07.08.2009

Der Jungbrunnen II

John nach dem Duschen die Wohnküche ihres Ferienhauses betrat, wurde gerade die Schiebetür in den Flur geschlossen und Vashtus undeutliche Stimme war zu hören. Am Tresen auf einem der hohen Hocker kniete Jordan und aß einen Pfannkuchen, der vor Sirup nur so tropfte. Als das Kind seinen Vater hörte, drehte es sich herum und er durfte, neben der über Nacht neu entstandenen Zahnlücke, den verschmierten und glänzenden Mund bewundern.
„Dir schmeckt's, was?" John trat um den Tresen herum in die Küchenzeile, um sich eine Tasse Kaffee zu nehmen. Seine Beine waren immer noch weich von dem Gewaltjogging, das er zusammen mit Vashtu und Jordan absolviert hatte.
„Was macht Mummy?" fragte er nach einem ersten Schluck.
Jordan leckte sich mit der Zunge über die Lippen, wischte dann mit dem Ärmel hinterher. Dieser Jogginganzug dürfte damit dann reif für die Dreckwäsche sein, notierte John sich in Gedanken.
„Mummy teli..., talo..., tule..."
„Telefoniert?" half er aus, woraufhin Jordan eifrig nickte und sich ein neues Stück Pfannkuchen in den Mund stopfte.
„Mit wem?" erkundigte er sich, als das Kind endlich schluckte.
Jordan zuckte mit den schmalen Schultern. „Neisch nüscht", muffelte es mit vollen Backen.
Wie kamen sie beide eigentlich auf den Gedanken, ihr Kind auf der Erde lassen zu können, fragte John sich, während er das Kleine weiter beim Essen beobachtete. Für Jordan war es doch normaler, sich von A nach B beamen zu lassen als so etwas einfaches wie ein Telefon zu erkennen. Es würde doch nur eine Frage der Zeit sein, bis es sich verquatschte und sie beide damit Ärger bekamen. Von Vashtus Erbe an ihr Kind redete er jetzt erst einmal gar nicht, obwohl er Jordan im kindlichen Übermut durchaus zutraute, mal eben eine Wand hochzuklettern oder seinetwegen auch ein Auto zu stemmen ohne Mühe.
Die gemeinsame Joggingrunde hatte ihm schon gereicht. Auch wenn Vashtu durch die Geburt einiges ihrer zusätzlichen Kräfte verloren hatte, war sie immer noch schneller und stärker als man ihr zutrauen sollte. Vor allem war sie diejenige, die Jordan wieder einfangen konnte, gingen mit dem Kleinen die Pferde durch wie vorhin am Strand. Während er als normaler Mensch kaum eine Chance hatte, sein eigenes Kind wieder einzuholen, raste dieses wirklich einmal los, hatte die Antikerin zwar ein bißchen Mühe, konnte aber noch mithalten.
Wohin das führen würde, würde Jordan älter werden, wagte er sich gar nicht vorzustellen, von einer möglichen Pupertät wollte er erst recht nichts wissen. Wenn er da an sein eigenes Rebellentum dachte ...
Die Schiebetür öffnete sich wieder und Vashtu, noch ungeduscht und verschwitzt, aber in seinen Augen durchaus sexy, erschien. Durch die Schwangerschaft hatte sie etwas von dem Knabenhaften verloren, was ihr früher eigen gewesen war, ihre Brüste waren ein wenig größer und ihre Hüften breiter geworden. Nicht zuviel, noch immer war sie bemerkenswert schlank, aber weiblicher als sie es früher gewesen war. Vor allem jetzt, wo sie noch zerzaust und verschwitzt war vom Lauf, etwas weißer Sand auf ihren Wangen schimmerte und sie noch die lässige Kleidung vom Jogging trug, wirkte sie auf John noch anziehender als sonst. Liebendgern wäre er sofort mit ihr im Schlafzimmer verschwunden, um jeden Millimeter ihrer salzigen Haut zu erkunden und zu liebkosen.
„Mitchell", kommentierte die Antikerin, während sie sich wieder an den Herd stellte und eine zweite Pfanne auf die Flamme schob, um für sich und ihn Rührei zu machen.
„Was wollte er?" John nahm noch einen Schluck Kaffee, zwinkerte Jordan dann zu.
Vashtu zuckte mit den Schultern. „Mir sagen, daß wir kurzfristig Besuch bekommen. Die Darius ist mit Peter eingetroffen und er will irgendwas wissen. Es ging darum, wann ich Zeit hätte."
John stutzte. „Anne schickt extra die Nemesis hierher, wenn Babbis eine Frage hat?" staunte er.
„Es geht um Carters Werft."
Ein Stück Butter landete in der Pfanne und zerlief beinahe sofort.
John nickte stumm, stellte seine Tasse ab und öffnete die Kühlschranktür, um Vashtu den Speck zu reichen.
„Onkel Peter kommt?" Jordan strahlte wieder mit der deutlichen Zahnlücke.
„Ja." Vashtu beugte sich vor, bis sich ihre Nasenspitze und die ihres Kindes beinahe berührten. „Und du läßt ihn schön in Ruhe, klar?"
John grinste. „Habe ich da gerade ein neues Hobby entdeckt?"
Vashtu warf ihm einen langen Blick zu und nickte. „Jordan kennt sich mittlerweile bemerkenswert mit diversen Schaltplänen aus, weil da jemand die Daten aus dem militärischen Hauptrechner gezogen hat. Auch Halbantiker haben ein erstaunliches Gedächtnis ..."
„Wie die Mutter, so das Kind." John beugte sich vor und küßte Vashtus Nacken, ehe er aufblickte und Jordan scharf fixierte. „Und ich denke, da wird noch jemand heute Besuch bekommen, oder? Zumindest wenn dieser jemand artig ist für den Rest des Tages."
Jordan sah ihn groß und verständnislos an. „Wer denn?" fragte es dann.
Vashtu hielt den Kopf gesenkt und kümmerte sich um das Rührei, dennoch sah John das breite Grinsen in ihrem Gesicht.
„Hast du schon einmal etwas von der Zahnfee gehört?" erkundigte er sich.
Jordan blinzelte verständnislos.
„Onkel Devitot", sagte Vashtu und blickte nun doch wieder auf. „Auf der Erde gibt es etwas ähnliches: die Zahnfee."
Onkel Devitot?
„Kommt die auch mit einem Devikopf aus Zuckermasse?" Jordans Augen strahlten.
John fühlte sich wie paralysiert.
„Andere Galaxien, andere Sitten", kommentierte Vashtu und küßte ihn auf die Wange. „Gibst du mir Teller, Schatz?"
John atmete einige Male tief ein.
Wußten sie beide wirklich, was sie taten, wenn sie ausgerechnet auf der Erde nach einer passenden Schule für Jordan suchten? Vielleicht sollten sie doch O'Neills Angebot mit dem Privatlehrer annehmen ...
„Kriege ich einen Zuckerkopf?" bohrte Jordan aufgeregt weiter.
John zwang sich, Vashtu die Teller zu reichen und machte gute Miene zum bösen Spiel. „Die Zahnfee belohnt dich, wenn du einen Zahn verlierst", erklärte er. „Eigentlich nicht mit Süßigkeiten, aber ich kann ja mal mit ihr sprechen."
Jordan nickte eifrig.
„Du hast es dir eingebrockt, mein Lieber", wisperte Vashtu ihm zu, während sie nun das Rührei mit Speck auf die beiden Teller verteilte.
Ja, das war wohl so ...
Vashtu nahm sich noch ein Glas mit gekühltem Orangensaft, ehe sie, sich mit der Hüfte am Herd abstützend, begann zu essen. „Und was habt ihr zwei heute vor?" fragte sie zwischen zwei Bissen.
„Daddy will mir Disneyworld zeigen", strahlte Jordan. Zwei dunkelrote, hektische Flecken bildeten sich auf den, vor Sirup glänzenden Wangen.
„Disneyworld in Orlando?" Vashtu warf ihm einen fragenden Blick zu.
John zuckte mit den Schultern. „Mir gehen allmählich die Sehenswürdigkeiten aus", verteidigte er sich.
Vashtu kaute nachdenklich. „Ich dachte eigentlich, wir alle drei wollten dort hin", sagte sie schließlich. Allerdings konnte er weder an ihrer Stimme noch ihrer Miene feststellen, was sie denn nun genau empfand.
„Wir können ja noch einmal hin, wenn es dort schön ist", schlug Jordan spontan vor.
„Wäre eine Möglichkeit." Vashtu drehte sich zu John um. „Dann nehme ich den Wagen heute. Desto eher ich heute abend zu Hause bin, desto eher sind wir Peter wieder los."
„Und wie sollen wir dann nach Orlando kommen?" erkundigte John sich, stellte seinen Teller zur Seite, um nach seiner Kaffeetasse zu greifen.
Vashtus Augen rollten gen Zimmerdecke.
„Oh nein, ich werde nicht die Apollo fragen, ob man uns da rüber beamen kann!" John schüttelte entschlossen den Kopf. „Das ist gegen jede Regel oder Vorschrift."
„Als hätten dich Regeln und Vorschriften je interessiert." Vashtu lächelte zuckersüß. „Im übrigen wäre ich dann heute nacht allein. Ihr könnt nicht an einem Tag von Miami nach Orlando und wieder zurück fahren. Ihr müßt wenigstens einmal durch die Rushhour. Und ich glaube nicht, daß Jordan so unbedingt den ganzen Tag auf einem Rücksitz verbringen möchte. Und du hast was gut bei Ellis."
„Er wird das nicht gut heißen", entgegnete John prompt und schüttelte wieder den Kopf.
„Probier es. Bei Makepiece klappt es eigentlich immer. Wir könnten uns heute abend vor der Versammlungshalle treffen und gemeinsam hierher zurückfahren. Vielleicht springt ja eine Pizza auf dem Rückweg heraus." Vashtu zwinkerte ihrem Kind zu, hob dann eine Braue. „Hatten Tante Anne und ich dir nicht schon einige Male die Vorzüge von Besteck erklärt?"
John verbarg sein Grinsen hinter seiner Kaffeetasse, während Jordan wirklich das dümmste Gesicht zog, das er je in seinem Leben gesehen hatte.
„Was machst du denn heute, Mummy?" fragte das Kleine schließlich, wenn auch deutlich kleinlaut und vorsichtig. „Wieder in ein Mitrofon sprechen?"
John stutzte unwillkürlich bei diesem Patzer.
„Nein, heute muß Mummy zwar viel reden, aber nicht in ein Mikrofon sprechen", antwortete Vashtu breit grinsend.
„Einzelgespräche?" fragte John sofort nach.
Die Antikerin nickte, zog eine Grimasse. „Wird sicherlich spaßig werden." Ihre Stimme klang dumpf. „Jedenfalls schätze ich, werde ich heute sehr viel an euch beide denken."
„Schick das nächste Mal Pete", schlug John spontan vor.
Vashtu kratzte den letzten Rest Rührei von ihrem Teller, schüttelte dann den Kopf. „Geht nicht ... aus bekannten Gründen", antwortete sie und stellte ihr Geschirr ab.
John ging tatsächlich erst jetzt auf, daß es wirklich zu Schwierigkeiten führen könnte, würde der Chefarzt Vinetas sich auf die Erde verirren - weil er nämlich noch immer als tot galt. Und solange sich keine Möglichkeit ergab, an diesem Status etwas zu ändern, würde er wohl in der geheimen Antikerstadt bleiben müssen oder nach Atlantis wechseln.
„So, Jordan, wir beide sollten uns jetzt ganz dringend waschen und dann fertig machen." Vashtu lächelte ihn kurz an, ehe sie sich wieder zu ihrem Kind umdrehte, das umständlich von seinem Hocker kletterte.
„Auf, auf! Wir haben heute noch viel zu tun." Vashtu nahm Jordan an der Hand und verließ die Küche.
John sah den beiden nach - mit weichem, liebevollem Herzen.

***

Miami Dade Polizeirevier:

Mike sah sich kurz um, ehe er zielstrebig zu dem Tresen hinüberging, hinter dem eine blonde, sonnengebräunte Polizistin saß und offensichtlich auf Kundschaft wartete. Erwartungsvoll blickte sie auf, als sie die Bewegung in ihre Richtung sah, und setzte ein geschäftsmäßiges Lächeln auf.
„Guten Morgen, Sir. Kann ich Ihnen behilflich sein?"
Mike sah sich noch einmal um. Eigentlich hätte er lieber mit einem Mann gesprochen, allerdings war es vielleicht besser, wenn er sich doch diese Bullenschlampe wandte. Immerhin gackerten diese Hühner von Weibern ja sonst auch immer im Chor. Sie würde vielleicht seine Sorge besser verstehen können als ein männlicher Bulle, der sich wahrscheinlich denken würde, Julie sei auf einen Fick zu einem anderen und habe die Nacht verschlafen.
„Ja", antwortete Mike endlich und schluckte den wütenden Schrei hinunter, der an seiner Kehle zerrte. „Es geht um meine Lebensgefährtin. Sie ist verschwunden."
Die Polizistin sah ihn einen Moment lang groß an, dann wandte sie sich dem neben ihr stehenden Bildschirm zu. „Wie lange ist sie denn schon verschwunden, Sir?"
Mike seufzte erleichtert. Schien doch zu klappen. Vielleicht konnte diese Schlampe sogar genug Hebel in Bewegung setzen, damit man wirklich nach Julie suchte und ihm nicht nur Plazebos in Form von Floskeln in den Hintern schieben wollte.
„Das letzte Mal habe ich sie gestern beim Frühstück gesehen", berichtete er. „Sie hat mir noch auf den AB gesprochen, insgesamt dreimal. Beim letzten Anruf wurde sie offensichtlich unterbrochen."
Die Polizistin wandte sich vom Computer ab.
Was, zum Kuckuck, sollte das? Wieso tat sie nicht endlich etwas? Wieso gab sie nicht die verdammte Vermißtenanzeige ein?
„Sir, ich bin mir nicht sicher, ob Sie über die Meldeerhebung bei Fällen von Verschwinden informiert sind ..."
Mike schluckte den nächsten wütenden Schrei hinunter, beugte sich vor und fixierte die Polizistin. „Hören Sie, es ist mir egal, was das Gesetz sagt. Meine Lebensgefährtin hat mich angerufen, sie hatte Angst und das Gespräch wurde unterbrochen. Das war das letzte Lebenszeichen von ihr, und ich mache mir Sorgen. Im Moment ist es mir wirklich vollkommen egal, wie lange sie weg sein muß, ehe ich sie laut dem Gesetz als vermißt melden darf. Sie ist JETZT weg! Haben Sie das verstanden?"
„Sir, es ehrt Sie, wenn Sie sich Sorgen machen um Ihre Lebensgefährtin. Aber das Gesetz sagt eindeutig, daß, solange kein Verbrechen vorliegt, eine Person erst nach zweiundsiebzig Stunden als vermißt gilt. Vielleicht ist Ihre Lebensgefährtin ja bei einem Bekannten und hatte die Zeit vergessen, oder sie hat in einem Motel übernachtet aus irgendeinem Grund."
Mike kramte in dem Rucksack, den er mitgebracht hatte, und knallte ihr das Band aus dem Anrufbeantworter auf den Tresen. „Hören Sie sich das an und sagen Sie mir noch einmal, daß Julie bei irgendeiner Freundin geblieben ist", fuhr er die Beamtin an.
Die zuckte merklich zusammen, als er so plötzlich die Stimme erhob.
Es tat tatsächlich immer noch gut, wenn es bei dieser Schlampe auch lange nicht so befreiend war wie früher. Vielleicht lag es daran, daß er sich wirklich Sorgen um Julie machte, er wußte es nicht. Im Moment würde er liebend gern mit dieser Tussi den Boden wischen, damit sie endlich ihren Hintern in Bewegung setzte und etwas für Julie tat.
„Sir, ich bitte Sie!" Die Polizistin hob beschwörend die Hände. Hinter ihr, hinter diversen, wahrscheinlich kugelsicheren, Glasscheiben konnte Mike Bewegungen ausmachen. „Beruhigen Sie sich bitte, Sir!"
„Wenn das nicht mein alter Kumpel Mike Sheridan ist ..."
Mike erstarrte beim Klang dieser Stimme, die ihn mittlerweile bis in seine Alpträume verfolgte. Er ballte einige Male die Hände zu Fäusten, um sich zu beruhigen, dann drehte er sich langsam um und begegnete dem anderen mit so lässigem Blick, wie es ihm möglich war.
Caine trug, wie lächerlich!, im Polizeirevier seine Sonnenbrille. Dennoch schienen seine Augen geradezu auf Mikes Haut zu brennen. Mit einem verächtlichen Lächeln trat der Polizist auf ihn zu, wie zufällig streifte sein Arm dabei sein Sakko zurück, so daß Mike die Marke sehen konnte.
„Lange nicht gesehen." Caines Stimme trof vor Hohn.
Wenn dieser Kerl ihm helfen konnte, dann, das wurde Mike in diesem Moment klar, würde er seine Hilfe nicht ablehnen. Es ging hier um Julie, verdammt noch einmal!
Caines unsichtbare Augen musterten ihn immer noch. „Heiße Feier heute nacht?" erkundigte er sich.
„Julie ist weg!" Mike baute diese drei Worte wie eine Mauer zwischen sich und dem Polizisten.
Caines Lächeln wurde breiter. „Ich wußte, daß sie irgendwann zur Vernunft kommen würde. Hat lange gedauert. Aber ich schätze, dafür dürfte die Feier jetzt umso schöner für sie werden."
Mikes Kiefer spannten sich vor Wut an. „Sie verstehen nicht, Caine. Julie ist nicht freiwillig weg. Sie ist nicht nach Hause gekommen nach ihrer Schicht!"
Ein anderer ziviler Beamter öffnete die verglaste Tür, die wohl zu den Arbeitsräumen und Büros führte. „Horacio?"
Caine nahm langsam die Sonnenbrille ab, wozu er beide Hände benutzte. Er nickte langsam und mit Bedacht. „Ich schätze, Sie kennen die Gesetze, Mr. Sheridan. Gesetz Nummer eins besagt, daß ich mich Ihnen nicht nähern darf. Gesetz Nummer zwei gewährt Miss Bryant zweiundsiebzig Stunden Vorsprung. Und ich schätze, wir alle hier werden gegen keines dieser beiden Gesetze verstoßen, oder?"
Mike zitterte vor unterdrückter Wut. Langsam beugte er sich vor, während eine Sehne an seinem Hals immer wieder spielte. „Ich schwöre Ihnen, Caine", knurrte er, „sollte Julie auch nur ein Haar gekrümmt werden weil Sie sich auf die Gesetze berufen, werde ich Sie dafür vors Gericht bringen!"
„Drohen Sie mir?" Caine setzte seine Sonnenbrille wieder auf. „Das sollten Sie besser nicht tun, Mike." Damit wandte er sich ab und folgte dem anderen Zivilbeamten nach hinten.
Mike blieb, immer noch vor Wut zitternd, stehen und ballte immer wieder die Hände zu Fäusten.

***

Vashtu eilte, in ihrer Tasche nach dem Schlüssel kramend, mit gesenktem Kopf aus dem Tagungsgebäude heraus, kaum daß der heutige Tag offiziell beendet worden war von den Ausrichtern der Veranstaltung. Sie hoffte auf noch ein bißchen Zeit, um sich mit Peter Babbis' Problem beschäftigen zu können, ehe er tatsächlich eintraf. Außerdem bestand die Chance, falls John und Jordan inzwischen auf dem Weg zurück waren, daß sie noch in Ruhe zusammen zu Abend essen konnten, ehe ein Teil ihres normalen Lebens sich in ihren eigentlichen Urlaub verirrte.
„Haben wir alle Sie so verschreckt, daß Sie dermaßen schnell Reißaus nehmen müssen?" fragte plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Vashtu holte erschreckt Luft und blieb stehen wie angenagelt. Langsam drehte sie sich dann herum und fand sich einem Mann gegenüber, der ungefähr in Johns Alter sein dürfte, jedoch nur wenig größer als sie war. Aus dunklen, amüsiert blitzenden Augen musterte er sie, hielt ihr dann seine Hand hin. „Shriner, Mel Shriner", stellte er sich dann vor.
Vashtu war sich sicher, ihn heute mehrfach gesehen zu haben. Er mußte wohl zu irgendeinem der großen Labore gehören, denn seinen Namen kannte sie nicht.
Sie ergriff die dargebotene Hand lächelnd. „Angenehm, Vashtu Uruhk."
„Als wenn ich das nicht wüßte", scherzte Shriner gutgelaunt. „Der neue Stern am Genetikerhimmel. Freut mich wirklich, daß Sie Zeit gefunden haben, zu dieser Konferenz zu kommen."
Vashtu nickte. „Ja, ich bin leider meist etwas ausgebucht", entschuldigte sie sich. „Man kennt das ja. Ich leite eine halbzivile Forschungseinrichtung für die Air Force zusammen mit einer Zivilistin. Da gibt es immer recht viel zu tun."
Shriner hob beeindruckt die Brauen. „Dann stimmt das also wirklich", staunte er. „Ich dachte, die Gerüchte darüber seien etwas übertrieben."
Vashtu lachte. „Nein, sicher nicht. Wir sichten größtenteils Forschungen, die sozusagen von den Vormietern stammen und befinden uns mitten in einem Krisengebiet. Da ist es nicht wirklich leicht, noch viel Zeit für anderes zu erübrigen."
„Und dennoch ziehen Sie Ihr Kind dort auf. So gefährlich kann es doch wohl nicht sein, oder?" Shriner lächelte und schüttelte den Kopf. „Entschuldigen Sie, ich falle immer wieder gern einmal mit der Tür ins Haus."
„Das ist nicht schlimm, wirklich nicht." Vashtu mußte zugeben, ihr war dieser Mann recht angenehm bisher. Nicht daß er eine Gefahr wäre für John, das sicher nicht. Aber auf seine Art war er charmant und brachte sie gefährlich nahe an die Grenzen dessen, was sie erzählen durfte.
„Ich ziehe mein Kind dort auf, das ist richtig. Wir erhalten sehr viel Unterstützung von Seiten der Einwohner, sonst würde das wahrscheinlich nicht so gut funktionieren wie jetzt."
Shriner nickte wieder. „Und deshalb sind Sie jetzt hier, stimmts?" Wieder setzte er sein charmantes Lächeln auf. „Ich muß sagen, nach allem, was ich in den letzten beiden Tagen von Ihnen und über Sie gehört habe, freue ich mich schon sehr auf unsere zukünftige Zusammenarbeit."
Vashtu stutzte augenblicklich. „Zusammenarbeit?" echote sie.
Shriner wurde ernst. „Jetzt sagen Sie mir bitte nicht, daß Sie noch gar nicht zugesagt haben. Sheppard meinte doch ..."
„Dave Sheppard?" fiel die Antikerin ihrem Gesprächspartner ins Wort.
Plötzlich ging ihr auf, was hier gerade gespielt wurde. Und ihr fiel auch ein, daß sie den Namen Shriner doch kannte. Johns Bruder schien seine Hand im Spiel zu haben, aber erst einmal einen Dritten vorzuschicken, um zu testen, ob sie überhaupt interessiert war an seinem Angebot.
Shriner nickte. „Ja, er hält ja die Mehrheit der Aktien an Genelab dank meines Partners und dessen Verkaufs des strittigen Prozentes."
Vashtu holte tief Atem, ihre Hand harkte sich in ihre Tasche. „Bedaure, Dr. Shriner, aber da sind Sie falsch informiert worden. Ich verlasse die Air Force nicht."
„Dann hat Sheppard sich noch nicht an Sie direkt gewandt, richtig?"
„Das ist korrekt. Ich habe ihn heute auch gar nicht gesehen bei der Konferenz."
„Er hat sich wohl eine leichte Magenverstimmung eingefangen", erklärte Shriner. „Jedenfalls war das seine Ausrede, als er sich heute morgen bei mir meldete. Ich schätze, er hat eher das 'Ich-hasse-alle-Wissenschaftler-die-ich-nicht-verstehe"-Fieber."
Wider Willen mußte Vashtu nun doch schmunzeln. „Tut mir leid, daß man da wohl falsche Hoffnungen für Sie geweckt hat, Dr. Shriner", sagte sie dann.
„Ist schon in Ordnung. Allerdings muß ich mich doch fragen, warum Sie bereit sind, sogar Ihr Kind aufzugeben, um auf diesem Stützpunkt zu bleiben. Müssen ja wirklich interessante Forschungen sein, die Sie da durchführen."
„Sagen wir, wir sind dort ein eingespieltes Team. Und zumindest ein Mitglied unseres Teams kann nicht in die USA einreisen aus verschiedenen Gründen. Ich arbeite gerade an solchen Dingen wie der Impfung nicht allein, zumindest nicht völlig."
Shriner lächelte wieder. „Wer tut das schon?" fragte er zwinkernd, während er sich nach vorn lehnte, um ihr diese rhetorische Frage ins Ohr zu flüstern.
Vashtu nickte, wollte sich wieder ihrer Tasche und der Suche nach dem Wagenschlüssel machen.
„Wußten Sie eigentlich, daß die Indianer, die früher einmal Florida besiedelten, den Konquistadoren von einer geheimnisvollen Quelle berichteten, die angeblich das Alter fortwaschen konnte?" wechselte Shriner plötzlich das Thema.
Vashtu stutzte, sah wieder auf. „Wie bitte?"
Der Genetiker nickte. „Der Jungbrunnen", antwortete er. „Der ewige Traum der Menschheit neben der Unsterblichkeit. Bis zu seinem Lebensende jung, fit und vital bleiben. Keine Degeneration, keine erhöhte Risiken für gewisse Krankheiten mehr."
„Hört sich nach einem Märchen an", kommentierte Vashtu. „Aber ... heißt diese Klinik, die Sie draußen in den Everglades betreiben, nicht irgendwie ..."
„Aqua Vitae, das Wasser des Lebens", fiel Shriner ihr ins Wort. „Ich muß zugeben, mein Partner ist etwas eigen und sieht sich als so eine Art moderner Alchimist."
„Sind wir das nicht auch?" fragte Vashtu. „Wir forschen nach Dingen, für die wir vor ein paar hundert Jahren noch lebendig verbrannt worden wären."
„Hehnenburgh ist da etwas eigenartig, vertrauen Sie mir. Vielleicht lernen Sie ihn ja noch kennen im weiteren Verlauf unserer Konferenz."
„Möglich ..." Vashtu wollte erneut nach dem Schlüssel suchen.
„Die von Ihnen entwickelte Impfung ist ein Schritt auf dem Weg, den Jungbrunnen zu finden, denken Sie nicht, Colonel Uruhk?" fragte Shriner.
Vashtu blickte auf. „Wieso sollte eine Impfung, die an einem Fötus durchgeführt wird, dem Mythos vom Jungbrunnen gleichen?" fragte sie verwirrt.
Shriner nickte. „Weil Ihre Impfung einen Aspekt des Jungbrunnens aufgreift: Gesundheit! Wenn Ihre Impfung erst einmal weltweit erhältlich ist, rotten Sie damit gleich eine ganze Palette von bisher nur schwer behandelbaren, erblichen Krankheiten aus, Colonel Uruhk. In der Legende vom Jungbrunnen heißt es, der Stamm, der in der Gegend um die Quelle gelebt hat, habe keine erblichen Krankheiten gekannt."
„Vielleicht waren diese Indianer Genetiker", scherzte Vashtu. „Und ob diese Impfung wirklich so viele erbliche Krankheiten bekämpfen kann wie wir es gern hätten ..." Sie schüttelte den Kopf. „Es wird noch geprüft, gegen was genau die Ketten vorbeugen können."
Shriner neigte den Kopf leicht zur Seite und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Sie müssen Tom einfach kennenlernen, Colonel", merkte er schließlich an. „Und Sie sollten sich einmal selbst hören. Attraktiv und klug, eine wirklich verlockende Mischung. Da fragt man sich allen Ernstes, warum Ihr Lebensgefährte Sie noch nicht vor den Altar geschleppt hat."
„Weil ich das nicht möchte." Vashtu lächelte höflich. „Er möchte, und das auch schon recht lange. Für mich dagegen spielt es keine Rolle, ob wir verheiratet sind oder nicht."
„Aber soweit ich weiß, sehen Sie sich nicht oft, oder?"
Vashtu zögerte mit der Antwort, schüttelte dann den Kopf. „Leider nicht. Unsere Stützpunkte liegen zu weit voneinander entfernt."
„Mummy!" rief in diesem Moment eine Stimme hinter ihrem Rücken.
Vashtu fühlte, wie in ihr die Wärme der Mutterliebe wieder hochstieg, während sie sich jetzt umdrehte und bückte, um ihr Kind in die Arme zu schließen.
Jordan hatte eine eigenartige schwarze Kappe mit zwei runden, ebenso schwarzen Monden, auf der wilden Mähne. Vashtu brauchte eine Sekunde, ehe sie begriff, daß John, der jetzt ebenfalls den Weg von der Straße hinunterkam, Jordan wohl Mickey-Mouse-Ohren gekauft hatte.
„Mummy, ich hab dich so vermißt!"
Vashtu fand sich unvermittelt in eine Umarmung gezogen, die sie beinahe erwürgt hätte. Jordan achtete nämlich darauf, daß die Mickey-Mouse-Ohren ja nicht mit der Nase seiner Mutter kollidierten.
„Hallo, Vash", begrüßte John sie, während sie sich von den kurzen Armen zu befreien suchte. Schließlich gab sie es auf und nahm Jordan kurzerhand auf den Arm, um sich von ihm sanft küssen zu lassen.
Jordan hatte nun Shriner entdeckt und strahlte den Genetiker gleich mit seiner Zahnlücke an. „Mummy und Daddy mögen sich sehr", erklärte das Kleine voller Inbrunst.
„Das sieht man." Shriner hatte wieder sein charmantes Lächeln aufgesetzt.
Vashtu drehte sich zu ihm um. „Ich bin unhöflich. Das ist mein Kind, Jordan", stellte sie das Kleine auf ihrem Arm vor, bemerkte dabei nicht, daß Shriner sie sehr genau musterte. „Und das ist mein Lebensgefährte: Colonel John Sheppard."
Shriner stutzte, während er John die Hand hinhielt. „Sheppard?"
„Der Bruder von Dave", antwortete der Colonel ruhig. „Sozusagen das schwarze Schaf der Familie. Freut mich, Dr. ..."
„Shriner, Mel Shriner. Einer der Firmengründer von Genelab."
Johns Kopf ruckte augenblicklich zu Vashtu herum. Fragend sah er sie an, bis sie den Kopf schüttelte, dann wandte er sich wieder Shriner zu. „Tut mir leid, aber gerade heute haben wir es ein bißchen eilig. Wir erwarten nämlich einen Gast heute abend", erklärte er und blickte demonstrativ auf seine Uhr. „Und wir sind schon ein bißchen spät dran."
Shriner nickte. „Colonels, ich verstehe schon. Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Colonel Uruhk, ich freue mich schon auf morgen. Und Jordan ... laß dich von der Zahnfee reichlich beschenken." Er hob die Hand noch einmal wie zum Gruß, ehe er in Richtung Parkplatz verschwand.
„Was ist denn das für einer?" John klang alles andere als begeistert.
Vashtu, die sich endlich hatte von Jordan befreien können, blickte auf. „Ich fand ihn eigentlich recht nett."

***

Mike stapfte durch den Sand und beobachtete den Sonnenuntergang und die Farbpalette, die dieser auf Himmel und Wasser malte.
Früher, erinnerte er sich, ganz zu Anfang ihrer Beziehung, war er gern mit Julie hergekommen. Das war noch bevor er das erste Mal die Hand gegen sie erhob, in den ersten Tagen, in denen noch Pläne für eine glückliche Zukunft geschmiedet wurden.
Er hatte Glück gehabt, befand Mike, als er sich an seine eigene Kindheit erinnerte. Julie war bei ihm geblieben, anders als seine eigene Mutter, die die Schläge irgendwann nicht mehr ertragen konnte. Ihren Sohn aber, den hatte sie zurückgelassen, und so war der kleine Mike schnell selbst das Opfer seines brutalen Vaters geworden. Er kannte es schlicht nicht anders, ihm war die Gewalt im wahrsten Sinne des Wortes eingeprügelt worden.
Mike wandte sich vom Strand ab, als er ein helles Kinderlachen hinter sich über die Dünen hallen hörte.
Ein kurzes Stück weiter hinter einer künstlichen Sandaufschüttung lagen die Ferienhäuser der begüterteren Urlaubsgäste Miamis. Noch nicht die Superreichen mit ihren Villen, aber doch schon gehobener Mittelstand. Leute, die es sich leisten konnten, ein Haus nur für ein paar Wochen im Jahr zu bewohnen, während es ansonsten leer stand. Und einige dieser Ferienhäuser wurden durch Makler oder auch privat zwischenvermietet.
Mike erinnerte sich daran, daß er selbst, damals, kurz nachdem er mit Julie zusammengekommen war, sich ein solches Haus gewünscht hatte. Ein Haus am Strand, nur eine Düne entfernt vom Golf, weit, weit entfernt von der lauten Innenstadt oder den ghettoähnlichen Siedlungen in den Vorstädten Miamis, in denen er jetzt lebte. Damals war sein Leben noch in Ordnung gewesen - bis auf das Prügeln seiner jeweils rasch wechselnden Beziehungen ...
Mike wußte selbst nicht, was genau ihn trieb, vielleicht wirklich das immer noch erklingende Lachen des Kindes, vielleicht auch die undeutlichen Stimmen, die er sonst noch hörte, jedenfalls stieg er, so gut es ging bei dem rutschigen Untergrund, die künstliche Düne hinauf und sah schließlich hinunter auf eine Terrasse, auf der einige Gartenmöbel, ein gemauerter Grill und eine altmodische Hollywoodschaukel standen. Ein kleines, schwarzhaariges Kind, dessen Geschlecht er nicht erkennen konnte, sauste um den Tisch herum, an dem ein Mann über jeder Menge Papieren saß. Eine ebenso schwarzhaarige Frau mit Sturmwindfrisur jagte das Kind, das sich offensichtlich köstlich amüsierte.
Toll, vom Frauenprügler zum Familienspanner, kam es Mike in den Sinn. Dennoch aber sah er weiter zu, wie die Frau mit dem Kind spielte, es jagte und jagte.
„Geht das vielleicht auch leiser?" beschwerte sich schließlich der Mann und blickte auf.
Mike stutzte. Der Typ war ziemlich jung für diese Frau. Soweit er das schätzen konnte, mußte sie irgendwo jenseits der fünfunddreißig sein, er war vielleicht Anfang dreißig. Schwer zu glauben, daß die beiden eine Beziehung und sogar ein Kind hatten.
Im nächsten Moment aber geschah etwas, was Mike an seinem Verstand zweifeln ließ:
Ein zweiter Mann tauchte auf, auf den das Kind sofort zustürzte und der es liebevoll auffing. Das allein hätte Mike nicht aus der Fassung gebracht. Es war das Gesicht des Mannes, das ihn an seinem Verstand zweifeln ließ. Denn dieser Mann trug ... sein, Mikes!, Gesicht.
Ihm wurde die Knie weich, während er beobachtete, wie der Mann sich wieder aufrichtete, das Kind jetzt auf dem Arm, und sich über die Schwarzhaarige beugte. Zärtlich küßten die beiden sich.
„Ich bringe Jordan ins Bett, Vash. Ich bin selbst müde", sagte der Mann mit seinem Gesicht.
Die Schwarzhaarige nickte. Sie mußte sich auf die Zehenspitzen stellen, um ihm noch einen Kuß zu entlocken. „Schlaf gut, John", sagte sie dann mit einem eigenartigen Akzent, den Mike noch nie gehört hatte.
Er sah die Liebe in seinem (!) Gesicht leuchten, während die Frau sich jetzt auch von dem Kind verabschiedete.
Mike ertrug das ganze nicht mehr. Er mußte irgendwo eine Flasche zuviel erwischt haben von diesem Teufelszeug, was sie in dem Schnapsladen verkauften. Das konnte einfach nicht sein!
Er hetzte die Düne wieder hinunter und raste den Strand entlang, zurück in Richtung auf sein Apartment. Doch für den Rest des Abends verfolgte ihn diese glückliche, familiäre Szene wie ein Alptraum, aus dem er nicht entkommen konnte.

***

Es war spät geworden, als Vashtu endlich die Treppe hochstieg, die zu den beiden Zimmern im Obergeschoß führten. Peter Babbis hatte sie auf dem Sofa im Wohnzimmer zurückgelassen mit verschiedenen Lösungsansätzen für das Problem mit der Antiker-Werft, die die Phoenix vor einiger Zeit gefunden hatte.
Vashtu achtete darauf, daß sie leise war, denn sie wollte weder Jordan noch John wecken. Allmählich spürte sie selbst die Müdigkeit eines langen Tages. Darum hatte sie auch Schluß gemacht mit den Übersetzungen, bei denen offenbar keiner außer ihr helfen konnte - zumindest wenn sie Peter folgen durfte.
Vorsichtig schob sie die Tür zum Elternschlafzimmer soweit auf wie nötig, um hindurchschlüpfen zu können, tappte dann barfuß zum mondbeschienenen Bett hinüber und blieb, mit einem weichen, liebevollen Lächeln auf den Lippen, am Fußende stehen, um zu beobachten, was da zwischen den Laken lag.
Jordan mußte sich eingeschlichen haben, nachdem John eingeschlafen war. Jedenfalls lag das Kind jetzt eng an seinen Vater gekuschelt und vollkommen im Laken verheddert neben ihm. Und John hatte im Schlaf einen Arm um Jordan gelegt und hielt es auf diese Weise.
Gerade in dem Moment, in dem Vashtu sich abwenden und im Kinderzimmer ihr Glück versuchen wollte, rollte John sich herum auf die andere Seite. Die Antikerin blieb stocksteif stehen und wagte kaum zu atmen.
„Vash?" flüsterte seine schläfrige Stimme. Mühsam versuchte er sich aus den Kissen aufzurappeln.
„Du hast einen Untermieter", wisperte sie zurück, trat an seine Seite und hockte sich bei ihm nieder.
John blinzelte, runzelte dann die Stirn und drehte sich, so gut es ging. „Oh ..."
„Schlaf weiter", flüsterte sie ihm zu und wollte sich wieder aufrichten.
„Ist Peter weg?" fragte er leise.
„Schläft unten auf dem Sofa."
John blinzelte, schon deutlich wacher. Seine Finger umschlossen ihren Arm, wollten sie nicht gehenlassen. „Und wohin willst du jetzt?" In seiner Stimme war dieses gewisse Vibrato, nach dem sie sich oft genug in einsamen Stunden sehnte und ihr heiße und kalte Schauer über den Rücken jagte.
Langsam zog er sie näher zu sich, sah sie mit halbgeschlossenen Augen aufmerksam an, bis sie nahe genug war, um sie zu küssen.
Ihr Körper reagierte, als seine Finger begannen, sacht über ihren Arm zu fahren, hoch zu ihrer Schulter und von da zu ihrer Brust. Im Kuß holte sie so tief Atem wie es ging, ließ ihre Zunge mit der seinen spielen, während nun ihre Hand eine Wanderung über die Matratze begann. Erst als ihr wirklich fast die Luft ausging löste sie sich aus dem Kuß.
„Wir sollten das nicht tun", wisperte sie, fühlte aber gleichzeitig, wie ihr Körper begann zu glühen unter seinen Berührungen. „Jordan ist hier."
John, der damit begonnen hatte, ihren Hals mit kleinen Küssen zu erforschen, richtete sich plötzlich auf, warf einen Blick über die Schulter und ... erstarrte.
Vashtu kontrollierte kurz den Sitz ihrer Kleidung, richtete sich dann wieder auf.
„Jordan!" Ein kleiner Vorwurf mischte sich in Johns Stimme.
Ob diese zärtliche Eröffnung vielleicht eine Fortsetzung erfahren würde? Im Moment, so befand Vashtu ziemlich nüchtern, wohl eher nicht. Nicht solange ihr gemeinsames Kind mit großen Augen neben ihnen beiden lag und sie beobachtete.
Jetzt erschien ein entschuldigendes (und sehr zufrieden wirkendes) Lächeln auf dem weichen Gesicht. „Ich mag das, wenn ihr euch lieb habt", erklärte das Kleine.
Vashtu stieg die Schamesröte ins Gesicht. Sollte Jordan das etwa schon ...
Blitzschnell ging sie im Kopf jede Liebesnacht der vergangenen Jahre durch, ob auf Atlantis oder in Vineta. Sie meinte, jedesmal dafür gesorgt zu haben, daß ihr Kind nichts bemerkte, wenn sie miteinander schliefen. Andererseits ...
„Ab in dein Bett. Sonst können Mummy und Daddy sich eben nicht liebhaben." Johns Stimme klang tatsächlich streng, ein deutliches Zeichen dafür, daß er mißgestimmt war durch diese Situation. Ansonsten fiel es ihm ja mehr als schwer, die Stimme gegen sein Kind zu erheben.
Jordans Augen schwammen plötzlich in Tränen.
„Ach, herrje!" Vashtu krabbelte wenig elegant über John hinweg und schloß ihr Kind in die Arme. „Ist schon gut, Jordan. Daddy hat das nicht so gemeint", flüsterte sie, ehe der Tränenvulkan noch wirklich ausbrechen konnte.
Auch John schien plötzlich Reue zu empfinden. Er umarmte sie beide, vergrub sein Gesicht in der wirren Mähne ihres gemeinsamen Kindes, drückte sie an sich. „Es tut mir leid", wisperte er so leise, daß man ihn kaum hören konnte.
Jordans Weinattacke zeitigte volle Wirksamkeit.
Vashtu war durchaus klar, daß das Kind seine Tränenflut immer taktisch geschickt einsetzte und ihnen beiden damit vielleicht ein schlechtes Gewissen einimpfte, wenn sie es gar nicht zu haben brauchten. Immerhin war Jordan hier eingedrungen, nicht sie. Und sie beide als sexuell aktives Paar brauchten nun einmal auch einen gewissen Freiraum, um eben diese Sexualität ausüben zu können.
„Ich hab euch beide lieb", gestand Jordan endlich, wenn da auch noch ein deutliches Hochziehen der Nase folgte.
Vashtu seufzte, lehnte sich gegen John, dessen Arm sich sofort noch enger um ihre Schultern schloß.
„Gut, dann bringt Daddy dich jetzt wieder in dein Zimmer zurück und du wirst da brav schlafen", sagte er. Und dieses Mal kam kein Gegenangriff in welcher Form auch immer mehr. Jordan nickte nur stumm und gab seiner Mutter einen dicken Schmatzer auf die Wange.
„Und du", wandte John sich an Vashtu, nachdem er aus dem Bett gestiegen war, „du machst dich jetzt bettfein. Wenn ich wiederkomme, möchte ich dich unter dem Laken sehen ... und nur unter dem Laken."
Vashtu verstand. Vielleicht war diese Nacht der Zärtlichkeit doch nicht ganz vorbei ...

TBC ...

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