05.08.2012

Meuterei (Teil 1) III


„Uruhk hier. Was gibt es?“
Anne atmete tief ein. „Major, wo sind Sie?“ fragte sie dann so ruhig wie möglich.
Das überraschte Schweigen war ihr mehr als genug Antwort.
„Habe ich Ihnen nicht die klare Anweisung gegeben, sich so weit wie möglich von der Prometheus entfernt zu halten, Major? Ist das die Art, mit der ich noch öfter rechnen muß?“ warf sie der Antikerin vor.
„Ich lasse niemanden zurück. Wir holen nur unsere Leute hier heraus, ehe Pendergast ...“
„Sie sammeln auf der Stelle die ein, die Sie irgendwie für diese halsbrecherische Mission haben gewinnen können und kommen zurück. Haben Sie das verstanden?“ unterbrach Anne sie aufgebracht.
Was mußte sie eigentlich noch tun, um diese Frau von jedem Wahnsinn abzuhalten, der sie befallen mochte? Spürte sie denn wirklich nicht, daß sie geradewegs und offenen Auges in eine Falle lief? War ihr das dermaßen gleichgültig, weil sie auf ihr verändertes Genom vertraute?
Anne wußte es nicht, und sie fürchtete, sie würde es auch nie herausfinden. Pendergast würde schon dafür sorgen, davon war sie überzeugt.
„Ich habe verstanden, aber ich komme erst zurück, wenn wir die Leute hier heraus haben“, antwortete Vashtu mit kühler Stimme.
„Major!“ entfuhr es Anne entrüstet.
„Tut mir leid, ich lasse niemanden zurück“, fuhr die Antikerin fort. „Das habe ich Ihnen auch gesagt.“
„Und ich habe Ihnen gesagt, daß Sie sich selbst einen Strick drehen, wenn Sie dieses wahnwitzige Unternehmen durchziehen. Pendergast wartet doch nur darauf, daß Sie wieder in seine Reichweite kommen.“
„Er wird mich nicht erreichen. Er kann mich nicht orten. Die Jumper laufen über den Stadtschild“, entgegnete Vashtu.
„Die Jumper?“ Anne holte tief Atem, als ihr etwas aufging. „Sie haben Babbis mitgenommen!“
„Er ändert gerade einige Programme der Prometheus.“ Die Stimme der Antikerin klang sehr zufrieden mit sich selbst.
„Major!“
„Tut mir leid, Doc, aber ich werde nicht zusehen, wie die Prometheus mit dem Rest von unseren Leuten verschwindet. Ich kann das nicht, wenn ich weiß, ich kann etwas daran ändern. Soll Pendergast ruhig versuchen, mich aus der Reserve zu locken. Er weiß nicht, worauf er sich eingelassen hat.“ Wieder schwang in ihrer Stimme dieser Zorn mit, der Anne Magenschmerzen bereitete.
„Kommen Sie zurück, Major, so schnell, so vollständig und so unversehrt wie möglich. Aber wir werden noch darüber reden, darauf können Sie sich verlassen.“
Warum hatte sie nur das Gefühl, gerade ihre einzige Hoffnung auf die Zukunft ins Verderben entlassen zu haben?

***

„Verstecken wir uns ein bißchen, mein Lantianer-Vögelchen?“ fragte Pendergast den Bildschirm. Das allerdings hatte er nicht vorhergesehen. Und er konnte nichts weiter tun. Wenn er den Eindringlingen die Luft abschnitt, würde er auch das Schiff des Sauerstoffes berauben. Nicht, daß ihm das große Probleme bereitet hätte, aber allmählich schrumpfte seine Crew immer mehr zusammen, und er brauchte zumindest ein paar, die sich um das Schiff kümmern konnten. Außerdem ... wen sollte er denn in den engen Wartungsschacht schicken, ehe es begann zu stinken?
„Bates, sind Sie in Position?“ fragte er sein Funkgerät.
„In Position und bereit, Sir“, kam prompt die Antwort.
Irgendwann würde sie schon aus ihrem Fluggerät herauskommen. Und dann ... ein gezielter Schuß mit dem Betäubungsgewehr und das Problem hatte sich gelöst. Bei der Dosis würde es auf der Stelle einen Elefanten umhauen. Doch er wollte sicher gehen, daß seine Beute ihm nicht noch einmal entwischte. Sie mußte sofort kampfunfähig gemacht werden, oder zumindest so schnell wie möglich. Auf keinen Fall durfte sie die Prometheus wieder verlassen.
„Komm schon raus, mein Vögelchen. Du willst doch singen, oder? Warum wärst du denn sonst gekommen, mh?“

***

Danea kroch bis zu dem Gitter und hämmerte dann, nachdem er durch die Lamellen geblickt und einen Teil der Vermißten gesehen und erkannt hatte, dagegen.
„Was ... ? Wer ist da?“
Ein Gesicht tauchte auf der anderen Seite auf, undeutlich durch die verschiebbaren Metallverstrebungen. Doch Danea erkannte den jungen Marine-Lieutenant.
„Frederics! Major Uruhk und Dr. Babbis warten in einem der ... Hangars. Helfen Sie uns, schnell!“
Frederics bekam große Augen, dann nickte er eifrig. „Klar. Leute, wir haben Hilfe!“ rief er über die Schulter zurück.
Sofort tauchten andere Gesichter zwischen den Metallstreben auf und staunten Danea an wie ein seltenes Tier.
„Aufmachen. Los!“

***

„Wir sind im Hangar, Major“, meldete der Erethianer sich.
Vashtu atmete auf, rief sofort den entsprechenden Teil des Detektors groß auf den Bildschirm. „Peter, wir brauchen die Programmänderung so schnell wie möglich“, sagte sie in ihr Funkgerät, änderte die Frequenz, ehe ihr wieder eine Schimpftirade entgegenwettern konnte. Dennoch hörte sie den jungen Wissenschaftler gedämpft fluchen und grinste.
„Gut. Dann beginnt jetzt, die Leute durch den Gang zu schleusen. Wir warten. Der Code ist geändert und aktiviert. Basbara wird das Schott öffnen, sobald ihr hier seid. Macht schnell!“
Aufmerksam beobachtete sie die umliegenden Gänge der Prometheus, biß sich wieder auf die Lippen.
Irgendetwas stimmte da nicht. Selbst wenn Pendergast bis jetzt nicht aufgefallen sein sollte, daß da jemand in sein Schiff eingedrungen war, spätestens jetzt sollte er es erfahren haben. Aber an den Wachmannschaften, die die Umgebung des Hangars patrollierten, änderte sich nichts. Da war rein gar nichts.
Vashtu weigerte sich einen Moment lang, den Gedanken, der ihr unwillkürlich gekommen war, zu Ende zu denken oder überhaupt wahrzunehmen. Dann aber fühlte sie sich doch befleißigt, dies zu tun, als sie den restlichen Rückweg des Rettungstrupps kontrollierte.
Das war eine Falle!

***

„Kehrt nicht über den gleichen Weg zurück, Danea. Ich leite euch“, meldete die Schöpferin sich in seinem Ohr.
Danea, der gerade den letzten des ersten Trupps in den engen Gang half, richtete sich unwillkürlich auf. „Was meinen Sie?“ fragte er ungläubig.
„Das ist eine Falle. Danea, ihr dürft nicht auf dem gleichen Weg zurückkehren. Ihr müßt weiter durch den Wartungsgang bis zu einer anderen Ebene. Ich führe euch dann zum Hangar zurück“, wiederholte die Stimme in seinem Ohr.
Er wechselte einen Blick mit dem Air Force-Major, der die einzelnen Trupps einteilte, Barnes. „Was ist los?“ fragte der.
„Major Uruhk denkt, da gibt es eine Falle“, antwortete Danea mit leicht unsicherer Stimme.
Barnes strecke die Hand aus. „Geben Sie mir das Funkgerät.“
Der Erethianer zögerte, dann nahm er sich das winzige Gerät aus dem Ohr und reichte es weiter.
Der Offizier befestigte das Funkgerät geschickt. „Major? Was genau gibt es?“ fragte er dann mit harter Stimme.

***

Pendergast wartete mit angespannter Miene.
Sie müßte endlich aus ihrem Fluggerät stürzen. Sie mußte einfach bemerkt haben, daß sie ihre Leute hatte in eine Falle laufen lassen, sie mußte! So dämlich konnte sie nicht sein nach allem, was sie sich bisher geleistet hatte.
Aber die Antikerin blieb weiter unsichtbar für die Sensoren und auch für den bereitstehenden Bates.
Was ging da vor?

***

Vashtu war mehr als froh, die vertraute Stimme des älteren Air Force-Offiziers zu hören. Barnes verfügte über wesentlich mehr Erfahrung als sie, wenn es darum ging, irgendwelche Truppen zu befehligen. Sie war gut darin, allein loszuziehen, und das wußte sie auch sehr genau. Sie lernte zwar, aber das hier war etwas ganz anderes als eine Lehrstunde. Wenn sie versagte, würde das mehr als genug Menschen vielleicht sogar das Leben kosten. Und mit dieser Schuld würde sie nicht leben können.
„Es tauchen immer mehr Patrouillen um euch herum auf. Ich kann sie zwar mit dem Detektor verfolgen, aber mehr auch nicht“, antwortete sie. „Ihr könnt sie umgehen, bis auf die, die direkt im Gang wartet. Pendergast scheint inzwischen doch herausgefunden zu haben, daß jemand hier ist.“
„Das weiß er, seit Sie hier gelandet sind, Major“, entgegnete Barnes. „Spätestens als die Erethianer aus Ihrem Jumper gekommen sind. Pendergast ist nicht dumm. Er läßt alle Zugänge zu seinem Schiff bewachen.“
Vashtu holte scharf Atem.
Warum hatte sie nicht damit gerechnet? Warum war sie so blauäugig gewesen? Sie hatte Danea und die anderen in eine Falle geschickt, aus der sie nicht wieder herauskommen würden, half sie ihnen nicht.
Vashtu erhob sich vom Pilotensitz. „Ich helfe euch“, sagte sie mit entschlossener Stimme. „Basbara und ich kommen euch entgegen.“

***

Barnes nickte Frederics zu, der daraufhin in den Schacht kletterte und behende auf allen Vieren davonkroch.
„Das lassen Sie schön bleiben, Major“, entgegnete er bestimmt. „Sie beobachten genau weiter die Truppenverteilung und leiten uns ... Sind wir im Gang erreichbar?“
„Nein“, kam umgehend die Antwort. „Aber ...“
„Dann können wir Pendergasts Truppe vielleicht doch umgehen. Gibt es von diesem Schacht aus eine Verbindung mit dem Lüftungsschächten zum Flugdeck?“

***

Vashtu blieb unschlüssig am oberen Rand der Rampe stehen und nagte an ihrer Unterlippe.
Basbara, die Erethianerin, die am Schott Wache hielt, hatte sich umgedreht und sah forschend in ihre Richtung. Sie mußte ihre Schritte gehört haben, wenn sie sie auch nicht sehen konnte.
„Gibt es eine Verbindung, Major?“ wiederholte Barnes seine letzte Frage.
Vashtu starrte die Erethianerin an, als könne diese ihr die gewünschte Antwort geben. Unschlüssig stand sie noch immer an der Rampe, einen Arm in Richtung ihrer P-90 ausgestreckt.
„Gibt es eine Verbindung?“ Barnes klang ungeduldig.
Vashtu drehte sich um und ging zurück ins Cockpit. Dort schnappte sie sich das Pad mit den Daten der Prometheus und rief das entsprechende Programm auf.

***

„Ich glaube, sie kommt gleich. Diese Alien-Frau hat sich gerade umgedreht“, meldete Bates.
Pendergasts Lächeln wurde zu einem sehr zufriedenen Grinsen.
Natürlich kam sein Vögelchen, um sein Liedchen für ihn zu singen und sich zähmen zu lassen. Was sollte sie denn auch sonst tun? Ihre Leute waren in der Zange, sie mußte ihnen zu Hilfe kommen, sonst würde er nur noch mehr Gefangene haben. Mehr Geiseln, die er gegen sie einsetzen konnte. Und das wollte sie natürlich verhindern.
„Nun komm schon raus aus deinem Versteck“, wisperte er dem Bildschirm zu.

***

„Das ist ein ziemlicher Umweg“, sagte Vashtu mit verzweifelt gerunzelter Stirn. Es juckte sie immer mehr, den sicheren Jumper zu verlassen und ihren Leuten zu Hilfe zu kommen. Noch hielten Barnes' Fragen sie davon ab, einen Fehler zu machen, und sie wußte es. Aber was, wenn sie den Kontakt mit ihm verlor?
Vashtu konzentrierte sich auf den Bildschirm auf ihrem Schoß, beugte sich darüber. „Aber es müßte gelingen.“
„Gut, dann nehmen wir den längeren Weg“, entschied Barnes. „In regelmäßigen Abständen melden wir uns bei Ihnen ... Ist der Weg frei?“
Vashtus Kopf ruckte hoch, und da sah sie es.
Ungläubig starrte sie auf das Hologramm.
Wie hatte ihr dieser Punkt bisher entgehen können? Wie hatte sie ihn übersehen können?
„Ist der Weg frei?“ wiederholte Barnes.
Vashtu kniff die Lippen aufeinander, dann nickte sie. „Ja, er ist frei.“ Ihre Stimme klirrte wie Eis.

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