17.06.2012
Die undichte Stelle II
Als sie, Danea im Schlepptau, den Konferenzraum betrat, blickte sie in eine Reihe sehr ernster Gesichter und mußte schlucken.
Irgendetwas ging hier vor. Und sie war sich nicht sicher, ob es ihr wirklich gefallen würde, was gerade geschah. Auf jeden Fall aber war es nicht normal, soviel konnte sie sagen.
„Setzen Sie sich bitte", forderte Stross sie auf.
Vashtu nickte Danea zu und trat an ihren üblichen Platz. Sergeant George Dorn musterte sie mit ernstem Gesicht, als sie sich niederließ. Ihr gegenüber, für sie ungewohnt, saßen Markham und die Reste des Teams von Captain Claine, dessen Leader und die Erethianerin fehlten.
Kein sehr guter Start, wie sie fand.
„Ich denke, wir haben ein ernstzunehmendes Problem", begann Anne Stross nun und fixierte alle Anwesenden sehr aufmerksam. „Major, Sie sind für die Verteilung der Torflüge verantwortlich. Ihnen dürfte zu allererst aufgefallen sein, was gerade geschieht."
„Sieht aus, als würden die Devi uns riechen, wenn wir irgendeinen Planeten betreten." Vashtu zuckte mit den Schultern.
Was ging hier vor? Wollte man am Ende ihr die ganze Sache anhängen? Sie tat doch nichts anderes, als die Anfragen der Wissenschaftler und anderen Teams zu bearbeiten und irgendwie unter einen Hut zu bringen. Konnte sie etwas daran ändern, daß die Speicher Vinetas in letzter Zeit offensichtlich nur noch von Devi verseuchte Planeten hergaben?
Anne sah sie sehr streng an. „Major, wir haben ein ernstes Problem mit der Sicherheit", entgegnete sie.
Vashtu blinzelte, sah dann zu Markham und dem anderen Team hinüber, die ernst nickten.
„Das ist doch Unsinn!" begehrte sie auf. „Wir haben im Moment nichts als Pech. Das kann jedem mal passieren."
„Acht Einsätze in den letzten drei Tagen sind kein Pech, Major", sagte Anne mit fester Stimme. „Wir haben eine undichte Stelle in der Stadt."
Dorn drehte sich wieder zu ihr um und nickte ernst. „Sieht wirklich so aus, Kleines", brummte er ihr zu.
Vashtu holte tief Atem. „Ich weiß nicht, was genau vor sich geht. Aber das kann ich nicht glauben", entgegnete sie entschlossen.
„Major, Sie sind doch selbst oft genug in eine Falle geflogen!" Markham meldete sich jetzt das erste Mal zu Wort. „Wir wissen nicht, wie das passieren konnte. Aber es gibt nur diese eine Erklärung."
„Und wer soll diese undichte Stelle sein? Ich lege für jeden einzelnen meines Teams die Hand ins Feuer!" begehrte die Antikerin auf und erntete dafür undefinierbare Blicke, die sie auf ihren Stuhl zurücksinken ließen. „Sie denken doch nicht ..." Mißtrauisch sah sie von einem zum anderen, bis schließlich ihr Blick an der zivilen Leiterin hängenblieb. „Oh nein, das glaube ich nicht!" begehrte sie dann wieder auf.
„Dr. Babbis ist der einzige, der bisher unbehelligt geblieben ist, Major", sagte Anne mit sanfter Stimme. „Das müssen Sie selbst zugeben. Es fällt auf, denken Sie nicht?"
„Und wer liegt gerade auf der Krankenstation und wurde vorher von so einem ... Glimmer getroffen?" brauste Vashtu auf. Blind wies sie mit einer Hand in die ungefähre Richtung. „Peter steht außerhalb jeder Diskussion! Für wie dumm halten Sie ihn denn eigentlich? Wenn er die undichte Stelle wäre, sollte gerade er die meisten Angriffe zu verzeichnen haben und nicht von den Devi in Ruhe gelassen werden."
„Nicht wenn er einen Deal mit ihnen geschlossen hat", warf Markham ein.
Vashtu atmete tief ein und drehte sich zu dem jungen Offizier um. „Ich kenne Dr. Babbis von allen hier, mit Ausnahme von Sergeant Dorn, am längsten. Und ich weiß, daß er soetwas niemals tun würde! Daß er bis jetzt noch keinen Angriff zu verzeichnen hat, liegt vielleicht gerade daran, daß er so selten durch das Tor fliegt, sondern eher die Planetenflüge übernommen hat, respektive die zu unserem Farmmond. Er hatte bis jetzt nichts als pures Glück, verdammt!"
„Er ist aber auch der, der sich am meisten außerhalb der Stadt aufhält", wandte Dorn ein.
Vashtu starrte den Marine ungläubig an. „Das glaubst du doch nicht wirklich? George!"
Dorn drehte sich wieder zu ihr um. „Ich glaube, was die Tatsachen mir sagen, Major", entgegnete er. „Und diese Tatsachen sprechen im Moment gegen den Doc, so leid mir das auch tut. Er ist von euch dreien am meisten allein, er will sich profilieren und fühlt sich leider viel zu oft übergangen. Er hat sich verändert, seit wir hier sind, sehr verändert. Und das nicht unbedingt zu seinem besten. Gerade in der letzten Woche, seit diese Übergriffe immer häufiger werden, wird er immer unausstehlicher."
„Weil er mit diesen verdammten Mikrowellen nicht klar kommt, das weißt du auch!" fauchte Vashtu zurück.
„Major!" Annes Stimme klang scharf und ließ Vashtu unwillkürlich aufblicken.
„Ich glaube das nicht eine Sekunde lang. Wenn es eine undichte Stelle gibt, dann ist es nicht Peter!" Vashtu versuchte, die Leiterin niederzustarren, doch sie hatte keinen Erfolg.
„Ich habe Sergeant Dorn damit beauftragt, der Sache auf den Grund zu gehen, Major", erklärte Anne statt dessen. „Torreisen sind bis auf weiteres ausgesetzt, es sei denn in dringenden Ausnahmefällen. Und Sie werden sich zurückhalten und weiter Ihre sonstigen Dienste versehen. Haben Sie das verstanden?"
Vashtus Kiefer mahlten vor unterdrückter Wut. Noch immer starrte sie die andere wütend an.
„Es gibt da immer noch die Frage nach dem Wasser, das wir so reichlich benutzen. Kümmern Sie sich darum, wenn Sie sonst nichts finden." Anne erhob sich und strich sich mit einer entschlossenen Geste den Pony aus dem Gesicht. „Und Sie werden sich von Dr. Babbis fernhalten, haben Sie das verstanden? Entweder Sergeant Dorn räumt diesen Verdacht aus dem Raum, oder wir werden uns eine andere Lösung überlegen müssen."
„Peter hat nichts getan!" begehrte die Antikerin wieder auf.
„Vielleicht nicht, vielleicht doch. Wir werden die Beweise für sich sprechen lassen. Tut mir leid, Major. Aber ich werde nicht weiter das Leben der SG-Teams aufs Spiel setzen." Sie nickte den anderen zu, die den Raum daraufhin verließen.
Vashtu starrte sie noch einen Moment lang an, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verließ wutschnaubend den Konferenzraum.
***
Zwei Tage später:
Peter betrat, noch leicht hinkend, die Kantine des Doppel-Gebäudes, in dem sich die ehemaligen Erdlinge, gleich aus welcher Dimension sie stammten oder ob sie dem Militär angehörten oder nicht, ihre Wohneinheiten gesucht hatten. Einige Blicke trafen ihn, die er nicht so recht zu deuten wußte. Waren sie feindselig ihm gegenüber? Aber warum?
Stirnrunzelnd trat er an den Tresen und nahm sich eine Tasse, um sich Kaffee einzuschenken. Dabei ließ er seinen Blick wieder über die Anwesenden gleiten.
Leise Gespräche wurden geführt, hier und da fand das übliche Getuschel statt. Nur eines war irgendwie anders: Immer wieder wurden gerade ihm eigenartige Blicke zugeworfen.
Peter drehte sich wieder um und griff nach seiner Tasse. Den Bereiter ließ er vollkommen unbeachtet, er würde jetzt schlicht und ergreifend nichts herunterkriegen, und Stross hatte die letzten mageren Reste an verzerr- und haltbaren Nahrungsmitteln streng rationiert, so daß er, da er wohl zu spät gekommen war, nichts mehr vorfinden konnte. Also eine Weile hungrig bleiben. Aber vielleicht ... Immerhin sollte er nachher durch das Tor fliegen und mit dem Team von Sergeant Williams Kontakt zu möglichen Handelspartnern aufnehmen. Möglicherweise gab es auf diesem Himmelskörper ja etwas, das leichter verdaulich - und vor allen Dingen schmackhafter - war als der in Vineta inzwischen übliche Nährungsbrei in unterschiedlichen Farbtönen.
Mit der Tasse in der Hand blieb er etwas unschlüssig stehen. So wirklich einladend schien ihm kein Tisch in der näheren Umgebung. Er reckte den Hals, und sein Gesicht hellte sich unwillkürlich auf, als er die Antikerin allein an einem der hinteren Tische sitzen sah, einen Teller vor sich und ein Datenpad aufmerksam studierend. Sofort hinkte er durch den Raum zu ihr hinüber, fühlte wieder diese eigenartigen Blicke, die sich in seinen Rücken bohrten.
Was ging hier vor?
Vashtu lutschte nachdenklich an ihrem Löffel, während sie offensichtlich damit beschäftigt war zu lesen, was auch immer der Bildschirm des Datenpads zeigte. Sie bemerkte gar nicht, daß er zu ihr kam.
„Hey", begrüßte er sie und ließ sich nieder.
Die Antikerin nickte nur unwillig, zog den Löffel wieder aus dem Mund und begann, in der zähen Masse irgendwelche Muster zu malen, während ihre Augen weiter am Pad klebten.
„Ich dachte eigentlich, die Aufgabe eines Leaders würde auch einen Krankenbesuch miteinschließen. Zumindest wurde das doch bis jetzt so gehandhabt, oder?" fuhr er, betont gutgelaunt, fort.
„Mhm", machte sie nachdenklich, ließ den Löffel los und berührte eine Stelle auf dem tragbaren Bildschirm.
Peter runzelte die Stirn und pustete in seine Tasse. „Nachher geht's wieder los: P1V-140", sagte er unternehmungslustig.
Sie schüttelte den Kopf. „Mhmh."
Peter ließ die Tasse sinken. „Wie? Wieso nicht? Ich dachte, die Flugpläne stehen fest. Hat sich etwas am Zeitfenster geändert?"
Vashtu runzelte die Stirn. Endlich schien ihr aufzugehen, daß sich jemand mit ihr unterhielt. Sie riß sich von ihrer Lektüre los und blickte auf. Ihr Gesicht erstarrte im wahrsten Sinne des Wortes, als sie ihn sah. Dann blinzelte sie einige Male.
„Stimmt was nicht?" Peter sah sich um, in der Hoffnung, irgendeine Alptraumgestalt hinter sich zu finden, die ihre Aufmerksamkeit erregt hatte.
„Torreisen sind bis auf Widerruf ausgesetzt", sagte die Antikerin jetzt plötzlich und ohne jede Motivation.
Als er wieder zu ihr sah, bemerkte er, daß sie sich kerzengerade aufgesetzt hatte und den Raum fixierte. Mit einem lauernden Blick, den er hier eigentlich nicht erwartet hätte.
„Was ist los?" erkundigte er sich ahnungslos.
Vashtus Interesse richtete sich wieder auf ihn. „Nichts", anwortete sie schulterzuckend, senkte dann den Blick und begann erneut, den Bildschirm des Datenpads anzustarren. Doch es war klar, daß sie das vollkommen unkonzentriert tat.
„Und warum wurden die Gate-Reisen ausgesetzt?"
Vashtu biß sich auf die Lippen, tat einen Moment lang noch immer so, als wäre sie auf etwas anderes konzentriert, dann aber blickte sie seufzend auf. „Weil wir im Moment keine Devi mehr sehen können, darum", antwortete sie giftig.
Peter zuckte zurück. „Wieder morgenmuffelig?"
Sie funkelte ihn an. „Nein!"
Er stutzte. „Was dann?"
„Nichts." Wieder senkte sie den Kopf zum Pad hin, richtete sich dann aber seufzend auf und fixierte ihn mit ernstem Blick. „Peter", begann sie, dann versteifte sie sich sichtlich und klopfte kurz auf das Funkgerät in ihrem Ohr. „Verstanden. Bin unterwegs."
„Gibt es etwas neues?" erkundigte er sich, während er beobachtete, wie sie sich erhob und nach dem Pad griff.
„Vielleicht. Mal sehen", antwortete sie ausweichend. „Ich muß los." Damit war sie weg, als wäre sie vor ihm geflohen, und ließ ihn allein am Tisch zurück.
Peter sah ihr stirnrunzelnd nach, dann bemerkte er wieder die Blicke der anderen Anwesenden, drehte ihnen seine Schulter zu und verbarg sich hinter seiner Tasse.
Warum hatte er plötzlich das Gefühl, ausgeschlossen zu werden?
TBC ...
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