12.08.2012

Meuterei (Teil 1) IV

Anne betrat, gefolgt von Lieutenant Markham, der ihr gerade Bericht erstattet hatte, den Kontrollraum und begegnete Walshs fragendem Blick mit ernster Miene. „Haben Major Uruhk und Dr. Babbis sich endlich zurückgemeldet?“ fragte sie.
Die Technikerin hob entschuldigend die Schultern. „Bisher nicht“, antwortete sie.
Anne kniff einen Moment lang die Lippen aufeinander, drehte sich dann zu dem jungen Lieutenant um. „Gehen Sie bitte sofort zur Pyramide und machen Sie einen Puddlejumper startklar. Ich melde mich“, befahl sie ihm.
Markham sah sie einen Moment lang besorgt an, dann nickte er und verließ eilig den Raum.
Anne atmete tief ein. „Geben Sie mir Major Uruhk, sofort!“ wandte sie sich dann an Walsh.

***

Pendergasts Blick hing an dem Bildschirm.
Wo blieb die Antikerin? Warum kam sie nicht endlich aus ihrem Versteck heraus und stürmte vor, wie er es sich gedacht hatte? Warum tat sie nicht endlich, was er provozieren wollte?
Statt dessen mußte er beobachten, wie der letzte Punkt, der bis jetzt am Schott des Decks gestanden und offensichtlich gewartet hatte, auch noch vom Bildschirm verschwand.
Fluchend richtete er sich auf. „Bates, konnten Sie sehen, wohin dieses Alien gerade verschwunden ist?“ fragte er.
„Positiv“, kam umgehend die Antwort.
„Dann holen Sie sie da endlich raus! Ich kann nicht warten, bis diese Meuterer das Deck betreten.“

***

Vashtu machte der Erethianerin ein Zeichen und zog ihre Beretta. Dann nahm sie Position an der Rampe und wartete aufmerksam.
„Peter, schließen Sie den Jumper“, zischte sie in ihr Funkgerät. Dann hörte sie das leise Summen, diesmal jedoch ohne jeden Kommentar. Zumindest einmal gehorchte der Wissenschaftler, ohne nachfragen zu müssen, das war doch schon einmal ein Fortschritt.
Basbara hob die P-90 an die Wange.
Vashtu hob die Faust, die Beretta zu Boden gerichtet.
Sie war sicher, gleich würde dieser ominöse einsame Punkt auftauchen, der da so wunderbar in der Mannschleuse aufgetaucht war, die sie bis jetzt nicht eines Blickes gewürdigt hatte. Und sie würde diesen Punkt ausschalten, das war sicher. Sie würde nicht mitansehen, wie die, die sie hier gerade zu befreien versuchten, in ein Sperrfeuer gerieten, selbst wenn dieses Sperrfeuer nur aus der Waffe einer Person stammte. Es konnte immer noch mehr als genug Schaden anrichten, und das wußte sie.
Schritte!
Vashtu öffnete die Faust, hielt einen Finger hoch.
Ein Mann, das war alles. Nur einer, wie der Detektor es ihr bereits verraten hatte.
Ihr Funkgerät meldete sich.
Zischend und leise fluchend aktivierte sie es. „Nicht jetzt“, wisperte sie so leise wie möglich.
Da!
Ein Schatten tauchte auf, von dem Licht der Leuchtstoffröhren unsicher und vielfach auf den Boden geworfen, doch er war da.
Vashtu hob die Waffe.
Wieder diese Schritte, die sich zögernd näherten.
„Major Uruhk, was denken Sie sich!“ wetterte Anne Stross' Stimme plötzlich in ihrem Ohr.
Vashtu verzog unwillig das Gesicht, versuchte sich zu konzentrieren.
„Ich habe Ihnen die sofortige Rückkehr befohlen. Also bewegen Sie sich endlich!“
Vashtu spannte die Kiefer an. Die Schritte hatten ausgesetzt.
War das Geschimpfe der Leiterin Vinetas so laut gewesen?
Sich wieder auf die Lippe beißend vor Anspannung aktivierte sie ihr Funkgerät. „Nicht jetzt, ich bin ... beschäftigt“, zischte sie.
Die Schritte entfernten sich.
Vashtu fluchte leise, sicherte ihre Waffe und nickte nach hinten. Dann aktivierte sie das Funkgerät wieder.

***

„Im Moment ist es mehr als ungünstig“, begehrte die Antikerin auf. „Danea kommt ja zurück. Es dauert nur etwas länger.“
„Was denken Sie sich?“ zeterte Anne wieder los. „Wollen Sie Pendergast so gern in den Rachen springen?“
„Wir brauchen noch ein paar Minuten, dann kommen wir zurück. Der Rückweg der Erethianer war versperrt, wir mußten erst einen anderen finden“, erklärte Vashtu mit kühler Stimme. „Und dann hatten wir noch einen Heckschützen hier. Aber den haben Sie wohl in die Flucht geschlagen.“
„Major!“ Annes Augen flammten auf. „Sie werden eine Menge zu erklären haben, wenn Sie zurückkommen. Ich hoffe, das ist Ihnen klar.“
„Das ist mir klar. Aber ich komme nicht allein.“ Leiser Triumph schwang in ihrer Stimme mit. „Die Eingeschlossenen sind mit Danea zusammen. Er ist bis in den Hangar gekommen.“
Anne holte tief Atem. „Dann wird Pendergast Sie erst recht jagen, Major. Ich hoffe, Ihnen ist das klar.“
„Glasklar. Aber soll er nur kommen. Ich habe sowieso noch ein Wörtchen mit ihm zu wechseln.“
In diesem Moment hörte Anne Schüsse und die Antikerin fluchen.
„Peter, Schott schließen, sofort!“
„Major Uruhk! Was geht da vor? Vashtu!“
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie keine Antwort erhielt.

***

Die erste Gruppe hatte das Flugdeck erreicht. Mit einem leisen Poltern schlug das Lüftungsgitter auf dem Metallboden auf, das hatte Vashtu gehört. Aber an etwas anderes hatte sie nicht mehr gedacht: den Schatten!
Schüsse hallten durch den Raum, ließen sie herumwirbeln.
„Peter, Schott schließen, sofort!“ befahl sie mit harter Stimme, griff sich jetzt doch ihre P-90 und trat auf die Rampe, blieb dabei aber noch im Feld, daß auch sie unsichtbar machte. „Basbara!“ rief sie nach hinten.
Beinahe sofort war die Erethianerin an ihrer Seite, und gemeinsam eröffneten sie das Sperrfeuer gegen den Trupp, dem der Schatten offensichtlich das Schott geöffnet hatte.
Trotzdem hörte Vashtu von der anderen Seite mehrere Schmerzensschreie, fühlte, wie diese sich in ihren Geist eingraben wollten, ließ dies aber nicht zu.
Sie mußte zumindest retten, was zu retten war.
Endlich schloß sich das Schott auf Peters Befehl. Dann ertönten noch mehr Schüsse.
Vashtu hielt direkt auf einen Marine, der im Schatten von einigen Kisten Schutz suchen wollte. In diesem Moment hörte sie den Schrei einer bekannten Stimme. Ihr Kopf ruckte herum und sie sah, wie eine schlanke Frau wie in Zeitlupe zu Boden fiel. Eine Frau, die ihr allerdings bekannt war, denn sie hatte sie mehrmals in ihrem Atlantis getroffen: Kate Heightmeyer!
Nein, dieses Wort rumorte in ihrem Schädel. Nein! Das konnte doch nicht sein. Nicht die sowieso schon unterbesetzte medizinische Abteilung. Nicht die wenigen Ärzte, die sie nach Vineta hatte holen wollen. Nicht ausgerechnet Kate, die in ihrer Dimension beinahe mit ihr befreundet war!
Blind feuerte sie weiter, hörte, wie ihre Schüsse erwidert wurden.
Die Flüchtigen suchten Schutz, wo immer sie auch konnten. Aber bis zu den beiden Jumpern kamen sie noch nicht.
Nicht noch mehr Verluste! Sie konnten sich nicht noch mehr Tote leisten. Nicht jetzt, nicht in dieser Situation.
Vashtu ging der Wahnsinn auf, dem sie verfallen war mit dieser Mission. Sie hatte mit dem Kopf durch die Wand gewollt, wieder einmal. Und jetzt starben unschuldige Menschen, weil sie sich in den Kopf gesetzt hatte, sie zu retten vor einem größenwahnsinnigen Colonel in einem schwer beschädigten Schiff.

***

Danea kroch hinter Barnes her, der, für sein Alter erstaunlich gelenkig war in seinen Augen. Das hätte er ihm nicht zugetraut.
„Major Uruhk? Wohin jetzt? Major?“ Barnes hielt mitten im Gang an.
Danea und Frederics, der noch hinter ihnen kroch, verhielten ebenfalls.
„Scheiße!“ entfuhr es Barnes. „Zurück, schnell, zurück!“ befahl er dann, begann bereits, rückwärts den Gang entlang zu kriechen.
„Was ist los?“ fragte Danea.
„Pendergast schickt uns Besuch hierher“, kam die Antwort.

***

Der Colonel starrte auf den Bildschirm. Seine Kiefer mahlten. Liebendgern wäre er in den Hangar marschiert und hätte die Antikerin aus ihrer verdammten Kiste geholt, um sie dann erst windelweich zu prügeln und dann, selbstverständlich gut verschnürt und geknebelt, in den Wartungsraum zu sperren. Statt dessen aber ...
Da!
„Bates, wo sind Sie?“
Pendergast triumphierte.
Da war sie. Sie war gerade aufgetaucht aus ihrem verfluchten Puddlejumper. Wahrscheinlich hatte sie sich nicht allzu weit entfernt, vielleicht stand sie sogar noch auf der Rampe. Aber auf jeden Fall war sie sichtbar. Und diese Chance mußten sie nutzen, sofort! Ehe sie wieder verschwinden konnte.
„Sir, ich bin auf dem Weg zurück, wie Sie befohlen haben“, antwortete der Marine-Sergeant. „Trupp 3 ist in den Wartungsschacht eingedrungen. Sie melden ersten Kontakt. Trupp 1 stürmt gerade den Hangar.“
Pendergasts Augen zuckten über den Bildschirm. Und tatsächlich, da strömten gerade seine Meuterer in den Raum, liefen ins Sperrfeuer seiner Männer und starben wie die Fliegen. Darum war sein Vögelchen endlich aus dem Nest gekommen.
„Lieutenant Jeffrey, ich befehle Ihnen, Major Uruhk sofort auszuschalten. Aber zielen Sie nicht auf ihr Herz oder ihren Kopf. Holen Sie sie von diesem verdammten Jumper weg, auf der Stelle!“ befahl er dem zuständigen Offizier, erntete aber nichts als Rauschen in seinem Ohr.
Pendergast bekam große Augen, dann fluchte er.
Seine Männer waren ausgeschaltet.
Dieses kleine Vögelchen hatte sich also wieder einmal in einen Falken verwandelt. Aber er würde ihr die Flügel schon noch stutzen.
„Bates, sofort zurück in den Hangar! Sie ist draußen.“

***

Vashtu raste, so schnell sie konnte, zu den überlebenden Eingeschlossenen hinüber. „Peter, Luke auf! Und Speisen Sie diese verdammten Programme endlich ein. Wir haben keine Zeit mehr!“ befahl sie, kam bei dem lang hingeschlagenen Körper von Dr. Heightmeyer an und ließ sich auf ein Knie nieder. Doch als sie nach dem Puls der Psychologin fühlen wollte, bemerkte sie, daß hier jede Hilfe zu spät kam. Heightmeyer war tot.
Vashtu schluckte hart und kniff die Lippen aufeinander. Dann richtete sie sich auf und drehte sich um. „Soviele wie möglich in die Puddlejumper. Los!“ befahl sie den anderen. Noch immer kletterten ein paar Leute aus dem Lüftungsschacht, doch der Strom versiegte nur zu schnell.
Vashtu ging auf, wer offensichtlich fehlte. Und das schnürte ihr erst recht die Kehle zu.
Danea, Grodin und Barnes waren nicht gekommen!

***

Pendergast beobachtete, wie der Punkt mit der ID-Kennung, die er wohl nie wieder vergessen würde, sich in dem Hangar bewegte. Endlich war sie aus ihrem Versteck gekommen, und er hatte niemanden in Reichweite, der sie ausschalten konnte.
Fluchend richtete er sich auf.
Hoffentlich war zumindest Bates noch nicht allzu weit entfernt.
„Sir, das Schott ist geschlossen. Ich komme nicht rein“, meldete dieser sich gerade in diesem Moment.
Pendergast starrte nun doch wieder auf den Bildschirm, gerade als ein zweiter benummerter Punkt erschien. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Dann nickte er mit einem kalten Lächeln.
„Kleveres Vögelchen, bringst sogar noch Verstärkung mit, was?“ Er ballte die Hand zur Faust, aktivierte sein Funkgerät.
„Walker? Wie steht es bei Ihnen?“
„Sir, wir haben sie“, kam die Antwort.
Pendergast nickte befriedigt. „Und wen haben Sie?“
„Major Barnes, Dr. Grodin und einen dieser Aliens, Sir. Danea Il'Eskanar nennt er sich.“

***

Lieutenant Jason Frederics zog sich vorsichtig tiefer in den engen Nebengang zurück, als er das starke Licht einer Handlampe aufleuchten sah. Dann hörte er die Nachricht, biß sich auf die Lippen und wartete.
Plötzlich waren sie eingeschlossen gewesen. Ihm war es gerade noch geglückt, sich hierher zurückzuziehen. Eigentlich hatte er auch noch den Erethianer retten wollen, doch das war ihm nicht mehr geglückt, da war schon das Licht aufgeflammt.
Jetzt saß er allein in den Schächten der Prometheus, abgeschnitten von denen, die wieder gefangen genommen worden waren und auch von denen, die es bis zum Flugdeck geschafft hatten.
Was sollte er jetzt tun?

***

„Major, Sie bleiben hier!“ Major Dethman stellte sich Vashtu in den Weg.
Die funkelte den dienstälteren wütend an. „Ich lasse niemanden zurück. Und hier fehlen noch mehr als genug.“
Der Marine schüttelte den Kopf, hob den Arm und wies zu den, inzwischen enttarnten Jumpern hinüber. „Wenn sie bis jetzt nicht hergekommen sind, kommen sie auch nicht mehr nach, Major. Das sollte ihnen auch klar sein. Wir können im Moment nichts mehr tun und sollten hier verschwinden. Barnes und Frederics werden schon zusehen, daß sie nicht wieder eingesperrt werden.“
„Das ...“
„Major Uruhk?“ sagte unvermittelt eine Stimme in ihrem Ohr.
Vashtu erstarrte. Sie kannte diese Stimme. Sie kannte sie sogar mehr als gut. Viel zu lange hatte sie sich von ihr drangsalieren lassen.
„Pendergast!“ zischte sie in ihr Mikro.
Dethman reichte es offenbar. Er packte sie hart am Arm und zerrte sie zurück zu den beiden Jumpern.
„Für Sie immer noch Colonel Pendergast oder Sir, Major“, sagte die Stimme mit einem sehr süffisanten Tonfall. „Ich muß Ihnen gratulieren, Major. Sie haben sogar mich überrascht. Aber Sie haben da jemanden vergessen, denken Sie nicht?“
Dethman stieß sie vor sich her die Rampe hoch.
Der Jumper war überfüllt, aber zumindest hatten sie irgendwie alle anderen hineinstopfen können.
Wie betäubt drängte Vashtu sich ins Cockpit und ließ sich auf dem Pilotensitz nieder. Sofort begannen die Triebwerke leise zu summen. Als sie den Kopf hob, zeigte der Detektor ihr das, was sie nicht sehen wollte.
Sie schloß die Augen einen Moment lang.
Sie hatte versagt!
„Lassen Sie jetzt doch jemanden zurück, Major?“ höhnte Pendergast in ihrem Ohr. „Was soll ich denn jetzt mit einem marodierenden Erethianer anstellen? Oder mit einem meuternden Major, der sich auf Ihre Seite gestellt hat? Oder möchten Sie lieber zuhören, wie ich Dr. Grodin erschießen lasse?“
Vashtu spannte die Kiefer an. Einen Moment lang war sie wirklich versucht, zurückzufliegen und auch noch die letzten Leute aus der Prometheus herauszuholen. Dann aber wurde ihr klar, daß das erst recht eine Falle war und sie stöhnte auf, voll innerer Qual.
„Was soll ich jetzt mit diesen drei Herren tun, Major? Was ...“
Vashtu riß sich das Funkgerät aus dem Ohr und warf es hart auf den Boden. Sie konnte nicht mehr mitanhören, wie Pendergast sie verhöhnte.

TBC ...

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