„Ich bin Arzt, kein Folterknecht!“
herrschte Dr. Peter Grodin den Colonel an. „Ich habe einen Eid
abgelegt, Leben zu retten, nicht, anderen dieses Leben zur Qual zu
machen.“
Major Vashtu Uruhk mußte zugeben,
irgendwie war sie von dem sonst so stillen und gelassen wirkenden
Mediziner beeindruckt. Sie hätte nicht erwartet, daß Grodin sich
dermaßen gegen das wehren würde, was man von ihm verlangte. Vor
allem, da sie sich kaum kannten.
Aber ... ein Pluspunkt mehr für ihn.
Auch wenn seine Weigerung zu tun, was man ihm aufgetragen hatte, die
Lage im Moment nicht gerade leichter für sie beide machte.
Wie um ihre Gedanken zu bestätigen,
zog Pendergast in diesem Moment an dem, wahrscheinlich einen Strick
oder ein Seil, was mit dem Gurt um ihren Hals verbunden war. Vashtus
Hinterkopf knallte wieder hart gegen das, was auch immer sich hinter
ihr befand, und augenblicklich wurde ihr die Atemluft abgeschnürt.
Hilflos röchelte sie, zerrte an ihren Fesseln, was ihr nur noch mehr
Schmerzen einbrachte.
„Es gibt auch noch andere, etwas ...
kreativere Wege, unser Vögelchen zum Singen zu bringen, Dr. Grodin.
Zwingen Sie mich nicht, diese Wege zu beschreiten. Denn dann würde
Major Uruhks Leben ganz sicher zur Qual werden, zu einer einzigen,
gewaltigen Qual“, knurrte der Colonel.
Grodin sah sie einen Moment lang an,
blickte ihr direkt in die Augen.
Vashtu schüttelte unmerklich den Kopf.
Solange sie es verhindern konnte, würde
sie sehen, daß ihr keine neuen Drogen verabreicht wurden. Und genau
das verlangte Pendergast von dem Mediziner. Er sollte ihr irgendetwas
spritzen, ein Mittel, das ihren Widerstand brechen und sie zum
Sprechen bringen sollte.
Nein, sie hatte noch mehr als genug vom
letzten Mal.
Pendergast ließ endlich wieder los,
womit er ihr gerade die Atemluft abgeschnürt hatte. Hektisch fühlte
sie ihre Lungen mit Sauerstoff, soviel sie nur kriegen konnte durch
die Nasenlöcher, denn ihr Mund war noch immer mit irgendetwas
verklebt. Und sofort folgte ein erster Hustenanfall, der in ihrem
Hals schmerzte.
„Sie werden zusehen, wenn ich meine
Methoden anwende, Dr. Grodin. Ich werde Sie dazu zwingen“, fuhr der
Kommandant der Prometheus fort. „Wir haben viel Zeit, alle Zeit der
Welt, wie man so sagt. Und irgendwann wird auch Major Uruhks
Widerstand erlahmen, glauben Sie mir. Es gibt mehr als nur einen Weg,
nur würde ich persönlich den ... saubereren bevorzugen. Sie nicht?“
Vashtu schluckte. Noch immer war sie
ein wenig benommen von der Betäubung, die man ihr auf Erethia
verpaßt hatte, um sie hierher bringen zu können.
Warum hatte sie sich auf dieses
verdammte Treffen eingelassen? Ihr hätte doch klar sein müssen ...
Pendergasts Finger bohrten sich in
ihr linkes Schultergelenk, und auf der Stelle erstarben alle ihre
Gedanken bis auf die Wahrnehmung des Schmerzes.
Was auch immer er mit ihrem Arm
angestellt hatte, es war für sie, als bohre er mit tausend Messern
in dem Gelenk herum. Die Taubheit, die sich in den letzten Minuten in
das beinahe nutzlose Glied geschlichen hatte, wich heißen
Flammenzungen.
Vashtu knallte ihren Hinterkopf wieder
gegen das, was auch immer hinter ihr war, keuchte würgend und ächzte
und stöhnte vor Schmerz.
Verdammt, tat das weh!
„Wollen Sie das wirklich weiter
mitansehen, Dr. Grodin?“ fragte Pendergast in ihren Schmerz hinein.
„Wollen Sie sich das weiter mitanhören?“
Endlich ließ er sie los.
Vashtus Kopf sank etwas nach vorn.
Keuchend holte sie wieder Atem.
Gut, wenn sie die Wahl hatte ... sollte
sie es sich vielleicht doch noch einmal überlegen. Das war jetzt
schon entschieden mehr Bereitschaft, sie zu foltern, als der Genii
Kolya oder der Goa'uld Nisroch gezeigt hatten. Sie hatte zwar eine
höhere Schmerzschwelle als ein normaler Mensch, aber das würde
selbst sie nicht lange aushalten.
Unter ihren Ponyfransen blickte sie
auf, suchte Grodins Blick, und nickte kaum merklich. Der Mediziner
holte tief Atem, sah sie mitleidig an, dann nickte auch er.
„Na also, geht doch.“ Pendergast
klang sehr zufrieden, beugte sich wieder über sie.
Vashtu erwiderte seinen Blick voll
brodelndem Zorn. Eine Möglichkeit, nur eine, und sie würde ...
„Du wirst jetzt gleich hübsch dein
Liedchen trällern, mein Lantianer-Vögelchen, und mir alles
verraten, was ich wissen will. Hast du verstanden?“
Mit einem Ruck riß er ihr das Pflaster
von den Lippen, mit dem sie bis jetzt geknebelt gewesen war. Vashtu
verzog leicht das Gesicht, reckte dann aber den Hals, so weit sie
konnte.
„Piep, piep, piep“, zischte sie.
„Und das ist alles, was Sie von mir erfahren werden, Pendergast!
Sie wollen mich singen hören? Ich werde Sie töten, langsam, ganz
langsam, das schwöre ich Ihnen. Daraus sollte ich vielleicht ein
Lied machen!“ Einen Hustenanfall unterdrückend atmete sie einige
Male sehr flach ein.
Der Colonel starrte sie an, dann
streckte er die Hand aus.
Vashtu zuckte unwillkürlich zurück
und erwartete wieder diesen gemeinen Schmerz in ihrem Arm. Statt
dessen aber packte er sie am Hals und riß ihren Kopf wieder in den
Nacken.
„Du weißt nicht, worauf du dich
eingelassen hast mit deinem Starrsinn, Major Uruhk“, wisperte er
ihr zu. „Du hast noch nicht die blaßeste Ahnung, was dich noch
erwarten wird. Erst einmal wirst du alles erzählen, was ich wissen
will. Und dann ...“ Ein kaltes Lächeln legte sich auf seine
Lippen. „Wenn wir wieder auf der Erde sind, wirst du mir mit
solchem Enthusiasmus folgen, als wärst du mein Schatten. Du wirst
meine Wünsche von den Augen ablesen, ehe ich sie aussprechen kann,
mein Vögelchen. Du wirst mir sehr zu Willen sein, glaube mir.“
„Sie werden die Rückkehr doch gar
nicht mehr erleben!“ knurrte Vashtu. „Haben Sie eine Ahnung, wie
weit wir von der Milchstraße entfernt sind? Es wird Jahrtausende
dauern, bis wir auch nur die Pegasus-Galaxie erreicht haben!“
„Nicht, wenn der Hyperantrieb
repariert wird.“ Pendergast ließ sie los und richtete sich auf,
als Grodin mit einer Spritze in der Hand zu ihnen kam.
Vashtu ruckte wieder an ihren Fesseln,
auch wenn ihr dadurch wieder der Atem abgeschnürt wurde und
Schmerzspeere durch ihren Arm jagten. „Der Hyperantrieb der
Prometheus ist Geschichte, Pendergast! Das haben Ihnen schon mehr als
genug Leute gesagt, und ich sage es Ihnen auch noch einmal! Der
Wraith, der sich auf Ihr Schiff hat beamen lassen, hat ihn zerstört!
Dieser Antrieb wird nie wieder irgendein Hyperraumfenster öffnen,
nie!“
„Das werden wir noch sehen.“
Pendergast betrachtete sie lauernd, als erwarte er noch irgendetwas.
„Wenn du dich so gut mit diesen Dingen auskennst, mein Vögelchen,
vielleicht sollte ich dich an die Reparatur setzen, sobald ich dich
gezähmt habe.“
„Vergessen Sie es!“
„Wie du meinst.“ Pendergast hob den
Kopf. „Jetzt spritzen Sie ihr schon endlich das Zeug!“
Grodin zuckte sichtlich zusammen,
beugte sich dann über sie und tastete in ihrem Ellenbogen herum, auf
der Suche nach einer Vene. „Ihr Arm ist ausgekugelt, Major“,
zischte er ihr zu.
Vashtu nickte verstehend. Darum also
die Schmerzen und die Nutzlosigkeit. Sie mußte aufpassen, daß die
Fremdzellen sich nicht befleißigt fühlten, eventuell zerstörtes
Gewebe zu heilen und sie damit zu verkrüppeln.
„Tut mir leid“, wisperte der
Mediziner. Die Spritze stach durch ihre Haut. „Ich bleibe bei
Ihnen. Dieses ... Dreckszeug erfordert die Überwachung durch
medizinisch geschultes Personal.“
„Es war meine Entscheidung, Doc.“
Vashtu brachte irgendwie ein schiefes Grinsen zu stande. „Hauptsache
ich werde nicht sofort wieder süchtig nach dem Zeug.“
Grodin warf ihr einen irritierten Blick
zu, dann zog er die leere Spritze aus der Vene und rieb mit einem
Finger über die Stelle.
„Wir kommen hier heraus, verlassen
Sie sich darauf. Vineta schickt uns Hilfe.“
Doch so richtig konnte sie nicht
glauben, was sie da gerade gesagt hatte. Zumindest Peter dürfte ...
Hoffentlich war er nur verwundet! Hoffentlich war nichts schlimmeres
passiert.
Vashtu schluckte wieder, als ihr Hals
begann, auszutrocknen. Sie schloß die Augen und wartete. Und lange
brauchte sie nicht zu warten ...
***
Frederics lehnte sich in dem Nebengang
an die Wand und dachte einen Moment lang nach.
Wo konnte sich ein Marine am besten
verstecken auf einem Schiff voller Marines und Air-Force-Angehöriger?
Wie konnte er am besten an Informationen kommen? Und wo würde er am
wenigsten auffallen?
Natürlich da, wo sich andere Marines
aufhielten. Also genau dort, wohin seine Schritte ihn gelenkt hatten:
die Messe!
Er straffte sich, klopfte noch einmal
kurz über seine Kleider und marschierte dann los, als sei überhaupt
gar nichts geschehen in den letzten Wochen. Er grüßte freundlich,
grinste den einen oder anderen verschwörerisch an, während er sich
in der Schlange vor der Essensausgabe einreihte.
Vor ihm, sich irritiert zu ihm
umdrehend, stand ein anderer Marine, Davidson, der jetzt fragend die
Brauen hob. „Warst du nicht in dem leeren Hangar?“ fragte er
schließlich.
Frederics blinzelte, riß dann die
Augen auf. „Ich? Wie kommst du denn darauf?“ fragte er, scheinbar
verblüfft, daß man ausgerechnet ihn mit den meuternden
Gefangengesetzten in Verbindung bringen konnte.
Davidson zuckte mit den Schultern,
drehte sich wieder nach vorn und rückte zu seinem Vordermann auf.
„Ich dachte nur ...“
„Ich hatte mir was eingefangen und
lag die letzten Wochen im Krankenrevier“, erklärte Frederics,
runzelte, scheinbar entrüstet, die Stirn. „Ich und meutern! Wo
hast du das denn her?“
Davidson zuckte mit den Schultern.
„Hattest zumindest besseres Essen im Krankenrevier, und die nette
Schwester, oder?“
Ein breites Grinsen erschien auf dem
jungen Gesicht des Marine-Lieutenants. „Was denkst du denn?“
Verschwörerisch zwinkerte er dem anderen zu.
„Hast viel verpaßt, Jason“, wandte
Davidson ein, griff sich jetzt eines der Tabletts. „Mann, hier war
wirklich ne Menge los!“
„Hab was läuten hören.“ Frederics
nickte verstehend, reckte den Hals. „Was war denn genau los? Ich
hab nur noch erlebt, wie der Colonel da welche eingesperrt hat unter
dem Vorwurf der Meuterei.“
„Und dieser weibliche
Air-Force-Major hat sie vor ein paar Tagen wieder rausgeholt, bis auf
eine Handvoll, die kriegte sie nicht mehr mit. Da war Pendergast
schneller.“ Davidson ließ sich einen Teller mit irgendeiner
undefinierbaren Pampe geben, Frederics machte der jungen, männlichen
Küchenhilfe ein Zeichen, daß er das gleiche wollte, lauschte weiter
sehr interessiert.
„Jetzt sitzen Barnes und dieser
komische Alien vom Planeten unten in der Brick. Hab gehört, der
Colonel, dieser alte ... naja, du weißt, was ich meine. Hab gehört,
Pendergast wolle die beiden demnächst entsorgen. Durch die
Mannschleuse und weg.“
Frederics ließ sich nichts anmerken,
doch sein Herz setzte einen Schlag aus.
Auch das noch! Die Brick! Und dann
diese Drohung. Das ... Mist! Er hätte nicht so lange warten dürfen,
wurde ihm klar.
Aber er war zumindest noch nicht zu
spät gekommen. Vielleicht würde er irgendwie ...
Nachdenklich folgte er Davidson zu
einem der Tische, ließ sich neben ihm nieder und grinste breit in
die Runde.
„Da sollten wir nur Atlantis Hilfe
leisten und geraten mitten in einen Kleinkrieg. Mann, das ist echt
starker Tobak!“ rief er lachend aus. Doch sein Lachen klang hohl in
seinen Ohren.
***
„Major?“
Vashtu öffnete die Augen einen
Spaltbreit und schluckte. Dann begann sie zu husten, hob den Kopf, so
weit wie möglich, und versuchte tief und ruhig einzuatmen.
Ihre Kehle war trocken und ihre Lungen
schienen sich unvermittelt in kleine Brandherde verwandelt zu haben.
„Trinken Sie, das wird etwas helfen.“
Ein Becher wurde ihr an die Lippen
gedrückt. Gehorsam trank sie ein paar Schlucke, musterte Grodin aus
schmalen Augenschlitzen.
Die Schmerzen in ihrer Luftröhre
ließen etwas nach, ihr Hals war nicht mehr ganz so trocken. Wieder
atmete sie ein, als der Arzt den Becher absetzte, holte durch den
Mund Luft. „Was ... was ... habe ich ... ?“
„Bleiben Sie ruhig“, fiel Grodin
ihr ins Wort. Seine Finger tasteten über ihren Hals. „Sie haben
Pendergasts Fragen beantwortet, nicht für lange, aber es schien ihm
ausreichend zu sein“, antwortete er dann endlich.
Vashtu nickte ermattet.
Wie beim letzten Mal. Nur dieses Mittel
wirkte offensichtlich auch auf ihr Kurzzeitgedächtnis. Sie konnte
sich nicht wirklich erinnern. Da war etwas in ihr gewesen, etwas, das
... Sie hatte Angst gefühlt, die nicht die ihre war, eine fremde
Unruhe. Sie brauchten ein ZPM, dringend. Aber für was, das wußte
sie nicht mehr.
„Was ist das für ein Zeug?“
stöhnte sie endlich auf.
„Natrium-Thiopental“, antwortete
Grodin, schob sich langsam auf ihre linke Seite. Seine Finger
berührten ihre Schulter.
Sofort begann sie wieder zu ächzen.
„Lassen Sie das!“
„Wenn der Arm nicht behandelt wird
...“
Sie warf ihm einen mörderischen Blick
zu und schüttelte sehr entschieden den Kopf. „Pendergast hat ihn
ausgekugelt. So bin ich zu mir gekommen. Er wird sich schon etwas
dabei gedacht haben“, keuchte sie heiser. „Wenn Sie ihn jetzt
wieder einrenken ...“ Benommen blickte sie nach vorn, zum Schott.
„Wo ist Bates?“
„Er soll Nachschub besorgen“,
antwortete Grodin. „Ich will Ihnen helfen, Major. Aber ...“
„Wir kommen hier heraus. Wir kriegen
Hilfe - irgendwie.“ Vashtu schluckte wieder. Ihr Hals begann schon
wieder auszutrocknen. Sie leckte sich die Lippen. „Was ... was kann
noch passieren? Sie waren unruhig, nachdem Sie die Ampulle gesehen
haben.“
Grodin zögerte, richtete sich dann
wieder auf und sah ebenfalls zum Schott hinüber. „Ihr Herz kann
Störungen erleiden, die Venen reizen sich mit der Zeit. Es kann zu
Muskelkrämpfen kommen, vor allem im ... Herz-Lungen-Bereich. Sie
sind anfälliger für streßbedingte, plötzlich auftretende
Phänomene wie ... wie ...“
„Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Meinen Sie das?“ Sie blickte hoch zu ihm und grinste gequält. „Und
was ist mit meinen Lungen?“
Grodin schien sehr nervös. „Was ist
mit Ihren Lungen?“
„Sie schmerzen.“
„Es kann zu Atemstillständen kommen,
Major. Ihr gesamter Organismus wird durch dieses Mittel unter
extremen Streß gesetzt. Das können Sie nicht lange durchhalten.
Natrium-Thiopental ist das letzte Mittel, zu dem ein Arzt greifen
würde.“
„Nette Aussichten.“ Ein
sarkastisches Lächeln erschien auf ihren Lippen. Dann nickte sie
langsam. „Okay, helfen Sie mir, Doc. Wir müssen hier heraus, und
dazu muß ich erst wieder loskommen. Aber irgendetwas verhindert, daß
ich meine Fremdzellen einsetzen kann.“
„Vielleicht das Beruhigungsmittel,
das Pendergast Ihnen verabreicht hat, um Sie ruhig zu stellen“,
schlug Grodin vor.
„Möglich.“ Vashtu nickte, schielte
dann wieder zu ihm hoch. „Sagen Sie mir, wie und wo ich festgemacht
bin. Ich kann kaum den Kopf drehen oder mich sonstwie bewegen.“
„Wir sind in der Nähe des
Maschinendecks.“
Unwillig schüttelte sie den Kopf. „Die
Fesseln. Wie sehen die Fesseln aus? Wie sind sie miteinander
verbunden“, erklärte sie.
„Oh!“ Grodin strich sich mit einer
Hand durch das dunkle Haar. „Moment.“
Vashtu biß sich auf die Lippen,
kämpfte mit dem nächsten Hustenanfall.
„Sie sitzen auf einem Stuhl, der
direkt an zwei Rohre gestellt worden ist“, begann der Mediziner zu
erläutern. „Ihre Hände sind hinter diesen Rohren mit Handschellen
gefesselt. Ein Seil führt von der Kette nach oben.“ Er trat einen
Schritt zurück. „Ihre Knöchel sind mit Plastikfesseln an den
Stuhlbeinen festgemacht. Auch von ihnen geht ein Seil die Rohre hoch.
Ich glaube, ich kann es nicht richtig sehen, aber ... diese Seile
scheinen mit dem Gurt um Ihren Hals verbunden.“
„Sie reißen den Gurt nach hinten,
wenn ich mich bewege“, korrigierte Vashtu heiser und schluckte
etwas Speichel. „Diese Rohre, wohin führen sie?“
„In die Decke.“ Etwas hilflos
zuckte Grodin mit den Schultern.
„Und der Stuhl steht direkt an diesen
Rohren? Ist er irgendwie daran befestigt?“
Grodin beugte sich wieder über sie,
schüttelte dann den Kopf. „Sieht nicht so aus. Warum?“
„Weil ich uns nicht aus Versehen
beiden die Atemluft entziehen will, wenn ich versuche, mich irgendwie
zu befreien, darum.“
„Und wie wollen Sie sich befreien,
wenn Sie sich nicht bewegen können?“ wandte Grodin ein.
Da allerdings war etwas dran, mußte
sie zugeben. Es mochten nicht die besten Fesseln sein, aber sie waren
sehr effektiv. Dazu kam, daß sie sich benommen fühlte. Ihre
Gedanken schwammen und sie hatte das Gefühl, als würde sie jeden
Moment wieder in irgendeine andere Sphäre abdriften.
„Wir kommen hier schon raus“,
entgegnete sie mit so fester Stimme, wie sie aufbringen konnte.
Und wie? Wenn sie sich noch richtig
erinnerte, war Markham irgendetwas passiert, und Bates hatte auf
Peter geschossen. Mit ihr als Entführungsopfer waren damit alle drei
ATA-Träger Vinetas ausgeschaltet, alle Jumperpiloten außer Gefecht
gesetzt. Selbst wenn Anne Stross jetzt bereit sein würde, ihr ein
Rettungsteam hinterherzuschicken, sie würden es nicht bis auf die
Prometheus schaffen.
„Geht es Ihnen gut?“ fragte Grodin
leise.
Vashtu schüttelte den Kopf, gerade als
das Schott sich wieder öffnete und Bates hereinkam, hinter ihm
Pendergast, der der Antikerin einen sehr zufriedenen Blick sandte.
Vashtu spannte sich unwillkürlich an.
Ihr Blick wurde kalt.
Diesmal würde ihr kein John Sheppard
dazwischenkommen. Diesmal würde sie es mit einem eigenen Feind
aufnehmen müssen. Und sie würde als die Überlebende aus diesem
Kampf hervorgehen, das schwor sie sich.
Pendergasts Blick glitt von ihr ab zu
Grodin, der noch immer neben ihr stand. Seine Brauen schoben sich
zusammen. „Warum ist er nicht gefesselt, Bates?“ fragte er kalt.
„Weil ich nach meiner Patientin sehen
wollte“, entgegnete der Mediziner prompt. „Und das kann ich
nicht, wenn man mir Handschellen anlegt.“
„Hatte den Raum verriegelt, Sir“,
antwortete Bates, begann, aus einer Tasche, die er mitgebracht hatte,
verschiedene Fläschchen und Ampullen zu holen und stellte sie auf
dem Tisch ab.
Vashtu atmete tief ein, warf Grodin
einen langen Blick zu.
„Nun, Doktor ...“ Pendergast trat
näher, musterte sie beide. „Ich sollte Ihnen vielleicht mitteilen,
daß Sie tot sind, sobald Sie auch nur versuchen, Major Uruhk zu
befreien. Ich hoffe, Ihnen ist das klar. Außerdem, Bates, schätze
ich es nicht, wenn sich meine Gefangenen frei in einem Raum bewegen
können, der ...“ Den Rest des Satzes ließ er offen.
Vashtu begriff. Es mußte hier
irgendeine Schwachstelle geben! Der Raum war präpariert worden, um
sie hier gefangenzuhalten. Aber das war nicht seine ursprüngliche
Bedeutung.
„Ich werde ...“
„Lassen Sie den Doc zufrieden,
Pendergast!“ fiel sie dem Medziner ins Wort. „Er tut nur seine
Arbeit - also das, wozu Sie ihn gezwungen haben.“
Mit raschen Schritten war der
Kommandant der Prometheus bei ihr und beugte sich über sie. „Was
dich angeht, Major“, wandte er sich mit einem süffisanten Lächeln
an sie, „du solltest deine Stimme schonen und Atemluft sparen für
später.“ Seine Hand schoß vor, packte sie am Hals.
Vashtu knallte zum wiederholten Male
mit dem Hinterkopf gegen diese Rohre. Ein schlechter Tag, ganz
eindeutig! Er hatte bescheiden begonnen und war immer mehr zu dem
verkommen, womit sie auch jetzt noch zu kämpfen hatte.
Pendergast starrte sie durchdringend
an. „Bereit, wieder dein Liedchen zu trällern, mein Vögelchen?“
„Sind Sie bereit zu sterben?“
krächzte sie.
Seine Finger drückten zu.
Vashtu kniff die Augen zusammen, als
der Schmerz an ihr zu zerren begann. Seine Finger lagen genau über
den Sehnen, die ihren Hals stützten. Wenn er jetzt kräftiger
zudrückte ...
Er verminderte den Druck wieder. „Wie
möchtest du weitermachen, Major?“ fragte er. „Soll dein Doc dir
noch einen Schuß setzen oder redest du jetzt freiwillig.“
Vashtu schluckte, starrte ihn an. „Sie
wissen nicht, mit wem Sie sich angelegt haben, Pendergast. Sie haben
ja keine Ahnung!“
Wieder brodelte kalte Wut in ihrem
Inneren. Sie bezwang sie, so gut sie konnte. Doch sie wußte auch,
daß dieser Kampf sehr wahrscheinlich schon jetzt verloren war. Kam
sie hier nicht mehr heraus - und leider sah es im Moment ganz so aus
- würde sie irgendwann auf diesem verdammten Stuhl krepieren, sehr
wahrscheinlich wieder in eine Abhängigkeit getrieben, die sie nicht
gewollt hatte.
Pendergast beugte sich noch weiter
über sie. „Oh nein, mein Vögelchen“, raunte er ihr ins Ohr. „Du
weißt nicht, was dich noch erwartet. Aber das werden wir beide
schnell ändern, nicht wahr?“
Liebendgern, hätte sie genügend
Speichel im Mund gehabt, hätte sie ihn angespuckt. So blieb ihr nur
ein Blick, der einen Wraith hätte in die Flucht schlagen können.
Pendergast würde zahlen, er würde für
alles zahlen. Und sie würde ihm die Rechnung präsentieren und
kassieren, das schwor sie sich ...
Doch der lachte nur, verstärkte den
Druck seiner Finger auf ihren Hals wieder. „Singst du freiwillig
oder muß Grodin dich wieder überreden, das ist hier die Frage?“
zischte er ihr ins Ohr. „Und wie lautet deine Antwort?“
„Daß Sie von mir nichts, absolut gar
nichts erfahren werden!“ krächzte sie heiser.
Pendergast ließ sie los.
Vashtu hustete und schluckte trocken.
„Sie haben es gehört, Grodin. Setzen
Sie noch eine Dosis!“ befahl der Colonel.
Vashtu sandte ihm noch einen
mörderischen Blick.
„Das kann ich nicht. Das
Natrium-Thiopental muß erst noch ...“
„Setzen Sie ihr noch einen Schuß,
sofort!“ bellte Pendergast den Mediziner an.
Vashtu suchte den Blick des Mediziners,
versuchte ihm mitzuteilen, daß er besser tun sollte, was Pendergast
verlangte. Ihr war nicht der Griff an das Hüftholster entgangen. Der
Kommandant der Prometheus würde auf Grodin schießen, ließ der
nicht endlich seine Prinzipien fallen.
Doch der Arzt stand inzwischen bei dem
Tisch, auf dem Bates seine Mitbringsel aufgebaut hatte, starrte die
Flaschen und Ampullen an, als seien sie seine persönlichen Feinde.
Dann hob er plötzlich den Kopf, ignorierte sie vollkommen, starrte
statt dessen Pendergast durchdringend an.
„Wenn Major Uruhk ständig unter dem
Einfluß des Natrium-Thiopentals steht, wird sie Ihr Verhör nicht
lange durchhalten. Es setzt ihr jetzt schon mehr zu als es eigentlich
dürfte. Sie wollen doch, daß sie redet, oder? Das wird sie aber
nicht mehr können, erleidet sie einen Herzinfarkt oder, noch
schlimmer, einen Schlaganfall!“ Grodin nickte ernst. „Sie hat
Ihnen Ihre Fragen doch schon beantwortet. Sie wissen jetzt, was mit
ihr ist. Was wollen Sie denn noch?“
Pendergast drehte sich wieder zu ihr
um.
Vashtu schluckte unwillkürlich, als
sie in sein Gesicht sah.
Sie hatte also sich selbst verraten und
sonst nichts? Das war gut. Sollte er nur wissen, was sie wirklich
war. Irgendwann würde er sie nicht mehr halten können. Und dann ...
Wieder beugte er sich zu ihr hinunter.
Seine Hand packte sie kurz unter dem Kinn.
Wieder der Hals! Was hatte ihm ihr Hals
eigentlich getan? Aber besser als die Schulter, rief sie sich zur
Ordnung. Wesentlich besser.
Er drückte langsam zu.
Vashtu schloß unwillkürlich die
Augen. Nein, sie würde den Schmerz nicht zeigen, ihm vor allen
Dingen nicht. Doch sie fühlte auch, wie ihr Gesicht sich verzog.
Zielsicher hatte er wieder die Sehnen
gefunden, die er schon vorher drangsaliert hatte. Ein Ziehen und
Pochen setzte in ihrem Kopf ein, ließ ihre Zähne schmerzen.
„Hast du ihm das verraten?“
flüsterte er ihr ins Ohr.
Vashtu öffnete die Augen wieder, als
sie sich gewappnet fühlte. „Nein“, krächzte sie ergeben.
„Man muß nicht verletzt und
gefesselt irgendwo sitzen, um mir soetwas zu verraten“, fiel Grodin
ein. „Jetzt lassen Sie sie endlich in Ruhe, Colonel! Sobald die
Droge etwas nachgelassen hat ...“
Pendergasts Druck verstärkte sich.
Vashtu gab jetzt doch einen kleinen, unterdrückten Laut des
Schmerzes von sich.
„Setzen Sie ihr noch eine Dosis,
Grodin. Na los!“ bellte Pendergast den Mediziner wieder an. „Oder
soll ich weitermachen, mein Vögelchen? Soll ich wirklich?“ Er
drückte fester zu.
Vashtu ächzte, ruckte an ihren
Fesseln, was ihr sofort auch noch die Luftzufuhr wieder abschnitt.
Röchelnd und nach Atem ringend versuchte sie sich zu wehren, sah in
Pendergasts Gesicht, das sichtlich zufrieden mit ihrer Reaktion
schien. Und sie sah in seinen Augen noch etwas. Etwas ...
Mit der anderen Hand drückte er wieder
ihre Schulter.
Diesmal war sie selbst es, die ihren
Hinterkopf gegen die Rohre knallte, um einen heiseren Schrei, den sie
ohnehin nicht hätte ausstoßen können, zu unterdrücken.
„Lassen Sie das endlich! Pendergast!“
hörte sie Grodin protestieren. „Das wird nichts ändern, hören
Sie? Gar nichts!“
Vashtu kämpfte mit den Schmerzen,
versuchte, sie sich nicht anmerken zu lassen. Doch sie wußte, das
konnte sie nicht unterdrücken, so gern sie es auch gewollt hätte.
„Sagst du es ihm jetzt, Major? Sagst
du ihm, was ich hören will? Du wirst nicht anders reden, nicht wahr?
Nur so, nur unter der Droge. Oder möchtest du es mir jetzt
mitteilen, mh?“
Dieser verdammte ... Dieses Schwein!
Dieses verfluchte Schwein! Er hatte sie in eine Falle gelockt, hatte
sie schon einmal unter Drogen gesetzt, sie danach süchtig gemacht,
daß ihr nichts anderes übrig blieb, als ...
Der Druck auf ihre Schulter verstärkte
sich, ließ die Gedanken verschwimmen. Mittlerweile schnürte der
Gurt ihr die Atemluft vollkommen ab, der Druck seiner Finger sowohl
auf das Schultergelenk wie auch auf die Sehnen ihres Halses waren zu
einer einzigen, langen Qual verschmolzen, die sie immer mehr fort von
der Realität trieben.
Weg von hier! Fort aus diesem Raum,
raus aus ihrem Körper. Irgendwohin, wo es keine Schmerzen gab, keine
Sorgen mehr. Ruhe, sie brauchte Ruhe.
Eine kleine Stimme in ihrem Inneren
wisperte ihr zu, daß sie die nicht bekommen würde, solange
Pendergast lebte. Sie war ihm ausgeliefert, und es lag nicht an ihr,
wie weit sie sich treiben ließ. Sie konnte ihm Brocken hinwerfen.
Irgendwie mußte sie das tun, sonst würde sie den Verstand
verlieren, ehe die Droge ihr Hirn zu Brei verarbeiten konnte.
Irgendwie brachte sie einen
zustimmenden Laut zu stande, ihr Kopf sank auf seine Hand, als er den
Druck reduzierte, ihre Schulter losließ und den Gurt wieder
lockerte.
Tief, hustend und würgend, holte sie
Atem. Dann fühlte sie es. Als sie die Augen öffnete und zur Seite
schielte, sah sie Grodin, der sich wieder über sie gebeugt hatte. Er
setzte ihr endlich eine neue Spritze.
Vashtu sehnte sich nach dem Vergessen
der Droge, ließ sich nur zu gern fallen. Es war egal, so lange sie
nur diesen Schmerzen entkam.
TBC ...
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