Las Vegas, Police-Department:
Sara Sidle, Warrick Brown und Jim Brass waren währendessen der anderen Spur nachgegangen, über die Grissom gestolpert war. Anhand der endlich geknackten Handy-Nummer hatte das CSI einen Besitzer des Gerätes feststellen können, einen gewissen Anthony Brixton.
Als Sara auf Grissoms Geheiß die Listen der Hysterie-Opfer durchgesehen hatte, war sie recht schnell auf diesen Anthony Brixton gestoßen. Von ihm zu seinem Kumpel Josh Gardner, seineszeichens der Quarterback des Highschool-Football-Teams, war es nur ein kleiner Schritt, nachdem sie Brixton im Krankenhaus besuchten. Nicht nur, daß beide zusammen auf einem Zimmer lagen, Brixtons Zwillingsschwester war die Freundin Gardners und Anführerin der Cherleader, wodurch auch die Verbindung der beiden Jungen hergestellt war. Denn, davon waren sowohl Sara als auch Warrick überzeugt, in normalen Leben hätten die beiden niemals gemeinsame Sache gemacht.
Brixton war schmächtig und hochaufgeschossen, Brillenträger und auch sonst das typische Beispiel eines Geeks. Gardner dagegen war durchtrainiert, sah für einen Teenager recht gut aus und wußte auch um seine Wirkung zumindest bei heranwachsenden Mädchen.
„Klischee soweit das Auge reicht", war Saras Kommentar nach dem ersten Besuch bei den beiden gewesen.
Brass hatte veranlaßt, daß die Jungen direkt vom Krankenhaus ins Department gebracht wurden, nachdem sie herausgefunden hatten, daß, da die Symptome vollständig verschwunden waren, die Betroffenen wieder entlassen werden sollten bis auf einige sehr wenige Fälle, in denen es zu körperlichen Verletzungen gekommen war.
Also saßen die beiden Jungen jetzt getrennt in zwei Verhörräumen, konnten sich nicht weiter absprechen, sofern sie das vorher getan hatten, und schmorten im eigenen Saft, während Warrick, Sara und Brass die beiden durch das blickdichte Glas beobachteten.
Beide Jungen waren sichtlich nervös, Gardner wußte offensichtlich nicht wohin mit seinen Händen und wippte unregelmäßig mit dem Fuß, während Brixton sich ständig den Stuhl zurechtschob, die Brille von der Nase nahm, Muster auf den Tisch malte und ähnliche Übersprungshandlungen zeigte.
Den Ermittlern waren allerdings in der Tat im Moment die Hände gebunden, da sie die Erziehungsberechtigten der beiden noch nicht hatten erreichen können. Da beide noch minderjährig waren, durften sie die Jungen nicht eher befragen, bis diese entweder durch einen Rechtsbeistand oder ein Elternteil vertreten wurden, es sei denn, und darauf hoffte Sara, man würde zustimmen und ihnen freie Hand lassen.
So oder so, mehr als einige Wochenenden freiwilliger gemeinnütziger Arbeit würden bei Brixton nicht herausspringen, während Gardner vielleicht sogar ganz freikommen würde. Sie hatten nur das mehr als kurze Gespräch bei der Notrufzentrale und konnten Brixton, so denn eine Stimmanalyse feststellen würde, daß er angerufen hatte, unterlassene Hilfeleistung anhängen. Gardner hatte bisher noch Glück, denn für seine Anwesenheit hatten sie bisher noch keinen handfesten Beweis. Nick Stokes war im Moment damit beschäftigt, die Schuhe der Jungen mit den Abdrücken zu vergleichen, die sie auf dem Grundstück der Minneons gefunden hatten.
„Ich hasse dieses ständige Warten!" Sara kreuzte die Arme vor der Brust mit einer Miene, als hätte sie gerade eine Zitrone verspeist. „Es ist doch sowieso klar, wie es ablaufen wird: Die Eltern werden sich entweder sperren oder gleich ihren Anwalt herschicken. Einer der beiden wird zum Sündenbock gestempelt und der andere kann als unbescholtener Jungbürger gehen. Ob sie das ganze zusammen ausgeheckt haben oder nicht ist nicht wichtig."
„Sei nicht so düster." Warrick klang freundlich, wenn auch er gerade ebenso dunklen Gedanken wie Sara nachhing. „Vielleicht haben wir ja auch einmal Glück."
„Ja, aber sicher!" Die Tatortermittlerin schnaufte und wechselte das Standbein. „Wenn die beiden irgendetwas mit dem Tod der Minneons zu tun haben, werden wir ihnen das nie nachweisen können. Zumindest solange nicht, wie das Militär sich bedeckt hält. Keine Ahnung, warum die Air Force dermaßen mauert, wo sie doch so freundlich war, und uns sogar drei Experten schickte." Ihre Stimme trof geradezu vor Sarkasmus.
Jim Brass amüsierte sich im stillen. Er kannte Sidle und wußte, das hier war ihre Art, ihren Unmut über gewisse Mißstände, wie sie glaubte, auszudrücken. Sicher war es ärgerlich für sie, daß sie bei der Vernehmung Minderjähriger immer auf einen Erziehungsberechtigten warten mußten, andererseits aber würde Sara wahrscheinlich ebenso Sturm laufen, wenn die Jungs als Entlastungszeugen gehört werden sollten und das Gesetz anders lauten würde. Gerechtigkeit war eben Auslegungssache - zumindest in einigen Fällen.
„Hey, Leute!" Nick Stokes kam den Gang hinunter und grinste ihnen schon breit entgegen. „Wir können nachweisen, daß beide auf dem Grundstück der Minneons gewesen sind. Beide Paar Schuhe stimmen mit den gefundenen Abdrücken überein. Dumm, wenn man als Heranwachsender nur ein Paar bevorzugt."
„Na, das ist doch was!" Sara richtete sich wieder auf, in ihrem Gesicht war deutlich Jagdeifer zu lesen.
„Wir haben noch kein Okay der Eltern", fuhr Stokes fort und schüttelte den Kopf. „Und da wir keine direkte Tatbeteiligung nachweisen können ... Bisher ist es widerrechtliches Betreten, da es keine Hinweise auf gewaltsames Betreten gibt. Die Schuhabdrücke haben wir sowieso nur im Garten und der Garage gefunden."
„Das ist nicht fair!" erregte Sidle sich, erntete eine Reihe amüsierter Blicke ihrer Kollegen.
Aber, das wußte auch sie, sie mußten sich an den Wortlaut des Gesetzes halten, ansonsten würden die Beweise, die sie sammelten, im Falle einer Anklage für unzulässig erklärt werden.
„Wo bleiben Grissom und Catherine?" fragte Warrick.
„Die wollten noch einmal mit den 'Experten' der Air Force reden - vor allem mit dieser Dr. Uruhk. Grissom hat da wohl etwas über sie herausgefunden, nachdem die Luftwaffe ihm ihre Akte geschickt hat", antwortete Nick.
„Dann werden wir jetzt wohl warten müssen ..."
Der härteste Job, wie sie alle befanden, den man bei der Polizei überhaupt verrichten konnte: Warten!
***
AREA 51, McKays Labor:
„Okay, nachdem wir ja alle den ganzen Tag fleißig waren, haben wir sicher auch alle Ergebnisse. Und genau jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir diese Ergebnisse austauschen können, damit ich sie an Landry weiterleiten kann." Mitchell blickte auffordernd von einem zum anderen.
Vashtu hockte brütend auf einem Schemel neben dem vollgepackten Schreibtisch des ehemaligen Atlantis-Chef-Wissenschaftlers, und verzog unwillig das Gesicht, als Mitchells Augen einen Moment auf ihr ruhten.
Was sollte sie sagen? Daß sie immer noch genauso schlau war wie am Vormittag? Daß die Sektion des Käfers keine wirklichen Erkenntnisse für ihr Problem gebracht hatte? Oh ja, sie konnte sich die Jubelrufe Mitchells schon sehr genau vorstellen.
Auch John und Rodney schienen alles andere als begeistert davon, daß sie jetzt Rapport halten sollten. Die beiden tauschten einen langen Blick, dann wandte der Colonel sich schulterzuckend ab.
„Oh, klasse, wie wir alle 'hier!' schreien", bemerkte Mitchell, nachdem sie brütende Stille ausgebreitet hatte über das Labor. „Aber jetzt im Ernst. McKay, noch irgendetwas herausgekommen beim Durchforsten der Datenbank?"
„Wir kommen nicht weiter damit", wandte John ein, nachdem Rodneys Gesicht rot angelaufen war. Offensichtlich harkte mal wieder etwas mit den angeschlossenen Geräten.
Vashtu seufzte. Das Equipment, über das McKay hier gebot, war nicht schlecht, allerdings nur bedingt kompatibel mit der Technik, wie sie ihr Volk auf Atlantis gebraucht hatte. Die meisten Hinterlassenschaften, die aus der Milchstraße stammten, waren um einiges älter als die relativ neu bestückte Hauptstadt ihres Volkes. Da paßten dummerweise nicht immer die Anschlüsse, wie sie zu ihrem Leidwesen ja schon mit der Schnittstellen-Speicher hatte herausfinden müssen, mit dem sie gestern gearbeitet hatte.
„Ach, wieso denn das nicht?" Mitchell schien ehrlich überrascht.
„Weil das hier alles Stückwerk ist, was wir machen. Wenn man mir mehr Zeit lassen würde ..."
„Rodney, Sie wissen genau, daß Sie am besten unter Zeitdruck arbeiten!"
„Sie könnten sich allerdings auch ein bißchen mehr anstrengen, Sheppard!"
„Diese Dinger senden zuviel aus, wie wir seit O'Neills Versuchen wissen. Ich lasse mir mein Gehirn nicht grillen!"
„Bei Ihrer kleinen Freundin klappt es doch auch."
„Ich bin eine Antikerin, Rodney", wandte Vashtu ein und bremste damit den beginnenden Wortwechsel aus, ehe er ausarten konnte. Allerdings erntete sie dafür dann auch die ungeteilte Aufmerksamkeit von Mitchell.
„Wie siehts bei Ihnen und Ihrem neuen Freund aus?" erkundigte der SG-1-Leader sich.
Vashtu sank augenblicklich auf ihrem Schemel wieder zusammen und seufzte. „Coop sitzt noch am Bericht", antwortete sie schließlich zögernd, hob dann die Schultern. „Allerdings sind wir, was den Kokon angeht, nicht schlauer als heute morgen. Der Iratus hatte das falsche Geschlecht."
Johns Augen wurden groß. „Die Viecher sind tatsächlich geschlechtlich?" entfuhr es ihm perplex.
Vashtu nickte. „Sind sie, und damit haben wir ein Paar. Das Männchen ist tot, das Weibchen sitzt immer noch im CSI-Labor. Wir können nur hoffen, daß Iratus nicht schon die neue Brut in sich tragen, während die alte im Kokon reift, sonst haben wir ein recht großes Problem."
Mitchell hob die Hände. „Sie sagten doch, das Vieh sei ein Männchen. Dann ist die Gefahr doch gebannt, oder nicht? Es ging doch um diesen Eibatzen, den die Weibchen bewachen. Wenn der Iratus ein Männchen war, dann ist doch alles klar."
Vashtu schüttelte den Kopf. „Leider nicht. Cooper und ich können nur schätzen, weil ich selbst noch an die Datenbank muß, um das zu überprüfen, aber wir denken, es handelt sich um so eine Art Auswanderer aus einem oder zwei Nestern. Die beiden haben sich zusammengeschlossen, um eine neue Iratus-Kolonie zu gründen."
„Wollen wir hoffen, daß nicht auf der Erde ..." seufzte John, doch seiner Miene war anzusehen, daß er selbst wußte, wie fromm sein Wunsch war.
„Was ist mit dem dritten Iratus?" erkundigte McKay sich unversehens.
Vashtu nickte. „Von dem hat das CSI leider nur zermanschte Überreste. Aber anhand des Materials, das dieser Grissom mir gezeigt hat, wage ich die Prognose, daß es sich um ein Jungtier gehandelt hat und dieses noch nicht ausgewachsen war. Wahrscheinlich ist der Kleine auf den Hund der Familie losgegangen, Mummy und Daddy dagegen schnappten sich Mutter und Sohn."
„Klingt einleuchtend." John nickte.
„Bringt uns aber nicht weiter in Hinsicht auf den Kokon!" Vashtu schüttelte wieder den Kopf. „Ich habe aber auch nicht die blaßeste Ahnung, wo der geblieben sein könnte. Ich weiß nur, es muß ihn geben."
„Können Cooper oder Sie sagen, wann wir mit dem Schlüpfen rechnen müssen?" fragte Mitchell.
Wieder schüttelte sie mit einer Grimasse den Kopf. „Nicht wirklich. Wir können nur vermuten, daß die Brutzeit sich verkürzen könnte aufgrund der hier herrschenden Temperaturen. Mehr aber auch nicht. Wie gesagt, ich hoffe, ich finde noch etwas in der Datenbank."
„Miss Uruhk, das ist verdammt wenig für den Aufwand, den Sie getrieben haben!" Mitchell klang ungeduldig. „Im Moment sehe ich nicht einmal den Beweis für Ihren Kokon. Die einzige, die ständig davon spricht, sind Sie selbst. Und was, wenn Sie sich irren?"
„Dann danke ich meinen Vorfahren auf Knien dafür", antwortete sie trocken, richtete sich auf, bis sie stocksteif dasaß. „Hören Sie, ich kenne die Reaktion dieser Insekten, in mir steckten die gleichen Instinkte wie in ihnen. Ich mag nicht sonderlich viel in Worte fassen können über das, was ich spüre, aber ich weiß, dieses Nest existiert und ist irgendwo in der Stadt. Wenn die Iratus einmal schlüpfen, haben wir mehr als nur das Problem, daß wir zu wenig Infos besitzen."
„Ich fühle es auch", behauptete John plötzlich. „Seit wir angekommen sind, ist da etwas in mir und kratzt an meinem Bewußtsein. Ich denke, das ist das Nest."
Vashtu war sich ziemlich sicher, daß er das nur behauptete, um sie aus der Schußlinie zu ziehen, aber sie sagte nichts. Dazu fand sie persönlich seine Art, ihr zur Seite zu stehen, viel zu nett.
„Schön, wir haben zwei Leute hier, die entweder zum Riesenkäfer mutiert sind oder Genstränge dieser Insekten in sich tragen", faßte Mitchell das gesagte zusammen. „Sie können es nicht weiter bestimmen oder begründen, aber sie sind sich beide absolut sicher, daß es neben den bereits getöteten oder gefangenen Insekten noch einen Kokon voller Eier gibt, aber sie wissen beide nicht, wie man ihn aufspüren könnte. Ist das soweit korrekt?"
McKay sah stirnrunzelnd von Vashtu zu John und wieder zurück. „Gibt es nicht vielleicht die Möglichkeit, daß dieser Kokon sich selbst schützen kann vor Entdeckung und Zerstörung?" fragte er dann schließlich. „Immerhin soll das bei Tieren ja relativ häufig vorkommen, wenn die Eltern ausfallen oder auf Nahrungssuche sind."
Vashtu und John wechselten einen verblüfften Blick, dann nickten sie zwar zögernd aber einhellig.
„Das ist möglich, ja", antwortete die Antikerin.
„Kann uns das weiterhelfen?" Mitchell klang allmählich ungeduldig.
John nickte, schob sich lässig auf McKays Schreibtisch. „Kann es. Wir müssen nur herausfinden, ob und wie sich die Brut schützt und nach entsprechenden Symptomen unter der Bevölkerung suchen."
„Und die wäre bei einem Kokon, der so groß ist wie ein Mensch, garantiert eine Schlagzeile wert", fuhr McKay mit einem sauren Blick in Richtung auf den hochgewachsenen Luftwaffenoffizier, dessen Gesäß sich auf seinem Schreibtisch positioniert hatte, fort.
„Es bleibt allerdings dabei, daß ich an die Datenbank muß. Vielleicht finden wir dort etwas heraus", wandte Vashtu ein. „Es wird Forschungen über Iratus-Käfer gegeben haben, nur haben wir bisher an der falschen Stelle gesucht."
Mitchell hob die Hände. „Sie denken, diese Viecher können sich vielleicht von allein schützen? Warum dann der Aufwand von Mum und Dad?"
„Weil es die letzte Verteidigungslinie ist", wandte John sofort ein.
McKay lehnte sich mit vor der Brust gekreuzten Armen zurück und starrte vor sich hin.
„Das Verhalten ist auch von irdischen Tieren bekannt", fuhr John fort. „Die Eltern sind nicht da, die Kleinen verstecken sich, erstarren wie zu einer Statue, wenn ihnen eine mögliche Gefahr zu nahe kommt und setzen auf ihre eigene Tarnung."
„Das sind alles Verhaltensmuster, die nach dem Werfen auftreten", wandte Mitchell ein. „Wir reden hier von einer Verteidigungsstrategie, die bereits vor dem Schlüpfen auftritt."
McKay begann plötzlich mit den Fingern zu schnippen. Aufgeregt richtete er sich auf und begann einen ruhelosen Gang durch sein Labor. „Carson sagte damals doch, als Sie mutierten, daß in der Bruthöhle etwas geschah!"
John runzelte die Stirn und wartete.
Mitchell drehte sich irritiert zu dem Wissenschaftler um, der weiter hektisch schnippte und hin- und herlief.
„Ich weiß von unseren damaligen Wissenschaftlern, daß die tunlichst vermieden, Bruthöhlen von Iratus-Käfern zu betreten", warf Vashtu ein in der Hoffnung, McKay damit weiterhelfen zu können. „Es wurde gemunkelt, die Insekten würden den Bewußtsseinsinhalt vernunftbegabter Spezies verändern können während sie sich fortpflanzen. Die Spezialisten selbst hielten sich bedeckt, darum gehe ich davon aus, daß wir etwas in der Datenbank finden werden."
„Carson meinte, ehe sie angegriffen wurden, geschah noch etwas anderes, deshalb mußten Sie dann ja auch rein, Sheppard", fuhr Rodney fort, als sei er in vollkommen anderen Sphären gelandet.
„Wegen eines Geruchsstoffes, ich weiß", nickte John und erschauderte. „Mein Körper produzierte das Zeug plötzlich auch, darum wurde ich ja akzeptiert."
McKay fuhr herum. „Das ist es!"
Vashtu stutzte. Irgendwie schien sie gerade auf der Leitung zu sitzen, befand sie.
„Was ist es?" bohrte Mitchell nach.
„Enzyme! Geruchsstoffe!" Rodney triumphierte.
John drehte sich halb zu Vashtu um und sandte ihr einen fragenden Blick, den sie nur mit einem Schulterzucken beantworten konnte.
„Der Kokon schützt sich durch Geruchsstoffe", erklärte der Wissenschaftler endlich. „Damals in der Höhle drehten die Leute durch EHE die Iratus angreifen konnten. Carson sagte, sie seien alle wie wahnsinnig gewesen, als hätten sie auf einen Schlag den Verstand verloren. Darum wurden Sie dann reingeschickt, Sheppard."
Vashtu zog den Kopf ein, als sie begriff, was McKay da gerade in den Raum geworfen hatte.
Natürlich hatte sie daran nicht mehr gedacht, warum denn auch? Es war ihr bis heute peinlich, was sie getan hatte, nachdem sie sich der Atlantis-Crew offenbarte. John hatte die Pheromone, die sie mittels ihrer Iratus-Zellen produziert hatte, aufgenommen noch ehe er sie richtig gesehen hatte. Was dann passiert war ... Nein, sie wollte lieber nicht daran denken!
Mitchell lachte bitter auf. „Soll das heißen, wir sollen in einer Stadt, in der das ganze Jahr über Jahrmarktstimmung herrscht, nach 'eigenartigem Verhalten' suchen, noch dazu drei Tage vor Halloween? Leute, in Vegas sind alle kirre! Und das vor allem im Moment."
„Wenn der Kokon wirklich irgendeinen Geruchsstoff produziert, müßte er aufzutreiben sein", stimmte John seinem Freund zu und nickte. „Denn dann müßten die Menschen seine Nähe meiden. Der Iratus-Nachwuchs will sich schützen, sich nicht selbst ans Messer liefern. Also wird er tun was er kann, um jedes Lebewesen, das nicht Teil seiner Eltern ist, von sich fernzuhalten." Er drehte sich wieder zu Vashtu um. „Haben Cooper und du berechnen können, um wieviel schneller die Brut heranreift in der Wüstenhitze?"
„Ich muß das erst mit der Datenbank abgleichen, um einen relativen Zeitrahmen errechnen zu können", antwortete die Antikerin. „Allerdings läuft uns allmählich die Zeit davon, soviel kann ich sagen."
Jetzt richteten sich alle Augen auf Mitchell, der noch immer an seinem Platz in der Mitte des Raumes stand und plötzlich sehr verloren wirkte. Dann nickte er mit saurer Miene. „Gut, dann suchen Sie in der Datenbank. Ich erstatte Landry Bericht, daß wir eigentlich nichts wissen, sondern nur vermuten."
Die Antikerin nickte und erhob sich von ihrem Schemel.
„Und ich bleibe hier, um McKay und Vashtu zu unterstützen", wandte John in diesem Moment ein.
Mitchell bedachte ihn mit einem weiteren, brütenden Blick, zuckte schließlich mit den Schultern. „Meinetwegen. Wir treffen uns morgen, Punkt Null-Neunhundert in der Kantine. Und sehen Sie zu, daß wir endlich Resultate vorweisen können!"
***
Vernehmung von Josh Gardner und Anthony Brixton:
Brass: Also, wie habt ihr zwei das denn wohl gemacht, du und dein Kumpel, mein Junge?
Gardner: Was? Was sollen wir denn gemacht haben?
Brass: Wie habt ihr die Minneons gekillt, das ist die Frage. Müssen euch ja gewaltig auf die Nerven gefallen sein, Mum und Sohnemann ... Oder war's, weil Sohnemann wieder nach Hause gekommen ist?
Gardner: Sind Sie noch ganz dicht? Ich werd doch keinen umbringen!
Sidle: Hier, das ist, was von den Minneons übrig geblieben ist. Kein schöner Anblick, oder?
(Ermittlerin zeigt Fotos der Leichen)
Brixton: Oh Mann!
Sidle: Warum habt ihr das gemacht?
Brixton: Was sollen wir denn gemacht haben?
Sidle: Warum habt ihr die Minneons getötet?
Brixton: Wir haben niemanden getötet!
Brass: Also, wir können eindeutig beweisen, daß ihr im Haus der Minneons gewesen seid, du und dein Kumpel nebenan. Und als ihr weg wart, waren die Minneons plötzlich nur noch vertrocknete Leichen. Denkst du nicht, daß das ein kleines bißchen verdächtig wirkt auf uns Bullen?
Gardner: Hören Sie, Mann, ich hab für nächstes Jahr ein Stipendium an der Nevada State. Ich werd' doch nicht so bescheuert sein und irgendwo irgendjemanden abmurksen!
Sidle: Als ihr gekommen seid, waren die Minneons noch am Leben. Als ihr gingt, waren sie tot oder lagen zumindest im Sterben. Komm schon, Anthony! Wir haben den Anruf, der von deinem Handy ausging! Ihr wart da! Du hast es doch schon so gut wie zugegeben.
Brixton: Ich hab doch den Notruf gewählt, damit diesem Typen geholfen werden kann. Als wir weg sind, WAR er noch am ...
Anwalt der Familie Brixton: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, Miss Sidle, daß mein Mandant einen Hilferuf für Ihre Opfer abgegeben hat. Mr. Brixton wollte helfen, doch es war ihm zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, mehr zu tun als den Notruf zu wählen. Damit dürfte sich dann Ihr Einbruchsmord in widerrechtliches Betreten verwandelt haben. Vertretbar angesichts der Tatsache, daß Mr. Brixton Hilfe leisten wollte.
Sidle: Aber er hat erst angerufen, als er schon einen halben Block entfernt war!
Brass: Wenn du mich fragst, dein Kumpel nebenan, der ist fein raus. Seine Eltern haben einen Anwalt geschickt, um ihn rauszupauken. Und nun denk mal weiter, Kleiner. Wenn er es schafft, aus der Sache rauszukommen, muß ein anderer für ihn in den Schlamasel hinein.
Gardner: Nicht Tony, nein, Mann! Selbst wenn wir irgendetwas ausgefressen hätten, der würde mich nicht verpfeifen!
Brass: Bist du dir da sicher?
Sidle: Ihr seid in das Haus rein und wollt nur gesehen haben, wie die Minneons 'so komisch zuckten' und seid wieder verschwunden? Wem willst du diesen Bären eigentlich aufbinden?
Anwalt: Bitte mässigen Sie Ihren Ton, Miss Sidle!
Brixton: Wir waren doch gar nicht im Haus!
Sidle: Ach, dann weißt du also doch etwas und warst da?
Brixton: Das habe ich nicht gesagt!
Gardner: Tony kam damit an, nicht ich. Ich sollte ihm nur tragen helfen.
Brass: Was, ihr wolltet die Leichen entsorgen?
Gardner: Mann, wir wußten doch gar nicht, daß die da waren! Wir dachten, die wären weg, weil sich nichts mehr tat im Haus.
Brass: Dann wolltet ihr also von Anfang an einbrechen, richtig?
Gardner: Nicht so richtig, nein ...
Brixton: Wir wollten doch nur diese Kiste! Verdammt, ich wußte doch nicht, daß die da liegen und tot sind!
Sidle: Was für eine Kiste?
Gardner: Na, die Kiste mit dem Air-Force-Brandzeichen. So wie in diesen Indy-Filmen, verstehen Sie?
Brass: Und was wolltet ihr mit einer Kiste?
Brixton: Unser Jahrgang ist dieses Jahr mit dem Monsterhaus dran, und das Geld sparen wir, um nach Datona-Beach zu fahren nächstes Frühjahr.
Sidle: Und was hat diese Kiste damit zu tun?
Brixton: Nichts. Wir wollten sie für das Monsterhaus ...
Gardner: Wissen Sie, wir haben das als so eine Art Revival aufgezogen, so mit Remakes von alten Monsterfilmen und so. Und so eine Riesenkiste ... Mann, die paßte einfach für die Alien-Autopsie!
Brass: Für die was?
Brixton: Ja, wir haben ein Abteil für die Alien-Autopsie. Sie wissen doch sicher noch, dieses Video, das in den Neunzigern kursierte. Wir haben das nachgebaut so gut es ging.
Sidle: Und auf diesem Video war eine Kiste wie die, die ihr aus dem Haus der Minneons habt?
Gardner: Wir waren doch gar nicht im Haus, wir waren nur in der Garage. Das Tor stand offen und die Kiste wie ein Riesengeschenk mitten drin. Da sind Tony und ich rein und haben sie uns gegriffen. Und dann meinte Tony plötzlich, da würde einer liegen und so komisch zucken ... so wie in den Horrorfilmen eben. Also haben wir die Kiste mitgenommen und am Ende des Blocks erwische ich Tony, wie er gerade anruft und von den Zuckungen erzählt. Dabei war es doch klar, daß dieser Kerl schon so gut wie tot war.
Sidle: Also habt ihr Minneon einfach da liegen lassen und seid mit der Kiste weg.
Brixton: Ja, und das tut mir leid. Deshalb hab ich dann doch angerufen. Aber Josh hat mir das Handy aus der Hand geschlagen und dann war es an der Straßenkante zerschellt.
Sidle: Und wenn es nicht zerschellt wäre?
Gardner: Wir hätten doch sowieso nichts mehr für diesen Typen tun können. Wird einer von der Mordkommission wie Sie doch sicher wissen. Wenn da so komisch gezuckt wird ist es aus!
Brass: Und wo ist die Kiste?
Brixton: Die steht im Monsterhaus in der Alien-Ecke.
Sidle: Und das war wirklich alles?
Brixton: Es tut mir leid ...
***
Rekonstruktion des Mordtages:
Morgens:
Tony Brixton hielt sein Fahrrad unvermittelt an und bekam große Augen, als er den Lkw vor dem Haus der Witwe Minneon stehen sah. Das Logo der Air Force prankte groß an den beiden Seiten und zwei Männer in Militäroveralls waren gerade damit beschäftigt, eine etwa mannshohe Kiste in die Garage des Hauses 587 Washington Street zu bringen
Tony kam ein Gedanke und neue Hoffnung flammte in ihm auf.
Mittags:
Josh Gardner saß mit seinen Kumpels zusammen draußen an einem der Tische, die zur Kantine gehörten, als Tony plötzlich um die Ecke kam und ihm Zeichen gab.
„Hey, Leute, bin gleich wieder da." Josh gab Liz, Tonys Zwillingsschwester, einen Kuß auf die Wange, als er sich erhob. Wie zufällig streifte sein Handrücken ihre sprießende Brust, woraufhin sie begann zu kichern.
„Was ist denn los, du Loser?" zischte Josh, als er um die Ecke kam.
Er zeigte sich ungern mit dem Geek Brixton, tat es eigentlich nur, um Liz zu gefallen, die offensichtlich ihr Mutterherz für ihren Bruder entdeckt hatte.
„Du machst doch auch beim Monsterhaus mit, oder?" fragte Tony aufgeregt.
Josh stutzte, nickte dann aber. „Und?"
„Ich hab da heute was absolut abgefahrenes gesehen, als ich zur Schule fuhr. Wenn wir die kriegen würden ... das wäre irre!"
„Und was hat ein Freak wie du gesehen, das ihn dermaßen aus den Socken haut?" Josh warf einen Blick um die Ecke und beobachtete Liz, die mit einer Freundin herumalberte.
„Ne Kiste wie die, in die die Lade kommt am Ende von 'Lost Ark'", antwortete Tony aufgeregt und rang die Hände. „Nur größer, Mann, viel größer. Fast wie ein Sarg. Und groß mit dem Air-Force-Logo auf der Seite."
Josh richtete sich wieder auf. „Ist das dein Ernst?"
Tony nickte. „Hilfst du mir? Allein werde ich die da nie rauskriegen."
„Hast du gefragt? Hey, Kumpel, ich will keinen Ärger wegen sowas. Schließlich hab ich das Stipendium."
„Ich frag noch, Ehrenwort!"
Josh dachte wieder nach.
Am Monsterhaus mitzuarbeiten hatte sich bis jetzt nicht als Fehler erwiesen, im Gegenteil waren ihm da schon einige Hühner aufgefallen, die er sonst vielleicht übersehen hätte. Nicht daß er Liz untreu war, nur war sie verdammt prüde und er als Mann hatte bestimmte Bedürfnisse. Und wenn er mit so einer Kiste aufwarten konnte ...
„Okay, aber frag nach, klar?"
Früher Abend:
Tony läutete zum vierten Mal, doch immer noch herrschte Schweigen aus dem Haus der Minneons. Dabei, und da war er sich sicher gewesen, war die alte Witwe da.
Hatte sie vielleicht vergessen, ihr Hörgerät einzuschalten? Möglich wäre es. Die Minneon galt ohnehin als etwas schrullig, noch mehr, seit ihr Sohn weg war.
In diesem Moment bog ein Taxi um die Kurve und hielt direkt auf Tony zu. Und der ... bekam es mit der Angst, schwang sich auf sein Fahrrad und raste davon. Die Genehmigung würde er sicher auch morgen noch holen können ...
***
AREA 51:
Vashtu harrte lange Zeit in der Hoffnung aus, der lästige Klopfer an ihrer Tür werde von selbst wieder verschwinden, doch wer auch immer da Einlaß verlangte, war hartnäckig und sie schließlich so wach, daß sie bezweifelte, in dieser Nacht überhaupt noch Schlaf finden zu können.
Seufzend fügte sie sich also, kletterte umständlich aus dem Etagenbett, tappte auf bloßen Füßen zum Lichtschalter, wobei sie sich natürlich den Zehen an irgendetwas stoßen mußte, schnappte sich ihre Fliegerjacke, um sie über das lange T-Shirt, das sie zum Schlafen trug, zu ziehen und entriegelte endlich die Tür, um sie dann einen Spaltbreit zu öffnen. Herzhaft gähnend beugte sie sich in den Spalt hinein und blinzelte in das grelle Neonlicht des Flurs, bis sie erkannte, wer da so vehement Einlaß verlangte.
„John!" Sie riß die Augen auf, runzelte dann aber gleich wieder die Stirn und sah auf ihre Armbanduhr hinunter. „Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?"
John stand, zwei dampfende Becher auf einem Tablett balancierend, vor ihr und lächelte entschuldigend. „Nicht so richtig. Ich konnte nicht schlafen", antwortete er leise.
„Es ist drei Uhr morgens!"
Er setzte seinen besten Hundeblick auf. „Entschuldige, wenn ich dich geweckt habe." Auffordernd und gewinnend lächelnd hob er das Tablett. „Ich habe Tee für uns mitgebracht."
Vashtu glaubte einen Moment lang wirklich, sie würde noch träumen. Stand da wirklich John Sheppard vor ihr und verlangte Einlaß in den Damen-Mannschaftsraum?
„Du HAST mich geweckt", antwortete sie biestig. „Was willst du?"
„Mit dir reden." Wieder dieses Lächeln, das sie im Stillen dahinschmelzen ließ. Aber das würde sie nie im Leben zugeben!
„Laß mich rein, bitte ..."
„Wenn Mitchell einen ausführlichen Bericht von mir haben will beim Frühstück ..."
„Laß das meine Sorge sein. Mitchell wird seinen Bericht bekommen, ich schwör's."
Vashtu seufzte, lehnte ihren Kopf an den Türrahmen. „Das ist nicht so einfach, John. Wir sind hier nicht mehr auf Atlantis."
„Eben darum müssen wir endlich reden!" beharrte er.
Wenn es doch irgendjemand anderes wäre, der da vor ihrer Tür stand. Irgendjemand, dem sie wirklich etwas abschlagen konnte. Bei John fiel ihr das allerdings ziemlich schwer, es war ihr genauer gesagt eigentlich unmöglich ihn abzuweisen.
„Komm schon, Vashtu, laß mich rein. Ich benehme mich auch wie ein Gentleman." Wieder grinste er sie breit an.
„Ich sollte es besser wissen ..." seufzte sie, trat einen Schritt zurück und ließ die Tür aufschwingen. „Aber sei bitte leise."
John strahlte übers ganze Gesicht. Eilig huschte er an ihr vorbei in den Raum hinein, überließ es ihr, die Tür wieder zu schließen.
Vashtu zögerte noch einen Moment, steckte den Kopf heraus auf den Gang und beobachtete erst das eine, dann das andere Ende mit Adlerblick, ehe sie die Tür endlich wieder schloß, den Riegel vorlegte.
„Wow, soviel Platz nur für dich?" wandte John sich an sie, als sie wieder zurückgetappt kam, um sich auf ihrem Bett niederzulassen.
Vashtu zuckte mit den Schultern. „Die meisten der Angestellten haben ein Haus in der Nähe. Soviel ich weiß, hat die Air Force eine komplette Siedlung hochgezogen vor einiger Zeit. Seitdem schlafen eigentlich nur noch mindere Gäste wie ich in den Mannschaftsquartieren, wenn sie hierher ausgeliehen werden. Für irgendjemandem muß Groom Lake ja zum Alptraum werden." Nicht sehr elegant ließ sie sich wieder auf ihr Bett zurückfallen und holte tief Atem.
„Naja, ich kann ja ein Bett zwischen uns schieben, wenn dir das lieber ist", sagte John leise und erinnerte sie daran, daß sie keine Hose, abgesehen von ihrer Unterwäsche, trug. Sofort rappelte sie sich wieder auf und zog die Decke über die Beine.
John grinste frech, nahm jetzt einen der Becher und pustete hinein.
„Also, was willst du mitten in der Nacht von mir, einmal abgesehen vom Spannen?" fragte Vashtu, nachdem er einen Schluck getrunken hatte.
Augenblicklich war jede Spur von Humor von ihm gewichen. Er hockte auf der Bettkante ihr gegenüber und sah sie nun sehr ernst an. „Du hast diesem Grissom gegenüber etwas gesagt. Und ich möchte jetzt wissen, ob das wirklich der Wahrheit entspricht."
Vashtu schälte sich aus ihrer Jacke, die ihr im Bett nun doch entschieden zu warm war und lehnte sich dann mit dem Rücken gegen die Wand. „Was habe ich Grissom denn gesagt, daß dich so in Sorge versetzt?"
„Du hättest politisches Asyl beantragt", kam es wie aus der Pistole geschossen zurück.
Das allerdings hätte sie sich denken können. Natürlich hatte ihn niemand aufgeklärt, warum denn auch? Offiziell durften sie beide ja nicht einmal Kontakt zueinander haben.
„Ja, das stimmt", antwortete sie mit einem Nicken.
John stutzte. „Und ... und wo?"
Vashtu richtete sich wieder auf, stopfte sich ihr Kopfkissen in den Rücken, um es etwas bequemer zu haben. „Landry hat mich, kurz bevor ihr aus Pegasus zurückkamt, in sein Büro gerufen und mich gefragt, ob ich nach Atlantis zurück wollte. Da habe ich ihn um Asyl gebeten." Sie runzelte die Stirn, rammte ihren Hinterkopf in das Kissen hinein. „Verdammt, John! Es sind mindestens ein Dutzend Schiffe vermißt da draußen, aber ausgerechnet über das von Helia müßt ihr stolpern!"
John riß die Augen auf. „Ein Dutzend?"
„Darum geht es nicht!" Vashtu schüttelte unwillig den Kopf. „Solange Helia da ist, kann ich nicht zurück ... naja, ihr ja wohl auch nicht, wie ich das verstanden habe."
„Woolsey ist drüben und verhandelt mit Helia und ihrer Crew", erklärte John, beugte sich jetzt vor und begann, mit seinem Becher zu spielen. „Aber ... was stimmt nicht zwischen Helia und dir? Ist irgendetwas vorgefallen, daß du jetzt die Erde anbetteln mußt, damit man dich hier bleiben läßt?"
Das wurde sehr wahrscheinlich doch eine lange Nacht werden, befand Vashtu in diesem Moment. Unwillig verzog sie das Gesicht.
„Helia ist ... war sozusagen Moros' Liebling", antwortete sie zögernd. „Moros war zu meiner Zeit das Oberhaupt des Rates. Euch ist er besser als Merlin bekannt. Mitchell ist ihm ja gerade nachgejagt mit SG-1. Dabei haben sie Dr. Jackson verloren."
John hob die Hand. „Mir geht's im Moment nicht um SG-1, mir geht es um dich", wandte er ein. „Was ist so schlimm daran, daß diese Helia der Liebling von Moros war? Jetzt kann sie es doch wohl nicht mehr sein, oder?"
Vashtu zuckte mit den Schultern. „Moros war nicht sonderlich gut auf die Familie Uruhk zu sprechen, das zum einen", antwortete sie. „Nach dem Tod meiner Mutter ... Mein Vater sammelte damals alle politische Macht um sich, die er nur kriegen konnte. Hätte die Entwicklung der Therapie länger gedauert und wäre nicht in einem solchen Fiasko geendet, wer weiß, ob wir überhaupt aus der Pegasus-Galaxie verschwunden wären?"
„Dein Vater wollte die Führung über Atlantis an sich reißen?" fragte John ungläubig.
Vashtu zögerte, nickte dann aber. „Er saß mit im Rat als ich klein war. Erst nach dem gescheiterten Selbstversuch von Enkil zog er sich aus der Politik zurück. Seinen Sitz übernahm Janus." Sie hob die Schultern, ließ sie dann langsam wieder sinken. „Und aus irgendeinem Grund konnte Moros mich sowieso nicht leiden. Für mich war er immer der böse Onkel, schon als ich noch klein war. Und als ich die Therapie dann an mir selbst anwandte hatte ich mich ihm ausgeliefert."
„Vertrauen ist schnell verspielt - das sagtest du damals, als du mir deine Geschichte erzähltest." Johns Blick wurde weich. „Und jetzt hast du Angst, daß Helia dir etwas antun könnte, würdest du nach Atlantis zurückgehen, richtig?"
„Ich habe keine Angst, ich weiß, was sie tun wird. Sie ist dazu verpflichtet, solange sie unseren alten Gesetzen folgt", entgegnete Vashtu, senkte den Blick. „Laut unseren Gesetzen, die wohlgemerkt vor zehntausend Jahren gültig waren, habe ich Verrat begangen und müßte mit dem Tod bestraft werden. Helia würde auf diesem Urteil bestehen, sie würde auch auf meiner Auslieferung bestehen, würde sie von mir erfahren."
„Wie kannst du etwas verraten, daß seit tausenden von Jahren nicht mehr existiert?" John sah sie ungläubig an. „Ich meine, du hättest diese Helia erleben sollen! Erst bat sie uns um Hilfe und ließ sich und ihre Leute mitnehmen nach Atlantis. Als wir dann im Gaterium standen tat sie irgendetwas und ..."
„... die Kontrolleinheit fuhr aus. Ich kann's mir vorstellen, denn ich hatte damals das gleiche vor." Vashtu grinste bitter. „Als wir mit diesem Energiewesen verbunden waren und du in das Wurmloch gezogen wurdest. DAS wollte ich damals unten im Gaterium."
„Das erklärt aber noch nicht, inwieweit du Verrat begangen haben solltest."
Vashtu nickte.
Natürlich verstand er nicht. Wie sollte er auch? Sie hatte bisher noch nie ein Wort über die Ansichten ihres Volkes verloren, auch wenn man sie danach gefragt hatte. Sie war immer ausgewichen. Zum Großteil, weil sie sich schlicht und einfach schämte, wie engstirnig die Lantianer gewesen waren. Der winzige andere Teil dagegen hatte gehofft, niemals wieder mit diesem Wissen konfrontiert zu werden.
„Wir hatten einen Namen für euch Menschen früher", sagte sie leise, malte ein unsichtbares Muster auf ihre Decke. „Keiner sagte 'Menschen' damals. Wenn von euch gesprochen wurde, dann als 'Taube'."
„Taube? Wieso taub?"
Vashtu kniff die Lippen aufeinander. „Weil ihr nicht telepatisch begabt seid wie wir. Ihr seid taub uns gegenüber. Und, zumindest in der Pegasus-Galaxie, wurde an verschiedenen Orten dafür gesorgt, daß das auch so blieb. Die Menschen sollten sich nicht weiter entwickeln. Vielleicht, weil einige durchaus erkannten, welches Potenzial in euch steckt, vielleicht aber auch nur weil ... viele sahen in Menschen nichts anderes als besseres Vieh, gerade gut genug für die Wraith, um ihnen als Nahrung zu dienen."
„Das verstehe ich nicht. Bisher gingen doch alle davon aus, daß wir die nächste Entwicklungsstufe von euch sind."
„Seid ihr nicht, zumindest der Großteil." Vashtu schloß die Augen, weil diese brannten vor Scham. „Als die ersten Lantianer hierher zurückkehrten, fanden sie euch auf der Erde vor. Auch in Pegasus tauchten hier und da Menschen auf, aber man hielt sie für zu primitiv, um lange überleben zu können." Sie zögerte, zuckte dann erneut mit den Schultern. „Das war vor meiner Zeit, lange vor meiner Zeit."
„Und inwiefern hat das jetzt etwas mit dem Vorwurf des Verrates zu tun?"
Sie hörte, daß er begriffen hatte, es sich aber noch nicht eingestehen wollte. Am liebsten hätte sie ihm ein „Ja, es ist so wie du denkst!" ins Gesicht geschleudert, entschied sich aber doch für die ausführlichere Variante.
„Ein ehernes Gesetz der Lantianer besagt, daß ein Lantianer niemals etwas von dem Wissen seines Volkes an andere weitergeben darf", antwortete sie, öffnete die Augen wieder und wagte ein sarkastisches Grinsen.
„Und du hast uns von Anfang an die Datenbank zugänglich gemacht ..." John wurde blaß als sie nickte.
„Ich habe zweifachen Verrat begangen: ich habe mich den Tauben angeschlossen, minderwertigen Wesen, die kaum begreifen, was wir getan haben, und ich habe diesen Tauben alles Wissen meines Volkes zugänglich gemacht. Wenn Helia das jemals herausfindet, bin ich schlichtweg tot, John. Ihr bleibt gar keine andere Wahl, will sie vor ihrer eigenen Mannschaft glaubwürdig bleiben."
„Und wenn du dich weiter verschanzt gehalten hättest letztes Jahr?" In Johns Augen konnte sie eine gewisse Hoffnung lesen, doch auch die mußte sie zerstören.
„Ich habe entgegen dem Rat gehandelt, als ich mir die Therapie selbst gab. Wenn die Wraith nicht die Tür aufgebrochen und mir damit die Flucht ermöglicht hätten, Helia würde sich nicht um mich kümmern. Ich war nicht mehr existent damals, John. Ich war keine Angehörige meines Volkes mehr. Ich stand außerhalb von allem."
„Du kannst mir doch nicht erzählen, daß diese Helia dich verhungern lassen würde!" Mit einem Ruck kam John wieder auf die Beine. „Verdammt, ich mag diese Frau auch nicht, aber zumindest ansatzweise wird sie doch wohl von Menschenrechten gehört haben, oder?"
„Ich bin kein Mensch und keine Lantianerin laut den Beschlüssen des Rates. Darum nenne ich mich selbst ja Antikerin, John. Helia hätte mich weiter in meinem Labor gelassen, es hätte sie nicht gekümmert. Es würde mich nicht einmal wundern, wenn sie hätte nachsehen lassen, nachdem ihr weg wart. Nachsehen lassen, um mich aus dem Weg zu räumen."
Er starrte sie an und wußte offensichtlich jetzt wirklich nicht mehr, was er sagen sollte. Er starrte sie nur an, mit blassem Gesicht und großen, wie von Schrecken geweiteten Augen.
Vashtu wußte nicht, welche Gedanken, Träume und Hoffnungen ihn angetrieben hatten und er sich in Bezug auf ihr Volk gemacht hatte. Aber sie wußte, sie hatte diese Bilder gerade alle sehr gründlich zerstört.
„Das ist der Grund, warum Daniel Jackson und ich immer wieder aneinandergeraten. Auch wenn er zweimal seinen Körper hatte ablegen können, er glaubte irgendwo immer noch an das Gute in den Aufgestiegenen. Ich tue das nicht." Langsam aber unmißverständlich schüttelte sie den Kopf.
Kraftlos sackte John endlich wieder auf das Bett zurück, starrte sie immer noch an. „Aber du hast dir nichts zu Schulden kommen lassen ... zumindest doch wohl nichts wirklich ... ich meine, ich weiß nicht, was letztes Silvester passiert ist, daß dir das alle immer noch vorwerfen. Aber O'Neill schien ganz vernarrt in dich zu sein, als ich ihn das letzte Mal gesprochen habe."
„Das spielt für Helia keine Rolle. Für sie zählt, wie die Gesetze vor zehntausend Jahren lauteten, und ich schätze, selbst wenn noch einer der alten leben würde, würde sie eine Änderung der Gesetze nicht anerkennen. Ich bin hier gestrandet und hoffe, daß, wer auch immer, seine Hand über mich halten wird."
John senkte endlich den Kopf. Es war, als könne er im Moment nicht mehr ertragen, sie anzusehen.
Vashtu zögerte, kniff die Lippen wieder aufeinander, dann blickte sie auf. „Ich ... wollte dich um ..." Sie schloß den Mund, wußte im Moment wirklich nicht, wie sie es sagen sollte, ohne daß es zu kitschig klang. Dann gab sie sich selbst einen Ruck. „Enkil hat mich immer Vash genannt. Das war eine Art Kosename, eine Abkürzung, aber ... es hat mir immer viel bedeutet, wenn er mich so genannt hat. Und ... ich möchte, daß du ... naja, wenn du willst, dann ..." Sie schloß den Mund und zog eine Grimasse.
Wortlos erhob John sich. Einen Moment lang fürchtete Vashtu, er werde gehen und sie zurücklassen, doch er kam nur zu ihr, hockte sich vor ihr Bett und sah sie an. Nur allmählich erschien ein Lächeln auf seinen Lippen und ein wenig des Lichtes kehrte in seine Augen zurück.
„Es ist mir eine Ehre ... Vash." Seine Stimme klang heiser.
TBC ...
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