließen ihre Stimme selbst in ihren Ohren undeutlich klingen. Es strengte sie an, zu sprechen.
„Ich wollte dir sagen, daß die Wachen ausgetauscht und verstärkt wurden. Ich habe sie ein wenig von der Zelle abgezogen, damit du nicht ... in Versuchung kommst."
Wieder nickte sie.
„Wir hatten tatsächlich einige Stunner. Denkst du, das wird reichen?" fragte Dorn leise und mit sanfter Stimme.
Wieder ein Nicken, während sie weiter die Wand fixierte. Dann setzte sie sich aufrecht hin und schluckte. „Könnt ihr das Gitter unter Spannung setzen?"
„Es ist unter Spannung, Vashtu", antwortete Dorn.
Die Hoffaner-Paradoxe! Sie schloß die Augen.
Nach ihrer Geiselhaft hatte Dr. Weir ihr die Aufzeichnungen zur Verfügung gestellt, die Carson hatte sammeln können während der kurzen Partnerschaft mit dem Volk der Pegasus-Galaxie. Sie wußte, daß etwas in ihrem Inneren dafür sorgte, daß der Energieschirm nicht auf sie ansprang. Eine Chance weniger für die Wachen. Aber vielleicht ...
„Du wirkst ruhiger. Geht es dir besser?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Brauchst du irgendetwas?"
„Habt ihr noch etwas von der Prometheus gehört?" fragte sie unvermittelt.
„Bis jetzt nicht. Es herrscht Funkstille", antwortete Dorn. „Babbis arbeitet mit diesem Heimdahl an den Planetenkillern. Weiß er, wie er den Schild verändern muß?"
Vashtu zögerte. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihm mitgeteilt hatte, was er tun mußte, um den Schild abzugleichen und die ID-Chips damit für jeden Scanner außerhalb der Stadt unsichtbar zu machen.
„Frag ihn", antwortete sie. „Wenn nicht ... Ich werde versuchen, einen kurzen Winterschlaf zu halten, dann könnt ihr mir einen Laptop hereinschieben."
„Wird es noch lange dauern?"
Ein bitteres Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. „Ich weiß es nicht", antwortete sie, zögerte noch einen Moment, dann drehte sie sich um und sah Dorn, der in seinem Rollstuhl auf der anderen Seite des Gitters saß und sie musterte. Im Gegensatz zu Peter schien er nicht zu erschrecken, oder es sich wenigstens nicht annmerken zu lassen.
„Der Entzug dürfte noch das kleinste Problem sein", gab sie zu. „Die Rückverwandlung ... könnte etwas länger dauern."
Dorns schattenumspielte Gestalt nickte. „Aber du schaffst das, nicht wahr?"
„Ich hoffe es." Sie erhob sich, plötzlich ruhelos geworden. „Im Moment hätte ich nicht übel Lust, zur Prometheus zurückzufliegen und Bates und Pendergast ein bißchen ... auszusaugen!" Ihre Augen glühten bei dem letzten Wort gierig auf.
„Kann ich mir vorstellen. Würde mir nicht anders gehen." Dorn nickte bedächtig. „Stross sagte, du wüßtest, was man dir gegeben hat?"
„Ich bin Genetikerin, George. Ich kenne mich mit Pflanzen aus, sie waren mein Spezialgebiet." Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Mundwinkel. Sie schmeckte Blut auf der Zunge, konzentrierte sich sofort wieder. „Ich habe mich mit der Flora der Erde beschäftigt nach meiner Ankunft dort. Über halluzinogene Pflanzen gibt es eine Menge. Aber ich wußte nicht, daß mein Körper so darauf reagieren würde." Sie sah an sich hinunter, ein tiefes Knurren in der Kehle.
„Dann hast du diese Verwandlung nicht selbst ausgelöst?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich bemerkte, daß die Fremdzellen es mir erleichterten, die Schmerzen auszuhalten. Aber soweit habe ich nicht gedacht. Ich bin weiter mutiert als je zuvor." Sie blickte wieder auf. „Ich bin eine Bedrohung für euch, wenn der nächste Schub kommt. Der Hunger wird immer schlimmer. Ihr solltet euch so weit wie möglich von mir entfernt halten."
„Ich werde dich nicht allein lassen, Kleines. Vor allem nicht, wenn du mich brauchst", entgegnete Dorn. „Wenn du mir Lebenskraft entziehen willst, dann tu es. Ich bin bereit."
„NEIN!" Vashtu wich bis an die rückwärtige Wand zurück, funkelte den Marine an. „Sag soetwas niemals wieder, George! Nie wieder!"
„Dann bist du auch kein Wraith, Vashtu. Selbst wenn du den Hunger spürst. Peter hat mir erzählt, du hättest ihn angegriffen. Aber du wolltest ihn nur erschrecken, habe ich recht? Er sollte verschwinden und an die Arbeit gehen."
„Ich weiß nicht, ob ich könnte", gab sie zu. „Es ist wie ... damals auf Atlantis, als ich mit John zusammen das Mutterschiff in die Luft jagte. Von ihm hätte ich mich auch nähren können - einen Moment lang."
Dorn nickte bedächtig. „Aber du hast es nicht getan, und du würdest auch jetzt nicht tun." Sie meinte, allein in seinen Worten ein Lächeln zu hören. „Du bist zu menschlich, Vash, selbst für einen Wraith."
„Vielleicht sollte ich mich das nächste Mal in einen Iratus-Käfer verwandeln." Sie schloß die Augen, als eine neue Schmerzwelle durch ihren Körper fuhr. Unwillkürlich umschlang sie mit ihren Armen ihren Brustkorb, lehnte sich an die Wand.
„Vashtu?" Dorn klang besorgt.
„Geh jetzt!" ächzte sie, schlug ihren Hinterkopf hart gegen die Wand. „Geh, George!"
Kurz darauf hörte sie, wie sein Rollstuhl den langen Gang wieder hinauffuhr. Vor Schmerz krümmte sie sich zusammen und ächzte wieder leise.
Sie fühlte sich unendlich allein in einem beinahe grenzenlosen Haß.
„Pendergast!" stieß sie zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. „Irgendwann ..."
TBC ...
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Hi!
AntwortenLöschenUnglaublich in was für eine "Scheiß-Egal" Stimmung die Drogen Vashtu versetzen. Aber wenn die die Dosis noch weiter erhöhen!? Vashtu schläft doch jetzt schon beinahe vor Müdigkeit von den Dingern ein. Sind die sich sicher, dass das bei einer höheren Dosis nciht noch schlimmer wird und die dann erst recht nichts aus sie herausbekommen?
Aber Pendergast ist ja schon gefährlich nahe dran, hinter Vashtus Geheimnis zu kommen.
Und ihr Leben in der Zelle ist ja nun wohl auch nicht das wahre. Hört sich ja übel an, wie weit sie sich verwandelt hat. Ich hoffe Dorn hat recht und sie wird sich tatsächlich nicht an irgendjemanden nähren, sollte sie die Möglichkeit dazu bekommen.
LG Sabrina
Ja, Pendergast zerrt ganz schön daran, um das Geheimnis endlich im Licht betrachten zu können *hihi*. Wer weiß ob ers noch rauskriegt oder nicht *flöt*.
AntwortenLöschenSagen wir, Dorn kennt seine Ersatztochter besser als die sich selbst. Ich hoffe, das hilft dir weiter ;).
Danke für den Kommentar :). Und jetzt zum Abschluß der Story.
Bis denne
Ramona