04.10.2010

Vinetas Wiederauferstehung IV

Einen Tag später:

„Lieutenant, wieviele sind noch hier?" Vashtu sah sich im Hangar aufmerksam um und seufzte ergeben.
Das würden wohl noch einige Flüge mehr werden, als sie gedacht hatte. Die Atlantis-Crew war dabei noch das kleinste Übel, sondern eher all die Kisten und Kasten, die die Wissenschaftler mitschleppen wollten. Aber ihr war auch klar, in Vineta würden diese Menschen nahezu bei Null beginnen müssen. Und mit den Erethianern mochten sie vielleicht treue Verbündete gewonnen haben, aber leider keinen weiteren Kontakt, geschweige denn irgendwelche Handelspartner außerhalb des Planeten. Es würde harte Arbeit werden, überhaupt Nahrung für die mehr als einhundert Personen zu beschaffen.
„Wir sind so gut wie durch. Ein paar Mann aus dem Sicherheitsdienst noch", antwortete Lieutenant David Markham. „Die Jumper sind voll. Also kommen Sie bei der nächsten Fuhre mit. Es sei denn ... ?"
Vashtu nickte. „In Ordnung. Und ich denke, das wird dann für heute reichen. Wir müssen die Leute erst einmal alle unterbringen für diese Nacht, das wird schon hart genug werden." Suchend sah sie sich einen Moment um, dann winkte sie Peter herbei, der zögernd zu dem dritten Jumper in ihrer mageren Reihe stand.
Das allerdings war noch ein Problem, sogar eines, was Vashtu persönlich nahm. Wenn Peter und sie verschwinden würden aus Vineta, gab es nur noch den jungen Markham, der in der Lage war, die Gleiter zu fliegen. Mit der Gefahr der Devi im Nacken wirklich keine sehr verlockende Vorstellung. Aber die Atlanter, jetzt wohl Vineter, korrigierte sie sich im stillen, hatten es so gewollt.
„Ja?" Peter war zögernd herangekommen, musterte jetzt Markham aufmerksam.
„Haben Sie noch Platz im Jumper?" fragte Vashtu direkt.
Der junge Wissenschaftler blinzelte irritiert. „Aber ich dachte ..."
„Haben Sie noch Platz, Peter?" wiederholte sie mit leicht strenger Stimme.
„Äh, ich denke schon, ja."
Vashtu wandte sich Markham zu. „Um wieviele geht es?"
Der Lieutenant warf ihr einen irritierten Blick zu. „Fünf?"
Die Antikerin sah ihr ehemaliges Teammitglied wieder an.
„Aber Sie sagten doch, ich solle nur Lasten transportieren, bis Sie mir Unterricht gegeben haben", begehrte der etwas hilflos auf.
„Dann nehmen Sie jetzt eben noch fünf Personen mit und fliegen vorsichtig. Und nicht die Kontrollen abbrechen." Vashtu klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Sie machen das schon, Peter. Sie sind doch ein Naturtalent im Fliegen."
Der sah sie stirnrunzelnd an, schob dann seine Brille wieder auf die Nase.
„Major?"
Vashtu hob den Kopf und drehte sich um. „Abflug, alle beide. Ich komme nach", sagte sie dann, als sie sah, wer gerade den Hangar betreten hatte.
Markham und Peter nickten einhellig, gingen aber tatsächlich etwas zögernd zu ihren Jumpern.
Vashtu atmete tief ein, dann trat sie Colonel Pendergast entgegen, der, wie immer von drei Marines begleitet, den Hangar betreten hatte, sie nun aufmerksam musterte.
„Sir?" Sie grüßte, blieb stocksteif, die Hand an der Stirn, stehen, wie es die Vorschrift war.
Pendergast sah sie einen Moment lang nachdenklich an, dann nickte er. „Stehen Sie bequem."
Vashtu hob überrascht die Brauen, sagte aber nichts, sondern nahm die geforderte Position ein. „Sir?"
„Was geht hier vor?" Der Colonel sah sich interessiert die drei abflugbereiten Puddlejumper an, richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf sie.
„Ich dachte, Dr. Stross habe Sie aufgeklärt, Sir", antwortete die Antikerin etwas verwirrt. „Die Wissenschaftler aus Atlantis reisen ab. Sie wollen sich dort niederlassen, wo auch die Erethianer jetzt leben, Sir."
Mit keinem Wort erwähnte sie die Stadt, das war zwischen ihr und Stross so ausgemacht, ebenso wie Pendergast auch, zumindest hoffte sie das, keine Ahnung von dem Lager voller Planetenkiller hatte, das sie erbeutet hatten von den letzten überlebenden Devi.
Jetzt nickte er sinnend, hob den Kopf und musterte sie wieder. „Scheint ja ein ... interessanter Ort zu sein, an dem Sie die Erethianer geschickt haben, Major, wenn sogar die Atlanter so unbedingt dorthin wollen."
„Die Ruinen der Devi-Stadt, Sir", log Vashtu nach einem weiteren tiefen Atemholen. „Es stehen noch genügend Gebäude, die zwar leicht beschädigt, aber nach kleiner Reparatur wieder bewohnbar sind."
Pendergast schürzte die Lippen, sah ihr ins Gesicht. „Dort haben Sie also Quartier bezogen? Interessant. Hätte ich nicht gedacht, nachdem doch eines Ihrer Teammitglieder dort sein Leben verloren hat."
Vashtu spannte die Wangenmuskeln an. „Es scheint im Moment der sicherste Ort zu sein, Sir."
Der Colonel betrachtete wieder, über ihre Schulter hinweg, die drei Jumper. „Und wie lange soll diese Farce noch dauern, Major?" erkundigte er sich dann.
Vashtu runzelte wieder die Stirn. „Farce, Sir?"
„Wie lange wollen Sie noch da unten bleiben, Major? Ich möchte Sie auf der Prometheus haben, ehe diese Fachidioten Ihnen noch Flausen in den Kopf setzen."
„Nun, Sir", sagte sie gedehnt, „es wird wohl noch ein bißchen dauern, Sir. Wir brauchen mehr Energie und Nahrung muß beschafft werden. Und dann sind da auch noch ..."
„Das geht Sie nichts an, Major!" herrschte der Colonel sie plötzlich an.
Vashtu zuckte tatsächlich leicht zusammen, sah ihm fragend in die kalten Augen.
„Sie sollten lediglich sicherstellen, daß die Erethianer nicht gebraten werden, wenn wir sie wieder runterschicken. Diese Aufgabe dürfte jetzt eigentlich beendet sein, oder irre ich mich?" Pendergast beugte sich vor. Wieder glitzerte in seinen Augen etwas, was Vashtu nicht wirklich deuten konnte. Dennoch ließ es sie unruhig werden.
„Sir, bei allem Respekt, aber Sie haben mir die Leitung übertragen", entgegnete sie. „Ich sehe meine Aufgabe auf Erethia noch nicht als abgeschlossen an."
„Dann sollten Sie sie abschließen, Major, ehe ich die Geduld verliere mit Ihnen. Ich gebe Ihnen noch genau eine Woche." Ein letzter kalter Blick, dann drehte Pendergast sich auf dem Absatz um und verließ, im Gefolge seine Leibgarde, den Hangar.
Vashtu sah ihm skeptisch nach.
Hatte sie sich geirrt, oder war da tatsächlich kurz eine merkwürdige Angst in seinen Augen lesbar gewesen?

***

Nach der Landung staunte die Antikerin nicht schlecht.
Markham und sie hatten sich bereits vor einiger Zeit darauf geeinigt, auf einem kleinen Platz nahe des militärischen Komplexes zu landen. Beide waren sie relativ erfahren, was das Fliegen mit Puddlejumpern anging. Um in die Höhle zu gelangen, nutzten sie das große Explosionsloch in der Decke über dem Krater im wissenschaftlichen Bereich. Auf diese Weise hatten Passagiere, die sich im Cockpit befanden, auch einen ersten Eindruck von der Stadt, die nun, zwar unzureichend beleuchtet, aber immerhin notdürftig mit Energie versorgt war.
Der einzige, der draußen auf dem Plateau vor der Höhle landete, war Peter, dessen fünf Passagiere noch einen mehrminütigen Fußmarsch vor sich hatten, ehe sie Vineta das erste Mal betreten konnten.
Als Vashtu nun ihren Jumper sanft auf dem Boden aufkommen ließ und die Triebwerke abschaltete, wartete bereits Anne Stross draußen auf sie, neben ihr einige der Erethianer. Cornyr, einer der Ältesten des kleinen Völkchens, das ursprünglich diesen Planeten bewohnt hatte, stand neben der Wissenschaftlerin, war offenbar gerade in eine Gespräch mit ihr vertieft gewesen.
Vashtu blinzelte, nickte dann aber.
Stross hatte ihnen Hilfe organisiert, um die neuen Bewohner der Stadt auf die Wohneinheiten zu verteilen. Das war doch definitiv ein guter Gedanke, wenn auch überraschend für die Antikerin, denn nach den anderen Flügen des heutigen Tages war immer nur die Blonde zugegen gewesen, um ihre Leute willkommen zu heißen.
Hinter ihren Passagieren sprang die Antikerin von der Rampe, sah sich einen Moment lang aufmerksam um, während sie bereits auf die kleine Delegation zuhielt.
„Major", Stross nickte ihr zu. „Was das der letzte Flug für heute?"
Vashtu drehte sich kurz im Gehen um. „Bis auf drei, die unbedingt oben bleiben und Ihre Sachen bewachen wollten, ja", antwortete sie dann, blieb vor der anderen stehen und stemmte die Hände in die Hüften. Fragend sah sie Cornyr an. „Ist etwas passiert?"
Stross und der alte Erethianer wechselten einen Blick, dann wandte die Wissenschaftlerin sich an sie. Ein Grinsen zuckte ab und an um ihren Mund bei ihren Worten: „Sie haben doch den besten Draht zu Dr. Babbis. Vielleicht sollten Sie noch einmal mit ihm reden." Dabei hielt sie ihr ein Stück Papier hin.
Vashtu blinzelte verständnislos, nahm aber entgegen, was man ihr gereicht hatte, entfaltete es und bekam große Augen beim Lesen:
„Freie Wahlen in der neuen Stadt. Der große Dr. Peter Babbis stellt sich der Verantwortung, der er sonst nicht entkommen kann. Wählt Babbis!"
„Was ... ?" Etwas hilflos sah sie auf.
Stross grinste nun wirklich breit. „Dr. Babbis scheint einige Erethianer verpflichtet zu haben. Der ganze private Bereich ist mit diesen und anderen Blättern geradezu gepflastert, Major. Und der hier ist noch der harmloseste. Offensichtlich hat er uns gestern bei unserer kleinen Unterhaltung belauscht."
Vashtu schüttelte verständnislos den Kopf. „Aber ..." Sie schloß den Mund wieder, knüllte das Flugblatt zusammen und drehte sich um. „Der kann was erleben!"
„Wenn er möchte, kann er sich selbstverständlich zur Wahl stellen. Ich dachte aber eigentlich eher an eine Diskussionsrunde oder etwas ähnliches, und das direkt vor der Entscheidung. Für einen Wahlkampf sind wir nicht gerüstet. Außerdem, entschuldigen Sie, Major, aber das ist pure Papierverschwendung", sagte Stross.
„Ist es!" Vashtu kniff die Lippen aufeinander.
Peter würde sie sich wohl gründlich zur Brust nehmen müssen, wie es aussah. Dieser Zettel war vollkommen überflüssig. Und ob ihn überhaupt jemand wählen würde?
„Wir sollten jetzt die Angekommenen auf die Quartiere verteilen und dann selbst schlafen gehen", schlug Stross vor.
Vashtu atmete tief ein. „Pendergast kam noch in den Hangar, ehe wir abflogen", sagte sie, drehte sich wieder um.
Stross wurde ein wenig blasser. Ein eigenartiger Blick traf die Antikerin. „Und?"
„Mir billigt er noch eine Woche zu, dann muß ich zur Prometheus zurück. Tut mir leid, Doc." Sie nahm das Klemmbrett, das die Wissenschaftlerin ihr hinhielt. „Wenn wir die Stadt halbwegs bewohnbar machen wollen, müssen wir uns wohl ein bißchen beeilen."
Wieder ein Blick aus den grün-blauen Augen der Blonden, dann nickte sie.
Vashtu begriff, was sie gesehen hatte: Es war Bedauern.

***

„Machen Sie sofort auf! Peter!" Vashtu hämmerte ungeduldig mit der Faust gegen die Tür, bis diese sich endlich öffnete.
„Ja?" Das bebrillte Gesicht des jungen Wissenschaftlers lugte vorsichtig um die Ecke.
Vashtu trat einen Schritt zurück, kreuzte die Arme vor der Brust und starrte ihn wütend an. „Was soll diese Papierverschwendung?" fragte sie kalt.
Peter blinzelte, richtete sich dann auf. „Oh!" machte er, begann an seinem Ohrläppchen zu zupfen. „Nun, ich hörte, es solle Wahlen geben, offene Wahlen um die Leitung von Vineta."
„Sie haben Dr. Stross und mich belauscht!" kam der nächste Vorwurf.
Peter fühlte sich plötzlich nicht so ganz wohl in seiner Haut. Er ließ die Hand wieder sinken, blinzelte unsicher. „Sie haben sich laut genug unterhalten, daß jeder es mithören konnte. Und wenn es darum geht, wer die meiste Arbeit bis jetzt geleistet hat ... Nun, da kann ich auch mitreden", gab er zu bedenken.
Die Antikerin blitzte ihn an. Ihre Kiefer preßte sie fest aufeinander.
Er fühlte sich noch unwohler. Dabei hatte ihm die Idee so gut gefallen. Immerhin war er der erste, der sich offen um ein Amt in der neuen Stadt bewarb. Vielleicht würden dadurch seine Chancen steigen. Zumindest hatte er das geglaubt.
„Ich denke, ich könnte die Leitung übernehmen, ja", sagte er, reckte sich unbewußt und warf sich in die Brust. „Immerhin weiß ich dank Ihnen einiges mehr als die anderen hier."
Vashtu starrte ihn immer noch an, dann schüttelte sie plötzlich den Kopf, wandte sich wortlos ab und marschierte den Gang hinunter.
„Warten Sie!" Peter zögerte eine Sekunde, dann verließ er sein Quartier und eilte der Antikerin nach. „Warum soll ich mich nicht um einen Posten bewerben? Sie wollen doch nicht! Und zumindest einer in der Leitung sollte verstehen, um was es sich hier handelt."
„Das ist Blödsinn!" knurrte seine ehemalige Leaderin ihn von der Seite an.
„Aber ..." Er hob die Hände, ließ sie aber, nach einem weiteren kühlen Blick von ihr, wieder sinken. „Ich glaube nicht, daß das Blödsinn ist."
„Sie verschwenden Ressourcen, Peter! Niemand hat etwas dagegen, wenn Sie sich aufstellen lassen, niemand! Aber diese Flugblätter und Plakate müssen verschwinden!" Vashtu starrte ihn kurz an, nachdem sie vor ihrer Tür stehen geblieben war, dann drehte sie sich um und erstarrte.
Wählt Babbis! - Die beste Wahl: Dr. Peter Babbis - Wissen und Intelligenz: Dr. Peter Babbis
Neben diesen Wahlsprüchen grinsten ihr auch, in mehrfacher Ausführung, lächelnde Gesichter entgegen, besser eines, immer und immer wieder.
Vashtu atmete tief ein, riß dann mit beiden Händen einen Teil der Plakate von ihrer Tür und warf sie dem jungen Wissenschaftler vor die Füße - zumindest versuchte sie es, doch das Papier verteilte sich, leise flatternd, im Gang. Dann öffnete sie ihre Tür und betrat ihr Quartier.
„Kann ich reinkommen?" Peter reckte vorsichtig den Hals, um einen Blick in den Raum hinein zu erhaschen.
Vashtu fuhr mit wütend funkelnden Augen herum und starrte ihn an wie eine Rachegöttin. „Nein!" Damit schloß sich die Tür vor seiner Nase.
Peter blinzelte, beugte sich dann vor und begann, die Papiere, die sich im Gang verteilt hatte, einzusammeln.
Unvermittelt öffnete die Tür sich noch einmal. „Sorgen Sie dafür, daß dieser Unsinn verschwindet! Und zwar umgehend!" herrschte die Antikerin ihn an, ehe sie ihr Quartier wieder verschloß - endgültig.

TBC ...

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