03.06.2012

Klimawandel VIII


Anne sortierte die restlichen Unterlagen zusammen und dachte angestrengt nach.
Alles in allem war die Versammlung doch wohl recht positiv verlaufen, wie sie fand. Überrascht hatte sie vor allem aber die Aussage der Antikerin, diese Galaxie nicht zu verlassen. Bisher hatte sie eigentlich eher angenommen, Vashtu wolle so schnell wie möglich von hier fort, aus der Stadt, für deren Schicksal sie sich irgendwie verantwortlich fühlte. Jetzt zu erfahren, daß dem wohl doch nicht so war, beruhigte sie und ließ sie hoffen.
Sergeant Dorn würde in ein paar Wochen wieder zurückkehren auf seinen Posten. Sie beide hatten sich diesen Plan zurechtgelegt in der Hoffnung, Major Uruhk für die Leitung Vinetas gewinnen zu können. Und bisher, das mußte Anne wohl oder übel zugeben, schien der alternde Marine mit seiner Annahme richtig zu liegen, ebenso wie sie mit ihrer Vermutung. Die Antikerin blühte im Moment richtig auf, da sie nicht nur Vorschläge machen, sondern diese auch ohne große Absprachen durchführen konnte. Die Änderungen in der kleinen Wachmannschaft waren bis jetzt schon beeindruckend genug, da brauchte man gar nicht die offensichtliche neu belebte Motivation der Männer zu bedenken. Die Taten der Majorin hatten sich wohl schon ziemlich weit herumgesprochen und führten zu einer Akzeptanz eines Offiziers aus einer anderen Waffenform, noch dazu aus einer, die mit den Marines nicht so recht zurechtkam.
Die Lockerheit, die Major Uruhk sonst an den Tag gelegt hatte, fehlte Anne ein wenig. Doch sie war sich sicher, diese irgendwann wiederzusehen. Im Moment schien für die Antikerin noch alles recht neu, und die Zeit, in der sie gegen die Drogen in ihrem Körper hatte ankämpfen müssen, lag noch nicht so weit zurück. Und sie schien sich wirklich Sorgen wegen der Devi zu machen, das war mehr als deutlich geworden bei der Besprechung.
Anne hob den Kopf, als sie laute Stimmen auf dem Gang vor den Türen hörte.
Vashtu und ... Dr. Babbis? Worüber stritten die beiden sich denn jetzt?
Anne war einen Moment lang versucht, das ganze zu ignorieren, bis sich plötzlich die vorderen Wände wieder bewegten und sie aufblicken ließen.
Major Vashtu Uruhk marschierte zurück in den Konferenzraum, dicht gefolgt von Dr. Peter Babbis, und die beiden wetterten immer noch gegeneinander.
Die Daten sind nicht vollständig!"
Sie sind vollständig genug!"
Sind sie nicht, und das wissen Sie auch ganz genau!"
Verdammt, Peter, wir haben mehr als nur einen Brand ausgelöst. Wir sollten daran arbeiten, zumindest diese Katastrophe zu verhindern!"
Und wie? Selbst wenn die Daten wider Erwarten doch stimmen sollten, wie wollen Sie das dann aufhalten?"
Eine kontrollierte Gegenreaktion würde vielleicht helfen."
Sind Sie irre?"
Nein, ich will nur nicht erfrieren!"
Dann sollten Sie vielleicht einmal nachdenken. Eine kontrollierte Gegenreaktion würde eine zweite Zündung von der anderen Seite des Planeten bedeuten. Und wir hätte wieder einen Brand."
Das wäre zumindest besser als das, was Sie mir hier präsentieren!"
Kann ich Ihnen beiden vielleicht helfen?" Anne hatte sich aufgerichtet, fixierte die beiden Streitenden, die sich offensichtlich an einen ruhigen Ort hatten zurückziehen wollen, um ihr Wortgefecht weiter austragen zu können.
Babbis atmete tief ein, funkelte die Antikerin böse an. „Das haben Sie angerichtet!"
Woher sollte ich denn wissen, daß hier noch jemand ist? Ich habe keinen Röntgenblick!" gab die zurück.
Naja, zumindest ein kleines bißchen der alten Vashtu Uruhk schien wieder zurückgefunden zu haben in die Gegenwart.
Anne seufzte und kreuzte die Arme vor der Brust. „Was gibt es denn so dringendes?" wiederholte sie ihre Frage.
Vashtu sah sie einen Moment lang an, dann hob sie einen Ordner, in dem sie bis jetzt geblättert hatte. „Ich habe Babbis die Sache mit dem Klima noch einmal durchrechnen lassen", antwortete sie.
Ja, mit den Gegenwerten von vor schlappen zehntausend Jahren. Vashtu, seien Sie vernünftig. Meine Berechnungen sind wahrscheinlich so viel wert wie ... wie ..." Hilflos zuckte er mit den Schultern.
Zehntausend Jahre?" Anne schmunzelte leicht amüsiert, streckte dann die Hand aus. „Kann ich sehen?"
Vashtu trat näher und reichte ihr den Ordner, unter einem weiteren, wütenden Blick des jungen Wissenschaftlers.
Anne blätterte und las hier und da etwas, doch viel sagten ihr die Berechnungen nicht. Bis zur letzten Seite, dort wo etwas ausgeschrieben stand. Und zwar die Prognosen und Ergebnisse der Berechnungen. Unwillkürlich riß sie die Augen auf, als sie den kurzen Text las. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie in ein Paar ernste, sprechende Augen. Die Antikerin nickte stumm.
Anne wandte sich Babbis zu und hielt ihm den Ordner hin. „Und wenn Sie sich irgendwo verrechnet haben?" fragte sie.
Hat er nicht", entgegnete Vashtu mit angespannter Stimme.
Dann könnten wir demnächst in den Tropen aufwachen. Und jetzt hören Sie endlich mit Ihrer Unkerei auf, Vashtu! Es ist durchaus möglich, daß irgendwo ein Rechenfehler vorliegt."
Wir schliddern in eine Eiszeit, Peter, das und nichts anderes tun wir!" Vashtu war zu ihm herumgefahren und blitzte ihn wütend an. „Selbst wenn Sie sich irgendwo anders verrechnet haben, steht da immer noch das eine Grad, das Erethia von seiner normalen Umlaufbahn abgewichen ist. Und dieses eine Grad können selbst Sie nicht wegdiskutieren!"
Und das steht fest?" fragte Anne mit zitternder Stimme.
Oh Gott, nur nicht das auch noch! Sie war froh, daß sie gerade irgendwie über die Runden kamen. Jetzt auch noch eine Eiszeit zu überstehen, würde vielleicht die Kräfte übersteigen.
Ja!"
Nein!"
Vashtu funkelte den jungen Wissenschaftler wieder an. „Seit wann zweifeln denn ausgerechnet Sie an Ihrem eigenen Können, Peter?" fragte sie lauernd.
Das tue ich nicht! Aber die Vergleichsparameter sind einfach zu alt", verteidigte der sich.
Anne sank gegen den Tisch, schlug erneut den Ordner auf und las sich die letzte Seite noch einmal sehr genau durch. „Und den Mond werden wir verlieren?"
Sieht so aus. Er ist ja jetzt schon kaum auszumachen", antwortete Vashtu. „Wahrscheinlich haben wir nur beschleunigt, was sich ohnehin schon lange angekündigt hat. Über die nächsten Jahre werden wir ihn noch nutzen können, aber irgendwann gerät er in ein anderes Feld - und dann müssen wir von dort verschwinden."
Anne nickte.
Zumindest ein kleines bißchen Zeit. Vielleicht gerade genug, um irgendwie unabhängig von diesem Mond zu werden. Aber wie? Wenn sie tatsächlich in eine Eiszeit gerieten, würden sie nicht in der Lage sein, irgendetwas auf diesem Planeten anzubauen. Und ob der zweite Mond ... ?
Was ist mit dem anderen, dem großen?" fragte sie hoffnungsvoll.
Vashtu hob die Hände. „Vom All aus wirkt er nicht sehr vielversprechend. Selbst wenn wir irgendwie Terraforming betreiben könnten, bezweifle ich, ob der hochzupäppeln ist. Aber wir können gern nachsehen. Allwissend bin ich nicht."
Anne nickte, kniff die Lippen aufeinander. „Aber wir haben diese paar Jahre", wiederholte sie.
Ja, die haben wir auf alle Fälle", bestätigte nun Peter Babbis. „Selbst wenn sich irgendwo ein Rechenfehler ..."
Sie haben sich nicht verrechnet!" Vashtu warf ihm einen warnenden Blick zu.
Anne schluckte. „Dann sollten wir die Jahre nutzen, die wir haben." Sie blickte auf und sah die Antikerin offen an. „Ihr Vorschlag mit einer Alpha-Basis klang nicht schlecht. Vielleicht finden wir sogar einen bewohnbaren Planeten, der verlassen und fruchtbar ist."
Sie konnte die deutlichen Zweifel in den dunklen Augen lesen, doch dann nickte Vashtu. „Ja, vielleicht."

***
 
Es war der erste Tag, an dem er endlich wieder frische Höhlenluft schnappen konnte. Nicht daß es da einen besonders großen Unterschied gegeben hätte. Die Hohlenluft schien sogar noch etwas ... naja, hielt man sich allzu lange in den gewaltigen Gebäuden auf, fiel es erst richtig auf, wie feucht und muffig es hier roch.
Aber er beschwerte sich nicht. Das tat er nie. Er hatte in seinem Leben gelernt, sich auf jede mögliche Situation einzustellen, und das tat er auch jetzt. Außerdem war er in einem Auftrag unterwegs, einem sehr wichtigen Auftrag sogar.
Er hielt sich im Schatten eines der großen Wohngebäude, die zur Zeit nicht genutzt wurden, aber direkt an der Hauptstraße gelegen war. Und er wartete, sicher, daß sein Opfer so bald wie möglich zu ihm kommen würde. Immerhin sollte es auch in einem wichtigen Auftrag unterwegs sein, so war ihm gesagt worden.
Also wartete er, voller stoischer Ruhe und Gelassenheit und beobachtete die Passanten. Die wenigsten von ihnen hielten sich hier ganz zufällig auf. Vielmehr sollten sie sein Opfer ... nun ja. Man würde sehen, ob der Plan aufging.
Und da hörte er es. Das Rollen. Laut und vernehmlich hallte es durch den gewaltigen Dom der Höhle, schien sich in den Löchern zu fangen und zurückgeworfen zu werden.
Er verharrte im Hauseingang und gab ein Zeichen.
Achtung! Aus der Bahn!" rief eine Frauenstimme, während das Rollen beinahe zu einem Getöse wurde.
Er richtete sich auf und hielt seine Waffe bereit.
Die „Passanten" verhielten sich, wie er es ihnen gesagt hatte. Sie ließen nur einen schmalen Pfad offen, den sein Opfer nehmen mußte. Allzu schmal und sehr dicht am Hauseingang vorbei.
Er machte sich bereit, lehnte sich gegen die Wand.
Bahn frei!" rief die Stimme wieder, wurde jetzt fast von dem Rollen übertönt.
Und dann tauchte sein Opfer auf.
Ihm blieb nicht viel Zeit, doch er vertraute auf seine geschulten Reflexe. Und sobald er sein Opfer da hatte, wo er es haben wollte ...
Sergeant George Dorn schnellte vor und schlug mit seiner Krücke zu, gerade als die Antikerin direkt neben ihm auftauchte. Sie hatte nicht mehr die Zeit zu reagieren. Der Metallstock prallte hart auf ihren Oberarm und ihre Brust. Und sie verlor das Gleichgewicht.
Mit überraschter Miene plumpste sie wenig elegant auf ihren Hosenboden und starrte ihn groß an, während der Oberpfleger Marc Boyer, mit dem zusammen Dorn diesen Plan ausgeheckt hatte, das selbstgebastelte Skateboard an sich nahm und die Antikerin mit einem bösen Blick bedachte.
Hey!" entrüstete Vashtu sich, richtete sich wieder auf.
Dorn hielt die Krücke wie ein Schwert auf sie gerichtet und schüttelte den Kopf.
Vashtu starrte ihn entgeistert an. „Aber ... Das ist mein Board!" wagte sie sich dann zu entrüsten.
Konfisziert", entgegnete er einfach, senkte die Krücke wieder und humpelte auf sie zu. „Wegen Gefährdung des öffentlichen Straßenverkehrs."
Vashtus Brauen schoben sich zusammen. „Das ist unfair!"
Ist es nicht. Du störst die Ruhe, Vash", entgegnete er. „Und wage ja nicht daran zu denken, dir ein neues zu bauen." Damit wandte er sich ab und humpelte Boyer nach.
Vashtu Uruhk blieb, die Arme vor der Brust gekreuzt, mit funkelnden Augen auf der Straße stehen und sah dem Marine nach. Dann hellte sich ihre Miene wieder auf und sie schmunzelte, ehe sie, voller Elan, den Weg wieder zurück marschierte, den sie gerade gekommen war.

Ende

2 Kommentare:

  1. Hallo :)
    Ich habe immer schön brav gelesen, aber leider fehlte mir die Zeit in aller Ruhe ein FB zu schreiben.
    Tja, da gab es ja in den zwei Kapiteln jetzt einige gute, aber auch schlechte Nachrichten.
    Hoffentlich können die den Mond tatsächlich noch einige Jahre nutzen, ehe er dann verloren geht. Wäre bestimmt wesentlich schöner, als das syntetisierte Essen zu essen ^^
    Und das mit den Spinnen ist ja auch interessant. Noch ein Fortschritt, denn dadurch fällt das Handeln garantiert leichter. Aber irgendwas scheint mit den Spinnen ja auch nicht zu stimmen. Ich habe kurzzeitig an Iratus-Käfer gedacht, aber ... hm ... dann müssten die Antiker die ja damals mitgebracht haben .... und Käfer sind nunmal keine Spinnen :D
    Und dann ist da noch die Sache mit den Devi ... die Sache mit dem Raumschiff ist wieder aufgekommen ... hört sich ja auch nicht gerade prikelnd an. Irgendwie habe ich das Gefühl, sie werden bei der Untersuchung herausfinden, dass dort keine Überreste des Raumschiffes sind.
    Aber nach all den nciht so angenehmen Sachen für die Vineter musste ich am Ende dann doch lachen :D
    Ich dachte erst oh mein Gott, wer hat es denn da auf jemanden abgesehen! Aber das sich das dann als Dorn herausstellte, der Vashtu das Skateboard weggenommen hat ... klasse :D
    So ... und zu der neuen FF gibts FB, sobald ich das nächste Mal wieder Zeit habe :) Also spätestens wenn die Prüfungszeit endlich vorbei ist ...
    LG Sabrina

    AntwortenLöschen
  2. Mond und Spinnen ... sagen wir, beides wird noch eine Rolle spielen. Und, wenn ich an dieser Stelle spoilern darf, sie versuchen zumindest, den Mond irgendwie zu retten.
    Bei den Spinnen *schmunzel* werden wir sehen, inwiefern dein Gefühl dich da zum Narren gehalten hat oder auch nicht. Stimmt, Spinnen sind keine Käfer, Spinnen sind älter ;). Aber ... wer weiß, wer weiß *flöt*.
    Die Sache mit dem Raumschiff, da ich diesen Handlungsstrang irgendwie komplett geskippt habe kann ich dir sagen, es wird nicht mehr erwähnt und nein, das Wrack ist auf Erethia. Die Devi sind also nicht auf diesem Wege verschwunden. Allerdings sollte man die Sache mit dem Raumschiffbau im Hinterkopf behalten, aber eher generell gesehen.
    LOL Ja, Dorn auf Kriegspfad mußte am Ende einfach sein. Schön, daß die Szene gefallen hat und am Anfang in die Irre führte. Sollte so sein. Sieh es als Auftakt von kleinen Privatfehden, die immer mal wieder zwischendurch Erwähnung finden, mal als Dauerzustand (da kommt noch was nettes zwischen Babbis und Walsh), sei es Streiche spielen. Irgendwo müssen die zwischendurch auch mal Dampf ablassen, die Neu-Vineter ;).

    Und mach dir keinen Streß! Studium geht vor. Ich dachte mir schon, daß du anderweitig beschäftigt bist.
    Vielen Dank für das Review und atme auch mal durch {{hugs}}

    Bis denne
    Ramona

    AntwortenLöschen