04.03.2012
Kalter Entzug V
„Was soll das heißen? Dorn!" Peter lehnte sich entrüstet über den Schreibtisch des Marines. „Das können Sie doch nicht machen!"
Der blickte auf und schüttelte wieder den Kopf. „Tut mir leid, Doc. Aber es ist besser für Sie, wenn Sie sie so nicht sehen."
„Sie kommt gerade aus der Gefangenschaft, verdammt!" Peter schlug mit der Faust auf den Tisch, jaulte dann auf und rieb sich die Handkante. „Ich muß dringend mit ihr sprechen." Seine Stimme war mehr ein Wimmern.
Dorn seufzte. „Vashtu ist im Moment nicht wirklich für irgendwelche wissenschaftlichen Sachen zu gewinnen, Doc", sagte er mit eindringlicher Stimme. „Pendergast hat ihr übel mitgespielt. Sie ist freiwillig in die Zelle gegangen. Und sie will niemanden sehen, ehe sie nicht freiwillig wieder da heraus kommt."
„Vashtu und freiwillig in irgendeine Zelle gehen? Dorn, hören Sie sich eigentlich selbst reden?" Peters Augen hinter den Brillengläsern weiteten sich. „Ich muß wissen, wie weit sie mit den PKs gekommen ist, ehe ich mich selbst wieder daran setze. Nicht daß ich etwas übersehe, was sie vielleicht geändert hat. Und in meinen Daten stand nichts, auf ihre habe ich aber keinen Zugriff."
„Sie hat im Moment andere Sorgen, Doc. Tut mir leid."
Die Tür hinter Peter öffnete sich. „Sergeant, wie sieht es ... ? Dr. Babbis? Sind Sie schon wieder auf dem Posten?"
„Ich ... Was ist mit Major Uruhk passiert?" Peter fuhr zu der zivilen Leiterin der Stadt herum und starrte sie fordernd an.
Stross wich überrascht einen Schritt zurück unter diesem Blick. Dann strich sie sich mit einer nervösen Geste das Haar aus dem Gesicht und wechselte einen kurzen Augenkontakt mit Dorn, ehe sie sich wieder an ihn wandte: „Wie es aussieht, hat Colonel Pendergast Major Uruhk einen Drogencocktail verabreicht, und das über zehn Tage lang. Sie ist im Moment ... Nicht ganz bei sich, wie ich hörte. Ich wollte selbst kurz zu ihr."
„Keine gute Idee", wandte Dorn hinter dem Schreibtisch ein.
„Ich denke, es würde sie interessieren, was ihr da gegeben wurde. Vielleicht ist sie dann in der Lage, den kalten Entzug zu beschleunigen. Sie werden mir sicher zustimmen, Sergeant Dorn, daß der momentane Zustand für uns alles andere als günstig ist. Wir brauchen die Leute von der Prometheus", entgegnete Stross scharf.
„Pendergast hat ihr Drogen gegeben?" Peter riß die Augen wieder auf. „Sie ist in einem kalten Entzug? Was für ein Zeug hat er ihr denn gespritzt?"
Dorn lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück und schüttelte den Kopf. „Sie ist meist nicht ganz bei sich, Doc", sagte er.
„Das ist egal. Wir brauchen sie hier. Sie wollen doch auch, daß sie Ihre Vorgesetzte wird, oder nicht?" Stross wandte sich Peter zu. „Kommen Sie mit, wenn Sie sie sehen wollen. Ansonsten sollten Sie sich so schnell wie möglich wieder an Ihre Arbeit begeben, Dr. Babbis." Damit drehte sie sich um und marschierte wieder aus dem Büro heraus zum nächsten Lift.
Peter warf Dorn noch einen triumphierenden Blick zu, dann machte er, daß er der Leiterin Vinetas hinterherkam.
Dabei ging ihm jetzt allerdings vieles im Kopf herum, das er kaum zu verdauen wußte. Vashtu unter Drogen! Vashtu in einem kalten Entzug! Das war ... das war einfach unglaublich! Dabei hatte Dorn gestern doch alles andere als besorgt gewirkt, als er ihm von ihrer Rückkehr erzählte.
Was war da passiert?
Er sprang hinter Stross in den Antiker-Lift und atmete tief ein, während die Türen sich schlossen. „Was heißt, unter Drogen gesetzt?" fragte er dann schließlich.
Stross warf ihm nur einen halben Blick zu, dann trat sie wieder aus dem Aufzug heraus und marschierte den Gang entlang. „Soweit Mr. Boyer mir das mitteilen konnte, hat man ihr einen Cocktail mit zwei verschiedenen Bestandteilen verabreicht und sie süchtig gemacht, ohne daß sie es selbst bemerkte", antwortete sie, blieb vor einer Tür stehen und öffnete diese. „Es fiel ihr wohl nur auf, wenn die Dosis in ihrem Blut geringer wurde und erste Entzugserscheinungen zu bemerken waren. Aber sie schrieb es wohl ihrem eigenen Körper zu."
„Sie reagiert manchmal anders als wir, das ist wahr", wandte Peter ein.
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Er hatte sich darauf gefreut, endlich wieder mit Vashtu zusammenarbeiten zu können. Und jetzt das! Wie hatte das überhaupt geschehen können? Warum hatte sie nichts davon bemerkt? Warum hatte nicht einer der anderen etwas bemerkt? Er war sicher, er hätte es getan, irgendwie.
„Sie wirkte sehr viel ruhiger, als sie hier ankam. Ihre Scherze ... sie waren anders", sagte Stross nachdenklich, als habe sie seine Gedanken lesen können. „Sie mußte vorher noch eine ganze Ladung erhalten haben. Mr. Boyer meinte, ihr Körper baut die Drogen schneller ab als unserer."
Sie bogen um eine Ecke.
Peter fiel sofort auf, daß hier irgendetwas nicht stimmte. Und das lag nicht allein an den drei Marines, die an der Seite des Ganges an einem Tisch saßen und offensichtlich mit Kartenspielen beschäftigt waren.
Dorn sollte seine Männer besser im Griff haben, kam Peter in den Sinn. Dann erst ging ihm auf, was an diesem eigenartigen Stilleben ihn gestört hatte: die Dunkelheit, die sich hinter den Dreien ausbreitete und erst ein Stück weiter von einem neuen Lichtkegel gebrochen wurde.
Was war hier los?
Einer der Marines blickte auf, wurde rot, als er sah, mit wem er hier unterwegs war.
Peter fiel die bedrückende Stimmung auf, die in diesem Gang herrschte. Er fragte sich, wen und warum man früher hier eingesperrt hatte. Er war sicher, das keine Stunde aushalten zu können. Und Vashtu saß bereits seit gestern abend in der Zelle, wenn er Dorn und Stross richtig verstanden hatte.
„Mam? Doc", begrüßte der Marine sie.
Stross blieb stehen, als nun auch die anderen aufmerksam wurden. Sofort verschwanden die Karten vom Tisch, und alle drei wechselten unangenehme Blicke miteinander.
„Wie geht es dem Major?" fragte die Leiterin schließlich.
„Im Moment ruhig, Mam", antwortete wieder der erste der drei. „Das Licht hat sie selbst zerschlagen. Und sie will nicht ... Naja, wir sollen es im Moment nicht auswechseln, Mam."
Peter runzelte die Stirn.
Seit wann wurde Vashtu eitel? Sonst störte es sie doch nicht, ob und was gerade an Licht zur Verfügung stand. Warum ... ?
„Gut, machen Sie weiter." Stross nickte den Männern zu, ging an ihnen vorbei, blieb dann aber noch einmal stehen. „Und vielleicht sollten Sie Ihren Dienst in Zukunft gewissenhafter verrichten. Vielleicht wird bald jemand anderes die oberste Leitung des militärischen Dienstes übernehmen, Lieutenant. Es wäre besser, wenn Sie Ihre Aufgaben dann ernster nehmen würden."
Wieder wurde der Marine rot, nickte beklommen.
Peter beeilte sich, mit Stross wieder aufzuschließen, warf aber noch einen Blick über die Schulter zurück. „Was die sich denken ..." Er schüttelte den Kopf, wäre beinahe in die blonde Frau hineingelaufen, die plötzlich, vor der abgedunkelten Zelle stehenblieb.
Peter warf Stross ein entschuldigendes Lächeln zu, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den kleinen, vergitterten Raum.
„Major?" Stross trat näher.
„Nicht!"
Peter zuckte zusammen. Vashtus Stimme klang eigenartig, irgendwie undeutlich.
Er blinzelte, damit seine lichtempfindlichen Augen sich an den Dämmer in der Zelle gewöhnen konnten.
Die Antikerin hockte, ihnen den Rücken zukehrend, am Kopf- oder Fußende der Pritsche und starrte die Wand vor sich an, die allerdings in Dunkelheit gehüllt war, so daß Peter sich fragte, was es da wohl zu sehen gab.
Stross war bei dem einen Wort unwillkürlich wieder zurückgewichen, warf ihm jetzt einen Blick zu, atmete dann tief ein. „Wir wissen jetzt, was Pendergast Ihnen hat geben lassen, Major. Und ... es sieht gut aus. Sie werden es überstehen. Mr. Boyer meint, in ein oder zwei Tagen ..."
„Verdoppeln Sie die Wachen", sagte diese dunkle, eigenartige Stimme. „Und, wenn wir irgendwo Betäubungswaffen haben, holen Sie sie und rüsten die Männer damit aus. Am besten Stunner, aber notfalls auch ZATs. Wenn nicht ... ein paar Kugeln überlebe ich auch."
„Was reden Sie da?" Jetzt trat Peter doch näher. „Was ist los mit Ihnen, Vashtu? Ich weiß, daß Pendergast Sie unter Drogen gesetzt hat, aber ..."
„Machen Sie sich lieber wieder an die Arbeit, Peter! Ich kann für nichts garantieren beim nächsten Anfall. Es wäre besser, wenn bis dahin der Schild steht. Die Autorisation habe ich Ihnen gegeben", fiel die Antikerin ihm ins Wort.
„Was ist mit Ihnen, Major?" Jetzt trat auch Stross wieder näher.
Der dunkle Schatten mit den strubbeligen Haaren schien sich zusammenzukrümen. „Gehen ... Sie ... zurück ... alle beide!" Die Stimme zischte beinahe wie die einer Schlange.
Peter stellten sich die Nackenhaare auf. Doch noch war er nicht bereit, aufzugeben. „Vashtu, wir brauchen Sie hier. Hören Sie?"
„Im Moment ist es besser, wenn Sie jemand anderen brauchen, Peter. Schnappen Sie sich Heimdahl. Der ist kleverer als man denkt." Ein tiefes Stöhnen. Wieder bewegte sich die Gestalt. Kurz schien etwas in dem wenigen Licht aufzublitzen, gelblich aufzublitzen.
Hatte sie ihre Fremdzellen aktiviert?
Peter beugte sich vor, um mehr erkennen zu können.
„Major?" fragte Stross an seiner Seite. „Sollen wir Ihnen irgendetwas bringen? Brauchen Sie etwas hier?"
Im nächsten Moment war es, als wüte ein Wirbelwind durch die enge Zelle. Mit einem tiefen Knurren sprang die Antikerin auf, wirbelte herum und griff durch die Gitterstäbe.
Peter wich so hart zurück, daß er das Gleichgewicht verlor. Mit großen Augen starrte er auf die Gestalt, die nun deutlicher zu sehen war. Und er begriff, als er noch etwas bemerkte - in der sich ihm entgegenstreckenden rechten Handfläche.
„Oh mein Gott!" stöhnte Stross auf, die sich hektisch außer Reichweite gebracht hatte.
Peter brauchte länger, um zu begreifen, was sich da hinter den Gitterstäben befand. Die Wraith-Zellen hatten die Herrschaft über den Körper der Antikerin übernommen und sie ... verwandelt! Das gelbliche Glühen waren tatsächlich ihre Augen, die Haut wirkte fahl und zwei Schlitze wie Kiemen zogen sich von ihrer Nase über die Wangen. Aber das schlimmste befand sich in der rechten Handfläche. Ein vertikaler Strich, wie ein Schnitt quer durch die Handfläche. Aber dieser Strich bewegte sich.
Vashtu wich wieder zurück, kauerte sich zusammen. „Gehen Sie, Dr. Stross, Peter. Es ist besser. Und geben Sie Dorn meine Anweisungen weiter."
Peter rappelte sich langsam wieder auf, starrte sie immer noch an.
Er hatte noch nie einen Wraith gesehen, zumindest nicht leibhaftig und lebendig. Aber das Bild, das sie im Moment bot ... es mußte dem schon sehr nahe kommen.
„Es ... Mr. Boyer rechnet mit einem oder zwei Tagen, Major." Stross schien sich endlich wieder im Griff zu haben, hob jetzt beschwörend die Hände.
Vashtu ließ sie nicht einen Moment lang aus den Augen. Sie blinzelte nicht einmal, zeigte keine Reaktion. Sie stand an der gegenüberliegenden Seite der Zelle, als müsse sie sich selbst zurückhalten.
„Er hat Ihr Blut untersucht und die Drogen gefunden. Pendergast hat Ihnen Valium gegeben, ein Beruhigungsmittel", fuhr Stross fort, während Peter sich jetzt endlich wieder auf die Beine stellte und seine Hosen abklopfte.
Endlich begann die Antikerin zu nicken. „Damit ich mit mir machen lasse, was er will. Das war die Gleichgültigkeit", sagte sie nach einer kleinen Weile.
Stross hob beschwörend die Hände. „Aber das war nicht alles, Major. Da war noch etwas in Ihrem Blut. Und sehr wahrscheinlich ... ist diese zweite Droge für Ihren jetzigen Zustand verantwortlich. Skopolamin heißt sie, falls Ihnen das etwas sagt."
Ein Ruck ging durch den mutierenden Körper. Ein tiefes Knurren entrang sich der Kehle. „Dieser Mistkerl!"
Peter war überrascht. Er hätte nie gedacht, daß ausgerechnet Vashtu sich mit Drogen auskannte. Aber offensichtlich sagte ihr dieser Name etwas.
„Dann kann ich die anderen also verraten haben", fuhr sie leise fort. Noch immer schwang ein Knurren bei ihren Worten mit.
Peter erschauderte.
„Denken Sie, Sie werden ... das überstehen?" fragte Stross leise.
Die gelblichen Augen blinzelten. Dann nickte Vashtu. „Ja, das überstehe ich. Und Sie sollten jetzt wirklich gehen, Doc. Ich weiß nicht, wie lange ich ... ich habe Hunger!" Das letzte Wort hallte wie aus einem Grab und verlieh ihm eine völlig neue Bedeutung.
Stross nickte. „Ich werde Ihre Anweisungen an Dorn weitergeben, keine Sorge. Sie kommen hier heraus, Major."
„Was ist mit Heimdahl?" fragte die Antikerin. „Ist er ebenfalls ... ?"
Ein leises Lächeln schob sich auf Stross' Lippen. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, glücklicherweise nicht. Offenbar wollte Pendergast hinter Ihre Geheimnisse kommen, Major. Den Asgard nahm er wohl nicht so ganz ernst."
Vashtu nickte, wandte sich wieder ab. „Gehen Sie - jetzt!"
Peter biß sich auf die Lippen.
Er hatte schon so viel mit ihr durchgemacht, aber so hatte er sie noch nie gesehen. Nicht als ... Wraith! Und endlich begann er zu verstehen, was es mit ihrer Gentherapie auf sich hatte.
Stross tippte ihm kurz auf den Arm und nickte ihm zu.
Peter schluckte, ging aber widerstrebend vor ihr her.
Was konnten sie tun?
TBC ...
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Hii ;)
AntwortenLöschenOh man, das steht ja gerade nicht unbedingt gut um Vashtu. Mittlerweile haben die Fremdzellen also komplett von ihr Besitz ergriffen und es fällt ihr schwer sich unter Kontrolle zu halten.
Vielleicht ist es dann ja tatsächlich besser, auf alle Eventualitäten eingestellt zu sein und die Leute mit Stunnern und Zat's auszustatten.
Ich glaube die sind alle froh, wenn Vashtu den Entzug überstanden hat. Und ich bin es auch ^^
LG Sabrina
Wenn du wüßtest, mit welchem breiten Grinsen ich deinen Kommentar gelesen habe (und wie lange ich darauf gewartet habe, mal einen Kommentar zu dieser Szene haben zu dürfen ...).
AntwortenLöschenJa, ich würde auch sagen, alle werden froh sein, wenn Vashtu den Entzug hinter sich hat.
Vielen Dank für den Comment :)!
Bis denne
Ramona