„Uruhk hier. Was gibt es?“
Anne atmete tief ein. „Major, wo sind
Sie?“ fragte sie dann so ruhig wie möglich.
Das überraschte Schweigen war ihr mehr
als genug Antwort.
„Habe ich Ihnen nicht die klare
Anweisung gegeben, sich so weit wie möglich von der Prometheus
entfernt zu halten, Major? Ist das die Art, mit der ich noch öfter
rechnen muß?“ warf sie der Antikerin vor.
„Ich lasse niemanden zurück. Wir
holen nur unsere Leute hier heraus, ehe Pendergast ...“
„Sie sammeln auf der Stelle die ein,
die Sie irgendwie für diese halsbrecherische Mission haben gewinnen
können und kommen zurück. Haben Sie das verstanden?“ unterbrach
Anne sie aufgebracht.
Was mußte sie eigentlich noch tun, um
diese Frau von jedem Wahnsinn abzuhalten, der sie befallen mochte?
Spürte sie denn wirklich nicht, daß sie geradewegs und offenen
Auges in eine Falle lief? War ihr das dermaßen gleichgültig, weil
sie auf ihr verändertes Genom vertraute?
Anne wußte es nicht, und sie
fürchtete, sie würde es auch nie herausfinden. Pendergast würde
schon dafür sorgen, davon war sie überzeugt.
„Ich habe verstanden, aber ich komme
erst zurück, wenn wir die Leute hier heraus haben“, antwortete
Vashtu mit kühler Stimme.
„Major!“ entfuhr es Anne entrüstet.
„Tut mir leid, ich lasse niemanden
zurück“, fuhr die Antikerin fort. „Das habe ich Ihnen auch
gesagt.“
„Und ich habe Ihnen gesagt, daß Sie
sich selbst einen Strick drehen, wenn Sie dieses wahnwitzige
Unternehmen durchziehen. Pendergast wartet doch nur darauf, daß Sie
wieder in seine Reichweite kommen.“
„Er wird mich nicht erreichen. Er
kann mich nicht orten. Die Jumper laufen über den Stadtschild“,
entgegnete Vashtu.
„Die Jumper?“ Anne holte tief Atem,
als ihr etwas aufging. „Sie haben Babbis mitgenommen!“
„Er ändert gerade einige Programme
der Prometheus.“ Die Stimme der Antikerin klang sehr zufrieden mit
sich selbst.
„Major!“
„Tut mir leid, Doc, aber ich werde
nicht zusehen, wie die Prometheus mit dem Rest von unseren Leuten
verschwindet. Ich kann das nicht, wenn ich weiß, ich kann etwas
daran ändern. Soll Pendergast ruhig versuchen, mich aus der Reserve
zu locken. Er weiß nicht, worauf er sich eingelassen hat.“ Wieder
schwang in ihrer Stimme dieser Zorn mit, der Anne Magenschmerzen
bereitete.
„Kommen Sie zurück, Major, so
schnell, so vollständig und so unversehrt wie möglich. Aber wir
werden noch darüber reden, darauf können Sie sich verlassen.“
Warum hatte sie nur das Gefühl, gerade
ihre einzige Hoffnung auf die Zukunft ins Verderben entlassen zu
haben?
***
„Verstecken wir uns ein bißchen,
mein Lantianer-Vögelchen?“ fragte Pendergast den Bildschirm. Das
allerdings hatte er nicht vorhergesehen. Und er konnte nichts weiter
tun. Wenn er den Eindringlingen die Luft abschnitt, würde er auch
das Schiff des Sauerstoffes berauben. Nicht, daß ihm das große
Probleme bereitet hätte, aber allmählich schrumpfte seine Crew
immer mehr zusammen, und er brauchte zumindest ein paar, die sich um
das Schiff kümmern konnten. Außerdem ... wen sollte er denn in den
engen Wartungsschacht schicken, ehe es begann zu stinken?
„Bates, sind Sie in Position?“
fragte er sein Funkgerät.
„In Position und bereit, Sir“, kam
prompt die Antwort.
Irgendwann würde sie schon aus ihrem
Fluggerät herauskommen. Und dann ... ein gezielter Schuß mit dem
Betäubungsgewehr und das Problem hatte sich gelöst. Bei der Dosis
würde es auf der Stelle einen Elefanten umhauen. Doch er wollte
sicher gehen, daß seine Beute ihm nicht noch einmal entwischte. Sie
mußte sofort kampfunfähig gemacht werden, oder zumindest so schnell
wie möglich. Auf keinen Fall durfte sie die Prometheus wieder
verlassen.
„Komm schon raus, mein Vögelchen. Du
willst doch singen, oder? Warum wärst du denn sonst gekommen, mh?“
***
Danea kroch bis zu dem Gitter und
hämmerte dann, nachdem er durch die Lamellen geblickt und einen Teil
der Vermißten gesehen und erkannt hatte, dagegen.
„Was ... ? Wer ist da?“
Ein Gesicht tauchte auf der anderen
Seite auf, undeutlich durch die verschiebbaren Metallverstrebungen.
Doch Danea erkannte den jungen Marine-Lieutenant.
„Frederics! Major Uruhk und Dr.
Babbis warten in einem der ... Hangars. Helfen Sie uns, schnell!“
Frederics bekam große Augen, dann
nickte er eifrig. „Klar. Leute, wir haben Hilfe!“ rief er über
die Schulter zurück.
Sofort tauchten andere Gesichter
zwischen den Metallstreben auf und staunten Danea an wie ein seltenes
Tier.
„Aufmachen. Los!“
***
„Wir sind im Hangar, Major“,
meldete der Erethianer sich.
Vashtu atmete auf, rief sofort den
entsprechenden Teil des Detektors groß auf den Bildschirm. „Peter,
wir brauchen die Programmänderung so schnell wie möglich“, sagte
sie in ihr Funkgerät, änderte die Frequenz, ehe ihr wieder eine
Schimpftirade entgegenwettern konnte. Dennoch hörte sie den jungen
Wissenschaftler gedämpft fluchen und grinste.
„Gut. Dann beginnt jetzt, die Leute
durch den Gang zu schleusen. Wir warten. Der Code ist geändert und
aktiviert. Basbara wird das Schott öffnen, sobald ihr hier seid.
Macht schnell!“
Aufmerksam beobachtete sie die
umliegenden Gänge der Prometheus, biß sich wieder auf die Lippen.
Irgendetwas stimmte da nicht. Selbst
wenn Pendergast bis jetzt nicht aufgefallen sein sollte, daß da
jemand in sein Schiff eingedrungen war, spätestens jetzt sollte er
es erfahren haben. Aber an den Wachmannschaften, die die Umgebung des
Hangars patrollierten, änderte sich nichts. Da war rein gar nichts.
Vashtu weigerte sich einen Moment lang,
den Gedanken, der ihr unwillkürlich gekommen war, zu Ende zu denken
oder überhaupt wahrzunehmen. Dann aber fühlte sie sich doch
befleißigt, dies zu tun, als sie den restlichen Rückweg des
Rettungstrupps kontrollierte.
Das war eine Falle!
***
„Kehrt nicht über den gleichen Weg
zurück, Danea. Ich leite euch“, meldete die Schöpferin sich in
seinem Ohr.
Danea, der gerade den letzten des
ersten Trupps in den engen Gang half, richtete sich unwillkürlich
auf. „Was meinen Sie?“ fragte er ungläubig.
„Das ist eine Falle. Danea, ihr dürft
nicht auf dem gleichen Weg zurückkehren. Ihr müßt weiter durch den
Wartungsgang bis zu einer anderen Ebene. Ich führe euch dann zum
Hangar zurück“, wiederholte die Stimme in seinem Ohr.
Er wechselte einen Blick mit dem Air
Force-Major, der die einzelnen Trupps einteilte, Barnes. „Was ist
los?“ fragte der.
„Major Uruhk denkt, da gibt es eine
Falle“, antwortete Danea mit leicht unsicherer Stimme.
Barnes strecke die Hand aus. „Geben
Sie mir das Funkgerät.“
Der Erethianer zögerte, dann nahm er
sich das winzige Gerät aus dem Ohr und reichte es weiter.
Der Offizier befestigte das Funkgerät
geschickt. „Major? Was genau gibt es?“ fragte er dann mit harter
Stimme.
***
Pendergast wartete mit angespannter
Miene.
Sie müßte endlich aus ihrem Fluggerät
stürzen. Sie mußte einfach bemerkt haben, daß sie ihre Leute hatte
in eine Falle laufen lassen, sie mußte! So dämlich konnte sie nicht
sein nach allem, was sie sich bisher geleistet hatte.
Aber die Antikerin blieb weiter
unsichtbar für die Sensoren und auch für den bereitstehenden Bates.
Was ging da vor?
***
Vashtu war mehr als froh, die vertraute
Stimme des älteren Air Force-Offiziers zu hören. Barnes verfügte
über wesentlich mehr Erfahrung als sie, wenn es darum ging,
irgendwelche Truppen zu befehligen. Sie war gut darin, allein
loszuziehen, und das wußte sie auch sehr genau. Sie lernte zwar,
aber das hier war etwas ganz anderes als eine Lehrstunde. Wenn sie
versagte, würde das mehr als genug Menschen vielleicht sogar das
Leben kosten. Und mit dieser Schuld würde sie nicht leben können.
„Es tauchen immer mehr Patrouillen
um euch herum auf. Ich kann sie zwar mit dem Detektor verfolgen, aber
mehr auch nicht“, antwortete sie. „Ihr könnt sie umgehen, bis
auf die, die direkt im Gang wartet. Pendergast scheint inzwischen
doch herausgefunden zu haben, daß jemand hier ist.“
„Das weiß er, seit Sie hier
gelandet sind, Major“, entgegnete Barnes. „Spätestens als die
Erethianer aus Ihrem Jumper gekommen sind. Pendergast ist nicht dumm.
Er läßt alle Zugänge zu seinem Schiff bewachen.“
Vashtu holte scharf Atem.
Warum hatte sie nicht damit gerechnet?
Warum war sie so blauäugig gewesen? Sie hatte Danea und die anderen
in eine Falle geschickt, aus der sie nicht wieder herauskommen
würden, half sie ihnen nicht.
Vashtu erhob sich vom Pilotensitz. „Ich
helfe euch“, sagte sie mit entschlossener Stimme. „Basbara und
ich kommen euch entgegen.“
***
Barnes nickte Frederics zu, der
daraufhin in den Schacht kletterte und behende auf allen Vieren
davonkroch.
„Das lassen Sie schön bleiben,
Major“, entgegnete er bestimmt. „Sie beobachten genau weiter die
Truppenverteilung und leiten uns ... Sind wir im Gang erreichbar?“
„Nein“, kam umgehend die Antwort.
„Aber ...“
„Dann können wir Pendergasts Truppe
vielleicht doch umgehen. Gibt es von diesem Schacht aus eine
Verbindung mit dem Lüftungsschächten zum Flugdeck?“
***
Vashtu blieb unschlüssig am oberen
Rand der Rampe stehen und nagte an ihrer Unterlippe.
Basbara, die Erethianerin, die am
Schott Wache hielt, hatte sich umgedreht und sah forschend in ihre
Richtung. Sie mußte ihre Schritte gehört haben, wenn sie sie auch
nicht sehen konnte.
„Gibt es eine Verbindung, Major?“
wiederholte Barnes seine letzte Frage.
Vashtu starrte die Erethianerin an, als
könne diese ihr die gewünschte Antwort geben. Unschlüssig stand
sie noch immer an der Rampe, einen Arm in Richtung ihrer P-90
ausgestreckt.
„Gibt es eine Verbindung?“ Barnes
klang ungeduldig.
Vashtu drehte sich um und ging zurück
ins Cockpit. Dort schnappte sie sich das Pad mit den Daten der
Prometheus und rief das entsprechende Programm auf.
***
„Ich glaube, sie kommt gleich. Diese
Alien-Frau hat sich gerade umgedreht“, meldete Bates.
Pendergasts Lächeln wurde zu einem
sehr zufriedenen Grinsen.
Natürlich kam sein Vögelchen, um sein
Liedchen für ihn zu singen und sich zähmen zu lassen. Was sollte
sie denn auch sonst tun? Ihre Leute waren in der Zange, sie mußte
ihnen zu Hilfe kommen, sonst würde er nur noch mehr Gefangene haben.
Mehr Geiseln, die er gegen sie einsetzen konnte. Und das wollte sie
natürlich verhindern.
„Nun komm schon raus aus deinem
Versteck“, wisperte er dem Bildschirm zu.
***
„Das ist ein ziemlicher Umweg“,
sagte Vashtu mit verzweifelt gerunzelter Stirn. Es juckte sie immer
mehr, den sicheren Jumper zu verlassen und ihren Leuten zu Hilfe zu
kommen. Noch hielten Barnes' Fragen sie davon ab, einen Fehler zu
machen, und sie wußte es. Aber was, wenn sie den Kontakt mit ihm
verlor?
Vashtu konzentrierte sich auf den
Bildschirm auf ihrem Schoß, beugte sich darüber. „Aber es müßte
gelingen.“
„Gut, dann nehmen wir den längeren
Weg“, entschied Barnes. „In regelmäßigen Abständen melden wir
uns bei Ihnen ... Ist der Weg frei?“
Vashtus Kopf ruckte hoch, und da sah
sie es.
Ungläubig starrte sie auf das
Hologramm.
Wie hatte ihr dieser Punkt bisher
entgehen können? Wie hatte sie ihn übersehen können?
„Ist der Weg frei?“ wiederholte
Barnes.
Vashtu kniff die Lippen aufeinander,
dann nickte sie. „Ja, er ist frei.“ Ihre Stimme klirrte wie Eis.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen