30.09.2012

2.11 Meuterei (Teil 2)

Author's Note: Und damit ist die Pause beendet. Viel Spaß jetzt bei der Fortsetzung!



Lieutenant Jason Frederics kroch bis an das Gitter heran, suchte dann mit den Augen, so gut es ging, die Umgebung ab, ehe er vorsichtig mit den Fingerknöcheln gegen das Metall klopfte.
„Roger, mach auf. Los, mach auf, Mann!“ zischte er.
Ein junger Mann mit blondem, kurzen Haar, drehte sich um, sein Kopf ruckte suchend hin und her.
„Ich bin hier. In der Lüftung“, wisperte Frederics.
Der andere blinzelte, trat dann aber näher. „Jason?“ fragte er ungläubig. „Aber ich dachte ...“
„Laß mich hier raus, verdammt. Und mach schnell!“
Der andere nickte. „Moment.“ Er verschwand aus Frederics Blickfeld.
Der junge Marine linste aufmerksam in den Raum hinein, zumindest so gut er ihn erkennen konnte.
Seit zwei Tagen kroch er durch die Schächte der Prometheus, irgendwie auf ein Wunder hoffend. Doch dieses Wunder wollte sich einfach nicht einstellen. Also hatte er beschlossen, selbst aktiv zu werden.
Es gab noch genug Unzufriedene unter der Besatzung, die bisher nicht in das Fadenkreuz des Colonels geraten waren wie er. Und er hatte Freunde, die ihm vielleicht helfen würden. Freunde wie Roger Vanderbilt, mit denen er zusammen in der Ausbildung gewesen war und denen er vertraute. Pendergast konnte einfach noch nicht alle mit seinem Größenwahn angesteckt haben, es ging einfach nicht!
Die Verschraubungen wurden gelöst, als Vanderbilt wieder auftauchte, einen Schraubendreher in der Hand und konzentriert arbeitend.
„Was ist passiert?“ verlangte er zu wissen. „Der Colonel hat uns durch die Gänge gescheucht wie bei einem Herdentrieb. Aber gesehen habe ich erst etwas, als wir in den 302-Hangar gekommen sind. Da waren Leichen.“
Frederics kniff die Lippen fest aufeinander. „Leichen?“ fragte er nach einiger Zeit.
Sollte sich die Möglichkeit, die Danea, dieser Erethianer ihnen geboten hatte, sich als Falle herausgestellt haben? Waren die anderen, die nicht wieder eingefangen worden waren, in feindliches Feuer gelaufen und umgekommen?
„Einige Leute des Colonels und ein paar, die mit dir eingesperrt gewesen sind. Jason, was war da los?“ Vanderbilt blickte auf.
Frederics rüttelte wieder an dem Gitter. „Das erzähle ich dir, wenn ich hier raus bin. Und jetzt mach endlich! Wir müssen den Schacht wieder verschlossen haben, wenn jemand kommt.“
„Klar.“ Der junge Marine nickte, schraubte weiter.
Einige Leute von Pendergast und ein paar von den Eingesperrten. Ein paar. Wieviele waren in Rogers Augen ein paar? Sie waren rund dreißig Leute in dem Hangar gewesen, und dann war da noch dieser Erethianer-Trupp gewesen, den Major Uruhk ihnen zu Hilfe geschickt hatte. Das waren definitv mehr als ein paar.
Aber was war danach passiert?
Frederics hatte getan, was er konnte, um eben nicht aufzufallen und doch irgendwie Informationen zu erhalten. Bis zur Brücke kam er nicht, die Lüftungsschächte dort waren mehrfach versiegelt. Er hatte sein Glück bei der Messe versucht, war sogar bis in Bates' Quartier gekrochen in der Hoffnung, irgendetwas herauszufinden. Doch mehr als ein paar Brocken hatte ihm das nicht gebracht. Und diese Brocken ergaben keinen rechten Sinn für ihn. Er wußte nicht, was er damit anfangen sollte.
Endlich löste sich das Gitter.
Frederics schwang sich geschickt aus dem engen Schacht, kam auf die Beine und sah sich aufmerksam um. Dann half er seinem Freund, alles wieder zu präparieren, wie es vorher gewesen war, oder doch zumindest so gut er konnte.
Nachdem sie das Gitter wieder angeschraubt hatten, wischte er mit dem Fuß über die Staubschicht, die sich unten an der Wand gebildet hatte durch das Entfernen und Wiederanschrauben, um das ganze etwas zu verteilen. Ein Fehler, es liegenzulassen, und er wußte es. Doch leider wurden solche Kleinigkeiten viel zu oft übersehen.
„Also, was ist hier los?“ zischte er Vanderbilt zu, packte den anderen bei den Schultern. „Was ist passiert?“
„Wir sind gestartet“, antwortete der.
Frederics nickte.
Das wußte er. Wie er auch wußte, daß sie nicht allzu schnell vorankamen. Noch immer hingen sie in der Umlaufbahn. Die beschädigte Prometheus brauchte lange, ehe sie sich von dem Himmelskörper lösen konnte.
„Was war das mit den Leichen? Roger!“
Der sah ihn etwas hilflos an. „Jeffreys Trupp war vollständig aufgerieben“, antwortete er. „Wer war das? DieseMajorin, die wir zusammen mit den Wissenschaftlern auf dem Mond aufgelesen haben?“
Frederics nickte. „Weiter“, forderte er.
Die Zeit brannte ihm unter den Nägeln. Er mußte sehen, daß er die anderen Gefangenen, sofern er sie finden konnte, befreien und irgendwie auf den Planeten hinunterbringen konnte. Denn offensichtlich wurde Major Uruhk irgendwie von einer weiteren Rettungsmission, die mit Selbstmord gleichzusetzen gewesen wäre, mußte er zugeben, abgehalten.
„Von den anderen ... diese Gehirnklempnerin und einer der Pfleger waren tot“, antwortete Vanderbilt zögernd. „Und da war doch dieser kleine Techniker mit der dicken Brille? Den hatte es auch erwischt.“
Heightmeyer?
„Oh Mann!“ Frederics schluckte. Er hatte die Psychologin gemocht. Während der letzten Wochen im Hangar war es auch sie gewesen, die den anderen immer wieder Mut machte und ihnen Trost zusprach.
„Was ist mit Major Uruhk? Konnte sie entkommen?“ fragte er, auch wenn er sich da, nach allem, was er hatte läuten gehört, ziemlich sicher war.
Vanderbilt nickte. „Die war so schnell weg, wie sie gekommen war. Der Colonel hat danach ...“ Er stockte.
Frederics wurde mißtrauisch. Vanderbilt war einer der wenigen, die Zutritt hatten und Dienst auf der Brücke leisteten. Gerade darum hatte er sich ihn ja auch ausgesucht als Informanten.
„Pendergast hat was? Roger?“ fragte er lauernd und starrte dem anderen tief in die Augen.
„Er wollte einen Deal mit ihr durchziehen ... wegen Barnes und diesem Alien-Typen“, stotterte Vanderbilt.
„Einen Deal?“ Frederics dachte rasend schnell nach. „Wann soll dieser Deal über die Bühne gehen?“
„Er sollte schon längst vorbei sein“, platzte es aus Vanderbilt heraus. „Der Colonel war heute morgen unten auf dem Planeten. Aber die beiden hat er zurückgelassen. Und er und Bates sind auch wieder zurückgekommen.“
Frederics' Herz schlug ihm bis zum Hals. „Allein?“ fragte er.
„Keine Ahnung. Auf der Brücke war dieser Major jedenfalls nicht.“
Natürlich nicht.
Frederics nickte, ließ Vanderbilt endlich los. „Okay, dank dir, Kumpel. Und zu keinem ein Wort!“ Mit einem spitzbübischen Grinsen legte er einen Finger an die Lippen.
„Und wo willst du jetzt hin?“
Frederics drehte sich um.
Gute Frage, darüber hatte er sich noch keine echten Gedanken gemacht. Er wußte nur, er brauchte Verstärkung und Waffen. Also würde sein nächster Schritt wohl ...
„Laß das meine Sorge sein.“


***

Dr. Anne Stross kam im Eilschritt aus dem Antiker-Lift heraus und ging hinüber zur Tür der Krankenstation.
Vor knapp einer Viertelstunde hatte sie die Nachricht des Suchtrupps erreicht, daß man wieder in der Stadt wäre. Mit dabei, einen schwer verletzten Dr. Peter Babbis. Von Lieutenant David Markham fehlte noch immer jede Spur. Doch Sergeant George Dorn, der für die innere Sicherheit der Stadt zuständig war, hatte bereits einen neuen Trupp ausgesandt, der hoffentlich bald Neuigkeiten bringen würde.
Anne aber zweifelte nicht daran, daß es sich um schlechte Neuigkeiten handeln würde. Pendergast hatte sich bei ihr gemeldet, und sie hatte den Schmerzensschrei gehört, den Major Vashtu Uruhk ausgestoßen hatte. Die Antikerin lebte zwar, befand sich aber in der Gewalt des Kommandanten der Prometheus. Und niemand konnte sagen, ob und wie ihr das Kunststück gelingen würde, sich erneut zu befreien und wieder herunterzukommen.
Anne trat durch die Tür und sah sich um.
Marc Boyer, der Oberpfleger, kam gerade an ihr vorbei, mit toternstem Gesicht und tief gerunzelter Stirn. Anne hängte sich sofort an ihn.
„Marc, wie geht es Dr. Babbis?“ fragte sie, folgte ihm auf dem Fuße.
Der Pfleger zuckte mit den Schultern. „Schlecht“, antwortete er einsilbig, öffnete die kleine Tür zum Labor. Dann drehte er sich zu ihr um und sah sie ernst an. „Sehr schlecht. Wenn Sie mich fragen, hat er kaum eine Überlebenschance, es sei denn, Grodin kommt von der Prometheus herunter. Die Kugel hat knapp sein Herz verfehlt, aber er hat viel Blut verloren. Dr. Stevenson und Dr. LaCrux haben noch nicht genug Erfahrung. Und Dr. Miong hat selbst noch mit einer Schußwunde zu kämpfen. Wir brauchen Grodin, und das dringenst!“ Mit diesen Worten trat er durch die Tür, die sich direkt hinter ihm wieder schloß.
Anne starrte ihm nach und schluckte.
Alle drei ATA-Träger außer Gefecht, verwundet, verschleppt oder vermißt. Sie konnten absolut gar nichts tun. Selbst wenn es ihr irgendwie gelang, zur Prometheus Kontakt aufzunehmen, glaubte sie nicht, daß Pendergast Grodin zur Behandlung eines Wissenschaftlers hier herunterlassen würde. Ganz zu schweigen davon, daß ...
Anne drehte sich um und betrachtete einen Moment lang die Etage, auf der sie sich befand, bis sie fand, was sie suchte. In der Krankenstation war es ansonsten ruhig, nur um ein abgetrenntes Abteil herrschte etwas Hektik. Und dort ...
Anne biß sich auf die Lippen und marschierte wieder los.
Irgendwie mußte dieser Alptraum doch endlich enden! Sie hoffte immer noch, in ihrem Bett wieder aufzuwachen und sich dann entspannt zurücklehnen zu können. Aber sie wußte auch, das würde nicht der Fall sein.
Was auch immer Major Uruhk sich dabei gedacht hatte, sie hätte eigentlich wissen müssen, daß sie sich auf keinen Handel mit Pendergast einlassen konnte. Der Colonel hatte ihr schon das letzte Mal übel mitgespielt, sehr übel mitgespielt, wie Anne sich erinnerte. Es fehlte nicht viel um sich ausmalen zu können, was die Antikerin jetzt erwarten würde.
Sie blieb vor dem Abteil stehen und atmete wieder einige Male tief ein.
Hinter dem Vorhang wurde hektisch gearbeitet, sie sah es und konnte es auch hören. Aber es war merkwürdig still. So als ob der Tod bereits Einzug gehalten hatte in diesen Raum. Als würde man nur noch ...
Anne riß sich mit aller Gewalt aus ihren Gedanken und trat um den Vorhang herum.
Auf dem OP-Tisch lag, mit nacktem Oberkörper, Babbis, die Brille immer noch auf der Nase. Offensichtlich hatte niemand daran gedacht, sie ihm abzunehmen. Seine Brust war blutbedeckt, ein Loch, aus dem der rote Lebenssaft noch immer pulsierend floß, war nahe seines Herzens.
Die beiden jungen Assistenzärzte, LaCrux und Stevenson, versuchten hektisch, die Blutung zu stillen, doch in ihren Gesichtern war nichts als die pure Ratlosigkeit.
Anne kniff die Lippen zusammen, starrte auf den jungen Mann hinunter, der um sein Leben kämpfte.
Nicht Babbis, nicht auch noch er! So nervend er auch oft war, so rechthaberisch und eigenwillig, sie brauchten ihn hier. Er mußte einfach überleben, auch für Major Uruhk, die in ihm wohl mehr sah als nur einen Wissenschaftler.
Anne hob die Hand, legte den Daumen an ihre Lippen. Dann begann sie, an dem Nagel zu knabbern, wie sie es schon eine Weile nicht mehr getan hatte. Dabei beobachtete sie weiter die hilflosen Versuche der beiden Ärzte, den jungen Wissenschaftler zu retten.
„Mam, Doc“, wandte sich nach einer Weile eine ruhige, tiefe Stimme an sie.
Anne versteifte sich, ließ die Hand sinken. „Dorn“, flüsterte sie, wagte nicht, einen Blick abzuwenden.
„Wir haben ... einen ausgebrannten Puddlejumper gefunden“, sagte die Stimme des Marines im einem tiefen Timbre, das sie nicht kannte.
Anne nickte auffordernd, noch immer den Blick auf Babbis fixiert.
„Lieutenant Markham ist tot, Doc“, schloß Dorn seinen kurzen Bericht.
Anne schloß die Augen.

TBC ...

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