29.07.2012

Meuterei (Teil 1) II


Einen Tag später:

Colonel Pendergast mußte zugeben, inzwischen wurde er doch etwas unruhig. Er hatte der Antikerin einen gehörigen Brocken hingeworfen, war sich absolut sicher gewesen, sie würde den Köder schlucken und so schnell wie möglich zurückkehren, sich damit in seinem Netz fangen und ... Doch inzwischen waren mehrere Tage vergangen, seit er hatte den Funkkontakt, den seine Gefangenen zur Atlantis-Expedition aufgebaut hatten, unterbinden lassen. Tage, in denen seine Hoffnungen auf den Brigade General immer weiter in sich zusammenschrumpften, in denen ihm immer deutlicher wurde, was er damals auf Atlantis angerichtet hatte.
Die Antikerin sollte seine Eintrittskarte sein in den Generalstab der Vereinigten Staaten. Ihr Wissen war unschätzbar für seine Erde, ihr Können stand ganz außer Frage nach dem, was er bisher gesehen und gehört hatte über sie. Und ... ihr verändertes Genom machte sie zu noch einem fetteren Braten für die Militärs der Erde.
Zu Anfang hatte Pendergast geglaubt, relativ leichtes Spiel mit ihr zu haben, sie mit ein bißchen Schikane zurechtstutzen zu können. Doch Major Uruhk hatte sich als zu zäh und ausdauernd in ihrem Freiheitswillen gezeigt. Immer wieder war sie ihm entwischt, auch wenn er noch so scharfe Androhungen ausgesprochen hatte. Trat sie nicht in Kontakt zu diesen verdammten Wissenschaftlern, schaffte es vor allem dieser nervige Dr. Babbis bis zu ihr, um ihren Widerstand neu anzufachen.
Also waren seine Repressalien ihr gegenüber härter geworden. Doch selbst die Brick schien sie nicht wirklich schrecken zu können. Irgendwie war es ihr bei ihren Aufenthalten dort gelungen, nicht halb wahnsinnig zu werden vor Langeweile. Offensichtlich hatte sie es dennoch geschafft, sich irgendwie zu betätigen, irgendeine geistige Aufgabe zu finden.
Sie hatte ja sogar den Mediziner Dr. Peter Grodin auf ihre Seite gezogen. Pendergasts Glück war es, daß er sich von allen Neueingaben in den Zentralrechner der Prometheus Updates unmittelbar danach schicken ließ. Davon wußte nur sein engster Vertrauter, Sergeant Bates, etwas, ebenso wie von dem, was sich in Major Uruhk verbarg.
Irgendwie war es ihr gelungen, sich fremde Zellen zu spritzen, Wraith-Zellen und noch irgendetwas, was er nicht hatte identifizieren können. Bei ihrem letzten Aufenthalt hier hatte Pendergast Major Uruhk auf Herz und Nieren testen lassen, um zumindest ansatzweise herauszufinden, was diese fremden Zellen tun konnten. Und dank des kleinen Drogencocktails, den Bates ihr regelmäßig verabreicht hatte auf seinen Befehl, war es ihr sehr schnell sehr gleichgültig geworden, was sie zeigte oder nicht.
Er wußte seitdem, daß er es nicht einfach haben würde, die Antikerin kalt zu stellen und hinter ihre Geheimnisse zu kommen. Aber er war sicher, sein Plan würde auch diesmal aufgehen. Dieser Ehrenkodex, dem sie sich verpflichtet schien, war einfach zu verführerisch, um ihn auch ein zweites Mal gegen sie einzusetzen. Major Uruhk wurde genau dadurch berechenbar, und das wollte er schonungslos ausnutzen. An ihrer Ehre gepackt, hatte sie schon einmal gezeigt, daß sie sich über seine Befehle auch hinwegsetzte - und dieses Mal brauchte es das gar nicht. Sie würde sich befleißigt fühlen, den Eingeschlossenen zu helfen, sie aus der Prometheus herauszuholen. Als käme es ihm auf diese Weicheier an, die er in dem leeren Hangar hatte einsperren lassen nach ihrer Flucht!
Gut, Leute wie Grodin würde er brauchen, auch um Major Uruhk endlich zum Sprechen zu bringen. Das Skopolamin, das er ihr hatte das letzte Mal geben lassen, hatte sich in einigen Bereichen als unzuverlässig erwiesen. Ihre Blockaden und ihr Willen waren zu stark, um ihm mehr als einige Geheimnisse zu verraten. Aber er kannte schließlich noch ein paar Mittelchen, die er anwenden konnte, wenn auch nur mit Hilfe von Grodin. Und er war sicher, er würde endlich herausfinden, was er wissen wollte.
Und danach ... Nun, Valium hatte sie schon das letzte Mal ruhig gestellt, und dieser kleine Wartungsraum, der sowieso nicht genutzt wurde und den Bates nach seinen Anweisungen präpariert hatte, würde sie schon halten können.
Und wenn sie auf der Erde angekommen waren, würde er die ultimative Waffe vorzeigen können: Eine lebende genmanipulierte Antikerin und deren Geheimnisse, die den Vereinigten Staaten sicher mehr als nur willkommen sein würden. Er würde seine Akte bis dahin reingewaschen und sich der letzten unliebsamen Zeugen entledigt haben - Unfälle passierten schließlich, vor allem bei einem schwer beschädigten Raumschiff wie der Prometheus. Und wo kein Kläger, da auch kein Richter. Er würde in den Generalstab aufsteigen, vielleicht mit der Möglichkeit auf mehr. Man würde ihm dankbar sein für das, was er da aus einer fernen Galaxis mitgebracht hatte, selbst wenn er diesen unfähigen Asgard verloren hatte. Major Uruhk wog diesen Verlust zehntausendfach wieder auf.
„Sir, wir erhalten Daten“, meldete der Lieutenant, der für die Überwachung des Schiffes zuständig war, in diesem Moment. „Jemand ist in das Schiff eingedrungen auf Ebene siebzehn.“
Pendergast lehnte sich vor, mit einer Hand sinnend sein Kinn stützend.
Dann konnte sein kleines Spielchen ja endlich losgehen. Mal sehen, wie gut die Antikerin wirklich war und ob sie die Falle erkennen würde, die er ihr gestellt hatte. So oder so, er würde ihrer habhaft werden. Und auf dem langen Weg zurück zur Erde würde sie singen wie ein Vögelchen ...
„Mein kleines Lantianer-Vögelchen“, sinnierte er grinsend, sandte Bates einen Blick. Der nahm sofort Haltung an. „Ihre ID auf dem Schirm?“
Der Lieutenant schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Aber die Eindringlinge kamen aus dem 302-Flugdeck.“
Klever, diese Antikerin. Ein interessanter erster Zug. Sie mußte den Schild des Puddlejumpers manipuliert haben, ebenso wie sie irgendwie irgendetwas auf dem Planeten gebastelt hatte, damit er sie nicht fand. Wäre er nicht sicher gewesen, sie genau dort zu wissen, wäre er vielleicht sogar überrascht gewesen, ihre Stimme zu hören, als die Meuterer, die er in den leeren Hangar hatte sperren lassen, begannen, Kontakt zur Atlantis-Crew zu suchen. Vielleicht wäre es ihm sogar geglückt, sie anhand des Funksignals auf die Prometheus beamen zu lassen, hätte dieser verfluchte Asgard nicht fast das ganze Gerät mitgenommen bei seiner Flucht dort hinunter.
Wieder warf Pendergast Bates einen Blick zu, dann nickte er. „Sie wissen, was zu tun ist, Sergeant“, sagte er nur mit gefährlich leiser Stimme.
Wollte er doch einmal sehen, was sein kleines Lantianer-Vögelchen zu seinem nächsten Zug sagen würde?

***

Danea Il'Eskanar gab seinen Leuten ein Zeichen, hob die Waffe der Fremden an die Wange und pirschte dann vorsichtig weiter.
Es hatte nicht lange gebraucht, um ihn und ein Dutzend anderer seines Volkes zu überreden, sich dieser Rettungsaktion anzuschließen. Jetzt aber fragte er sich wirklich, ob er das richtige tat.
Sicher, er mochte diesen Colonel Pendergast ebensowenig wie die neuen Bewohner der Stadt der Schöpfer. Aber hier befand er sich auf fremdem Territorium, noch dazu in einem, das ihm relativ unvertraut war. Zwar hatte sein Volk kurzfristig Schutz auf der Prometheus gesucht nachdem die Fremden aufgetaucht waren, aber sie waren kaum über diese merkwürdige Aussichtsplattform hinausgekommen, in der man sie einquartiert hatte.
„Den Gang weiter hinunter“, wisperte die Stimme von Major Uruhk in seinem Ohr. „Immer geradeaus. Und achtet auf die Quergänge.“
Er nickte, als würde sie neben ihm stehen, dann erst ging ihm auf, daß er ja auf Empfang schalten mußte, wollte er antworten. Er klopfte mit dem Finger auf das kleine Gerät in seinem Ohr. „Verstanden“, gab er durch.
„Ich melde mich, sobald ich mehr sehe“, antwortete seine SG-Leaderin, was er wieder mit einem Nicken quittierte. Aber dieses Mal war er sich sicher, sie erwartete keine Antwort.
Iriar huschte an ihm vorbei, wie er eine dieser Waffen, P-90, an die Wange gedrückt.

***

Vashtu starrte auf die Hologrammanzeigen des Jumpers und fluchte leise in ihrer Muttersprache. Aber mehr würde sie wohl nicht herausholen können aus dem Gerät, und das wußte sie nur zu gut.
Aufmerksam weiter die kleinen, blinkenden Punkte verfolgend, nahm sie Kontakt zu dem zweiten Jumper auf, der, getarnt und mit einer Abschirmung versehen, direkt neben dem ihren stand: „Wie weit sind Sie mit der Codierung, Peter?“
„Ich würde schneller vorankommen, wenn Sie nicht alle zwei Minuten danach fragen würden“, wetterte Dr. Peter Babbis in ihrem Ohr los und verursachte nun doch ein leises Grinsen in ihrem Mundwinkel.
Sie mußten den Code des Schotts ändern, denn sehr wahrscheinlich würden sie nicht alle Eingeschlossenen auf einmal hier herausbringen können. Pendergast und seine Leute sollten sich schon noch ein bißchen die Zähne ausbeißen, ehe sie irgendjemanden wieder irgendwo einschließen konnten. Außerdem mußte Babbis auch noch die Programme umschreiben, damit der Colonel den Wartenden nicht die Luft abstellen konnte, indem er den Asgard-Schild deaktivierte.
Ein schönes Stück Arbeit, das ihr Teammitglied da zu leisten hatte. Vashtu hätte ihm gern geholfen, doch sie mußte die Rettungscrew überwachen, was bei der vereinfachten Darstellung des Detektors der Puddlejumper nicht ganz einfach war.
„Halten Sie sich ran. Wir haben keine Zeit. Sobald Sie mit dem Code fertig sind, geben Sie das Pad an Basbara weiter, damit die ihn einspeisen kann.“
„Jaja“, kam die geknurrte Antwort.
Vashtu wurde aufmerksam, änderte die Einstellung des Funkgerätes. „Danea, in den Nebengang, da kommt jemand.“

***

Anne trat in den Gateroom Vinetas, beobachtete einen Moment lang stirnrunzelnd die zwei Marines, die vor dem Tor Wache hielten, dann nahm sie die Treppe in den Kontrollraum hinein.
„Wo ist Major Uruhk?“ fragte sie sofort Andrea Walsh, die für den reibungslosen Ablauf der Gate-Aktivitäten und sonstigen Arbeiten hier zuständige Technikerin.
Die blickte verwirrt auf. „Aber ...“ Sie schloß den Mund, ihre Augen wurden schmal. „Major Uruhk ist nicht hier. Warum?“
„Weil ich sie suche. In ihrem Büro ist sie nicht, ebensowenig in ihrem Quartier oder in dem Labor, das ihr zugeteilt wurde. Sergeant Dorn meinte, er hätte sie schon seit Stunden nicht mehr gesehen.“ Anne trat näher und musterte die andere aufmerksam. „Sie ist doch wohl nicht mit einem Puddlejumper weg, oder?“ fragte sie mißtrauisch.
Walsh blinzelte, wandte sich dann dem DHD zu, als das Tor von außen aktiviert wurde und schaltete die Schilde zu. „Nicht, daß ich wüßte“, antwortete sie ausweichend.
„Ich habe ihr jeden Flug strikt untersagt, Andrea. Wenn sie also doch da raus ist ...“ Anne wies nach oben, wo irgendwo, weit entfernt, aber leider nicht zu weit, die Prometheus über ihren Köpfen hing. „Suchen Sie sie! Ich will sie so schnell wie möglich in meinem Büro sprechen.“
„Sie ist nicht in der Stadt, Dr. Stross“, antwortete Walsh kleinlaut.
Anne, die sich gerade umgedreht hatte, wandte den Kopf. „Was soll das heißen?“ Ihre Stimme klang lauernd.
„Sie sagte, sie wollte zum Mond hoch.“ Walsh lächelte entschuldigend und zuckte mit den Schultern. „Sich ansehen, wie weit wir dort sind.“
Anne atmete tief ein. „Geben Sie sie mir - auf der Stelle!“

***

Danea zuckte zurück, als er in seinem Ohr einen leisen Ausruf hörte. „Nicht da lang!“
Etwas verwirrt wechselte er einen Blick mit Iriar, die jedoch nur mit den Schultern zuckte.
„Wo sollen wir denn dann lang gehen?“ zischte der junge Erethianer. „Jeder Gang scheint blockiert, egal wohin wir uns wenden, es sei denn zurück zum Hangar.“
„Gute Frage ... Halten Sie die Stellung. Ich versuche, das herauszufinden“, kam prompt die Antwort.
Die Stellung halten? Wieder ein Blick mit Iriar, die mindestens ebenso ratlos schien wie er.

***

Pendergast lächelte zufrieden. „So einfach wird es wohl doch nicht, wie?“ fragte er den Bildschirm, über den er sich gebeugt hatte.
Die ID-losen Pünktchen auf dem Bildschirm verharrten in einem Gang seines Schiffes, schienen ihm selbst bis hierher etwas ratlos, was ihn sehr befriedigte. Noch ein bißchen, und seine Leute hatten die Pünktchen eingekreist. Dann konnte das Spiel erst richtig losgehen.
„Na, wieviele Bröckchen muß ich dir noch zuwerfen, bis du aus deinem Versteck herauskommst, mein Lantianer-Vögelchen?“ fragte er den Bildschirm.
Sie würde ihre Deckung aufgeben, das war klar. Sie würde ihr abgeschirmtes Fluggerät verlassen - und dann würde Bates schnell und effizient zuschlagen, so wie verabredet. Auf keinen Fall würde sie jemandem von ihrem Stoßtrupp, wahrscheinlich dieses merkwürdige Völkchen von dem Planeten, die sie schon einmal hier angeschleppt hatte, zurücklassen. Nein, nein, das würde ihr Ehrenkodex nicht zulassen.
Pendergast lauerte weiter. Bald ...

***

Vashtu arbeitete sich in rasender Schnelle durch die Pläne der Prometheus, biß sich immer wieder auf die Unterlippe.
Verdammt, verdammt, verdammt! Es mußte doch einen Weg ...
Dann stolperte sie über das Programm. Ein Grinsen teilte ihre Lippen, als sie ihr Funkgerät wieder auf Senden brachte.
„Danea, ungefähr drei Meter entfernt, rechts. Da gibt es einen Wartungsschacht, der direkt in den Hangar führt über die Belüftung. Kriegt ihr die Verkleidung runter?“
„Ein Wartungsschacht?“ Danea schien überrascht.
Vashtu wartete ungeduldig.
Sie würde die Eingeschlossenen nicht ihrem Schicksal überlassen. Zwar kannte sie nicht alle, aber doch einen Teil von denen, die Pendergast hier gehalten hatte. Und sie konnten in Vineta jeden einzelnen dieser Männer und Frauen gebrauchen. Sei es für Dorns Sicherheitsdienst, wohin die Militärangehörigen kommen würden, sei es die restlichen Wissenschaftler. Und nicht zu vergessen die mageren Reste der medizinischen Besatzung: Grodin, Heightmeyer und drei Assistenzärzte, sowie noch eine Handvoll Pfleger und Schwestern, die nicht auf der zerstörten Daedalus gewesen waren. Selbst die Techniker, denen Pendergast den Krieg erklärt hatte, obwohl sie nichts als ihre Arbeit getan hatten, würden sie dort unten gut gebrauchen können, sollten sie sich ihnen anschließen wollen.
„Wir sind drin“, meldete Daneas Stimme endlich.
Vashtu atmete auf. „Schiebt die Verkleidung wieder vor, damit nicht sofort bemerkt wird, was passiert ist. Könnte sein, daß wir jetzt kurzzeitig den Funkkontakt verlieren. Immer geradeaus und dann in den kleineren Nebengang. Das ist die Belüftung und führt direkt in den Hangar hinein.“
„Gut, ich denke, wir werden das finden.“
Vashtu nickte befriedigt, gerade, als sich eine neue Stimme in ihren Funkkontakt mischte.
„Major Uruhk, bitte umgehend melden“, hörte sie undeutlich und fluchte wieder.
Ausgerechnet jetzt mußte Stross auf ihre kleine Rettungsaktion aufmerksam werden, verdammt! Sie hatte auf ein bißchen mehr Zeit gehofft.
„Peter, wie weit sind Sie?“ fragte sie wieder.
„Der Code ist gleich soweit“, kam die unwirsche Antwort.

TBC...

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