16.07.2009

Das Monster II

Mac saß an seinem Schreibtisch und las einen Computerausdruck, als Stella den Raum betrat. Ungläubig sah sie ihn einen Moment lang deutlich stutzend an, dann verfinsterte ihr Gesicht sich.
„Jetzt sag mir nicht, du warst die ganze Nacht hier", begrüßte sie ihn im vorwurfsvollen Tonfall.
Mac blickte auf, lächelte halb mit müden Augen. Dann schien ihm aufzugehen, was sie gerade gesagt hatte. Ächzend drückte er den Rücken durch und sah sich kurz um. „Ist es etwa schon Morgen?" erkundigte er sich leicht verwirrt.
Eigentlich hatte er nur kurz noch in den Labors vorbeisehen wollen, um die Kleidung, die dieser Major Sheppard getragen hatte, ordnungsgemäß zur Untersuchung zu hinterlegen. Dann aber war gerade die Akte des Luftwaffenoffiziers per Mail von NORAD gekommen, so daß er sich denn doch befleißigt fühlte, sie sich einmal anzusehen.
Stella seufzte schwer und trat näher. „Was ist denn so interessant, daß du wieder mal vergißt, daß du ein Zuhause hast?" fragte sie und lehnte sich über den Schreibtisch.
Mac sah stirnrunzelnd auf die Akte hinunter, die er die halbe Nacht immer und immer wieder studiert hatte. „Die Akte dieses Major John Sheppard", antwortete er dann endlich.
Stella richtete sich wieder auf und trat um den Schreibtisch herum, um sich mit einer Hand auf die Fläche zu stützen und sich vorzubeugen, um sich das ganze selbst anzusehen. „Und was ist daran so interessant?" wiederholte sie ihre Frage.
Mac lächelte halb. „Die Tatsache, daß unser Major eigentlich fast ein Colonel gewesen ist beispielsweise. Zumindest ein Lieutenant Colonel", antwortete er.
„Ach!" Stellas Interesse war erwacht. „Und warum wurde er nicht befördert?"
Mac zog eine Grimasse. „Insubordination. Durch die Zurücksetzung der Beförderung und seiner Verlegung nach McMurdo ist er dem Kriegsgericht so gerade eben noch entkommen", erklärte er. „Und da wird es nun wirklich interessant: McMurdo gehört zu den Basen, die es in jeder Waffengattung gibt - die Sackgassen. Wer dort landet, der hat sich nicht nur eine Kleinigkeit geleistet, und der kommt dort üblicherweise nicht mehr weg. Es sei denn, man heißt Major John Sheppard. Der ist, nach nur einigen Monaten in McMurdo, plötzlich in die Geheimbasis Cheyenne-Mountain versetzt worden. Seit diesem Zeitpunkt gilt für seine Akte präsendiale Sicherheitsstufe."
Stella bekam große Augen. „WAS?"
Mac nickte. „Unser guter Major hat es sich in Afghanistan gründlich verscherzt mit seinem Vorgesetzten. So gründlich, daß er auf einem Abstellgleis landete. Aber irgendjemand hat ihn dann wieder zurückgeholt und sogar zu einem hochgradigen Geheimnisträger gemacht."
Als er hochblickte sah er, wie sich ihre Stirn sorgenvoll runzelte und grinste dieses Mal wirklich amüsiert.
„Das könnte auch schlecht für uns aussehen, Mac. Ich hoffe, du weißt das", warnte sie.
Mac kniff kurz die Lippen zusammen, sah wieder auf die Akte hinunter. Dann schüttelte er den Kopf. „Ich denke nicht, daß er verdächtig ist. Sein Leben ist es, er aber nicht."
Stella war überrascht. „Das sagst ausgerechnet du? Sonst sollen wir doch immer den Beweisen folgen."
Mac nickte nachdenklich.
Das stimmte. Er predigte das seinen Leuten oft genug. Wenn sie die Beweise richtig lesen würden, mußten sie auf den Täter stoßen, so einfach war das. Oder vielleicht doch nicht? Er war sich nicht ganz sicher.
Es kam selten vor, aber bisher hatte sein Gefühl ihn noch nie im Stich gelassen. Sheppard hatte heute nacht ehrlich auf ihn gewirkt, ihm bereitwillig Rede und Antwort gestanden, sofern es in seinem Vermögen lag. Er konnte nicht glauben, daß er sich dermaßen irrte. Dieser Militär war da in etwas hineingeschliddert, davon war er überzeugt.
„Ich kann nur hoffen, daß du dich nicht irrst, Mac." Der Blick, mit dem Stella ihn bedachte, war sorgenvoll. „Du weißt, was es gerade für die Aufstockung unserer Mannschaft bedeuten könnte, läßt du jetzt einen potenziell Verdächtigen laufen und seine Schuld stellt sich heraus."
„Das ist mir klar." Mac nickte nachdenklich, zog eine Grimasse. „Dennoch vertraue ich auf mein Gefühl. Dieser Sheppard ist nicht der Täter, dafür war er zu hilflos und offen mir gegenüber. Er würde uns gern helfen, kann es aber im Moment nicht."
Stella sah ihn nur mit gerunzelter Stirn an, sagt jetzt aber nichts mehr.

***

Als sich die Tür zu seinem Krankenzimmer öffnete, blickte John unwillkürlich auf. Einen Moment lang blinzelte er schüchtern unter seinem Pony hervor, dann huschte kurz ein Lächeln über sein Gesicht, während er sich aufsetzte und die Decke über seine nackten Beine schlug.
Dr. Elizabeth Weir und Dr. Rodney McKay betraten den Raum. Der Kanadier mit einer ... Plastiktüte in der Hand?
John hob die Brauen, äußerte sich aber nicht dazu. „Guten Morgen", begrüßte er statt dessen die beiden Mitglieder der Atlantis-Expedition.
Elizabeth trat näher, sah ihn forschend und besorgt an. „Wie geht es Ihnen, John?" fragte sie.
Er beobachtete sie genau, als sie herankam, ließ aber auch McKay nicht wirklich aus den Augen. Zögernd nickte er. Die Kopfschmerzen waren bis auf ein erträgliches Maß abgesunken. „Danke, ganz gut." Er setzte ein schiefes Lächeln auf und hob den Kopf. „Tut mir leid, ich hätte mich melden sollen, aber ..."
Elizabeth hob die Hand und winkte ab. „Das ist vollkommen in Ordnung. Ich habe mit General Landry gesprochen. Der hatte mir mitgeteilt, daß Sie sich hier befinden."
John nickte, preßte aber trotzdem kurz die Lippen aufeinander.
Ein deutliches Zeichen, daß er sich letzte Nacht nicht wirklich im Griff gehabt hatte. Er hätte die anderen informieren sollen darüber, was geschehen war. Es hatte in seiner Verantwortung gelegen - und wieder hatte er versagt!
John senkte den Blick und starrte einen Moment blicklos vor sich hin, während es in seinem Inneren rumorte und er eine weitere Schlacht mit seinem schlechten Gewissen ausfocht.
Er hatte immerhin unter Medikamenten gestanden, beruhigte er sich. Er war ja schon bei dem Anruf ins SGC nicht mehr wirklich ansprechbar gewesen. Ein Wunder, daß Landry überhaupt verstanden hatte, was er von ihm wollte.
„Was soll eigentlich diese ... diese Zitrone in Ihrem Koffer, Major? Etwas unhygienisch, oder?" ließ McKay sich in diesem Moment vernehmen.
Zitrone?
Er blickte verwirrt auf. Na toll, sollte etwa ausgerechnet Rodney ... Was machte Rodney mit seinem Koffer?
„Ein alter Haushaltstrick." John grinste breit. „Damit die Wäsche zitronenfrisch duftet." Er stutzte und runzelte die Stirn, als er noch dazusetzte: „Und warum wühlen Sie in meinen Sachen?"
„Einer muß Ihnen ja schließlich zivilisierte Kleidung bringen, wenn Sie die Ihre dem CSI spenden müssen", erklärte McKay süffisant und hielt ihm auffordernd die Tüte hin.
John schnappte sie sich und sah scheel zu dem Wissenschaftler hoch. „Sie haben doch wohl hoffentlich zumindest etwas Geschmack bei der Auswahl meiner Kleidung bewiesen, oder?"
Rodney hob das Kinn. „Wo denken Sie denn hin? Ich fand das rosafarbene Hemd und die hellgrüne Krawatte durchaus passend."
John musterte McKay noch einen Moment lang. Nein, er würde jetzt nicht in die Tüte sehen, auch wenn Rodney ganz offensichtlich damit rechnete, nach dem breiten Grinsen zu schließen, das er zur Schau trug. Aber noch war das letzte Wort nicht gesprochen ...
Rodney richtete seine Interesse dem Tablett mit dem Frühstück zu, daß John kaum angerührt hatte. „Ich schätze allerdings, diese Zitrone wird nicht allzuviel bringen, was den Frischeduft betrifft", sagte er dabei, hob die Hand und hob den Deckel von dem Teller mit den Sandwiches. „Sie ist nicht echt."
John nickte, mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen. „Sie war ja eigentlich auch als Geburtstagsgeschenk für Sie gedacht, Rodney", antwortete er wie auf eine Frage und wartete, bis der Wissenschaftler ihm wieder sein Interesse zuwandte. „Sie ist nämlich gefüllt - mit Schokoladendrops."
McKays Augen wurden groß. „Schokoladendops?" Es war ihm förmlich anzusehen, wie ihm das Wasser im Mund zusammenlief.
John blieb bei seinem strahlenden Lächeln. „Gefüllte Schokoladendrops", setzte er hinzu.
Ein unirdisches Licht trat in Rodneys Augen.
Elizabeth beobachtete die beiden sehr aufmerksam. Wohin würde dieser Schlagabtausch wohl führen?
„Gefüllt mit einer Creme mit Lemon..." John schloß den Mund und neigte den Kopf zur Seite.
Rodneys verklärtes Lächeln fiel in sich zusammen. Einen Moment lang japste er wirklich nach Luft, dann stemmte er die Hände in die Hüften und funkelte den Militär, der immer noch grinste, wütend an. „Sie wagen es ... ?"
„...gras", beendete Sheppard beinahe überfreundlich den Satz.
Rodney schloß abrupt den Mund.
„Ich habe mich erkundigt: Lemongras dürfen Sie essen." John hob einen Finger.
Elizabeth räusperte sich.
Ging das jetzt schon wieder los? Warum fanden die beiden nur so großes Vergnügen daran, sich gegenseitig zu necken und Wortgefechte auszutragen?
Andererseits ... vielleicht war es gerade das, was der Major nach dem ganzen Ärger der letzten Zeit gebrauchen konnte - dieses Foppen und Aufziehen. Der Humor, den er mit McKay teilte.
„Ich sage es nicht gern", mischte sie sich jetzt ein, „aber Mr. Woolsey erwartet uns in einer halben Stunde."
John blickte auf und sah sie einen Moment lang groß an, wollte die Decke zurückschlagen, zögerte dann aber. „Dürfte ich ... ?" Wieder war er etwas verlegen, und Elizabeth konnte es ihm nicht verdenken. Was jetzt kommen dürfte, dürfte der reinste Spießrutenlauf für ihren militärischen Leiter sein - und sie würde sicher nicht wegsehen, auch wenn sie ...
„Natürlich. Carson redet gerade mit Ihrem behandelnden Arzt. Sie sollten doch heute Ihre Aussage vorm IOA machen, falls Sie sich daran erinnern."
Sheppard grinste wieder schief. „Ich erinnere mich an vielleicht eine Viertelstunde nicht", gab er zu bedenken. „Der Rest ist noch durchaus lebendig in mir." Er runzelte die Stirn, sah sie dann wieder an. „Könnten Sie sich ... ? Ich meine ..." Er hob schüchtern die Hand und ließ verschämt seinen Zeigefinger kreisen als Zeichen dafür, daß sie sich umdrehen sollte.
Einen Moment lang war Elizabeth wirklich versucht, etwas vollkommen anderes zu tun, doch dann nickte sie und drehte sich gehorsam, wie befohlen.
„Jetzt stellen Sie sich aber an!" bemerkte Rodney kauend. Offensichtlich hatte er sich inzwischen doch eines der Sandwiches geschnappt.
Hinter ihrem Rücken raschelte die Decke, dann hörte sie das leise „Tapp, Tapp" nackter Füße auf dem Linoleumboden. Und da wagte sie einen kurzen Blick über die Schulter.
John hielt sich die beiden losen Enden seines Krankenhaushemdes hinter dem Rücken zusammen und eilte so schnell wie möglich, in der anderen Hand die Tüte, zu der Naßzelle hinüber, die an sein Zimmer angeschlossen war.
Aber was zwischen den losen Hälften des Kittels durchblitzte ... hatte durchaus einen gewissen Reiz, wie Elizabeth fand. Sheppards Rücken war sehnig, das Rückgrad zeichnete sich unter der Haut ab, allerdings nicht zu deutlich. Noch immer trug er zumindest eine Boxershorts, so daß sie keine wirklichen Rückschlüsse auf eine bestimmte Partie seines Körpers ziehen konnte.
„Kirk ist etwas schüchtern heute, oder wie?" feixte Rodney und grinste wieder breit.
„Ich bin ein Offizier und Gentleman, Rodney", hielt Sheppard dagegen, nachdem er blitzschnell hinter der Tür verschwunden war.
Elizabeths Mundwinkel zuckte, doch noch beherrschte sie sich, zog nur die Brauen etwas hoch. Na, wenn das kein ...
„Schüchtern bis in die Haarspitzen ..." Rodney biß voller Genuß in das labberige Weißbrot hinein. Ein zerstückeltes Salatblatt segelte zu Boden.
„Rodney!" Tadelnd sah Elizabeth zu ihrem Chef-Wissenschaftler hinüber, erntete einen entrüsteten Blick.
„Man kann doch das gute Essen nicht verkommen lassen!" begehrte der Kanadier auf.
Elizabeth seufzte. Warum hatte sie nur immer wieder das Gefühl, es mit zu groß geratenen Kindern zu tun zu haben - gerade bei diesen beiden?
Rodney kontrollierte den Zustand der anderen Teller, befand sie offensichtlich als zufriedenstellend, nach dem Grad zu schließen, wie weit seine Lippen sich von den Zähnen zurückschoben zu einem zufriedenen Grinsen.
„Sie können dem Major doch nicht alles wegessen", fuhr Elizabeth fort.
Rodney mampfte das nächste Sandwich. „Wino? Er mollte doch nicht mehr", bemerkte er mit vollen Backen.
Elizabeth wandte sich kopfschüttelnd wieder ab und sah, daß Sheppard seinen Kopf aus der Naßzelle gesteckt hatte und den Kanadier spöttisch musterte.
„Carson wird Sie wohl noch kurz untersuchen wollen, ehe wir zum UN-Gebäude aufbrechen, Major", wandte Elizabeth sich wieder an den Militär.
„Kein Problem!" meldete John sich und schloß die Tür.
„Für ihn ist nichts ein Problem, wissen Sie doch", mampfte McKay zwischen zwei Bissen. „Hauptsache, er konnte wieder seine Sheppard-Sache durchziehen!"
„Ich höre Sie, Rodney." Johns Stimme klang sehr zufrieden.
Ehe McKay zu einer Antwort ausholen konnte, geschahen zwei Dinge: Eine Duschbrause wurde in der Naßzelle aufgedreht, man hörte deutlich das Rauschen des Wassers, und die Tür öffnete sich, um einem nachdenklichen Carson Beckett das Krankenzimmer betreten zu lassen.
Elizabeth seufzte erleichtert. Diese verbalen Schlagabtausche zwischen ihren Chef-Wissenschaftler und dem bisherigen militärischen Leiter ließen sie immer wieder an ihren eigenen Führungsqualitäten zweifeln. Viel zu oft hatte sie inzwischen das Gefühl, plötzlich von den beiden schlichtweg aus ihrer eigenen Verantwortlichkeit entlassen und in einer Ecke abgesetzt zu werden.
„Carson, was sagt der Arzt?" erkundigte sie sich.
Rodney war inzwischen zu einem unansehnlichen Brei übergegangen, den auch sie nie im Leben hinunterbekommen hätte, wie sie aus den Augenwinkeln feststellte. Doch der Wissenschaftler schien hellauf begeistert und schaufelte sich die an Tapetenkleister erinnernde Masse mit einem verzückten Gesichtsausdruck in den Mund.
Carson zog die Akte unter seinem Arm hervor, nachdem er sich einmal im Zimmer umgesehen hatte, öffnete sie und überflog sie scheinbar. Dabei war Elizabeth sich ziemlich sicher, er hätte ihr auch ohne Hineinzusehen sagen können, was dem Major fehlte.
„Die Nacht verlief ohne Komplikationen", begann der Schotte schließlich. „Was darauf hindeutet, daß es, wenn überhaupt, nur ein sehr leichtes Trauma sein dürfte, durch den Prall gegen einen Baumstamm verursacht. Die Wunden sind, laut Akte, fast alle oberflächlich und werden schnell abheilen. Mit den Hämatomen dürfte der Major noch einige Zeit Spaß haben. Alles in allem, so versicherte mir Dr. Holmes, hat jemand wieder einmal ziemliches Glück gehabt. Wo ist unser Sorgenkind denn?"
Elizabeth lächelte und nickte zur Naßzelle. Das Wasser lief noch.
„Baumstamm?" Rodney hatte mit dem Essen innegehalten und sah Carson groß an. „Soll das heißen, Major Sheppard ist gegen einen Baum im Central Park gerannt?"
Carson war einen Moment lang noch in die schmale Akte vertieft, runzelte dann aber die Stirn. „Nur, wenn dieser Baum ein Messer dabei hatte und zwei Hände besaß, um den Major zu würgen ... "
Rodney verzog unwillig das Gesicht.
„Dr. Holmes sagte mir, daß Major Sheppard bereits mit einem der zuständigen Ermittler gesprochen hätte. Er ist zwar wohl nicht verdächtig, wie denn auch?, soll sich aber dennoch zur Verfügung halten", fuhr Carson jetzt wieder an sie gewandt fort.
Die Dusche verstummte.
Elizabeth nickte. „Und der Gedächtnisverlust? Der Major sprach das gerade selbst an."
Carson winkte ab. „Partiell und nicht schwer. Eher ein Glück für ihn, wie mein Kollege hier sich anhörte. Sollte noch etwas nachkommen, können wir uns noch immer überlegen, wie wir dagegen vorgehen können."
„Oh, und wie? Voodoo?" fragte Rodney, der sich gerade eine Tasse Kaffee eingoß.
Carson sah kurz wieder zu ihm hinüber. „Hypnose, mein Junge", entgegnete er. „Aber zu diesem Mittel sollten wir erst greifen, wenn wir bemerken, daß die Amnesie nicht nachläßt und diese Lücke den Major belastet."
Elizabeth nickte und beobachtete, wie der Schotte seinen Rucksack von den Schultern nahm, um die Akte darin zu verstauen und wohl seine eigenen Instrumente hervorzukramen.
Die Tür zur Naßzelle öffnete sich, gerade als Carson sein Stetoskop hervorgeholt hatte. John trat, frisch geduscht und mit noch feuchten Haaren, heraus, stutzte, als er Beckett sah. In seiner Rechten trug er die zusammengeknüllte Plastiktüte mit seiner getragenen Boxershorts, bei der er einen länglichen Blutfleck bemerkt hatte, als er sich ihrer entledigte. Da hatte das CSI wohl etwas übersehen ...
Andererseits, da seine restliche Kleidung und seine Schuhe konfisziert worden waren, dürfte es auch mehr als genug Blutspuren an ihm gegeben haben, wenn er da nur an die Brühe dachte, die gerade im Ausguß verschwunden war ...
John erschauderte unwillkürlich wieder. In seinem Kopf begann die fragende Stimme erneut auf ihn einzuprügeln. Warum hatte er nicht helfen können? Wieso mußte diese arme Frau sterben? Was war überhaupt geschehen? Wieso war er dermaßen zugerichtet worden?
Carson blickte auf. Ein freundliches Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Ah, da sind Sie ja, Sohn. Kommen Sie doch einmal her."
John erwiderte das Lächeln kurz, zögerte aber. Er war doch heute nacht erst auf den Kopf gestellt worden. Warum jetzt schon wieder?
Dann aber nickte er und trat näher, ließ sich auf das Bett sinken und öffnete das weiße Freizeithemd, das in der Plastiktüte auf ihn gewartet hatte, ebenso wie eine frische Boxershorts, Socken, eine Jeans und seine Armeestiefel. Die Sportschuhe waren ja beschlagnahmt worden und er hatte nur diese zwei Paar mitgenommen zur Erde. Da würde er sich später wohl noch neue Schuhe besorgen müssen ...
Carson tastete vorsichtig seinen Hals ab, der immer noch gerötet war. Doch die vormals deutlichen Abdrücke von zwei Händen waren zu einer einzigen großen Verfärbung verschmolzen.
John ließ die Untersuchung widerstandslos über sich ergehen, auch wenn es ihm körperlich wieder gut ging. Andere Dinge nagten an ihm, Dinge, die viel tiefer saßen und ihn zerfleischen wollten, würde er es zulassen, daß sie entgültig Macht über ihn gewannen.
Carson schien, als er mit seiner Untersuchung fertig war, halbwegs zufrieden gestellt zu sein. Sinnend nickte er, während er noch einmal in Johns Augen leuchtete, um zu sehen, was auch immer es dort zu sehen gab. Dann richtete er sich auf und begann seine Instrumente wieder in seinen Rucksack zu räumen.
John beobachtete ihn dabei, schloß blind die Knöpfe und wartete auf das Urteil, das hoffentlich zu seinen Gunsten ausfallen würde.
„Und?" ließ Elizabeth sich vernehmen.
Selbst Rodney unterbrach seine offensichtliche Orgie eines seltenen Genußes.
Carson nickte wieder sinnend, wandte sich dann an John: „Wenn überhaupt, dürfte es eine äußerst schwache Gehirnerschütterung sein, die Sie sich eingehandelt haben", erklärte er. „Die Wunden im Gesicht, am Hals und den Armen sind größtenteils, wie man Ihnen ja auch schon mitgeteilt hat, oberflächlich. Mit der Schnittwunde in der Handfläche ist nicht zu scherzen. Ich hätte sie vielleicht genäht, aber es wird auch so verheilen."
John zog unwillkürlich eine Grimasse und senkte den Blick auf seine verbundene linke Hand.
Warum eine Abwehrverletzung auf der falschen Seite? Er war Rechtshänder, nicht Linkshänder?
„Alles in allem aber wirklich nichts, was mich dazu veranlassen würde, Sie weiter hier zu lassen, mein Sohn", fuhr Carson mit einem Lächeln fort.
John atmete erleichtert auf.
Carson klopfte ihm auf die Schulter. „Dann sollten wir jetzt allmählich gehen. Und Sie werden sich die nächsten Tage schonen, Major. Keine Ausflüge in den Central Park mehr."
Aber ... sein Lauftraining! John hatte sich im letzten Jahr so daran gewöhnt, daß er sich wirklich schon Knochen brechen mußte, um nicht seine tägliche Runde zu absolvieren, selbst hier auf der Erde. Er war bisher jeden Abend im Central Park gelaufen.
Carsons Blick blieb an der Plastiktüte mit der getragenen Boxershorts hängen. „Soll ich die einpacken?" erkundigte er sich.
John nickte erleichtert. So mußte er sich zumindest nicht offen mit seiner Dreckwäsche beschäftigen.
Statt dessen richtete er sich wieder auf, trat an Rodneys Seite und schnappte dem die Kaffeetasse aus der Hand, um sie mit einem Schluck zu leeren. Plötzlich hatte er Durst.

***

Danny Messer betrachtete die Beweisstücke, die vor ihm ausgebreitet auf dem Tisch lagen, ging dann noch einmal die Tatortfotos durch, die Stella und Aiden gemacht hatten.
„Das alles ergibt doch keinen Sinn", bemerkte er dann schließlich, trat zu dem zweiten Tisch und nahm sich noch einmal die Akte über den Jogger Major John Sheppard vor.
Aiden Burn, die gerade damit beschäftigt gewesen war, eine winzige Pflanzenspur zu sichern, die auf den Jogginghosen klebte, sah auf. „Was meinst du, Danny?"
Der junge Tatortermittler hatte sich schwer auf den zweiten Tisch gestützt und las erneut die Akte. „Das stimmt doch alles hinten und vorne nicht!" Seiner Stimme war deutlich anzumerken, daß da etwas gewaltig in ihm brodelte.
Aiden hob die Brauen und schürzte die vollen Lippen. Gerade jetzt hörte Danny sich verdächtig an, wie sie ihn mindestens schon einmal erlebt hatte: Er verrannte sich gerade in etwas, was ihnen allen nicht sonderlich gefallen würde. Vor allem nach dem, was Stella vor ein paar Stunden, als sie die restlichen Beweismittel sowie die militärische Akte dieses Major Sheppard brachte, angedeutet hatte. Offenbar war auch Mac dabei, sich in etwas zu verrennen ...
Aiden runzelte die Stirn. „Wir sind noch dabei, die Spuren zuzuordnen, Danny", warnte sie. „Jetzt schon über das Ziel hinauszuschießen, könnte für die Anklage tödlich sein, das solltest du wissen."
Danny winkte gereizt ab. „Welche Spuren wem zuordnen?" fragte er, blickte auf. In seine blauen Augen trat ein harter Zug. „Ich bin das ganze jetzt schon dreimal durchgegangen, und ich komme immer zum gleichen Ergebnis: Außer dieser Carmen Lloyd und Major Sheppard war NIEMAND am Tatort. Als abschließender Beweis fehlt uns nur das Messer, ansonsten ..."
Aiden lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und kreuzte mit einem genervten Gesichtsausdruck die Arme vor der Brust. „Richtig, wir haben das Messer nicht. Es gibt im Moment keine Tatwaffe, die wir wem auch immer zuordnen können. Das solltest du wirklich nicht vergessen, Danny."
„Ich werde nachher nochmal in den Park gehen und im See danach suchen lassen. Und ich bin sicher, ich werde dort etwas finden", entgegnete Danny sofort, richtete sich auf und funkelte sie hinter seinen Brillengläsern an. „So wie ich es sehe, lief es folgendermaßen ...

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Carmen Lloyd, die junge Angestellte einer kleinen, am Central Park ansässigen, Firma, ging schnellen Schrittes durch den Park in Richtung ihres Apartments, das auf der anderen Seite lag.
Natürlich hatte sie von dem Ripper gehört, der sich irgendwo hier versteckt halten sollte, darum hatte sie sich ja auch ein Pfefferspray gekauft und trug es in der Handtasche mit sich.
Ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann tauchte aus der Dunkelheit des späten Abends auf und joggte mit langen Schritten an ihr vorbei. Kurz konnte sie sein Gesicht in der beginnenden Nacht hell schimmern sehen, dann war er hinter ihr.
Carmen beschleunigte ihre Schritte noch etwas.
Der Jogger hatte zwar sympatisch auf sie gewirkt, aber ...
Im nächsten Moment wurde sie von hinten gepackt. Sie schrie schrill auf, ihre Hand zog das Pfefferspray aus ihrer Tasche.
„Hallo, du Schlampe!" zischte eine diabolische Stimme ihr zu, und kurz erhaschte sie einen weiteren Blick auf das Gesicht, das gerade noch an ihr vorbeigelaufen war ...
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Danny lehnte sich befriedigt zurück.
Aiden klopfte ungeduldig mit den Fingern einen Takt auf den Untersuchungstisch. „Wir wissen, daß sie das Pfefferspray wohl verwendet hat, aber an der Kleidung dieses Majors war nichts zu finden. Du hast das selbst überprüft. Außerdem ... wie erklärst du dir seine Verletzungen?" fragte sie.
Danny lächelte humorlos. „Ganz einfach ..."

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John beugte sich keuchend über dieses Flittchen. Ihr würde er es schon noch besorgen - richtig besorgen. So wie sie es wohl brauchte.
Er zog das lange, breite Messer aus der Tasche seiner Jacke und grinste diabolisch, während die Frau unter ihm wimmerte.
„Wollen wir es nochmal probieren, mein Schatz?" gurrte er mit kalter Stimme, beugte sich über sie.
Carmen schrie wieder auf, als seine Zunge über ihre Wange leckte. Mit dem Mut der Verzweiflung rammte sie John ihre Beine in den Körper, mit einer solchen Wucht, daß er zurückgeschleudert wurde ...
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Aiden schüttelte den Kopf. „Nette Geschichte, aber da sind zuviele Lücken, Danny, zuviel Ungereimtes. Zudem ... wo ist die Waffe? Wo ist das Messer? So, wie du es erzählst, hätte dieser Sheppard es verlieren müssen. Außerdem dürfte wohl klar sein, daß er ihr die tödlichen Verletzungen beibrachte, ehe er gegen den Baum geschleudert wurde. Sie war schlicht nicht mehr fähig, sich zur Wehr zu setzen." Sie löste die Verschränkung ihrer Arme und hielt ihm eine Hand entgegen. „Zudem ... trägt eine Frau Pfefferspray in dieser Stadt bei sich, hat sie keine blaße Ahnung von Selbstverteidigung. Das läßt du vollkommen außen vor."
Danny starrte wieder auf die Akte hinunter, kniff die Lippen zusammen. „Das Messer kann er verloren haben, das ist richtig. Aber er kann es auch wiedergefunden haben - daher die Verletzung seiner Hand. Selbst dieser Major dürfte einige Schwierigkeiten haben, im Dunkeln zu sehen, und in der Ecke war es verdammt dunkel!"
„Und wie erklärst du dir seinen Anruf? Wir haben den auf Band, schon vergessen?" Aiden setzte sich wieder gerade hin. „Wir sollten sowieso erst den Autopsie-Bericht abwarten, ehe wir die falschen Schlüsse ziehen. Der Zeuge, der Sheppard am Telefon gesehen und den Anruf fortgeführt hat, hat nichts von einem Messer erzählt. Es wäre aber die einzige Möglichkeit gewesen, neben dem Vergraben, sich der Waffe zu entledigen."
„Gespaltene Persönlichkeit." Danny triumphierte. „Person A ist unser sadistischer Killer, Person B vollkommen unschuldig."

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„Du kleine Schlampe!" Wie besessen hackte er von unten auf sie ein, rammte ihr die Klinge seines Messers zwischen die Beine. Irrsinn leuchtete in seinen Augen, sein blutverschmiertes Gesicht war bar jeder Vernunft.
Carmen nahm ihr letztes bißchen Kraft zusammen und rammte ihm ihre Beine in den Leib, gerade, als er das Messer wieder aus ihrem Körper zog, Mit der Kraft des nahenden Todes verstärkte sich ihr Tritt und ließ John rückwärts taumeln, ehe er gegen den Baumstamm krachte. Halb bewußtlos rutschte er die rauhe Rinder hinunter und hinterließ Spuren. Dann saß er, wie eine Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte, zwischen den Wurzeln und kämpfte um seine Besinnung.
Carmen Lloyds Blut ergoß sich mittlerweile über den Boden ...
Als er wieder zu sich kam, blickte er entsetzt auf und starrte in die Schatten. Ein leichter Lichtschimmer fiel auf das blasse Gesicht der fremden Frau.
Oh Gott! Es war wieder geschehen! Wieder war er ...
John erhob sich, taumelte auf die Frau zu, fiel bei ihr auf die Knie und starrte sie an, während ihr Blut im lockeren Erdreich versickerte.
„Bitte nicht ..." wisperte er, schälte sich aus seiner Jacke und drückte sie ihr zwischen die Beine. Vorsichtig begann er, so gut er konnte Erste-Hilfe zu leisten, doch weit kam er nicht. Er konnte fühlen, wie die Fremde immer schwächer wurde.
„Ich ... ich hole Hilfe, Mam", sagte er schließlich, in einem leichten Anfall von Panik, rappelte sich wieder auf die Beine. „Ich bin gleich wieder da."
Carmen Lloyd hörte ihn schon lange nicht mehr ...
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Aiden schüttelte den Kopf, wandte sich wieder ihrer Spur zu. „Du wirst es erst lernen, wenn du rausfliegst, glaube ich."
Danny starrte sie wütend an. „Und was? Daß das Militär seine Hände schützend über einen Mörder hält? Komm schon, du weißt doch selbst, wie das mit diesen Geheimnisträgern und Diplomaten-Schweinen ist!"
Aiden drehte sich wieder zu ihm um und funkelte ihn an. „Willst du wissen, wie ich das sehe? Dann hör gut zu ..."

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Major John Sheppard joggte durch den nächtlichen Central Park, mußte dabei aufpassen, daß er auf den Wegen blieb. Da erregte eine Bewegung seine Aufmerksamkeit.
Einen Moment lang blieb er unschlüssig stehen, sah zu den Bäumen hinüber, wollte schon weiterlaufen, entschied sich dann aber doch anders, wenn er auch nicht wußte warum.
Er lief hinüber zu dem Wäldchen nahe am See und schlüpfte zwischen zwei Büschen hindurch.
Irgendwo vor ihm erklang ein undeutliches Wimmern und ein eigenartiges, schmatzendes Geräusch, das er nicht so ganz zuordnen konnte.
John folgte den Geräuschen zögernd, lauschte immer wieder, um die Richtung nicht zu verlieren.
Und dann sah er die Tragödie, die sich zwischen den Büschen und Bäumen abspielte.
John zögerte nun nicht eine Sekunde mehr, sondern sprang vor, auf den Angreifer zu. Ihm war nicht klar, daß er sich hier wahrscheinlich gerade mit dem Central-Park-Ripper anlegte, er wollte die Frau retten, ganz so, wie er es in seiner Ausbildung gelernt hatte.
Doch der Ripper, eine schwarze, unscharfe Gestalt, nahm auch den Kampf mit dem Offizier auf. Der hatte kaum eine Chance, trug er doch keine Waffe bei sich und war offensichtlich auch nicht sonderlich begabt im Nahkampf. Es war eben einfach zu lange her ...
John krachte mit dem Kopf voran an dem Baumstamm, die Wucht schleuderte seinen Körper hinterher. Benommen sackte er an der rauhen Rinde hinab auf den lockeren Boden, wo er, wie eine vergessene Gliederpuppe sitzenblieb und wohl einige Minuten lang besinnungslos war.
Irgendwann kam er wieder zu sich, rappelte sich stöhnend und wimmernd auf. Carmen Lloyd lag in ihrem Blut unter dem Strauch und rührte sich nicht mehr.
John taumelte zu ihr, ließ sich bei ihr nieder und versuchte sich an einer Notversorgung. Doch letztendlich konnte er nicht mehr tun, als seine Jacke auszuziehen und sie ihr, um das Blut etwas zu stillen, zwischen die Beine zu schieben.
Hatte er da vorhin nicht irgendwo ein Münztelefon gesehen auf seiner Runde?
John kam mühsam wieder auf die Beine und taumelte Richtung Seeufer davon ...
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Danny lachte bitter auf. „Soll das ein Witz sein? Der Schwarze Mann ist der Ripper?" Er tippte mit dem Finger wieder auf die Militärakte. „Guck dir das hier an, Aiden. Dieser Sheppard ist der Täter, da gehe ich jede Wette drauf ein. Weiß der Geier, warum über ihn die Hand gehalten wird, aber mich wird es nicht wundern, wenn der DNA-Abgleich ergibt, daß er der Ripper ist."
„Wir können uns zu diesem Zeitpunkt noch keine echte Theorie leisten, Danny! Erst recht keinen vorzeitigen Schuldspruch, wie du ihn gerade betreibst!" Aiden schüttelte den Kopf. „Ich lasse die Beweise für sich sprechen, aber was tust du mit deiner Theorie? Du läßt die Hälfte außer Acht oder interpretierst sie um! Carmen Lloyd hatte schlichtweg nicht mehr die Kraft, diesem Sheppard irgendwie gefährlich zu werden, nachdem man sie erst brutal vergewaltigt und ihr dann um die dreißig Mal ein Messer in den Unterleib gerammt hat."
Danny kniff die Lippen aufeinander und starrte auf die Akte hinunter.
Er hatte recht! Er wußte es! Die verdammte Regierung hielt ihre Hand mal wieder über einen Mörder, wie so oft!
„Und jetzt laß uns weiter arbeiten, und zwar in Ruhe." Aiden drehte sich wieder um und fuhr fort, die Jogginghose auf Spuren zu untersuchen.

***
Es war Mittagszeit, als Elizabeth an die großen Fenster trat und hinunterblickte auf die Plaza vor dem UN-Gebäude. Ein amüsiertes Lächeln glitt über ihr Gesicht, als sie die beiden Männer bei einem der Hotdog-Stände erkannte.
Natürlich wieder John und Rodney! Wer auch sonst. Carson aß in der Kantine und sie hatte einfach keinen Appetit und wollte auf das Mittagessen verzichten, zumal sie sich heute abend mit Simon traf, der extra nach New York gekommen war.
Elizabeth beobachtete die beiden so unterschiedlichen Männer mit einem leisen Lächeln.
John Sheppard beugte sich in genau diesem Moment weit nach vorn, nachdem er von seinem Hotdog abgebissen hatte und winkte mit der freien Hand.
Rodney gab offensichtlich irgendeinen sehr unpassenden Kommentar von sich, während der Ketchup aus Sheppards Brötchen auf die Steinplatten tropfte. Der Major richtete sich wieder auf, und sie konnte erkennen, daß auch an seinem Mund und Kinn Ketchup klebte.
„Es gibt tatsächlich eine recht gute Kantine in diesem Gebäude", holte eine Stimme sie in die Realität zurück.
Elizabeth richtete sich auf, ließ ihre beiden Stabsmitglieder dennoch nicht aus den Augen. „Richard", grüßte sie blind. „Ich dachte, Sie hätten noch wichtige Dinge zu erledigen?"
Richard Woolsey, der Ex-NID-Agent und jetzige Mittelsmann zwischen dem SGC und der IOA verzog unwillig das Gesicht, während nun auch er die beiden Männer auf dem Platz beobachtete. „Ja, und zwar über ihn", setzte er dann hinzu.
Elizabeth seufzte schwer, als sie sich vom Fenster löste und zu Woolsey herumdrehte. „Was wollen Sie?"
Der sah immer noch auf die Plaza hinaus. „Mit Ihnen über den Auftritt von Major Sheppard reden, Elizabeth", antwortete er. „Ich habe gerade mit den Vertretern der Mitgliederstaaten des IOA gesprochen. Und einhellig war man der Meinung, Major Sheppard hätte es sich zumindest für heute überlegen können, seine Uniform zu tragen."
Elizabeth schüttelte unmerklich den Kopf, wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fenster zu.
„Sie sollten immerhin bedenken, daß Sie Major Sheppard nach eigenem Bekunden gern wieder mit zurück nach Atlantis nehmen wollen", fuhr Woolsey fort. „Aber wie er sich im Moment aufführt, wird sein nächster Aufenthaltsort wohl eher ein Militärgefängnis sein."
Elizabeth atmete einige Male tief ein.
„Es ist schwer genug zu begreifen, warum er Colonel Sumner erschossen hat, obwohl dieses natürlich schon einige Zeit zurückliegt. Dennoch aber muß der Major sich die Fragen des Komitees gefallen lassen und sollte sie auch ernst nehmen. Seine flapsigen Antworten wurden ebenfalls nicht als besonders fruchtbar und produktiv eingestuft."
Elizabeth hob wieder die Hand, dieses Mal wesenltich bestimmter. „Haben Sie vom Central-Park-Ripper gehört, Richard?" erkundigte sie sich freundlich.
Woolsey stutzte, nickte dann aber. „Natürlich, ich habe über ihn in der Zeitung gelesen", antwortete er.
Elizabeth nickte wieder, kreuzte die Arme vor der Brust. „Sie wissen, daß dieser Killer gefährlich ist?"
„Sicher. Worauf wollen Sie hinaus, Elizabeth?"
Zwei junge Frauen schlenderten an Sheppard und McKay vorbei und warfen dem Major bedauernde Blicke zu. Der setzte augenblicklich eine pure Leidensmiene auf und lächelte tapfer hinter den beiden her. Elizabeth schmunzelte, als nun McKay sich zu dem Militär beugte und ihm etwas an den Kopf warf. Wahrscheinlich wieder seine übliche Tirade in einem solchen Fall: „Kirk!"
Woolsey neben ihr seufzte. „Ich erkenne die Arbeit des Majors durchaus an, Elizabeth", fuhr er unvermutet fort, nachdem sie nicht weiter auf seine Frage eingegangen war. „Ich sehe sogar, daß er, wenn auch unkonventionell, durchaus seine Stärken hat. Mir ist der Bericht, den Colonel Everett vorlegte, ehe er in eine Reha-Einrichtung verlegt wurde, durchaus bekannt, vor allem seine lobenden Worte über Sheppard. Dennoch aber ..."
„John Sheppard steht nicht zur Diskussion!" fiel Elizabeth ihm ins Wort. „Er hat in diesem einen Jahr sehr viel für Atlantis und unser Überleben getan. Ihn jetzt zurückzulassen auf der Erde, kommt für mich nicht in Frage, tut mir leid, Richard." Sie drehte den Kopf und sah den Ex-NID lange an. „Was Ihre Frage angeht, Richard: Major Sheppard erschien heute nicht in seiner Uniform, weil er die Nacht im Krankenhaus verbracht hat und die Polizei seine Kleidung beschlagnahmte."
„Er hat sich geprügelt, das ist selbst mir aufgefallen", wandte Woolsey ein.
Elizabeth kreuzte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. „Er hat sich geprügelt, ja", gab sie zu, „aber er hat sich geprügelt, um einer jungen Frau das Leben zu retten. Er ist durch Zufall auf die nächste Tat des Central-Park-Rippers aufmerksam geworden und dazwischen gegangen. Er hätte dieses Abenteuer auch mit dem Leben bezahlen können, Richard, ich hoffe, das ist Ihnen klar."
Woolsey starrte sie groß an. „Er hat was?"
Elizabeth sah wieder auf die Plaza hinunter. Ihre beiden Stabsmitglieder hatten mittlerweile den Hotdog-Stand gewechselt. Da mußten zwei Fast-Food-Fans wohl ein Jahr der Abstinenz nachholen ...
Sie nickte. „John Sheppard hat wieder das getan, was er auch schon mehrfach auf Atlantis getan hat, Richard. Er ist ein Held, der nicht an sein eigenes Leben denkt, wenn es um das anderer geht. Das sollte das IOA meines Erachtens berücksichtigen, und nicht, ob seine Ausgehuniform sitzt und richtig gebügelt ist."
Aus den Augenwinkeln sah sie, daß Woolsey blaß geworden war, aber nun ebenfalls nachdenklich die beiden so unterschiedlichen Männer auf der Plaza beobachtete.

***

Mac betrat die katakombenartigen Hallen der Pathologie, blickte einen Moment lang nach oben, wo sich backsteinerne Kuppeln über der Decke spannten und dem ganzen Raum etwas kathedralenhaftes verliehen, ebenso wie die hohen, halbrunden Fenster.
„Sheldon, was hast du für mich?" begrüßte er den Schatten am ersten der OP-Tische, die die eine Hälfte des gewaltigen Raumes einnahmen.
Der farbige Pathologe blickte auf, schlug dann das Laken zurück. „Carmen Lloyd, Verkäuferin in einer kleinen, am Central Park ansässigen Firma", antwortete er, lächelte dem Chef des CSI dann zu. „Willkommen in den heiligen Hallen. Was macht mein Antrag."
Mac nickte stirnrunzelnd, sah der Toten ins Gesicht. „Ich warte auf das Okay des Chiefs", antwortete er ausweichend.
Vor Monaten hatte Sheldon Hawkes, seines Zeichens der oberste Pathologe der Stadt New York den Antrag auf Versetzung ins CSI gestellt. Mac bereitete es einige Mühe, den Mann woanders als auf der anderen Seite des OP-Tisches zu sehen. Zwar wußte er von dem Antrag und hatte dem Polizeichef in der Fragestunde auch positiv geantwortet, dennoch hoffte er insgeheim, daß Sheldon dort bleiben würde, wo er jetzt war: Nämlich genau hier und genau so, wie es sein sollte.
Jetzt sah der Pathologe ihn lange und forschend an, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder der Leiche zwischen ihnen beiden zuwandte. „Wir können wohl mit Bestimmtheit davon ausgehen, daß Miss Lloyd das fünfte Opfer des Rippers ist. Sie wurde erst brutal vergewaltigt und dann mit vierunddreißig Messerstichen in Uterus und Unterleib getötet."
Mac kniff die Lippen aufeinander.
Das war der Teil seines Jobs, den er am meisten haßte. Das CSI war oft genug die einzige Stimme, die ein Ermordeter noch hatte. Dennoch bereitete es ihm immer noch Mühe, nicht den Menschen vor sich zu sehen sondern das letzte und wichtigste Beweismittel, das ihnen im Falle eines Mordes zu Verfügung stand.
„Hat er wieder das gleiche Messer benutzt?" fragte er so kühl wie möglich.
Sheldon Hawkes nickte. „Das selbe Messer, die selben Spermaspuren. Dieser Kerl muß sich verdammt sicher sein, daß er nicht geschnappt wird. Stimmt mit den Gen-Proben etwa etwas nicht?"
Mac schüttelte den Kopf. „Damit ist alles in Ordnung. Auch die Spermienanalyse ergab nichts außergewöhnliches. Wer immer dieser Kerl ist, er ist mehr als unvorsichtig in der falschen Zeit. Möglichweise ein weniger gebildeter Mann."
Hawkes wandte sein Interesse wieder dem Leichnam zu. „Jedenfalls sind es zuviele Parallelen, als daß sie Zufall sein könnten. Nur eines ist anders ..."
Mac musterte einen Moment lang den langen Y-Schnitt, der schon wieder vernäht war. Dann ging ihm auf, daß der Pathologe den Satz nicht vollendet hatte. Er sah auf und runzelte die Stirn. „Was ist anders?" fragte er.
Sheldon grinste. „Unser Freund muß sich eine neue Waffe besorgen", antwortete er dann, drehte sich um und fischte einen Beweismittel-Beutel zwischen seinem Obduktionsbesteck hervor. „Die Klinge ist abgebrochen und im linken Beckenknochen von Miss Lloyd steckengeblieben."
Mac überlief es eiskalt. „In ihrem ... Beckenknochen?" staunte er, griff nach dem Beutel.
Darin befand sich tatsächlich die breite und blutverkrustete Spitze eines langen Küchenmessers mit glatter Klinge.Mac fluchte innerlich. Wäre die Schneide gezahnt gewesen, würde es wesentlich leichter fallen, die dazugehörige Waffe genau zu bestimmen. So mußte er jetzt also mühsam suchen, ehe er vielleicht etwas finden würde.
„Wie es aussieht, war das der letzte Stich, der ihr zugefügt wurde ..."

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Abwechselnd stach die finstere Gestalt in den Unterleib und von oben in den Bauch der bereits tödlich verwundeten Frau. Immer und immer wieder hackte der Mörder zu. Bis ...
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Mac ging ein Licht auf. „Er wurde beim letzten Stich gestört!"

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John näherte sich der Gestalt von hinten, sah sich kurz um, ehe er dem anderen auf den Rücken sprang, um ihn von der jungen Frau abzulenken.
In diesem Moment hatte der Angreifer das Messer wieder in dem fremden Leib versenken wollen. Durch den Aufprall Sheppards rammte er die Klinge tiefer als gewöhnlich in den Leib. Er fühlte in der Handfläche, wie die Schneide vibrierte unter dem Zwang, noch tiefer in sie einzudringen.
John riß die dunkle Gestalt von Lloyd herunter, in der vagen Hoffnung, vielleicht doch noch das Leben dieser armen Frau zu retten. Eine Sekunde lang war er abgelenkt, als er die Klinge im Unterleib der Frau sah. Und diesen Moment nutzte der Ripper, stürzte sich jetzt seinerseits auf den Major und würgte ihn.
Ein Gerangel entstand, bei dem es Sheppard irgendwie gelang, sich wieder zu befreien, doch viel brachte ihm das nicht. Der Ripper packte ihm am Arm und schleuderte ihn von sich.
John prallte mit der Schläfe auf den Baumstamm und rutschte diesen dann benommen herunter.
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Sheldon nickte. „Sieht ganz so aus. Und wenn euer Zeuge sich auch nur halbwegs so verhalten hat, wie es seine Pflicht als guter Staatsbürger sein sollte, dann dürfte dieser Zeuge aus dem Schneider sein."
Mac stutzte. „Wie meinst du das?"
Der Pathologe schlug das Laken wieder über den Leichnam der jungen Frau, der so gräßlich verstümmelt worden war. „Ich meine, Danny war vor ungefähr einer halben Stunde hier und sagte, er wolle noch einmal zum Tatort zurück."
Mac sah Sheldon einen Moment lang groß an, dann nickte er nur wortlos und verließ den Raum wieder.
Der Pathologe hatte ihm genug zu denken gegeben ...

***

Carson Beckett lächelte Elizabeth Weir glücklich an. „Sie sehen bezaubernd aus, wenn ich das bemerken darf", entfuhr es ihm.
Elizabeth sah den schottischen Mediziner einen Moment lang verblüfft an, dann lächelte sie. Das knielange, schwarze Cocktailkleid glitzerte durch die Stickereien und Pailetten, als sie sich leicht bewegte. „Danke, Carson", sagte die Leiterin der Atlantis-Expedition.
Der Arzt nickte, trat einen Schritt zurück. „Wenn er das nicht anerkennt, weiß ich auch nicht mehr", sagte er.
Elizabeth stutzte. „Wer?"
Der Schotte blickte auf wie tief aus seinen Gedanken gerissen. „Na, der Mann, für den Sie sich so fein gemacht haben, Elizabeth. Das ist definitiv nicht nur ein geschäftliches Essen, wie Sie behaupten. Dafür strahlen Sie viel zu sehr. Nein, nein, da spielt etwas ganz anderes hinein - oder besser jemand."
Die Stimmen von Rodney und John erklangen aus der Suite, die der Führungsstab von Atlantis sich teilte.
Elizabeth runzelte die Stirn. „Was ist denn jetzt wieder mit den beiden los?"
Carson schüttelte den Kopf. „Wie die kleinen Kinder, nicht wahr?" fragte er und zuckte mit den Schultern. „Aber was soll man schon anderes tun als ihnen hier und da einmal ein wenig mehr Leine zu geben."
Elizabeth sah ihn plötzlich schuldbewußt an. „Ich denke, ich sollte vielleicht ..."
Carson hob die Hand. Das fehlte ihm noch, daß er jetzt auch noch sie trösten mußte wegen einer verpaßten Chance. Nein, nein, sie sollte gehen, er würde das schon klären können. Notfalls hatte er ja auch noch seine Arzttasche (auch wenn das mehr ein Rucksack war) dabei. Wenn alle Stricke rissen, konnte er die beiden immer noch sedieren, um seine Ruhe zu haben.
„Gehen Sie jetzt, Elizabeth. Ich kümmere mich darum", sagte er mit einem Lächeln, ließ aber gleichzeitig den Tonfall ernst klingen. „Ich werde nicht zulassen, daß ausgerechnet Sie auf Ihr romantisches Wiedersehen verzichten müssen."
Elizabeth stieg tatsächlich das Blut ins Gesicht wie einem Teenager.
Carson lächelte wieder. War das nicht einer der Gründe, aus dem er damals Arzt geworden war? Hatte er denn nicht den Menschen helfen wollen und dafür dieses Leuchten in ihren Augen als Dank zu erhalten? An Geld und die Notwendigkeit eben solches zu verdienen dachte man als Kind doch nicht - zumindest nicht alle Kinder. Es war der ehrliche Wunsch zu helfen, der ihn für die Medizin einnahm, sowieso die Tatsache, daß er hatte damals schon einige unschöne Erfahrungen sammeln dürfen.
Die Stimmen hinter ihm gewannen an Lautstärke, zumindest die von Rodney. Der Major hörte sich dagegen eher ... ausgleichend an?
Carson richtete seine Konzentration wieder auf Elizabeth. „Nun gehen Sie schon endlich, das Essen wird sonst kalt, der Platz ist vergeben oder sonsteine Katastrophe tritt ein, die Sie sicher nicht haben wollen."
Die Leiterin der Atlantis-Expedition lächelte wieder. „Danke, Carson", sagte sie leise, dann glitt sie zur Tür hinaus und schloß diese hinter sich.
Carson seufzte erleichtert, seine Schultern sanken herab.
Hindernis Nummer eins beseitigt. Blieben also noch zwei andere.
Er drehte sich um und marschierte durch den Flur zurück zu dem Zimmer direkt neben dem Wohnraum, das Sheppard sich ausgesucht hatte, nachdem sie erfahren hatten wo und wie sie hier leben würden für die Dauer ihrer Konferenz beim IOA.
Carson beschleunigte seine Schritte, als er die beiden Männer sich gegenüberstehen sah. Es wirkte beinahe so als ob ...
„McKay, jetzt hören Sie schon endlich auf, mit meiner Waffe auf mich zu zielen!" beschwerte sich in diesem Moment John Sheppard. Demonstrativ hatte er die Hände ein Stück über Hüftniveau gehoben.
Waffe?
In Carson schrillten sämtliche Alarmsirenen auf einmal. Sollte das etwa heißen, Rodney hatte eine ... ?
McKay HATTE die Beretta des Majors in der Hand, der rechten, die leicht zitterte. Aus welchem Grund auch immer Rodney dieses Mal nicht die rechte mit der linken Hand unterstützte, konnte Carson nicht sagen. Dafür aber, daß das durchaus gefährlich werden konnte. Fraglich war nur, für wen?
„Rodney!" Die Hände in die Hüften gestemmt blieb Carson neben dem Top-Wissenschaftler stehen und funkelte ihn an. „Nehmen Sie sofort die Waffe runter!"
„Ganz meine Meinung", fügte Sheppard auf der Stelle hinzu.
McKays Gesicht wirkte verkniffen. Nun hob er doch den linken Arm, die Finger der Herzhand legten sich stützend um das Handgelenk der rechten.
„Rodney!" begehrte Carson auf.
„Wenn ich die Waffe senke, ist er wieder weg", erklärte McKay mit einem düsteren Blick auf Sheppard. „Deshalb stand ich doch hier. Ich wollte aufpassen, wann er wieder losziehen wollte. Aber dieses Mal war ich schneller!"
Aus den Augenwinkeln sah Carson, wie Sheppards Gesicht sich deutlich verdüsterte.
„Das ist kein Grund, auf irgendjemanden hier eine Waffe zu richten, Rodney", versuchte Carson augenblicklich erneut zu beschwichtigen.
McKays Gesicht wirkte verkniffen. „Oh doch, das ist es. Major Sheppard ist offensichtlich erst zufrieden, wenn wir ihn im Leichenschauhaus besuchen dürfen. Und das werde ich nicht zulassen!"
Johns Brauen zogen sich wütend zusammen. „Was fällt Ihnen ein, McKay?"
Carson hob nun auch die andere Hand in einer beschwichtigenden Geste. „Ganz ruhig, Major, das wird schon werden." Dann wandte er sich wieder an den Wissenschaftler: „Und Sie, Rodney, werden jetzt ganz vorsichtig die Waffe senken. Major Sheppard wird heute nicht mehr diese Suite verlassen, mein Wort darauf."
„Der wartet doch nur, daß wir unaufmerksam werden", ereiferte Mckay sich weiter. „Sobald wir ihm den Rücken gekehrt haben, geht er doch sofort wieder los zum 'Joggen'!" Allein die abfällige Art und Weise, in der er das letzte Wort betonte, sprach für Carson schon Bände.
Unwillkürlich seufzte er in einer tief aus dem Inneren kommenden Resignation. Wie oft hatte er McKay jetzt schon gesagt, daß ein wenig Sport noch niemandem geschadet hatte. Aber bei Rodney traf er einfach auf taube Ohren, wenn es um dieses Thema ging.
Also anders.
Carson wandte sich wieder dem Major zu und sah ihn offen und freundlich an. „Major ... John, sagen Sie bitte, daß Sie nicht joggen wollten, dann wird Rodney die Waffe senken. Mein Wort darauf."
Der Major verzog unwillig das Gesicht.
Carson war einen Moment lang wirklich versucht, McKay die Beretta zu entwinden und sie selbst auf den Militär zu richten.
Gab es das denn wirklich? Er hatte Sheppard doch klipp und klar gesagt, daß jegliche sportliche Aktivität erst einmal ausgesetzt werden sollte, solange seine Wunden und Blutergüße noch nicht verheilt waren.
„Major?" wiederholte er lauernd. „Sie erinnern sich doch noch an das, was Dr. Holmes und auch ich Ihnen gesagt haben, oder?"
John wand sich etwas. Offensichtlich war dieses Thema ihm unangenehm. „Ich wollte mir doch nur neue Laufschuhe kaufen", begehrte er auf. „Vom Joggen war bisher noch keine Rede." Ein sehr schuldbewußter Blick traf den Mediziner.
Und Carson wußte auch sehr genau warum: Woher auch immer, John Sheppard hatte sich offensichtlich einen neuen Jogginganzug besorgt, der ebensowenig wirklich zusammengehörte wie der letzte, den er getragen hatte. Das einzige, was fehlte, waren eben ein Paar ordentliche Laufschuhe, und Carson war sich ziemlich sicher, nachdem diese auch noch organisiert worden wären, wäre der Major wieder losgezogen.
„Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ..."
„Hey, Doc, es geht mir gut!" John grinste spitzbübisch. „Außerdem bin ich es gewohnt zu joggen. Ich kann auf mich selbst aufpassen ..."
„Was wir alle gestern abend gesehen haben", höhnte Rodney wieder los.
Augenblicklich wandte der Major dem Wissenschaftler wieder sein Interesse zu. „Kann ich etwas dafür, wenn ein bekannter Serienkiller plötzlich sein Jagdrevier verläßt und andernorts wildert?" fragte er aufgebracht.
„Oh, es kam Ihnen aber auch sehr gelegen, nicht wahr? Mal wieder so eine Sheppard-Sache!"
„Das war keine Sheppard-Sache!" Die haselnußfarbenen Augen funkelten wütend. „Außerdem bin ich damals auch Joggen gegangen, als ich mir die Rippen gebrochen hatte."
Carson bekam große Augen. Augenblicklich ruckte sein Kopf wieder zu dem Major herum und er funkelte ihn an. „Sie sind was?" fragte er lauernd, trat einen halben Schritt auf den Militär zu. „Hatte ich Ihnen damals nicht klar und deutlich zu verstehen gegeben, daß Sie sich schonen sollten und ich Sie nur unter Vorbehalt entlassen habe?"
John Sheppard schien plötzlich aufzugehen, daß er einen gewissen Fehler gemacht hatte. Schuldbewußt blinzelte er und hob die Hände wieder, die er davor hatten sinken lassen. „Ich bin ja auch nicht weit gekommen", gab er sehr zerknirscht zu. „Nur bis um die nächste Ecke."
„Ein Wunder, daß Sie überhaupt so weit gekommen sind nach Ihrer Auseinandersetzung mit dem Wraith!" Carson entschloß sich im Stillen, den Major das nächste Mal gründlich sediert zu halten, tauchte der noch einmal in seiner Krankenstation auf Atlantis auf. Auf diese Weise bestand zumindest nicht die Gefahr, daß er sich noch irgendwann selbst Schaden zufügte.
„Kann ich jetzt vielleicht gehen?" Hoffnungsvoll sah John ihn an.
Carson hob die Schultern und atmete tief ein. „Nein!" entschied er mit fester Stimme.
In diesem Moment läutete es.
John schien regelrecht in sich zusammenzufallen vor seinen Augen. Mit großen Augen blinzelte er ihn unter seinen Ponyfransen an.
Gab es das denn?
Carson stemmte die Hände in die Hüften. „Sie bleiben schön brav hier heute abend! Sie müssen sich noch schonen."
„Es geht mir gut, Doc. Da habe ich schon wesentlich schlimmeres hinter mir", verteidigte John sich.
Das allerdings stimmte, wie Carson zugeben mußte. Immerhin kannte er die ganze Krankenakte von John Sheppard, und die war nicht gerade dünn.
Wieder läutete es an der Tür, dezent und aufdringlich zugleich.
„Das hätten Sie wohl gern. Jetzt gehen Sie auch noch allein und nachts auf Verbrecherjagd, wie?" Rodney kniff die Lippen aufeinander, zielte wieder sorgfältiger. „Aber daraus wird dieses Mal nichts. Sie bleiben schön hier, wie Carson schon sagte: Sie sind angeschlagen!"
„Bin ich nicht!"
„Sind Sie allerdings. Daß Sie es leugnen, macht das ganze nicht besser!"
„Das hätten Sie wohl gern, Rodney!"
„Nein, meinetwegen könnten Sie auch vor das nächste Taxi rennen, das wäre mir vollkommen gleich."
Und zum dritten Mal erklang die dezente Türklingel.
Carson warf John noch einen bitterbösen Blick zu, dann drehte er sich um und marschierte wieder zur Tür zurück, um den ungebetenen Eindringling so gut es ging abzuweisen. „Wie wäre es, wenn Sie beide das bei einer Runde Schach ausdiskutieren würden", schlug er über die Schulter hinweg vor, öffnete dann die Tür und blieb einen Moment lang stocksteif stehen.
Eine junge, rothaarige Frau im Zimmermädchen-Kostüm stand vor ihm, einen Servierwagen mit dem bestellten Popcorn und den Six-Pack Bier darauf neben sich stehend.
„Zimmerservice." Das Dienstmädchen lächelte und zückte einen Block und einen Stift. „Wie bestellt das Popcorn, ganz frisch zubereitet, und das gekühlte Bier. Wenn Sie bitte hier unterschreiben wollen, Sir?"
Carson war nun wirklich überrumpelt, hatte aber dennoch die Geistesgegenwart, so schnell wie möglich seine Initialen auf den Block zu kritzeln und sich die Schüssel und den Six-Pack zu schnappen, ehe das Zimmermädchen auf den Streit im Hintergrund aufmerksam werden konnte. „Danke!" strahlte er sie an und warf mit der Schulter die Tür ins Schloß, gerade in dem Moment, in dem John Sheppard sich wieder über den Mißbrauch seiner Waffe beschwerte. Gerade als das „böse Wort" fiel, knallte die Tür lauter als geplant ins Schloß.
Carson atmete einen Moment lang aus, bis er das Gefühl hatte, seine Lungen vollkommen entleert zu haben, dann trat er, immer noch seine Bestellungen tragend, den Rückweg zu den beiden Streitenden an.
„Ich glaube das einfach nicht!" ereiferte John Sheppard sich gerade, die Hände in die Hüften gestemmt stand er mit einem finsteren Gesichtsausdruck da und funkelte Rodney wütend an. „Sie verletzen sich noch selbst, so wie Sie mit meiner Waffe umgehen. Wieviele Stunden auf dem Schießstand muß ich Ihnen denn noch aufdrücken?"
„Wahrscheinlich soviele, wie Sie wollen!" wetterte McKay dagegen. „Immerhin wollen Sie mich doch belehren, oder nicht? Und jetzt wollen Sie von hier verschwinden, was ich nicht zulassen werde, ist das jetzt endlich auch bei Ihnen angekommen?"
John richtete seine Aufmerksamkeit sofort auf die Riesenschüssel Popcorn, die finstere Miene verschwand, machte einer einzigen großen Frage Platz. Seine Brauen hoben sich, als er auch noch den Six-Pack in Carsons anderer Hand sah, und der Mediziner hätte einen Moment lang schwören können, daß seine Augen aufleuchteten.
Okay, das letzte Bier auf Atlantis war definitiv schon einige Monate lang her gewesen, da mußte er dem Militär recht geben. Wirklich gefehlt hatte der Alkohol zwar nicht, aber ...
„Haben Sie etwas größeres vor, Doc?" erkundigte John sich plötzlich neugierig.
Rodney, der leise geschnüffelt hatte in der letzten Minute, drehte ruckthaft den Kopf. In seinen Augen war sofort heißes Begehren zu lesen. „Popcorn?"
Carson wand sich.
Er wollte diesen Abend eigentlich allein verbringen und hatte sich darauf gefreut, ihn auf seine Art zu genießen. Wie hätte er denn auch annehmen können, daß John und Rodney sich ausgerechnet heute streiten mußten und, statt essen zu gehen oder sonstetwas in ihrer Freizeit zu unternehmen, hier blieben?
Sheppard war mit einem Schritt bei McKay und legte seine Hand auf die Waffe. Vorsichtig entwand er dem Wissenschaftler seine Beretta, um sofort das Magazin zu entfernen und den Lauf zu kontrollieren. Erst dann seufzte er erleichtert und richtete seine volle Aufmerksamkeit dem Mediziner zu.
Carson blickte auf sein Popcorn hinunter und seufzte. Naja, warum eigentlich nicht?
„Ich wollte mir einen Film ansehen, der in ein paar Minuten beginnt", erklärte er. „Ich kenne ihn nicht, habe aber schon viel gutes über ihn gehört." Ein verlegenes Lächeln erschien auf seinen Lippen.
John nickte, Rodneys Augen wurden schmal. „Und was für ein Film ist das?" fragten beide beinahe zeitgleich.
Carson betrachtete wieder die große Schüssel, die allmählich doch zu schwer wurde, um sie in nur einer Hand zu tragen. „Galaxy Quest", antwortete er ein wenig kleinlaut, sich sehr wohl an den Ruf eben dieses Films erinnernd.
Augenblicklich strahlte der Major wie ein Kind unter dem Weihnachtsbaum, McKay nickte. „Ein guter Gedanke."
Carson fühlte sich plötzlich sehr einsam. „Was?" fragte er leise.
„Wir sehen ihn uns zusammen an." Johns Gesicht schien immer breiter zu werden bei dem zufriedenen Grinsen, das er zur Schau trug.
„Und Sie bleiben hier und sind friedlich?" erkundigte Carson sich, unversehens eine gewisse Hoffnung hegend.
Sheppard nickte. „Kein Problem. Der Film ist wirklich klasse. Wenn Sie ihn wirklich nicht kennen, haben Sie bis hierher eine Menge verpaßt. Ist ja inzwischen ein richtiger Kultfilm geworden."
„Meines Erachtens wird Galaxy Quest weit überschätzt. Nur weil ein Tim Allen die Hauptrolle hat, bedeutet das noch lange nicht, daß es sich unbedingt um eine Komödie handeln muß", wandte Rodney ein, nickte dann aber. „Aber ansehen würde ich ihn mir auch noch einmal gern. Ist schon einige Jahre her."
John nickte. „Klar. Ich weiß noch, ich habe ihn während einer Stationierung in Afrika das erste Mal sehen können." Abrupt schloß er den Mund, grinste dann entschuldigend und hob beide Hände. „Ich bringe nur kurz die Waffe in Sicherheit." Damit verschwand er in seinem Zimmer.
„Aber ..." Carson fühlte sich ein wenig überrumpelt von den beiden. Er hatte sie weder eingeladen noch wollte er sie unbedingt dabei haben. Er wollte doch eigentlich nur den Film in Ruhe sehen. Und wenn er sich ins Gedächtnis rief, wie ein Filmabend auf Atlantis verlief, waren sowohl John wie auch Rodney anwesend ...
„Geben Sie mal her." McKay entwand ihm die Schüssel, inzwischen waren Carsons Finger vollkommen verkrampft, so daß es ihm wohl nicht sonderlich schwer fiel, die Schüssel an sich zu bringen. Dann trug er sie vor sich her wie eine heilige Relique in den Gemeinschaftsraum hinein.
Carson seufzte ergeben und folgte dem Wissenschaftler.
Soviel zu einem gemütlichen Abend ...

Ein paar Minuten später saßen die drei Männer mehr oder weniger bequem auf den beiden Sofas und dem einen Sessel. Tatsächlich hatten John und Rodney es irgendwie geschafft, sich eben diese Sofas zu sichern, während Carson mit einem der beiden Sessel vorlieb nehmen mußte und zudem nicht sonderlich gut sehen konnte. Seufzend beobachtete er statt dessen, wie Sheppard seinen langen, schlanken Körper auf dem Sofa ausstreckte und es sich, die Fersen auf der Armlehne und die Arme vor der Brust gekreuzt, gemütlich machte. Rodney lag, wie ein altehrwürdiger Römer, auf der Seite und hielt gespannt Ausschau auf den Film, dessen erste Szenen gerade über den Bildschirm flimmerten.
Carson seufzte schwer und nahm einen Schluck von seinem Bier. Doch selbst das wollte ihm nicht so ganz schmecken.
Wie konnten die Amerikaner diese Brühe denn nur als Bier bezeichnen? Das war ja schlimmer als das, was die Deutschen der Welt andrehen wollten.
Enttäuscht stellte Carson seine Flasche auf den Tisch, beugte sich vor und nahm sich eine Handvoll Popcorn.
„Jetzt kommt die Stelle, die ich meinte!" John hatte unvermittelt eine Hand gehoben und deutete mit einem Finger auf den Bildschirm.
Carson stopfte sich das Popcorn in dem Mund, um den schlechten Geschmack wieder loszuwerden. Morgen würde er sich einen gut sortierten Getränkemarkt suchen und sehen, ob es nicht irgendwo auf diesem Kontinent auch vernünftiges Bier gab, englisches, schottisches, oder, seinetwegen, auch belgisches.
„Ach, kommen Sie, das hat doch absolut keine Ähnlichkeit mit Kirk aus der Enterprise!" begehrte Rodney auf.
„Achten Sie doch mal auf den Gesichtsausdruck von Allen. Klar ist das Kirk!"
Carson verstand kaum noch ein Wort dessen, was da auf dem Bildschirm ablief. Aber das schien auch nicht weiter wichtig zu sein, denn im Augenblick flimmerten die drei Worte „to be continued" darüber. Einen Atemzug später gab es einen Schnitt und ein Mann mit einem schmalen Oberlippenbart tauchte auf.
John lachte plötzlich laut auf. „Das klassische RedShirt!"
„Das ist doch wohl nicht Ihr Ernst! Der Schauspieler hat Charisma", ereiferte Rodney sich wieder.
„Klar", Sheppards Stimme klang amüsiert, „ungefähr soviel Charisma wie ein Besenstiel! Gott, haben die ihn toll zurückgestutzt."
Carson beugte sich wieder vor, um der Handlung besser folgen zu können.
Ein Kameraschwenk zeigte einen großen Saal voller Menschen in allen möglichen Altersstufen.
„Oh Mann, da kommen doch Erinnerungen auf!" kommentierte wieder John.
Carson warf dem Major einen Blick zu, erhob sich dann halb und zog die Popcorn-Schüssel wieder in die Mitte des Tisches.
John grinste breit.
„Was weiß denn jemand wie Sie über SF-Cons?" fragte Rodney.
„Oh, eine Menge." John nickte.
Carson mampfte die nächste Portion Popcorn. Der Film lief weiter, entwickelte dabei immer deutlichere Stummfilmqualitäten für ihn. Konnten die beiden denn nicht einmal fünf Minuten still sein?
„Jetzt erzählen Sie mir nicht, ausgerechnet jemand wie Sie wäre regelmäßiger Con-Gänger gewesen in seiner Jugend", entgegnete Rodney.
„Wieso in meiner Jugend?" Ein weiterer kurzer und leidender Blick von Carson wurde durch das erneute breite Grinsen abgeschmettert. „Während meiner ersten Stationierung war es sozusagen ein Hobby von uns. Hatten wir am Wochenende frei, waren wir in einer der Nachbarstädte auf den jeweils stattfindenen Cons zu finden. War eine irre Zeit!"
Rodney schnaubte, nahm geräuschvoll einen Schluck von seinem Bier.
Eine Gruppe Jugendlicher tauchte auf, wollte den Hauptdarsteller des Films offensichtlich etwas fragen.
„Lassen Sie mich raten, Rodney. Sie waren einer von denen da - ein Technik-Freak, der wahrscheinlich die Enterprise bis in das letzte Schräubchen kannte, oder?" Johns Stimme klang amüsiert.
Carson fühlte sich immer mehr fehl am Platze. Dabei war er sich sicher, daß ihm der Film gefallen würde - würde er denn je mehr als einige Brocken verstehen.
„Als hätten Sie auch nur die geringste Ahnung von der Serie - oder sollte ich besser sagen, den Serien?" begehrte Rodney auf. „Was wissen Sie schon?"
„Eine Menge!"
Carson reichte es allmählich. Er hatte in Ruhe diesen Film ansehen wollen, statt dessen wurde er jetzt ständig abgelenkt und hatte nun wirklich allmählich nicht einmal mehr die blaßeste Ahnung, was da gerade auf dem Bildschirm geschah.
„Oh Mann, sehen Sie sich nur einmal Sig Weaver an!" Rodney seufzte schwer. „Blond steht ihr einfach!"
„Klar", Johns Kommentar klang trocken. „So sehr, daß sie bis heute fest davon überzeugt ist, ihr Intellekt habe unter der Färbung gelitten. Kaum waren die Dreharbeiten abgeschlossen, hat sie sich auch schon wieder ihren Naturton tönen lassen."
Carson betrachtete die Schauspielerin, die gerade ihren großen Auftritt hatte. Stimmt, auch die blonden Haare standen ihr.
„Woher wollen Sie das wissen?" begehrte Rodney auf.
„Ging durch die Yellow-Press." Selbst in seinen Worten war das breite und zufriedene Grinsen zu hören.
Jetzt reichte es endgültig!
Carson stand auf, warf den beiden anderen noch einen langen und sehr verletzten Blick zu, dann verließ er den Wohnraum, um in seinem Zimmer zur Ruhe zu kommen und den kleineren Fernseher zu frequentieren, der vielleicht kein so gutes Bild lieferte wie der im Wohnraum, aber immerhin würde er dort ungestört sein.
John nahm aus den Augenwinkeln wahr, wie Beckett den Raum verließ und biß sich unwillkürlich auf die Lippen, während McKay weiter wetterte.
Hieß daß, Rodney und er hatten den Mediziner verscheucht? DAS war ganz sicher nicht seine Absicht gewesen.
„Ich gebe nur weiter, was ich gelesen habe", entgegnete er beinahe taub den Einwand von Rodney, während, wie auf Bestellung, seine Kopfschmerzen wieder einsetzten.
John kniff die Augen zusammen und verzog das Gesicht. Langsam setzte er sich auf, bis er bemerkte, daß die Schmerzen zunahmen, je mehr er sich aufrichtete. Also sank er wieder auf das Polster zurück, wich dem Flimmern des Bildschirms aus und schwieg.
Rodney war im Moment ohnehin in einen Monolog vertieft, den John tunlichst ignorierte.
Die Schmerzen wurden schlimmer. Mit zwei Fingern rieb er sich die Nasenwurzel in der mageren Hoffnung, daß es so vielleicht besser werden würde, doch auch das war nicht der Fall.
Nur nichts anmerken lassen!
Doch er war sich nicht wirklich sicher, ob ihm das gelang. Mit jedem Atemzug schienen die bohrenden und pulsierend-dumpfen Schmerzen, von seinen Schläfen ausgehend, schlimmer zu werden. Und ihm war ein wenig übel, was aber sicherlich nicht an einem überreichlichen Genuß lag, denn er hatte bisher nichts anderes zu Abend gegessen als ein paar Handvoll Popcorn.
Als der erste, sich wie ein Messerstich ins Auge anfühlende Schmerz erfolgte, entwich John ein leises Wimmern, bevor er sich wieder im Griff hatte.
Verdammt, das wurde aber auch mit jedem Tag schlimmer! Was sollte er nur tun?
„Sheppard?"
Er hielt die Augen geschlossen, wagte nicht, den Kopf zu drehen oder sich sonstwie zu bewegen. Im Hintergrund lief weiter der Ton, der seinen Ohren schmerzte.
„Wir sollten diesen Film wirklich in unsere Sammlung aufnehmen, finden Sie nicht?" erkundigte Rodney sich.
John wollte gern antworten, war sich aber nicht sicher, ob seine, plötzlich am Gaumen klebende Zunge sich überhaupt lösen würde.
Das andere Sofa knarrte leise, als McKay sich aufrichtete. „Sind Sie eingeschlafen?"
Nur keine Schwäche, und erst recht keine Schmerzen!, zeigen.
Tapfer öffnete John die Augen, wenn auch nur einen Spaltweit und zwang sich zu einem Grinsen. „Alles in Ordnung."
Rodney musterte ihn genau. „Sicher?"
„Sicher."
„Wirklich sicher?"
„Wirklich sicher."
„Und Sie sind sich absolut sicher, daß es Ihnen gut geht? Sie sehen etwas grün um die Nase aus", fragte Rodney plötzlich besorgt.
„Ein bißchen Kopfschmerz, nichts ernstes." John grinste wieder gequält.
Rodney nickte, erhob sich, während ihm die Lider wieder über die Augen sanken. Das Licht, wenn auch gedimmt, schmerzte ihm.
„Okay, eine Sekunde." Rodneys Stimme klang weit entfernt.
John fühlte sich plötzlich sehr schwach, als würde seine sämtliche Kraft durch die Kopfschmerzen ausgesaugt werden.
So schlimm war es aber noch nie gewesen! Bis jetzt war er davon ausgegangen, daß die Schmerzen sich auf ein Maß eingependelt hatten, doch diese Annahme bestätigte sich jetzt nicht.
Schritte näherten sich, gerade in dem Moment, als John begriff, daß jemand den Fernseher ausgeschaltet hatte.
„Major?" fragte Carsons Stimme ihn jetzt. „Wie geht es Ihnen?"
John schluckte. Von Minute zu Minute schien sein Hals immer mehr auszutrocknen, während die Kopfschmerzen immer heftiger wurden. „Es ... tut weh", gab er schließlich zu und öffnete die Augen wieder einen Spaltbreit.
Carson hatte sich über ihn gebeugt und musterte ihn besorgt. Jetzt nickte der Arzt. „Denken Sie, Sie schaffen es in Ihr Zimmer zurück? Dort können Sie sich besser ausruhen und haben Ihre Ruhe."
„Natürlich muß jetzt wieder alles nach seinen Vorstellungen laufen, nicht wahr?" begehrte Rodney auf.
Carson und John wechselten einen Blick.
„Ich werde es versuchen. Aber ... gerade wurde mir übel, als ich versuchte, aufzustehen", antwortete der Militär nach einer kleinen Weile.
Carson nickte. „Wir helfen Ihnen, kein Problem. Ganz vorsichtig und langsam. So wie Sie aussehen, könnte auch Ihr Kreislauf wieder betroffen sein von den Nebenwirkungen der Kopfschmerzen."
Von stützenden Händen begleitet gelang es John dieses Mal wirklich, sich aufzurichten. Unter Lamentos und Tiraden fand sich auch endlich Rodney bereit, ihm aufzuhelfen. Halb von den beiden getragen und halb geschleift gelangte John wieder in sein Zimmer und wurde dort sehr umsichtig auf seinem Bett abgeladen.
Irgendwie empfand er diese Situation als etwas skuril. Als hätte er einen über den Durst getrunken, hatten Beckett und McKay ihn hergebracht und abgelegt. Rodney war jetzt wohl mit seinen Schuhen beschäftigt - selbst schuld!, während Carson ...
John ließ vorsichtig den Kopf zur Seite sinken und beobachtete, wie der schottische Mediziner gerade eine Ampulle auf der Kommode abstellte, eine Spritze hob und sie kontrollierte. Dann trat er wieder an das Bett heran.
„Das wird jetzt kurz ein bißchen pieksen. Aber das kennen Sie ja schon, nicht wahr?" Carson lächelte und schob die Nadel vorsichtig in die Armbeuge seines unverhofften Patienten. John verzog kurz das Gesicht, schloß die Augen wieder.
„Das wird Ihnen ein bißchen helfen, damit Sie sich auch ausschlafen können", sagte Carson. Doch seine Stimme klang bereits wie aus weiter Ferne ...

***

Alles war zerfasert um ihn her, Dunkelheit und dieses dämmrige Licht, das nicht wirklich vorhanden war.
Er fühlte eine gewisse Befriedigung in sich, als er sich aufrichtete. Erst dann ging ihm auf, worauf er genau gefallen war. Seine Augen wurden groß.
Nein, das konnte doch nicht ...
Mit einem schrillen Kreischen meldete sich diese Kreatur zurück. Das konnte doch einfach nicht wahr sein! Er hatte ihr doch dermaßen eine überbezogen, daß der dicke Ast es nicht überlebt hatte. Wie konnte sie ... ?
Die Frau unter ihm röchelte, gerade in dem Moment, als er plötzlich am Kragen gepackt und auf die Beine gerissen wurde.
Die Welt um ihn her tanzte. Und er hielt das Messer, zog es aus dem Leib der jungen Frau.
Kein Mitleid, kein Bedauern. Da war nichts.
Nein, das stimmte nicht. Da war etwas.
Der Griff des Messers war glitschig.
Schlieren von Rot durchzogen die Dunkelheit.
Wieder dieses irrsinnige Kreischen, das ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Und dann war sie wieder über ihm.
Er hackte mit dem Messer zu, blind und wie von Sinnen, während sich etwas um seinen Hals schlang.
Nein, nein, nein!
Er stach weiter auf diese dunkle Wolke ein, die allmählich das Gesicht der Fremden formte.
Was tat er da? Er tötete!
Der Atem wurde ihm knapp. Mit dem nächsten Schlag wurde ihm das Messer aus der Hand geschlagen.
Die Welt versank in Rot.
Er keuchte um Atem, streckte die leeren Hände aus und bekam etwas zu fassen. Nein, es war nichts. Eine eigenartige Masse, die ihn an den Wackelpudding erinnerte, den er im SGC gegessen hatte, nachgiebig und glibberig unter seinen Händen.
Seine Lungen schrien, während sich diese Finsternis über ihn beugte.
Blind griff er wieder zu.
Ein grünes Leuchten, als er etwas festes berührte, dann ... nichts mehr ...
Nur Leere - und dieses Kreischen ...


***

John kam keuchend zu sich. Das hieß, er versuchte es, er spürte, daß sein Körper erwachen, nein, hochschrecken!, wollte nach diesem Alptraum. Doch es gelang ihm nicht, sich aus dem zähen Brei der Finsternis zu lösen, ebensowenig wie es ihm möglich war, seine Lider zu heben. Es war, als habe man sie festgeklebt.
Sein Körper war bleischwer, schien Tonnen zu wiegen. Tonnen, unter denen er begraben lag.
John versuchte zu schreien, um Hilfe zu rufen, als die nackte Panik ihn erfaßte. Doch mehr als ein undeutliches Krächzen steckte einfach nicht in seiner Kehle.
Er spürte, wie er wieder zurücksank in die Finsternis der Nachtmahre und Seelensauger, klammerte sich nur noch fester an den Wunsch, richtig zu erwachen. Doch da sackte sein Bewußtsein schon wieder in sich zusammen und ließ den klebrigen Pech des sedierten Schlafes über seinem Kopf zusammenschlagen.
Doch wirkliche Ruhe sollte John Sheppard nicht mehr finden in dieser Nacht. Das Gesicht der Toten verfolgte ihn durch seine Träume - und es gab mehr als genug andere, die sich ihr nur zu gern anschlossen.
John stöhnte mehr als einmal unruhig auf, doch er erwachte nun nicht mehr ...

TBC ...

3 Kommentare:

  1. Man ist das spannend echt gut.
    Und diese Geplänkel zwischen McKay und Sheppard, einfach klasse und zum tot lachen.
    Nach dem Ende der Serie genau das richtige. Läst Atlantis noch fortleben.

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  2. *nickt* Ja, genau darum schreibe und lese ich SGA-Fanfics, um die Serie am Leben zu halten. Und wenn eben "nur" als Fan-Geschichte, aber Atlantis bleibt im Gedächtnis, verrostet nicht am Pier von San Francisco oder wird sonstwo ausgeschlachtet, etc. Brr, wenn ich an Mallozzis Gelabere denke wegen des SGU-Crossovers wird mir ganz anders!

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