17.10.2010

Vinetas Wiederauferstehung VI

Es war Abend geworden, als Vashtu endlich die Kantine des Doppel-Gebäudes betrat, in dem ihr Erkundungstrupp Quartier suchte, nachdem sie die Stadt freigegeben hatte. Inzwischen war diese reichlich gefüllt, wie sie feststellte, als sie sich umsah. Bekannte und unbekannte Gesichter mischten sich.
Ein gutes Gefühl war es, das sie da leise beschlich.
Die Stadt erwachte zum Leben, und die neuen Bewohner wollten ihre Chance nutzen und dieses Vineta zu etwas anderem machen als ...
Vashtu schüttelte den Gedanken mit einem Schulterzucken ab und trat an den Thresen, um sich eine Tasse mit Tee zu besorgen. Gegessen hatte sie bereits in der Messe der Prometheus, denn sie wollte sicherstellen, daß die wenigen Vorräte, die sie bisher hatten ergattern können, auch denen zu gute kamen, die sie nötiger hatten als sie.
Eines aber würde sie vor ihrem Versuch, diese Galaxie zu verlassen, auf jeden Fall noch tun, nämlich das Gate richtig testen. Dazu aber wollte sie sich zunächst noch einmal mit den Erethianern beraten, die, auch wenn sie das Sternentor nie benutzt hatten, doch eine ungefähre Vorstellung von dem zu haben schienen, was möglicherweise auf der anderen Seite lauern konnte.
Mit der Tasse in der Hand drehte sie sich wieder um und musterte das muntere Völkchen, das sich hier versammelt hatte.
Eines war ihr sofort aufgefallen, als sie den Raum betreten hatte, nämlich die vielen Gespräche und das leise Lachen. Ganz anders als auf der Prometheus wirkten die Menschen hier gelöst, beinahe frei, auch wenn die meisten von ihnen wohl bald ein wesentlich kargeres Leben führen würden. Ihr erschien das irgendwie merkwürdig, doch sie würde sich nichts anmerken lassen.
„Major!" Ein junger Mann winkte ihr.
Vashtu hob den Kopf, lächelte dann und trat an den Tisch, an dem sich die Marines ihrer kleinen Expedition versammelt hatten.
Frederics, der junge Mann, der auf sie aufmerksam geworden war, rückte ein Stück zur Seite und bot ihr den Stuhl neben dem seinen. Dankbar ließ sie sich nieder, stellte die Tasse vor sich auf den Tisch und lehnte sich mit einem Ellenbogen auf die metallene Platte.
„Wie weit sind Sie?" erkundigte sich ein anderer Marine bei ihr, Brown mit Namen, wenn sie sich nicht irrte.
„Morgen dürften wir alles heruntergeschafft haben", antwortete sie, lehnte sich entspannt zurück und streckte sich. „Dann geht hier das große Aufbauen los. Ich hoffe, Sie alle werden dabei mithelfen?"
Einhelliges Nicken der jungen Soldaten.
Frederics drehte sich zu ihr herum und sah sie mit einer leisen Angst in den Augen an. „Ich hörte, Sie hätten gestern den Colonel auf der Prometheus getroffen?"
Vashtu griff nach ihrer Tasse, nahm sie in die Hand und blies hinein. Dann nickte sie.
Sie wollte lieber nicht daran denken, daß sie bald wieder diesem Kerl da oben über ihren Köpfen ausgeliefert sein würde, und diesmal sogar ohne einen echten Ansprechpartner. Ihr blieb nur zu hoffen, daß Pendergast sie, solange der Hyperantrieb nicht bereit war, des öfteren in die Stadt lassen würde.
„Wie lange noch?" erkundigte sich ein anderer Marine.
„Sechs Tage", murmelte sie in ihre Tasse, nippte an dem Tee und stellte mit einer Grimasse fest, daß sie vergessen hatte, ihn zu süßen.
Augenblicklich verstummten die anderen Gespräche am Tisch, alle Augen richteten sich auf sie.
Vashtu runzelte unwillig die Stirn, warf Frederics einen langen Blick zu.
„Wir dachten, Sie würden vielleicht ... Naja, Sie wissen schon. Dr. Stross deutete da etwas an", antwortete der stockend.
Vashtu hob eine Braue. „Und was deutete Dr. Stross an?" fragte sie mißtrauisch.
Wenn sie nur wüßte, ob sie dieser Wissenschaftlerin wirklich vertrauen konnte. Aber da war irgendetwas, was zwischen ihnen beiden stand. Etwas, was Vashtu nicht wirklich benennen konnte. Stross war ihr gegenüber eigentlich von Anfang an offen und ehrlich gewesen, war ihr freundlich begegnet, als sie auf der Prometheus strandete und begann, den Kontakt zu ihrem Team zu verlieren. Aber dann, mit dem Beginn der Expedition, schien sich irgendetwas geändert zu haben. Sie wurde das Gefühl nicht los, daß Stross hinter ihrem Rücken paktierte, und sie war sich nicht sicher, ob ihr diese Intrige nicht vielleicht schaden konnte. Andererseits aber arbeiteten sie beide gut zusammen, und sie hatte das Gefühl, als könne sie der anderen trauen, zumindest ein gutes Stück weit. Wie auch immer das zusammenpaßte, sie wußte es nicht.
Sie erinnerte sich noch an den Tag, an dem sie beide in der Sicherheitszentrale gewesen waren. Sie hatte den Steuerkristall benutzt, und der Nebenrechner war tatsächlich hochgefahren, anders als die im Kontrollraum. Seitdem war Vashtu sich sicher, daß hier nur Zugriff auf die Daten gestattet wurde, wenn eben ein Steuerkristall wie der ihre benutzt wurde. Und das würde bedeuten, sie müßte hierbleiben, zumindest solange die Atlanter bleiben würden.
„Wollen Sie nichts tun?" fragte Frederics endlich.
Vashtu blinzelte, aus ihren Gedanken gerissen. „Gegenfrage?"
Frederics schoß das Blut ins Gesicht. „Verzeihen Sie, Mam." Schuldbewußt senkte er den Blick.
Vashtu sah aufmerksam von einem zum anderen der Männer. Dabei erinnerte sie sich noch sehr gut an den Beginn der Expedition. Die Marines waren nicht sehr begeistert von ihr und ihrer Befehlsgewalt gewesen. Daran hatte sich erst im Planetenkiller-Lager etwas geändert, als sie auf die letzten überlebenden Devi gestoßen waren. Wie auch immer sie das erklären sollte. Sie war direkt nach dem kurzen Gefecht zur Prometheus hinaufgebeamt worden für einige Minuten. Als sie wieder auf dem Planeten war, hatte sie es plötzlich mit einer Gemeinschaft von Marines zu tun, die sich widerspruchslos ihren Befehlen fügte.
„Dr. Stross meinte, Sie würden vielleicht hierbleiben, Mam", antwortete jetzt ein anderer Marine für Frederics, Brower, wenn sie sich nicht irrte.
„Nicht, solange die Prometheus über uns hängt. Das wird allein Colonel Pendergast nicht zulassen", antwortete sie so unbeteiligt wie möglich.
Dabei, und das bemerkte sie jetzt, stritten in ihr wieder die Gefühle und prallten ungebremst aufeinander.
Wenn sie die Stadt jetzt sah, zwar nicht gerade reichlich bevölkert, aber immerhin mit etwas Leben erfüllt, fühlte sie sich verantwortlich. Aber es war eine andere Verantwortung als die, die sie immer noch ausbremste und von hier verschwinden lassen wollte. Sie fühlte sich für die Menschen hier verantwortlich, gestand sie sich ein. Und sie wollte ein Teil dieses Vinetas sein, dazugehören und mithelfen, die Stadt wieder aufzubauen zu etwas anderem als dem Ort des Schreckens, der sie vor zehntausend Jahren gewesen war. Sie fühlte ein bißchen Hoffnung in sich, daß sich mit der Zeit alles richten würde, daß sie Teil von dem werden könnte, was hier gerade geschah.
Dazu kam dann auch noch die Gefahr, die möglicherweise von den Devi ausging. Sie hatte die Devi auf die Prometheus und die Atlantis-Crew aufmerksam gemacht, Peter und sie hatten gemeinsam die Stadt der Hybridwesen zerstört und damit möglicherweise einen Krieg ausgelöst. Konnte sie wirklich guten Gewissens diese Menschen allein lassen? Sollte sie nicht vielmehr versuchen, ihnen zu helfen, so gut es ging?
Aber ... was war mit ihrem Leben auf der Erde? Was mit Atlantis? Das Band zu John bestand noch immer, so daß ihre Zweifel, was eine andere Dimension betraf, eigentlich hinfällig geworden waren. Sie wußte es zwar nicht mit letzter Sicherheit, aber immerhin glaubte sie zu wissen, daß sie sich noch immer dort befand, woher sie gekommen war, nur eben in einer weit, weit entfernten Galaxie, die gerade noch mittels einer GateBridge von Atlantis aus erreichbar gewesen war. Einer GateBridge, die von den Wraith zerstört worden war laut den Berichten auf Antarktica.
Konnte sie dem wirklich Glauben schenken nach dem, was sie bereits hier gefunden hatte? Es gab so viele Hinweise, die nicht auf das Ende von Vineta hindeuteten, das in den Berichten vermerkt worden war. Nur allein die Leiche auf dem Kontrollstuhl sprach ganze Bände.
Was auch immer sich in Vineta zugetragen hatte vor zehntausend Jahren, es reichte bis in die heutige Zeit. Die Menschen dieser Galaxis standen ihrem Volk mehr als kritisch gegenüber, sie haßten die Antiker! Und sie konnte es ihnen nicht einmal wirklich verdenken.
„Wollen Sie denn wirklich nichts dagegen unternehmen?" wandte Frederics wieder ein. „Ich meine, Sie haben hier doch ..." Er verstummte unter ihrem Blick.
„Nicht in dieser Stadt, Lieutenant." Vashtu stellte endlich die Tasse wieder auf den Tisch zurück und schüttelte den Kopf. „Nicht hier, tut mir leid."
Die Tür öffnete sich wieder.
Die Antikerin blickte auf und runzelte die Stirn, als sie die beiden Neuankömmlinge sah.
Was hatte das denn zu bedeuten? Seit dem Unfall hatte Peter sich doch so weit wie möglich von Dorn entfernt gehalten. Warum kamen sie jetzt zusammen?
Vashtu zögerte einen Moment, neugierig geworden auf das, was sich da möglicherweise abspielen mochte. Dann aber erinnerte sie sich an die Flugblätter und erhob sich mit einem Ruck.
„Es ist spät und morgen gibt es viel zu tun", verabschiedete sie sich von der kleinen Truppe, nickte ihnen zu. „Viel Vergnügen noch." Damit verließ sie die Kantine wieder, ohne einen weiteren Blick auf die mageren Reste ihres ehemaligen SG-Teams zu werfen.

***

„Hören Sie, Sergeant, ich weiß, diese Sache ist ... naja, nicht wirklich so wichtig für Sie. Aber ..." Peter seufzte schwer und biß sich auf die Lippen.
Dieses Geständnis tat ihm wirklich weh, viel zu weh. Dabei war er sich nicht einmal wirklich sicher, ob ... Er glaubte immer noch, es sei eine gute Idee gewesen, denn auf diese Weise würden die Atlanter ihn zumindest bei der geplanten Diskussion erkennen. Allerdings, und das mußte er zugeben, nahm diese Sache mit den Flugblättern allmählich Ausmaße an, an die er nie im Leben gedacht hatte.
Dorn musterte ihn mit stillem Amüsement, lehnte sich in seinem Rollstuhl zurück. „Die Plakate", half er aus, einen Mundwinkel nach oben ziehend.
Peter ließ den Kopf hängen und ächzte. Dann aber, nachdem er wieder aufblickte, nickte er. „Ich hatte Danea gebeten, mir bei meinem Wahlkampf zu helfen", erklärte er. „Immerhin ist es wichtig für einen Gegenkandidaten, wenn sein Gesicht bekannt wird. Dr. Stross und Major Uruhk allerdings ... nun, sie sind nicht wirklich erbaut von der ganzen Sache, und ich bin es mittlerweile auch nicht mehr. Das muß aufhören! Zumindest in diesem Maße."
Dorn schmunzelte, sagte aber nichts, sondern sah seinen jungen Gegenüber nur fragend an.
„Danea aber dachte, er tue mir etwas gutes, indem er einen anderen Erethianer mit dieser Angelegenheit betraute. Einen gewissen Kalpun. Und der ist wohl verschwunden, jedenfalls ist er nicht da, wo er sein sollte."
Dorns Schmunzeln verlosch, er richtete sich wieder auf. „Kalpun?" wiederholte er.
Peter blinzelte irritiert, nickte dann. „Ja, Danea meinte, er sei irgendwie anders und würde wohl seine eigenen Wege suchen."
„Kann man sagen." Dorn schien alles andere als begeistert. Sein Blick war jetzt um einige Grade kälter geworden.
Was hatte dieser Kalpun angestellt? Sonst war der Ex-Marine doch immer die Ruhe selbst. Um ihn aus der Fassung zu bringen brauchte es selbst mehr, als Vashtu bisher gezeigt hatte.
Peter ging plötzlich auf, daß er wirklich in einem Schlamasel steckte - und zwar bis zum Hals, wenn nicht sogar schon weiter. Er schluckte hart.
„Kalpun ist verschwunden, richtig. Kurz nach der Ankunft ist er verschwunden", sagte Dorn jetzt. Das war einer der längsten Sätze, die der junge Wissenschaftler je von ihm gehört hatte.
„Offensichtlich aber wußten zumindest einige Erethianer, wo er sich herumgetrieben hat, bis ... äh, bis zu der Sache mit den Flugblättern", sagte Peter jetzt. Seine Stimme wurde immer leiser, während er sprach. Jetzt gab er sich einen Ruck und versteifte sich. „Vashtu sagte, wenn das nicht aufhört mit den Flugblättern, würde sie ... äh ... naja, sie würde dann wohl etwas mehr tun, als mir die Freundschaft kündigen."
„Kann ich mir denken." Dorn nickte sinnend.
„Können Sie mir helfen, Serge?" Peter sah wieder flehend auf. „Die Flugblätter müssen runter, sobald sie geklebt worden sind. Können Sie da irgendwie ... helfen?"
Bis jetzt hatte er einen Blick auf den Stumpf während ihres gesamten Treffens vermieden, bewußt vermieden. Nun aber suchten seine Augen den Rest des abgetrennten Beines - und wieder wuchs das Schuldgefühl in ihm ins Unermeßliche.
Es mußte doch irgendeine Möglichkeit geben, Dorn zumindest wieder soweit wiederherzustellen, daß er wenigstens einen Teil seines Dienstes erledigen und sich ein ordentliches Quartier suchen konnte. Irgendwie ...
Peter blinzelte, hob den Blick wieder und sah dem Marine tief in die Augen. „Wenn ich Ihnen eine Prothese anfertige?" fragte er voller neuer Hoffnung.
Dorns Kopf ruckte vor, seine grauen Augen sahen seinen Gegenüber fragend an.
Peter nickte zu dem Stumpf hinunter. „Sie helfen mir, diesen Kalpun zu finden und ich mache Ihnen ein neues Bein. Wie hört sich das an?" Er grinste breit.
Dorn sah ihn immer noch an, diese leise Frage in den Augen.
„Ich kann das!" Peter nickte bestimmt.
Dorns Blick wurde intensiver.
„Ich kann das ganz sicher!"
Eine Braue hob sich.
„Ich mache Ihnen eine Prothese, verdammt! Aber ich brauche Ihre Hilfe." Peter atmete hektisch ein, als habe er gerade einen Spurt hinter sich.
Dorn lehnte sich befriedigt zurück und nickte sinnend. „Werde sehen, was sich machen läßt", sagte er nur.

TBC ...

2 Kommentare:

  1. Hi!
    sechs Tage! Na ich hoffe mal, dass die Anderen Vashtu bis dahin davon überzeugen können, doch in der Stadt zu bleiben bzw. dass ihr etwas einfällt von Pandergast loszukommen.
    Sie ist sich also doch nicht hundert prozentig sicher, was die Dimension angeht, aber schon ziemlcih wegen dem Band zu Sheppard.
    Also ich bin ja immer noch der Meinung, dass sie in der richtigen Dimension ist! Hehe ^^ angenommen, pandergast gelangt irgendwann wirklich zur Erde, dann würde er aber ganz schön blöd gucken, wenn er dort auf die anderen Leute trifft ;)
    Eine Prothese für Dorn! Na das wäre doch mal was :) er scheint sich zwar ganz gut mit dem Rolltuhl ganz gut abgefunden zu haben, aber wieder laufen zu können wäre sicher auch sehr schön!
    Ich studiere übringens Hörtechnik und Audiologie und ich bin schon wieder erst jetzt erst zum lesen gekommen. Bin grad dabei ne Hausarbeit zu schreiben *stöhn* Aber dafür habe ich beim versuch mich dafür zu drücken endlich ne idee gekommen, wie ich bei der FF weiterschreieben kann, bei der ich schon so lange hänge ^^ wann ich das allerdings aufschreiben kann...mal sehen...^^
    aber ich will nicht länger hier herum quatschen, sondern höre jetzt lieber mal auf ^^
    LG Sabrina

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  2. Mir geht's im Moment ähnlich. Nein, ich studiere nicht, im Gegenteil hatte ich die letzten 14 Tage sogar Urlaub. Bin aber trotzdem irgendwie nicht dazu gekommen, hier mal weiterzumachen oder meinen anderen Blog zu führen. Allmählich wirds wirklich peinlich ...

    Was deine Fragen und Vorschläge angeht ... wer weiß, wer weiß. Ich sag besser zum Thema Pendergast bzw. Dimensionen nix *grins*. Aber zumindest letzteres wird sich in bälde klären.
    Ja, Dorn kann mit seinem Rolli gut umgehen. Das Problem ist nur, daß er nicht in die oberen Etagen der Gebäude kann. Es gibt nur Treppen und eben Antikerlifte. Treppe allein mit Rollstuhl ist unmöglich, die Antikerlifte funktionieren nicht unter der Energiesanktionierung, unter der sie im Moment stehen. Ergo darf der arme George sein Leben im Erdgeschoß führen, während alle anderen sich irgendwo weiter oben in den Türmen vergnügen. Ob und was aus der Idee mit der Prothese wird wird sich in einer der nächsten Fics zeigen. Ich gelobe jedenfalls Besserung *schäm*.

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