26.02.2012

Kalter Entzug IV


10 Tage vor der Rückkehr:

Vashtu blickte von dem Tablett auf, auf dem ihr Frühstück von Bates gebracht worden war. Allemal besser als das, was sie das letzte Mal in Vineta gegessen hatte, doch heute schien dem Haferbrei noch irgendetwas ... er hatte einen eigenartigen Geschmack.
Bates öffnete die Tür, nickte dem Eintretenden dann zu.
Vashtu ließ den Löffel sinken.
Pendergast? Er besuchte sie in ihrem Quartier? Was sollte ... ?
Plötzlich ging ihr selbst auf, daß es sie nicht wirklich störte, ob der Colonel zu ihr kam oder es bleiben ließ. Irgendwie schien ihr plötzlich alles auf rätselhafte Weise gleichgültig zu sein, mußte sie zugeben. Sie wollte ihr Leben leben, mehr nicht. Alles andere, diese ganze Geheimniskrämerei um Vineta und das Tor ...
HALT!
Vashtu richtete sich auf, nachdem sie einen langen Blick von Pendergast geerntet hatte und salutierte. „Sir", begrüßte sie ihn.
Was war denn plötzlich mit ihr los? Wie konnte sie die geringe, aber immerhin vorhandene Chance, mittels eines Wurmlochs zumindest bis nach Atlantis zu kommen, plötzlich so kalt lassen? Wieso hatte sie einen Moment lang sogar gedacht, es sei besser, wenn diese Geheimhaltung Pendergast gegenüber aufgehoben würde?
Guten Morgen, Major", sagte der Colonel, nahm ihr, zum ersten Mal, glaubte sie sich erinnern zu können, den Gruß ab. Erleichtert ließ sie sich wieder auf die Pritsche sinken, die ihr Bett darstellte, rührte weiter in dem Haferbrei.
Nicht gerade ein Drei-Sterne-Menü, nicht wahr?" Pendergast ließ sich vertraulich neben ihr nieder, nachdem er einen Blick mit Bates gewechselt hatte.
Vashtu schluckte, stellte die kleine Schüssel zurück auf das Tablett. Es war ihr unangenehm, einmal, den Colonel so dicht neben sich zu wissen und dann auch, daß er gekommen war, um ihr offensichtlich beim Essen zuzusehen.
Sie sind sicher anderes gewohnt, Major", fuhr er fort. „Wahrscheinlich wurden Sie auf Ihrer Erde hofiert und verhätschelt, nicht wahr?"
Vashtu blickte auf. „Was?" Sie blinzelte verständnislos, dann schüttelte sie den Kopf. „Ich weiß nicht, was hofieren bedeutet, Sir. Aber ... Nein, ich wurde nicht verhätschelt." Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren seltsam schleppend.
Was war los mit ihr?
Mit einer Hand fuhr sie sich durch ihr Haar, und plötzlich hatte sie Mühe, die Augen aufzuhalten. Dabei hatte sie doch ganz annehmbar geschlafen, bedachte man ihren ewigen Schatten Bates, der stumm und diensteifrig Wache hielt. Brauchte dieser Mann eigentlich nie Schlaf?
Und was war das für ein Deal, über den Sie gesprochen haben? War das kein Hofieren?" bohrte Pendergast weiter.
Vashtu hob die Brauen, als könne sie so ihre Augen offenhalten und blinzelte einige Male. „Ich ... hatte einen ... Steuerkristall", antwortete sie.
Was erzählte sie da? Warum gab sie dieses so lange gehütete Geheimnis ausgerechnet Pendergast preis? Wie kam sie dazu?
Doch plötzlich war es ihr, als sei sie selbst nur eine Zuschauerin in ihrem eigenen Körper. Sie hatte keinen echten Einfluß mehr auf das, was mit ihr geschah. Innerlich stöhnte sie auf, als ihr Mund fortfuhr:
Den Steuerkristall von Atlantis, meiner Heimat. Um an ... sämtliche verschlüsselten Daten des ... des Hauptrechners zu gelangen, brauchte man ihn. McKay ... John und ich ... ich nahm den Kristall mit zur Erde, als ich ging."
Ihre Lider waren bleischwer, der Kopf sank ihr auf die Brust. Im nächsten Moment riß sie ihn wieder hoch und fühlte sich etwas klarer im Geist.
Was hatte sie da gerade getan? Wieso?
Bates war herangetreten und hatte das Tablett an sich genommen. Wann? Sie wußte es nicht. Jetzt jedenfalls stand er bei der Tür und sah Pendergast fragend an. Der nickte und erhob sich wieder von der Pritsche.
Was war los gewesen? Irgendetwas war passiert, das wußte sie, aber was?
Gut, Major", wandte Pendergast sich an sie, ein sehr zufriedenes Lächeln im Gesicht, als sie aufsah. „Ich möchte Sie nachher auf dem Schießstand sehen. Sergeant Bates wird Sie dort hinbringen, auch zu Ihrem eigenen Schutz. Ich denke, wir sollten uns bald wieder unterhalten. Was halten Sie davon, mit mir zu Mittag zu essen?"
Vashtu schluckte. Ihr Hals war plötzlich merkwürdig trocken, dabei hatte sie doch gerade noch diese bittere Brühe getrunken, Kaffee, erinnerte sie sich.
Ich ..."
Wir sollten uns etwas besser kennenlernen, denken Sie nicht, Major?"
Sie blinzelte wieder, dieses Mal aber irritiert. Dann nickte sie. Es klang einleuchtend, was er sagte. Sehr einleuchtend. Immerhin würde sie wohl eine ganze Weile auf der Prometheus bleiben.


Jetzt:

Anne war dem Ruf von Marc Boyer sofort gefolgt, als dieser sich meldete. Er hätte gar nicht betonen brauchen, um wen und was es sich handelte. Die Erinnerung an die Antikerin, wie sie freiwillig in die kleine Zelle im untersten Stockwerk der militärischen Zentrale gegangen war, wie sich das Gitter hinter ihr schloß und Dorn drei Mann als Wachen aufstellte, war noch mehr als deutlich in ihrem Geist.
Nie hätte sie geglaubt, daß irgendjemand soweit gehen würde. Zudem noch bei einem fremden, wenn auch äußerlich ähnlichem Volk wie den Antikern. Niemand konnte sagen, was diese Drogen, die Major Uruhk offenbar irgendwie zugeführt worden waren, in ihrem Körper und ihrem Geist anrichten konnten. Sie selbst hatte ja gestern dieses Zittern gesehen, hatte den ersten Gewaltausbruch  beinahe am eigenen Leibe zu spüren bekommen.
Als sie jetzt die Krankenstation betrat, wußte sie nicht, was sie hoffen und glauben sollte. Sie konnte wirklich nur hoffen, daß die Antikerin sich wieder von diesen Drogen erholen würde. Ansonsten ... Sie könnte hierbleiben, soviel war klar. Aber ob sie je wieder die Alte werden würde?
Dr. Stross", Boyer winkte sie gleich zu sich in das Abteil, in dem seine Leute ein kleines Labor eingerichtet hatten.
Wie sieht es aus?" Anne folgte ihm auf dem Fuße. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.
Wenn sie nur endlich die Prometheus los wären! Wenn Pendergast sich doch nur irgendwie selbst ausmanövrieren würde.
Die gute Nachricht lautet, der Asgard ist nicht betroffen", erklärte Boyer mit ruhiger Stimme und legte ihr einige Ausdrucke vor. „Soweit bekannt, ist mit ihm alles in Ordnung. Leider bin ich nicht dafür ausgebildet, den tatsächlichen Gesundheitszustand eines Asgard genau zu verifizieren. Aber soweit bekannt, hat er sich schon immer so wie jetzt verhalten."
Und Major Uruhk?" Anne blickte von den Ausdrucken auf und starrte den Pfleger an.
Boyer holte tief Atem. „Das ist etwas anderes", gestand er ihr dann zu wissen.
Annes Herz setzte einen Schlag aus. Nicht jetzt! Nicht ausgerechnet jetzt! Sie brauchten Vashtu Uruhk, auch um die anderen noch aus der Prometheus herauszuholen. Sie war die einzige hier, die über genug Flug- und Kampferfahrung verfügte, einmal abgesehen von Dorn, der aber keine allzu große Hilfe sein würde bei dem, was da möglicherweise auf sie zukam.
Boyer seufzte. „Das Glück ist, daß ihr Metabolismus wohl schneller arbeitet als der eines Menschen, möglicherweise wegen ihrer Fremdzellen", begann er dann. „Sonst wären die Entzugserscheinungen wahrscheinlich auch nicht so früh zu Tage getreten. Und sehr wahrscheinlich wird Major Uruhk sich auch vollkommen davon erholen, was man ihr da gegeben hat." Er blätterte in einigen anderen Ausdrucken.
Aber?" Anne hing an seinen Lippen und wartete gespannt, die Hände zu Fäusten geballt.
Was man ihr da gegeben hat, ist eine üble Mischung", fuhr Boyer schließlich fort. „Keine Ahnung, woher man es hatte. Ich kann mir auch nicht vorstellen, daß Dr. Grodin das freiwillig herausgerückt hat. Eher, daß ... Laut der Aussage von Major Uruhk hätte sie ihre Nahrung nur von Sergeant Bates erhalten, und der stand unter direktem Befehl von Colonel Pendergast."
Was hat man ihr gegeben?" Annes Augen wurden immer größer.
Boyer blickte auf. „Eine Mischung", antwortete er. „In ihrem Blut war noch genug vorhanden, um es  zu analysieren. Man hat ihr hohe Dosen eines Mittels gegeben, das unter dem Namen Skopolamin bekannt ist, oder auch Burudanga, falls Ihnen das mehr sagt. Dazu kommt noch Valium. Wahrscheinlich, um sie ohnehin schon träge zu machen. Skopolamin gilt als Wahrheitsdroge, Dr. Stross. Und in den Mengen, wie es im Blut des Majors nachweisbar war ... Das hätte sehr schlimm enden können für sie."
Annes Augen weiteten sich. „Was? Sie meinen ... ?"
Boyer reichte ihr die Unterlagen. „Ich meine nicht. Ich war heute morgen bei Major Uruhk, ich weiß es. Sie hat es mir erzählt, ehe sie wieder anfing, die Wände mit ihren Fäusten zu bearbeiten."
Anne atmete tief ein, überflog die Zeilen, die ihr, ehrlich gesagt, wenig bis gar nichts sagten. „Kann sie sich an irgendetwas erinnern?"
Nicht wirklich. Es sei alles verschwommen, sagt sie. Und damit weiß sie schon wesentlich mehr als die meisten, denen Skopolamin verabreicht wurde. Dieses Zeug bricht nach und nach den Willen, Dr. Stross. Es ist gefährlich. Und ich bin mir ganz sicher, in der Bordapotheke nichts davon gesehen zu haben."
Anne starrte den Pfleger an. „Es bricht den Willen?"
Boyer nickte. „Und nicht nur das. Es gilt nicht umsonst als Wahrheitsdroge. Ich denke, wir müssen uns vielleicht mit dem Gedanken vertraut machen, daß es Major Uruhk selbst war, die unser kleines Machtspielchen auf der Prometheus aufgedeckt hat", erklärte er.
Dazu wußte sie zu wenig", entgegnete Anne sofort. „Und es ging nie um Machtspielchen, Mr. Boyer, und das wissen Sie auch. Ihre Verlobte war auf der Daedalus, und ein Gutteil Ihrer besten Freunde."
Dann eben Rache. Aber möglicherweise hatte Major Uruhk mehr erraten, als Sie denken, Dr. Stross", wandte Boyer ein. „Wir wissen es nicht, wir können es nicht sagen. Aber es ist schon bezeichnend, daß, kaum daß ihr die Flucht gelungen ist, Pendergast auf seinem Schiff aufräumt. Vielleicht hat er uns auch ein Kuckucksei ins Nest gelegt, Dr. Stross. Darüber sollten Sie nachdenken."
Das glaube ich nicht. Ich kenne Major Uruhk gut genug, um das sagen zu können." Anne kreuzte abwehrend die Arme vor der Brust und funkelte den Pfleger an.
Aber, kannte sie die Antikerin wirklich gut genug? Konnte sie mit absoluter Sicherheit sagen, daß sie ihnen nicht nur Theater vorgespielt hatte gestern? War ihre Wut auf Pendergast tatsächlich echt gewesen oder hatte sie nur von ihrer eigenen Schuld ablenken wollen?
Nein, das konnte nicht sein. Anne hatte die Antikerin bisher nur einmal ähnlich zornig erlebt, und da hatte sie einem Devi gegenübergestanden und ihn kaltblütig erschossen. Sie konnte sich nicht vorstellen ... Nein, dafür war auch Dorns Reaktion zu ehrlich gewesen. Der Willen der Antikerin hielt. Und hatte sie nicht selbst vor einiger Zeit etwas von einem anderen Versuch erzählt, der vor zehntausend Jahren unternommen wurde, um sie zu einem Werkzeug zu machen?
Was können wir tun?" fragte Anne leise und mitfühlend.
Boyer sah sie einen Moment lang sinnend an, dann reichte er ihr auch den zweiten Stapel Papiere. „Gar nichts. Wenn ich, einmal abgesehen davon, daß ich hier kein Skopolamin habe, im Moment eine ausreichende Menge Valium spritzen würde, würde das die Abhängigkeit nur noch mehr steigern. Das einzige, was bleibt, ist ein kalter Entzug, wie sie ihn sich gerade unterzieht. In ein paar Tagen ist die Sache hoffentlich ausgestanden."
Anne blickte auf die beiden Stapel Papier, die sie in ihrer Hand hielt.
So sicher war sie sich da nicht. Nicht bei der Antikerin.



2 Kommentare:

  1. Hi!
    Oh man ... was machst du nur mit der armem Vashtu^^ Das hört sich ja echt übel an, was die ihr da alles verabreicht haben.
    Also ich bin davon überzeugt, dass Pendergast definitiv irre ist :P
    Ich hoffe Vashtu hat nicht zu viel geplaudert, wenn sie gerade total high war und gar nicht mehr wirklich mitbekommen hat, was sie da erzählt und was um sie herum passiert.
    Ich hoffe mal, dass Annes Befürchtungen nicht zu treffen und Vashtu ihren Entzug tatsächlich bereits in ein paar Tagen hinter sich hat.
    LG Sabrina

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  2. Hihihi, ich liebe es! Pendergast ist irre *kicher*! Hihi, ja, er ist irre, aber er merkt es nicht.
    Mh, sagen wir, Vashtu hat genug erzählt, um noch mehr Infos haben zu wollen, ist das kryptisch genug?
    Was Annes Befürchtungen angeht ... wer weiß, wer weiß *flöt*.

    Dank dir für das Comment

    Bis denne
    Ramona

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