Anne betrat, gefolgt von Lieutenant
Markham, der ihr gerade Bericht erstattet hatte, den Kontrollraum und
begegnete Walshs fragendem Blick mit ernster Miene. „Haben Major
Uruhk und Dr. Babbis sich endlich zurückgemeldet?“ fragte sie.
Die Technikerin hob entschuldigend die
Schultern. „Bisher nicht“, antwortete sie.
Anne kniff einen Moment lang die Lippen
aufeinander, drehte sich dann zu dem jungen Lieutenant um. „Gehen
Sie bitte sofort zur Pyramide und machen Sie einen Puddlejumper
startklar. Ich melde mich“, befahl sie ihm.
Markham sah sie einen Moment lang
besorgt an, dann nickte er und verließ eilig den Raum.
Anne atmete tief ein. „Geben Sie mir
Major Uruhk, sofort!“ wandte sie sich dann an Walsh.
***
Pendergasts Blick hing an dem
Bildschirm.
Wo blieb die Antikerin? Warum kam sie
nicht endlich aus ihrem Versteck heraus und stürmte vor, wie er es
sich gedacht hatte? Warum tat sie nicht endlich, was er provozieren
wollte?
Statt dessen mußte er beobachten, wie
der letzte Punkt, der bis jetzt am Schott des Decks gestanden und
offensichtlich gewartet hatte, auch noch vom Bildschirm verschwand.
Fluchend richtete er sich auf. „Bates,
konnten Sie sehen, wohin dieses Alien gerade verschwunden ist?“
fragte er.
„Positiv“, kam umgehend die
Antwort.
„Dann holen Sie sie da endlich raus!
Ich kann nicht warten, bis diese Meuterer das Deck betreten.“
***
Vashtu machte der Erethianerin ein
Zeichen und zog ihre Beretta. Dann nahm sie Position an der Rampe und
wartete aufmerksam.
„Peter, schließen Sie den Jumper“,
zischte sie in ihr Funkgerät. Dann hörte sie das leise Summen,
diesmal jedoch ohne jeden Kommentar. Zumindest einmal gehorchte der
Wissenschaftler, ohne nachfragen zu müssen, das war doch schon
einmal ein Fortschritt.
Basbara hob die P-90 an die Wange.
Vashtu hob die Faust, die Beretta zu
Boden gerichtet.
Sie war sicher, gleich würde dieser
ominöse einsame Punkt auftauchen, der da so wunderbar in der
Mannschleuse aufgetaucht war, die sie bis jetzt nicht eines Blickes
gewürdigt hatte. Und sie würde diesen Punkt ausschalten, das war
sicher. Sie würde nicht mitansehen, wie die, die sie hier gerade zu
befreien versuchten, in ein Sperrfeuer gerieten, selbst wenn dieses
Sperrfeuer nur aus der Waffe einer Person stammte. Es konnte immer
noch mehr als genug Schaden anrichten, und das wußte sie.
Schritte!
Vashtu öffnete die Faust, hielt einen
Finger hoch.
Ein Mann, das war alles. Nur einer, wie
der Detektor es ihr bereits verraten hatte.
Ihr Funkgerät meldete sich.
Zischend und leise fluchend aktivierte
sie es. „Nicht jetzt“, wisperte sie so leise wie möglich.
Da!
Ein Schatten tauchte auf, von dem Licht
der Leuchtstoffröhren unsicher und vielfach auf den Boden geworfen,
doch er war da.
Vashtu hob die Waffe.
Wieder diese Schritte, die sich zögernd
näherten.
„Major Uruhk, was denken Sie sich!“
wetterte Anne Stross' Stimme plötzlich in ihrem Ohr.
Vashtu verzog unwillig das Gesicht,
versuchte sich zu konzentrieren.
„Ich habe Ihnen die sofortige
Rückkehr befohlen. Also bewegen Sie sich endlich!“
Vashtu spannte die Kiefer an. Die
Schritte hatten ausgesetzt.
War das Geschimpfe der Leiterin Vinetas
so laut gewesen?
Sich wieder auf die Lippe beißend vor
Anspannung aktivierte sie ihr Funkgerät. „Nicht jetzt, ich bin ...
beschäftigt“, zischte sie.
Die Schritte entfernten sich.
Vashtu fluchte leise, sicherte ihre
Waffe und nickte nach hinten. Dann aktivierte sie das Funkgerät
wieder.
***
„Im Moment ist es mehr als
ungünstig“, begehrte die Antikerin auf. „Danea kommt ja zurück.
Es dauert nur etwas länger.“
„Was denken Sie sich?“ zeterte Anne
wieder los. „Wollen Sie Pendergast so gern in den Rachen springen?“
„Wir brauchen noch ein paar Minuten,
dann kommen wir zurück. Der Rückweg der Erethianer war versperrt,
wir mußten erst einen anderen finden“, erklärte Vashtu mit kühler
Stimme. „Und dann hatten wir noch einen Heckschützen hier. Aber
den haben Sie wohl in die Flucht geschlagen.“
„Major!“ Annes Augen flammten auf.
„Sie werden eine Menge zu erklären haben, wenn Sie zurückkommen.
Ich hoffe, das ist Ihnen klar.“
„Das ist mir klar. Aber ich komme
nicht allein.“ Leiser Triumph schwang in ihrer Stimme mit. „Die
Eingeschlossenen sind mit Danea zusammen. Er ist bis in den Hangar
gekommen.“
Anne holte tief Atem. „Dann wird
Pendergast Sie erst recht jagen, Major. Ich hoffe, Ihnen ist das
klar.“
„Glasklar. Aber soll er nur kommen.
Ich habe sowieso noch ein Wörtchen mit ihm zu wechseln.“
In diesem Moment hörte Anne Schüsse
und die Antikerin fluchen.
„Peter, Schott schließen, sofort!“
„Major Uruhk! Was geht da vor?
Vashtu!“
Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, als
sie keine Antwort erhielt.
***
Die erste Gruppe hatte das Flugdeck
erreicht. Mit einem leisen Poltern schlug das Lüftungsgitter auf dem
Metallboden auf, das hatte Vashtu gehört. Aber an etwas anderes
hatte sie nicht mehr gedacht: den Schatten!
Schüsse hallten durch den Raum, ließen
sie herumwirbeln.
„Peter, Schott schließen, sofort!“
befahl sie mit harter Stimme, griff sich jetzt doch ihre P-90 und
trat auf die Rampe, blieb dabei aber noch im Feld, daß auch sie
unsichtbar machte. „Basbara!“ rief sie nach hinten.
Beinahe sofort war die Erethianerin an
ihrer Seite, und gemeinsam eröffneten sie das Sperrfeuer gegen den
Trupp, dem der Schatten offensichtlich das Schott geöffnet hatte.
Trotzdem hörte Vashtu von der anderen
Seite mehrere Schmerzensschreie, fühlte, wie diese sich in ihren
Geist eingraben wollten, ließ dies aber nicht zu.
Sie mußte zumindest retten, was zu
retten war.
Endlich schloß sich das Schott auf
Peters Befehl. Dann ertönten noch mehr Schüsse.
Vashtu hielt direkt auf einen Marine,
der im Schatten von einigen Kisten Schutz suchen wollte. In diesem
Moment hörte sie den Schrei einer bekannten Stimme. Ihr Kopf ruckte
herum und sie sah, wie eine schlanke Frau wie in Zeitlupe zu Boden
fiel. Eine Frau, die ihr allerdings bekannt war, denn sie hatte sie
mehrmals in ihrem Atlantis getroffen: Kate Heightmeyer!
Nein, dieses Wort rumorte in ihrem
Schädel. Nein! Das konnte doch nicht sein. Nicht die sowieso schon
unterbesetzte medizinische Abteilung. Nicht die wenigen Ärzte, die
sie nach Vineta hatte holen wollen. Nicht ausgerechnet Kate, die in
ihrer Dimension beinahe mit ihr befreundet war!
Blind feuerte sie weiter, hörte, wie
ihre Schüsse erwidert wurden.
Die Flüchtigen suchten Schutz, wo
immer sie auch konnten. Aber bis zu den beiden Jumpern kamen sie noch
nicht.
Nicht noch mehr Verluste! Sie konnten
sich nicht noch mehr Tote leisten. Nicht jetzt, nicht in dieser
Situation.
Vashtu ging der Wahnsinn auf, dem sie
verfallen war mit dieser Mission. Sie hatte mit dem Kopf durch die
Wand gewollt, wieder einmal. Und jetzt starben unschuldige Menschen,
weil sie sich in den Kopf gesetzt hatte, sie zu retten vor einem
größenwahnsinnigen Colonel in einem schwer beschädigten Schiff.
***
Danea kroch hinter Barnes her, der, für
sein Alter erstaunlich gelenkig war in seinen Augen. Das hätte er
ihm nicht zugetraut.
„Major Uruhk? Wohin jetzt? Major?“
Barnes hielt mitten im Gang an.
Danea und Frederics, der noch hinter
ihnen kroch, verhielten ebenfalls.
„Scheiße!“ entfuhr es Barnes.
„Zurück, schnell, zurück!“ befahl er dann, begann bereits,
rückwärts den Gang entlang zu kriechen.
„Was ist los?“ fragte Danea.
„Pendergast schickt uns Besuch
hierher“, kam die Antwort.
***
Der Colonel starrte auf den Bildschirm.
Seine Kiefer mahlten. Liebendgern wäre er in den Hangar marschiert
und hätte die Antikerin aus ihrer verdammten Kiste geholt, um sie
dann erst windelweich zu prügeln und dann, selbstverständlich gut
verschnürt und geknebelt, in den Wartungsraum zu sperren. Statt
dessen aber ...
Da!
„Bates, wo sind Sie?“
Pendergast triumphierte.
Da war sie. Sie war gerade aufgetaucht
aus ihrem verfluchten Puddlejumper. Wahrscheinlich hatte sie sich
nicht allzu weit entfernt, vielleicht stand sie sogar noch auf der
Rampe. Aber auf jeden Fall war sie sichtbar. Und diese Chance mußten
sie nutzen, sofort! Ehe sie wieder verschwinden konnte.
„Sir, ich bin auf dem Weg zurück,
wie Sie befohlen haben“, antwortete der Marine-Sergeant. „Trupp 3
ist in den Wartungsschacht eingedrungen. Sie melden ersten Kontakt.
Trupp 1 stürmt gerade den Hangar.“
Pendergasts Augen zuckten über den
Bildschirm. Und tatsächlich, da strömten gerade seine Meuterer in
den Raum, liefen ins Sperrfeuer seiner Männer und starben wie die
Fliegen. Darum war sein Vögelchen endlich aus dem Nest gekommen.
„Lieutenant Jeffrey, ich befehle
Ihnen, Major Uruhk sofort auszuschalten. Aber zielen Sie nicht auf
ihr Herz oder ihren Kopf. Holen Sie sie von diesem verdammten Jumper
weg, auf der Stelle!“ befahl er dem zuständigen Offizier, erntete
aber nichts als Rauschen in seinem Ohr.
Pendergast bekam große Augen, dann
fluchte er.
Seine Männer waren ausgeschaltet.
Dieses kleine Vögelchen hatte sich
also wieder einmal in einen Falken verwandelt. Aber er würde ihr die
Flügel schon noch stutzen.
„Bates, sofort zurück in den Hangar!
Sie ist draußen.“
***
Vashtu raste, so schnell sie konnte, zu
den überlebenden Eingeschlossenen hinüber. „Peter, Luke auf! Und
Speisen Sie diese verdammten Programme endlich ein. Wir haben keine
Zeit mehr!“ befahl sie, kam bei dem lang hingeschlagenen Körper
von Dr. Heightmeyer an und ließ sich auf ein Knie nieder. Doch als
sie nach dem Puls der Psychologin fühlen wollte, bemerkte sie, daß
hier jede Hilfe zu spät kam. Heightmeyer war tot.
Vashtu schluckte hart und kniff die
Lippen aufeinander. Dann richtete sie sich auf und drehte sich um.
„Soviele wie möglich in die Puddlejumper. Los!“ befahl sie den
anderen. Noch immer kletterten ein paar Leute aus dem
Lüftungsschacht, doch der Strom versiegte nur zu schnell.
Vashtu ging auf, wer offensichtlich
fehlte. Und das schnürte ihr erst recht die Kehle zu.
Danea, Grodin und Barnes waren nicht
gekommen!
***
Pendergast beobachtete, wie der Punkt
mit der ID-Kennung, die er wohl nie wieder vergessen würde, sich in
dem Hangar bewegte. Endlich war sie aus ihrem Versteck gekommen, und
er hatte niemanden in Reichweite, der sie ausschalten konnte.
Fluchend richtete er sich auf.
Hoffentlich war zumindest Bates noch
nicht allzu weit entfernt.
„Sir, das Schott ist geschlossen. Ich
komme nicht rein“, meldete dieser sich gerade in diesem Moment.
Pendergast starrte nun doch wieder auf
den Bildschirm, gerade als ein zweiter benummerter Punkt erschien.
Seine Augen weiteten sich vor Überraschung. Dann nickte er mit einem
kalten Lächeln.
„Kleveres Vögelchen, bringst sogar
noch Verstärkung mit, was?“ Er ballte die Hand zur Faust,
aktivierte sein Funkgerät.
„Walker? Wie steht es bei Ihnen?“
„Sir, wir haben sie“, kam die
Antwort.
Pendergast nickte befriedigt. „Und
wen haben Sie?“
„Major Barnes, Dr. Grodin und einen
dieser Aliens, Sir. Danea Il'Eskanar nennt er sich.“
***
Lieutenant Jason Frederics zog sich
vorsichtig tiefer in den engen Nebengang zurück, als er das starke
Licht einer Handlampe aufleuchten sah. Dann hörte er die Nachricht,
biß sich auf die Lippen und wartete.
Plötzlich waren sie eingeschlossen
gewesen. Ihm war es gerade noch geglückt, sich hierher
zurückzuziehen. Eigentlich hatte er auch noch den Erethianer retten
wollen, doch das war ihm nicht mehr geglückt, da war schon das Licht
aufgeflammt.
Jetzt saß er allein in den Schächten
der Prometheus, abgeschnitten von denen, die wieder gefangen genommen
worden waren und auch von denen, die es bis zum Flugdeck geschafft
hatten.
Was sollte er jetzt tun?
***
„Major, Sie bleiben hier!“ Major
Dethman stellte sich Vashtu in den Weg.
Die funkelte den dienstälteren wütend
an. „Ich lasse niemanden zurück. Und hier fehlen noch mehr als
genug.“
Der Marine schüttelte den Kopf, hob
den Arm und wies zu den, inzwischen enttarnten Jumpern hinüber.
„Wenn sie bis jetzt nicht hergekommen sind, kommen sie auch nicht
mehr nach, Major. Das sollte ihnen auch klar sein. Wir können im
Moment nichts mehr tun und sollten hier verschwinden. Barnes und
Frederics werden schon zusehen, daß sie nicht wieder eingesperrt
werden.“
„Das ...“
„Major Uruhk?“ sagte unvermittelt
eine Stimme in ihrem Ohr.
Vashtu erstarrte. Sie kannte diese
Stimme. Sie kannte sie sogar mehr als gut. Viel zu lange hatte sie
sich von ihr drangsalieren lassen.
„Pendergast!“ zischte sie in ihr
Mikro.
Dethman reichte es offenbar. Er packte
sie hart am Arm und zerrte sie zurück zu den beiden Jumpern.
„Für Sie immer noch Colonel
Pendergast oder Sir, Major“, sagte die Stimme mit einem sehr
süffisanten Tonfall. „Ich muß Ihnen gratulieren, Major. Sie haben
sogar mich überrascht. Aber Sie haben da jemanden vergessen, denken
Sie nicht?“
Dethman stieß sie vor sich her die
Rampe hoch.
Der Jumper war überfüllt, aber
zumindest hatten sie irgendwie alle anderen hineinstopfen können.
Wie betäubt drängte Vashtu sich ins
Cockpit und ließ sich auf dem Pilotensitz nieder. Sofort begannen
die Triebwerke leise zu summen. Als sie den Kopf hob, zeigte der
Detektor ihr das, was sie nicht sehen wollte.
Sie schloß die Augen einen Moment
lang.
Sie hatte versagt!
„Lassen Sie jetzt doch jemanden
zurück, Major?“ höhnte Pendergast in ihrem Ohr. „Was soll ich
denn jetzt mit einem marodierenden Erethianer anstellen? Oder mit
einem meuternden Major, der sich auf Ihre Seite gestellt hat? Oder
möchten Sie lieber zuhören, wie ich Dr. Grodin erschießen lasse?“
Vashtu spannte die Kiefer an. Einen
Moment lang war sie wirklich versucht, zurückzufliegen und auch noch
die letzten Leute aus der Prometheus herauszuholen. Dann aber wurde
ihr klar, daß das erst recht eine Falle war und sie stöhnte auf,
voll innerer Qual.
„Was soll ich jetzt mit diesen drei
Herren tun, Major? Was ...“
Vashtu riß sich das Funkgerät aus dem
Ohr und warf es hart auf den Boden. Sie konnte nicht mehr mitanhören,
wie Pendergast sie verhöhnte.
TBC ...
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