15.07.2012

Die undichte Stelle VI


Anne spielte mit der Brosche, die Lieutenant Markham ihr vor einigen Wochen von einem Planeten mitgebracht hatte, als Vashtu das Büro betrat. Stirnrunzelnd sah die Antikerin sich einen Moment um. Irrte sie sich, oder standen die Schreibutensilien, die die zivile Leiterin auf ihrem Schreibtisch aufgestellt hatte, jetzt anders als früher. Sicher war sie sich da nicht.
Anne blickte auf, legte die Brosche wieder zurück auf den Tisch und faltete die Hände. „Sie sind schon zurück?"
Vashtu nickte. „Gerard ist unten geblieben, zusammen mit Markham, Williams und Jordan. Die anderen ... sind wohl noch auf dem Weg. Ich wollte Ihnen besser so schnell wie möglich sagen, was wir gefunden haben."
Anne strich sich eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht. „Und? Was haben Sie gefunden, Major?" fragte sie.
Vashtu kratzte sich kurz an der Schläfe, wies dann auf die Stühle vor dem Schreibtisch. Auf das stumme Nicken der anderen ließ sie sich nieder. Trotz Verstärkung der Fremdzellen merkte sie jetzt doch ziemlich deutlich ihre Beine. Die Wadenmuskeln schmerzten etwas, und die Antikerin war sich sicher, daß sie spätestens am nächsten Morgen einen gehörigen Muskelkater haben würde.
Also?" Anne sah sie auffordernd an.
Wir haben einen See gefunden", antwortete Vashtu endlich, nach einigem Zögern, um die Spannung zu erhöhen.
Einen See?" Anne runzelte die Stirn.
Vashtu verzog das Gesicht. „Naja, als See ... So, wie Sie es sagen, klingt das nach einer Pfütze. Ist aber wohl ein bißchen größer."
Die Leiterin Vinetas nickte. „Also brauchen wir uns zunächst keine Sorgen um das Trinkwasser zu machen, wenn ich das jetzt richtig verstehe. Wie lange, schätzen Sie, wird dieses Reservior halten?"
Vashtu lehnte sich zurück und grinste.
Offensichtlich hatte Dr. Stross einen vollkommen anderen Eindruck als sie. Kein Wunder, sie hatte das ganze ja auch nicht gesehen. Wenn nur allein die Oberfläche hielt, was sie versprach ... und sie wußten nicht, wie tief dieser See überhaupt war.
Einige tausend Jahre, bei den paar Leuten, die hier wohnen", antwortete sie deshalb unschuldig.
Anne riß die Augen auf. „Wie bitte?"
Vashtu nickte, wies mit einer Hand nach draußen und machte eine alles umschließende Geste. „Die Höhle dort unten ist ungefähr so groß wie diese hier. Und wir wissen noch nicht, wie tief dieser See ist und von wo er gespeist wird. Wird ein bißchen halten, selbst wenn wir den Wasserverbrauch hochschrauben."
Die Leiterin holte tief Atem. „Ein paar tausend Jahre?" wiederholte sie.
Die Antikerin nickte gelassen. „Schätzungsweise. Und, wie gesagt, wir wissen noch nicht, von wo er gespeist wird. Ist die Quelle ergiebig ... Ich glaube, da unten gibt es Fische."
Anne staunte nur noch. „Fische?"
Ich habe etwas auf dem Detektor messen können, bin mir aber nicht sicher, was. Könnten Fische sein. Sind Sie gut im Basteln? Dann könnten wir vielleicht unsere Breie etwas ... äh, aufmotzen."
Major!" Doch Anne lächelte bei diesem Wort. Sie hatte den Scherz verstanden. „Wenn Sie irgendwo etwas brauchbares finden, dürfen Sie sich gern als Fischerin betätigen. Gegen ein bißchen Abwechslung im Speiseplan hätte ich wirklich nichts einzuwenden."
Vashtu sandte ihr einen sehr zufriedenen und triumphierenden Blick. „Ich habs doch gesagt!"
Und die Höhle an sich?" Anne beugte sich jetzt doch wieder vor. „Ist der Fels dort unten stabil?"
Die Antikerin zuckte mit den Schultern. „Dr. Gerard hat seine Forschungen noch nicht abgeschlossen, aber er ist optimistisch. Scheinbar haben wir nur das Problem mit der obersten Felsschicht, alles andere ist noch in Takt. Wahrscheinlich Erosion, meint er."
Anne nickte. Sie wirkte erleichtert. „Dann sind wir zumindest nach unten abgesichert."
Und der Rest wird sich finden, keine Sorge. Wer weiß, vielleicht hält die Decke wirklich noch wesentlich länger, als wir jetzt denken. Also, ehe mir der Himmel nicht wirklich auf den Kopf fällt, werde ich optimistisch bleiben!"
Anne blickte wieder auf, gerade als die Tür sich wieder öffnete. „Sergeant Dorn", begrüßte sie den Neueintretenden.
Der Marine humpelte auf seiner Krücke zu dem zweiten Stuhl, nickte Vashtu zu und ließ sich nieder. „Wir haben was gefunden", sagte er sofort.
Vashtus Brauen schoben sich sofort zusammen. „George, ich glaube das nicht, tut mir leid! Peter kann unmöglich die undichte Stelle sein."
Dorn nickte nach hinten. „Da kommt es", sagte er nur, mit einem sehr bezeichnenden Blick.
Vashtu schüttelte den Kopf und drehte sich um, gerade als einer der anderen Marines ein koffergroßes Gerät in das Büro trug und auf dem Boden abstellte. Sofort wurden die Augen der Antikerin groß.
Das ist doch ..."
Anne richtete sich auf, sie nahm es aus dem Augenwinkel wahr. „Das sieht nicht aus wie ein Gerät der Devi", stellte sie dann fest.
Vashtu richtete sich auf, kaum daß der Marine wieder verschwunden war. Aufmerksam studierte sie die Schriftzeichen an den Seiten des Gerätes. „Ist es auch nicht", bestätigte sie, warf Dorn einen bösen Blick zu. „Sieht eher aus wie ein ... Moment." Sie fand den Aktivator und betätigte ihn.
Augenblicklich begann das Gerät, Papier auszuspucken. Flugblätter mit einem ihr sehr bekannten Konterfei. Vashtu deaktivierte das, was auch immer es war, wieder, betrachtete stirnrunzelnd das, was da vor ihr auf dem Boden lag. „Eine Art Kopierer", sagte sie dann, sammelte das Papier ein. „Definitiv nicht von den Devi. Und wenn Sie sonst nichts gefunden haben, bin ich dafür, daß wir alle uns bei Peter Babbis entschuldigen. Ich hatte es ja gesagt. Er kann unmöglich ein Verräter sein." Sie legte die Papiere vor Anne auf den Schreibtisch und grinste breit und zufrieden.
Die Leiterin der Stadt betrachtete mit großen Augen die Flugblätter. „Jetzt haben wir zumindest eine Erklärung, warum es so viele waren."
Vashtu nickte. „Ganz genau, diese Erklärung haben wir jetzt. Und wir haben noch etwas anderes: einen Grund, das Gate wieder zu öffnen!" Sie klopfte auffordernd mit einem Finger auf die Papiere. „Ob mit oder ohne Peter, ich möchte so schnell wie möglich sehen, daß wir weiter versuchen, Handel zu treiben und nach Verbündeten zu suchen."
Anne blickte auf, die Lippen zusammengekniffen. Dann nickte sie. „Also gut. Aber Ihr Team bleibt bis auf Widerruf außen vor."
Vashtu nickte befriedigt.

***

Eine Woche später:
Nachdem er den Jumper gelandet hatte und die Heckluke hatte sich öffnen lassen, sammelte er so schnell wie möglich seine Utensilien zusammen und trat nach hinten, gerade als ein schwarzhaariger Struwwelkopf durch die Öffnung lugte. Dunkle Augen weiteten sich überrascht.
Peter!"
Er nickte etwas betreten, zupfte sich mit der freien Hand am Ohrläppchen und lächelte entschuldigend. „Markham ist noch nicht wieder zurück und braucht wohl noch ein paar Stunden", erklärte er.
Die Antikerin war sehr erfreut. „Freut mich. Dann kann ich Sie also wieder zum Mond schicken. Hat doch was." Sie zwinkerte ihm zu, stieg die Rampe hinauf und griff sich eine der Kisten. „Wir brauchen noch etwas Zeit hier und ich wollte wegen der Wache nicht weg."
Peter nickte verstehend, packte das andere Ende des Kastens und stemmte ihn mit ihr zusammen hoch.
Dann können Sie vielleicht aushelfen. Es fehlt jemand, der die Fläche der Ruinen berechnet", fuhr die Antikerin gut gelaunt fort.
Peter folgte ihr in den strahlenden Sonnenschein hinaus.
Sonne! Es schien die Sonne auf diesem Planeten.
Peter blinzelte hinter seinen selbsttönenden Brillengläsern in den Himmel. Das tat wirklich gut nach der ganzen Zeit in der düsteren Höhle und im Dauerregen. Er konnte sich nicht erinnern, jemals so erfreut über ein paar Sonnenstrahlen gewesen zu sein.
Gemeinsam mit Vashtu schleppte er den schweren Kasten ein Stück weiter. Dorthin, wo sich die Ruinen einer Stadt erhoben. Einer Stadt, wie er sie noch nie gesehen hatte.
Von Ihrem Volk?" fragte er und nickte in die Richtung.
Vashtu blinzelte, schüttelte dann den Kopf. „Nein, jedenfalls nicht, soweit ich weiß", antwortete sie gelassen.
Dr. Liang, der Archäologe, der einsam und verlassen in Vineta gestrandet war, kam ihnen entgegen, ein breites Grinsen auf den Lippen, wie man es einem Chinesen nicht wirklich zugetraut hätte. „Eine wirklich beeindruckende Anlage", wandte er sich an die Antikerin.
Vashtu nickte. „Schon herausgefunden, von wem es stammen könnte?"
Nicht von den Antikern, das sagten Sie ja bereits, Major." Liang sah wieder zu den Quadern hinüber, die wie sinnlos verteilt in dem flachen Tal lagen. „Vielleicht von dem Volk, das diesen Planeten früher bewohnt hat." Erst jetzt schien ihm aufzugehen, wen die Antikerin da mitgebracht hatte. Freundlich lächelnd verbeugte er sich vor Peter. „Dr. Babbis. Es wäre mir eine große Ehre, wenn Sie die Vermessungen vornehmen könnten."
Vashtu grinste breit, wandte sich ab und marschierte zurück zum Rand des Trümmerfeldes.
Peter sah ihr etwas hilflos nach, dann richtete er seine Aufmerksamkeit auf den Chinesen und nickte. „Natürlich, wenn die Maße stimmen sollen, sollte man sich immer den besten holen." Er sah sich aufmerksam um. „Keine Devi?"
Liang schüttelte den Kopf. „Nein, alles ruhig. Seit drei Tagen", antwortete er. „Major Uruhk ist zwar noch etwas beunruhigt, aber ..."
Devi!" schrie die Antikerin in diesem Moment.
Und tatsächlich, ein Rochen zog einen Atemzug später über ihnen dahin.
Zurück zu den Jumpern! Los!" bellte Vashtu scharf, hob ihre Waffe.
Peter beobachtete einen Moment lang, wie sie herumfuhr und eine Salve in die Büsche jagte, dann begriff er endlich, packte den ratlosen Liang am Arm und zog ihn mit sich, zurück zu seinem Jumper. Hinter sich hörte er die unterschiedlichen Waffen des halben Dutzends Militärangehöriger ihre Kugeln verteilen.
Wo kamen denn jetzt so plötzlich die Devi her? Es war doch alles ruhig, sowohl bei Vashtus als auch bei Markhams Flügen, seit sie die drei Tage pausiert hatten.
Die anderen Wissenschaftler, vier an der Zahl, die bei den Ruinen mitgeholfen hatten, folgten Peter auf dem Fuße, als er endlich in den Jumper sprang, sofort die Heckluke schloß und nach vorn in das Cockpit hetzte.
Noch immer wurde draußen geschossen.
Warum brauchte Vashtu solange? Ihr Jumper stand doch direkt neben seinem, einen längeren Weg hatte sie also nicht.
Peter zögerte, ging erst einmal in den Tarnmodus. Und dann sah er, wie einer der Marines zwischen den Büschen hervorkam, eine andere Gestalt wie einen Sack über die Schulter geworfen.
Die Antikerin!
Peter erstarrte.
Dr. Liang, der sich auf dem Copilotensitz niedergelassen hatte, stöhnte auf. „Der Major!"
Ging das jetzt schon wieder los?

***

Autsch!"
Vashtu blinzelte, als sie diesen leisen Aufschrei hörte, holte dann erst einmal tief Atem.
Ihre Hüfte schmerzte, schmerzte sogar ganz entschieden. Unwillkürlich verzog sie das Gesicht, tastete mit der Hand über die Stelle, fand aber keine Wunde.
Vashtu!" Der Ausruf war voller Erleichterung.
Erst jetzt ging ihr auf, wo sie sich befand. Nicht mehr auf P1V-145, sondern ... auf der Krankenstation von Vineta.
Sie brauchte einen Moment, ehe sie ihre Erinnerung wieder halbwegs beisammen hatte.
Major?"
Sie blickte, wieder blinzelnd, auf und sah in Anne Stross' Gesicht. Die Leiterin der Stadt hatte sich über sie gebeugt, sah sie sorgenvoll an.
Vashtu verzog das Gesicht, rappelte sich auf die Ellenbogen. „Das war dann jetzt wohl meine Premiere", sagte sie, räusperte sich, als sie hörte, wie belegt ihre Stimme klang.
Sie sollten sich noch ausruhen, denken Sie nicht?" fragte Anne sie.
Ausruhen? Gute Idee, aber ...
Oh Mann! Jagen Sie mir nie wieder so einen Schrecken ein!"
Vashtu stutzte, sicher sich verhört zu haben. Dann wagte sie einen Blick unter ihren Ponyfransen hervor. Ihre Augen wurden groß.
Peter?"
Der grinste, rieb sich die rechte Hand. „Hallo", sagte er schüchtern.
Vashtu blinzelte zum dritten Mal, stutzte dann und hob den Kopf zu Anne. „Aber ..."
Es scheint, als habe jetzt Dr. Babbis Ihren ... Fluch geerbt", sagte die im entschuldigendem Tonfall. „Wohin auch immer er durch das Gate fliegt, die Devi kommen ein paar Minuten später."
Vashtu sah sie ungläubig an. „Aber ... Markham und ich ... ?"
Bei Ihnen erscheinen sie nicht mehr, ich weiß. Dr. Babbis, sieht aus, als müßte ich mich bei Ihnen entschuldigen." Anne blickte auf.
Vashtu schüttelte, noch immer etwas benommen, den Kopf, sah dann zur anderen Seite des Bettes. Einträchtig nebeneinander saßen Dorn und Danea dort und schwiegen. Doch beiden war die Erleichterung deutlich anzusehen.
Vashtu richtete sich jetzt endgültig auf. Ihre Hüfte protestierte kurz, doch sie unterdrückte den Schmerz, rieb noch einmal darüber. „Okay, damit wären dann jetzt wohl alle Mitglieder meines Teams mindestens einmal von einem Glimmer getroffen worden. Und wir haben es überlebt. Ist doch schon mal was."
Irgendwie fühlte sie einen gewissen Stolz über diese Leistung. Keines der anderen SG-Teams hatte eine solche Quote vorzuweisen.
Danea sah sie irritiert an, sagte aber noch immer nichts. Dorn dagegen schien, aller Erleichterung zum Trotz, plötzlich besorgt zu sein.
Wie lange war ich weg?" wandte Vashtu sich an Peter, der sich schon wieder die rechte Hand rieb. Kurz erhaschte sie einen Blick auf gerötete Haut in seiner Handfläche, als er sie hob und die Finger wieder um das kühle Metall des Fußendes des Bettes schloß. Eine gerötete Stelle mit einer merkwürdigen Form, die sie irgendwie an ein Schmuckstück erinnerte. Nur wußte sie nicht so recht zu sagen, wo sie dieses Schmuckstück schon einmal gesehen hatte.
Peter sah sie irritiert an, als er ihren nachdenklichen Blick bemerkte, zuckte dann mit den Schultern. „Ein paar Stunden, mehr nicht."
Vashtu nickte. „Lange genug geschlafen", entschied sie. „Wir müssen wohl ..."
Major?" Annes Stimme klang plötzlich sehr ernst als sie ihr ins Wort fiel.
Vashtu richtete ihren Blick sofort auf Dorn. Der sah noch besorgter aus als gerade. Also war noch etwas passiert. Und das ...
Wir haben den Kontakt zu den Eingeschlossenen auf der Prometheus verloren", sagte Stross sehr leise.

2 Kommentare:

  1. Hi :)
    also gut, ich tippe auf dieses komische Schmuckstück. Wie auch immer das funktionieren mag. Vielleicht dadurch, dass man das in der Hand hatte oder so ... denn wenn Markham es gefunden hat, hatte er es logischerweise in der Hand. Vasthu hat das Ding auch mal betrachtet, wenn ich mich nicht irre und nun hat Peter das bei der "Aufräumaktion" des Schreibtisches in die Finger bekommen ... und dadurch den "Fluch" geerbt oder was weiß ich ... alles sehr mysteriös ;)
    Aber Hauptsache ist, das Peter nicht mehr länger verdächtigt wird.
    Und das mit dem riesigen See und der darin enthaltenen Fische klingt doch schon mal gut :) Abwechslung im Speiseplan ist sicherlich eine gute Idee.
    Dagegen hört sich das gar nicht gut an, dass die den Funkkontakt zu den Leuten auf der Prometheus verloren haben. Ist unser lieber Freund Pendergast etwa dahinter gekommen, dass die dort Eingeschlossenen mit den Leuten in Vineta kommunizieren!?
    LG Sabrina

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  2. Und der Kandidat hat 100 Punkte! Ja, es ist die Brosche, aber das wissen sie (noch) nicht. Sprich, das Ding wird später nochmals ne Rolle spielen.
    Was den See, der eher ein Ozean ist, angeht ... sagen wir, damit könnten sie noch Spaß haben. Fische sind eher das kleinere Problem da drin *flöt*.
    Ob Pendergast was weiß? Wer weiß, wer weiß ... wird sich in Bälde zeigen *ganz breites Grinsen*
    Bis denne
    Ramona

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