04.04.2010

Becketts letzter Dienst VII

Vashtu seufzte, lehnte sich gegen die Tür und wartete ein wenig mißmutig. Dabei blickte sie den Gang hinauf und hinab, bis ihre Augen an einem gerahmten Plakat kleben blieben. Interessiert trat sie näher und las es sich aufmerksam durch, um schließlich breit zu grinsen.

Da war ihr doch glatt gerade noch ein Einfall gekommen ...


***


„Was hälst du von Wellness?"

John blinzelte. Er war schon fast eingeschlafen. Der Tag war lang und, zugegebenermaßen, auch ein wenig anstrengend gewesen. Wenn auch nicht wie in der Pegasus-Galaxie oder die letzten Tage in ihrer Wohnung. Er schätzte, allein die Herfahrt und dann der späte Nachmittag auf der Piste an der frischen Luft ließen ihn ein wenig schläfrig werden.

„Von was?" Er bewegte leicht den Kopf. Ihr strubbeliges Haar kitzelte an seiner Kehle.

„Wellness. Was hälst du von Wellness?" wiederholte Vashtu sanft, hob jetzt den Kopf und drehte sich leicht, um ihm in die Augen zu sehen.

John blinzelte. „Mit dir?" fragte er schließlich.

Vashtu grinste. „Denkst du, ich lasse dich auch nur fünf Minuten allein, John Sheppard? Damit die nächste Frau dir den Kopf verdrehen kann?"

Er schürzte die Lippen, begann dann aber zu lächeln. „Warum eigentlich nicht?" sagte er dann. „Wann?"

Sie löste sich aus seinen Armen, beugte sich über ihn und griff nach dem Telefon, das auf einem der beiden kleinen Nachttische stand. „Morgen? Das Wetter soll sowieso nicht besonders werden."

John streckte sich. „Warum nicht." Seine Hand kam auf ihrem Becken zu liegen, strich sacht über die weiche Haut.

Vashtu drückte eine Taste und wartete dann, bis sich offensichtlich jemand am anderen Ende der Leitung meldete. Dann bestellte sie, für den morgigen Tag, was sie wollte, legte schließlich wieder auf.

Johns Hand streichelte sie leise weiter und er beobachtete sie in dem wenigen Licht, das durch die Fenster hereindrang. Schneelicht, so hatte er das auf MacMurdo immer genannt. Die Nacht schien nicht ganz so dunkel in seinen Augen, wenn Schnee und Eis zu leuchten schienen. Und auch ihre Silhouette leuchtete, ging ihm auf. Zumindest erschien es ihm so.

Die Formen ihres Gesichtes, ihres strubbeligen Haares, alles schien scharf umrissen von etwas, was ihm erst jetzt auffiel. Und als er seine Hand kurz hob, war es hier das gleiche.

„Schneelicht ..." murmelte er.

Vashtu richtete sich wieder auf, beugte sich über ihn. „Was?" fragte sie. Das Weiß ihrer Augen schimmerte leicht.

John lächelte. „So habe ich das auf MacMurdo genannt, wenn die Nacht nicht wirklich finster werden wollte. Schneelicht."

Sie nickte verstehend, kroch zu ihm hoch und küßte ihn sanft. „Manchmal hast du wirklich sehr interessante Einfälle, John", wisperte sie ihm zu.

„Manchmal?" Ein verschmitztes jungenhaftes Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

Sie schien dieses Lächeln zu erwidern. Dadurch, daß sie ihn jetzt ansah, lagen ihre Züge vollkommen im Dunkeln. „Für mich immer", wisperte sie sanft, küßte ihn wieder.


***


John lehnte sich entspannt gegen die Wand zurück und schloß die Augen.

Dieser Urlaub war einfach ... unvorstellbar! Nie hätte er es sich träumen lassen, daß sie beide zusammen so viel Spaß haben konnten. Und jetzt bedauerte er fast, wie schnell es vorbei ging.

So gern würde er sie mit sich nehmen. Für ihn gehörte Vashtu zu Atlantis, mochten die Bestimmenden noch so sehr dagegen wettern. Dort lag ihre Heimat, dort war sie zu Hause. Was sie sich auf der Erde aufgebaut hatte, spielte zwar eine Rolle, doch er glaubte nicht so wirklich daran, daß man sie würde halten können, wenn sie die Wahl hätte.

Die Antikerin lehnte sich an seinen Arm und atmete tief ein. „Sauna ist was feines", murmelte sie.

„Stimmt." John hob den Arm und legte ihn ihr um die Schultern.

Die Zeit im Sporthotel in den Rocky Mountains verflog unglaublich schnell.

Wie konnte nur irgendjemand denken, ihre Beziehung könne irgendetwas zerstören? Bis jetzt kam sie ihm mehr als nur fruchtbar vor, mußte er sich eingestehen. Wenn vielleicht auch nicht alles, wie immer, regelgerecht vor sich ging - wie mit den Hundemarken, die sie nun ja beide zu tragen hatten.

Irgendwie hatte Vashtu am Morgen einen Weg gefunden, die groben Ketten zu öffnen. Auch wenn es nicht erlaubt war, hatten sie je eines der beiden Metallschildchen getauscht, daß jetzt ihrer beider Namen an jeder Kette hing.

John war sich nicht so ganz sicher, was er von diesem Spaß halten sollte, auf der anderen Seite war er nur zu gern darauf eingestiegen.

Die Tür öffnete sich, ein anderes Paar kam in die Sauna, setzte sich zu ihnen.

John drückte Vashtu zärtlich an sich. „Es war ein selten guter Gedanke, vor deinem nervenden Nachbarn hierher zu fliehen", wisperte er ihr zu. „Hätte von mir stammen können."

Sie lächelte zufrieden und glücklich. Ihre Hand lag entspannt auf seinem flachen Bauch.

So sollte es sein, fand er, so sollte es immer sein. Doch er war sich auch allzu bewußt, daß es nicht so bleiben konnte.

Konnte eine Beziehung so auf Dauer halten?

Bei jedem anderen Paar hätte er das weit von sich gewiesen. Bei ihnen beiden allerdings ...

Ihm war wirklich nicht entgangen, wie ähnlich sie sich tatsächlich waren. Es war mehr als nur dieser perfekte Gleichklang während ihrer Liebesspiele. Früher hatte er nie darauf geachtet, inzwischen aber tat er es ab und an. Gut, Vashtu dachte nicht in allem gleich wie er, aber zumindest die Richtung stimmte meist auf beinahe unheimliche Weise überein. Wenn zwei aber zueinander fanden, sie sich so ähnlich waren wie sie, konnte eine Wochenbeziehung vielleicht die Lösung für die sonst unvermeidlichen Reibereien sein.

Wer konnte das sagen?

Beckett hatte es ihm gesagt. Carson hatte mehr als einmal auf ihn eingeredet, vor allem, nachdem er sich wirklich hatte von Vashtu trennen wollen, wenn sie nicht von ihrem Vorhaben mit der Air Force abrückte. Beckett hatte ihm gründlich den Kopf gewaschen - und inzwischen mußte er dem Mediziner auch recht geben.

Das andere Paar sah etwas mißtrauisch zu ihnen hinüber.

Ein breites Grinsen stahl sich auf Johns Gesicht. Er tippte Vashtu mit einem Finger an und wartete, bis sie zu ihm hochsah, ehe er ihr zuzischte: „Wollen wir den beiden mal ... ?"

Die Antikerin grinste und beugte sich, ihm ihre Arme um den Hals legend, zu ihm vor, um ihn in einen leidenschaftlichen Kuß zu ziehen.

Das Paar starrte sie an, zwei Augenpaare wurden noch größer, als John begann, Vashtus Hinterteil zu befühlen und ihre Hand zu seinen Lenden glitt. Aufgeregt zischend und flüsternd erhoben die anderen sich und verließen so schnell wie möglich die Sauna wieder.

Vashtu drehte den Kopf und sah ihnen sinnend nach.

„Machen wir so weiter, landen wir tatsächlich noch hinter Gittern", bemerkte John grinsend.

„Und wenn schon. Dann ziehe ich die Gitter auseinander und wir können fliehen."


***


Nach Massagen und einem, beinahe unangenehm kalten Bad saßen sie beide jetzt, wieder eng umschlungen, wie es Vashtu nach immer sein sollte, in einem großen Whirlpool. Johns Hand streichelte sanft ihren Arm, während sie ihren Kopf wieder auf seine Brust gesenkt hatte und das blubbernde Wasser sanft betrachtete.

Ein wunderschöner Tag, so wunderschön, das sie es kaum glauben konnte, das sie das bisher nicht ausprobiert hatte. Allerdings, und da kamen ihr ehrliche Zweifel, war sie sich nicht sicher, ob sie allein ebenso empfunden hätte. Mit John zusammen ließ sie sich eine Menge gefallen, an seiner Seite wurde sie ruhiger - wie auch er ruhiger zu sein schien. Zumindest ruhiger, als sie ihn während ihres Auftauchens in Atlantis erlebt hatte.

„Gefällt es dir?" Sie hob leicht den Kopf und sah ihn von unten herauf an.

John hatte eine nachdenkliche Miene aufgesetzt. Jetzt blinzelte er und blickte sie an. „Was?"

Vashtu richtete sich auf, hielt seine Augen gefangen und runzelte die Stirn. „Was ist los mit dir?" fragte sie.

John atmete tief ein, schüttelte dann den Kopf. „Das war eine ausgezeichnete Idee, Vash", sagte er als wolle er ihr auf ihre eigentliche Frage antworten. Allerdings wagte sie zu behaupten, daß das nur ein Schuß ins Blaue von ihm war.

„Was ist los?" fragte sie, rückte langsam wieder näher.

Johns Stirn runzelte sich jetzt ebenfalls. Der Blick aus seinen Augen glitt wieder ab, die Lippen kniff er nachdenklich zusammen. „Nichts", wagte er schließlich zu antworten.

Vashtu legte ihm einen Arm um die Schultern und suchte wieder seinen Blick. „Das kannst du mir doch nicht erzählen, John. Allmählich kenne ich dich gut genug. Du ..." Sie schloß den Mund. Sie wollte jetzt nicht aussprechen, was sie eigentlich hatte sagen wollen.

„Laß gut sein, ja?" Ein sehr zerknirschtes Lächeln erschien auf seinen Lippen.

„Du denkst an Carson", behauptete sie schließlich, nachdem sie noch etwas gezögert hatte.

Er atmete einige Male tief ein, dann nickte er schließlich. „An seinen Todestag", antwortete er leise. „Wir hatten zusammen gefrühstückt."

Vashtu schluckte, drängte sich wieder an ihn. Doch sie spürte, diese Erinnerung mußte er allein durchleben.


***


„Guten Morgen, Colonel. Darf ich mich dazu setzen?"

John blickte von seinem Frühstück auf und nickte überrascht.

Carson Beckett ließ sich ihm gegenüber am Tisch nieder, ein Tablett vor sich abstellend, auf dem sich allerlei Nahrungsmittel befanden.

John runzelte die Stirn und griff nach seiner Kaffeetasse.

„Wie ich hörte, wollen Sie Ihren Urlaub nun doch auf der Erde verbringen?" wandte Beckett sich vollkommen unvermutet an ihn.

John verschluckte sich fast, stellte die Tasse wieder ab. „Äh, ja, hatte ich vor. Warum auch nicht? Das Command besteht ja darauf, daß wir einen Teil unseres Jahresurlaubes auf der Erde verbringen."

Beckett nickte, wandte sich seinem Joghurt zu. „Und was haben Sie vor?"

„Woher soll ich das wissen? Keine Ahnung, dies und das erledigen. Vielleicht ein bißchen Bergsteigen. Wäre mal was interessantes." John musterte den Arzt mit einem scharfen Blick. „Oder sollte ich etwas tun, von dem ich nichts weiß?"

Beckett nickte. „Vashtu", sagte er nur, mümmelte weiter von seinem Joghurt.

Johns Brauen schoben sich unwillig zusammen. „Über dieses Thema haben wir schon einmal geredet. Meine Meinung dazu hat sich nicht geändert."

Der Schotte sah auf, zuckte dann mit den Schultern. „Ich kann mich da noch an ein Gespräch zwischen uns beiden erinnern, John", erklärte er, scheinbar unvermittelt das Thema wechselnd. „Damals sagte ich, glaube ich, etwas davon, daß Sie ihr besser niemals wehtun sollten, sonst würden Sie mich als Freund verlieren. Nun, wenn es so weitergeht mit Ihrer beider Dickschädel, verlieren Sie auch beide - und nicht nur mich."

John versuchte, seinen Gegenüber niederzustarren.

Warum begriff der Arzt das denn nur nicht? Warum konnte niemand verstehen, daß er es einfach nicht erleben wollte, wie Vashtu sich in irgendeiner hirnrissigen Mission selbst richtete? Er würde es nicht ertragen können, die Nachricht von ihrem Tod zu erhalten. Umso schlimmer wäre es, wenn auch noch das Militär sich dazwischenschalten würde.

„Ich denke, Vashtu hat sich das ganze gut überlegt, John. Sie wollte Sie an ihrer Entscheidung teilhaben lassen, sie hätte Sie auch vor vollendete Tatsachen stellen können", fuhr Beckett mit ruhiger Stimme fort. „Wir haben bereits darüber geredet, und wir werden es wohl, denke ich, noch des öfteren tun, bis Sie endlich verstehen, daß sie beide füreinander geschaffen worden sind. Ich glaube nicht, daß es ein Zufall war, daß Vashtu sich ausgerechnet Ihnen offenbarte damals. Und ich glaube auch nicht, daß Kolya so falsch mit ihrer Geiselnahme gelegen hat. Was da zwischen ihnen beiden vor sich geht ist stärker als alles, was ich bisher in meinem Leben erlebt oder gesehen habe."

„Dann sollte sie allmählich zur Vernunft kommen!" John beugte sich wieder vor. „Wissen Sie, warum Sie in die Air Force eintreten will? Aus Schuldgefühlen ihrem toten Volk gegenüber! Aus keinem anderen Grund als diesem. Als sie in Antarktica gewesen ist, hat sie etwas entdeckt, darüber aber Stillschweigen bewahrt. Und genau das ist der Grund, aus dem sie jetzt zur Army will. Und aus genau diesem Grund fürchtet sie auch den Kontrollstuhl."

„Dann sollten Sie Verständnis zeigen", entgegnete Beckett.

„Das habe ich ja versucht!" John sah sich um, doch noch waren sie beide die einzigen Gäste der Cafeteria, sie konnten also keine Aufmerksamkeit erregen.

„Und was ist mit Ihnen und dem Erwachen der Wraith? Haben Sie da nicht auch Schuldgefühle?" bohrte Beckett unbarmherzig weiter.

John wich zurück. „Das ist etwas anderes."

„Ist es nicht. Und wenn sie ehrlich sind, begreifen Sie das auch." Nun war es der Mediziner, der sich vorbeugte. „Ich sage Ihnen jetzt etwas als Freund, John, und als Bote zwischen Ihnen und Vashtu über eine sehr lange Zeit: Denken Sie einmal richtig nach und handeln Sie dann! Ich biete Ihnen gern meine Hilfe an, aber dieses Angebot ist nur noch einmalig. Und wenn ich sie beide zusammen in einen fensterlosen Raum sperren und den Schlüssel in den Ozean werfen muß, sie beide werden sich wieder vertragen! Wenn es je ein Paar gegeben hat, das so zusammenpaßte wie Sie und Vashtu, dann wird dieses diese Chance sicher nicht so einfach fortgeworfen haben wie Sie es jetzt wollen! Sie beide haben von Anfang an zusammengehört, und daran werden Sie auch nie etwas ändern können, ob Sie nun wollen oder nicht."

Still vor sich hinbrütend lehnte John sich wieder zurück, die Arme vor der Brust gekreuzt.

„Wissen Sie denn überhaupt, was Sie sich da entgehen lassen wollen?" fuhr Beckett fort. „Haben Sie auch nur die blaßeste Ahnung von einer Beziehung, wie Sie sie jetzt haben könnten? Warum wollen Sie das so einfach wegwerfen aus falsch verstandenem Stolz?"

„Ich kann es nicht ertragen." Dieser Satz war ihm einfach entschlüpft, er hatte ihn nicht aussprechen wollen.

„Was? Sie in einer Uniform zu sehen? Vashtu selbst wird schon dafür sorgen, daß sie sie nicht allzu oft zu tragen braucht, glauben Sie mir. Wie oft tragen Sie denn Ihre?"

John atmete tief ein. „Sie wird sich für die Erde verheizen lassen."

„Wird sie nicht. Sie hat selbst den Hoffaner-Stamm überlebt - dank Ihnen. Sie wird das auch überleben."

John starrte ins Leere.

Wenn er ehrlich zu sich selbst war, konnte er sich nicht mehr vorstellen, wie ein Leben ohne die Antikerin aussehen sollte. Selbst wenn sie nicht allzu oft aufeinandertrafen, sie war da, irgendwo im hintersten Winkel seiner Gedanken. Seit er Vashtu getroffen hatte, damals in den unteren Ebenen von Atlantis, war sein Leben auf den Kopf gestellt worden, selbst wenn sie nicht bei ihm war. Irgendwo lauerte immer der Gedanke an sie, selbst bei den harmlosesten Dingen. Und seit der Sache mit Kolya ...

John biß sich auf die Lippen.

Er wollte nicht mehr daran denken. Der Genii hatte bezahlt für das, was er ihnen beiden angetan hatte. Es spielte keine Rolle mehr.

Aber das tat es doch, wenn er daran dachte, was Vashtu ihm erzählt hatte. Sie mochte es herunterspielt haben, aber er kannte sie gut genug, um die Wahrheit in ihren Augen lesen zu können - noch so eine merkwürdige Sache zwischen ihnen beiden. Er hatte sie genau beobachtet, als er ihr vom Tod des Genii erzählt hatte, und er hatte den Haß und die blanke Wut in ihren Augen deutlich lesen können. Erst einmal vorher hatte er etwas ähnliches in ihrem Gesicht gesehen, und da waren sie beide auf der Flucht vor einer Wraith-Königin durch ein Basis-Schiff gehetzt und die Antikerin hatte Sprengladungen in den Wänden installiert.

Er wußte, was sie hatten mitansehen müssen war nur die Spitze eines Eisbergs, an dem auch er lange zu knabbern gehabt hatte, oft genug immer noch in ihm arbeitete. Aber wie mochte es einer Frau gehen, die vor zehntausend Jahren von ihrem eigenen Volk verraten, weggesperrt und vergessen wurde, die niemals eine echte Chance erhalten hatte und jetzt, in dieser Zeit, auf ein Leben hoffte? Was mochte in einer nahezu Unsterblichen vor sich gehen, die plötzlich hilflos miterleben mußte, wie sie langsam und qualvoll starb?

Vashtu hatte es ihm gegenüber heruntergespielt, aber das hatte auch er getan, eine viel zu lange Zeit sogar. Aber man merkte trotzdem noch immer, daß es in ihr arbeitete.

„Werfen Sie diese Chance nicht weg, John. Lassen Sie sie tun, was sie will."

John riß sich aus seinen Gedanken, blickte wieder auf. „Wie könnte es denn überhaupt klappen zwischen uns - Vashtu auf der Erde, ich hier in Atlantis. Eine Woche im Monat, vielleicht meine Heimaturlaube. Das kann auf Dauer nicht funktionieren."

„Vielleicht aber ist gerade das der Punkt, auf dem Sie eine Beziehung aufbauen könnten, John. Sie beide sind sich zu ähnlich, um eine längere Zeit zusammenleben zu können. Aber wenn Sie Abstand zueinander halten, gelingt es vielleicht und wird Sie beide ausfüllen." Beckett lächelte wieder versonnen. „Denken Sie zumindest darüber nach."

Johns Blick glitt wieder ab. Stirnrunzelnd dachte er nach.

Als eine gewisse Betriebssamkeit auf der anderen Seite des Tisches ausbrach, sah er stirnrunzelnd auf. „Wollen Sie schon gehen?" fragte er irritiert.

Beckett hatte sein Tablett genommen und wollte sich offensichtlich gerade umdrehen. Jetzt sah er auf ihn hinunter. „Die Pflicht ruft", antwortete er. „Da ist etwas merkwürdiges aufgetaucht. Wir kommen mit den Proben nicht so recht weiter."

„Ich habe davon gehört. Tut mir leid für ..." John brach ab, als Beckett den Kopf schüttelte.

„Lassen Sie es mal gut sein. Heute ist Sonntag. Ich will nur kurz nach den Patienten sehen. Dann hatte ich mich zum Angeln mit Rodney verabredet." Damit ging er.


***


„Sag mal, woher kennst du eigentlich Faustus?" John starrte in die Flammen des Kaminfeuers, fühlte sich wieder eigenartig müde, aber auch vollkommen entspannt. Wellness schien zum Teil wohl auch ... nun ja, sie hatten beide keine große Lust mehr gehabt, sich irgendwie zu betätigen, nachdem sie aus dem Wellnessbereich des Hotels gekommen waren. Statt dessen hatten sie sich auf ihr Zimmer zurückgezogen und den Kamin angezündet.

„Sagte ich doch: Als ich mit Dr. Jackson in Antarktica war, flog Faustus uns von MacMurdo rüber zu der Forschungsanlage."

John nickte versonnen.

„Und er sagte, wenn du mir wehtust, brauchst du ihm gar nicht mehr unter die Augen zu treten." Jetzt hob die Antikerin doch den Kopf und blinzelte ihn spitzbübisch an. „Und auch, daß deine verlorene Wette noch nicht vergessen ist."

John stöhnte unwillig auf. „Dieser Kerl vergißt aber auch nie etwas!" Er schüttelte den Kopf, seufzte dann. „Du warst also, während deines Besuchs in Antarktica, auch in MacMurdo. Wie geht's den faulen Hunden?"

„Wir saßen einige Tage in einem Schneesturm fest. Da bin ich in Kontakt mit ihnen gekommen", erklärte Vashtu. „Für dich ist übrigens ein Captain Higgins nach MacMurdo gekommen. Aber die anderen ... waren klasse! Ich hätte es mir nicht so vorgestellt. Nach allem, was ich wußte, ist MacMurdo doch der letzte Posten vor dem Rauswurf."

John gluckste und erwiderte ihren fragenden Blick. „Was soviel bedeutet wie: Die Piloten auf MacMurdo sind alle nicht sonderlich regelkonform für die Air Force", sagte er.

Vashtu blinzelte. „Oh!" Sie sah nachdenklich aus. „Also könnte ich irgendwann auch auf MacMurdo landen - und davor fürchtest du dich."

John seufzte. „Ich fürchte eher, daß du ... dich in eine F-302 setzt und ein Himmelfahrtskommando durchziehen willst", entgegnete er. „Wenn die Zeiten für die Erde anders wären, würdest du wahrscheinlich in Rekordzeit auf MacMurdo landen. Aber so? Man wird dir ein bißchen mehr ... äh, zugestehen als normal, denke ich, und auf die alles entscheidende Schlacht warten. Denk an Mitchell."

Ihre Brauen zogen sich zusammen.

„Ich weiß, daß du ihn nicht magst." Wieder seufzte er, sah sie eindringlich an. „Aber in der Schlacht gegen Anubis hat er mitgekämpft und hätte beinahe sein Leben verloren. Und genau davor habe ich bei dir Angst. Du würdest es eiskalt durchziehen, Vash, und du weißt das auch selbst. Ich habe dich schon in Aktion erlebt, vergiß das nicht."

„Ich werde vorsichtig sein", versprach sie ihm.

John hatte da seine ehrlichen Zweifel, doch er sagte dazu nichts mehr, sondern blickte wieder ins Feuer. „Und was habt ihr während des Schneesturms so getrieben, du und die Jungs?"

„Jede Menge im Simulator gesessen und Gefechte geflogen. Die wußten nicht, was man in einer F-16 so anstellen kann - ich habe es ihnen gezeigt."

Jetzt lachte John leise. „Kann ich mir vorstellen", gluckste er, zog sie wieder an sich. „Den Trick mit dem Jumper mußt du mir unbedingt noch verraten. Den habe ich immer noch nicht heraus."

„Beschleunigen, beschleunigen, beschleunigen. Jumper sind schneller als ihr alle denkt", erkärte sie. „Und dann ziemlich schnell abschalten und die Richtung ändern. Ist zwar nicht sonderlich angenehm für die Beteiligten, aber ..."

„Effektiv. Der Stunt ist unvergessen, Vash! Einige Techniker erzählen immer noch, wie die Nummer 13 rückwärts durch das Tor kam."

Er fühlte, wie sie jetzt ihrerseits ein Kichern unterdrückte, während ihr Kopf wieder auf seiner Brust lag.

„Kannst du eigentlich auch Hive-Schiffe fliegen?"

Vashtu atmete tief ein, nickte dann. „Ja, aber besonders mag ich die nicht. Das merkten diese Kisten auch schnell."

John schüttelte verständnislos den Kopf und seufzte.

Was hatte dieses Mädchen eigentlich noch nicht geflogen? Irgendwie fühlte er sich ... naja, er fragte sich ehrlich, wer von ihnen beiden die größere Begabung hatte.

„Am Wochenende waren wir skifahren", sagte Vashtu unvermittelt.

„Was?"

„Die Jungs von MacMurdo und ich, als ich auf Antarktica war. Der General hatte uns einen Apache gegeben und wir sind losgezogen. Hat Spaß gemacht. Ich hoffe nur, die Bewaffnung wurde nicht komplett durchgezählt. Ich bin ... äh, einmal kurz an den Schalter gekommen."

John atmete tief ein. „Du bist was?" Er schmunzelte. Daß sie aus Versehen an einen Schalter gekommen war, glaubte er ihr nicht eine Sekunde. Aber gut, vielleicht war es wirklich nicht weiter aufgefallen.

„Was macht ein Apache in MacMurdo?" Er stutzte. „Das Klima ist doch viel zu kalt."

„Der kam mit einem Geheimauftrag für Mitchell und stand dann nur in den Hangars herum. Wir hatten dem General in den Ohren gelegen, bis er ihn uns für den Trip gegeben hat."

„Ist Quint inzwischen der Leiter?"

Sie nickte. „Der kennt dich auch noch sehr gut. Er vermißt eure Schachspiele." Vashtu kicherte.

John fiel ein. „Laß mich raten. Aus lauter Mitleid hast du mit ihm gespielt und ihn ziemlich ratlos zurückgelassen."

„So ungefähr. Faustus und er waren sich einig, daß es ... etwas gruselig wäre, mir gegenüberstehen."

John drückte sie liebevoll an sich.

Naja, zumindest jemand, der seine Fahne in der alten Heimat hochhielt und ihn unvergessen machte. Vashtu war einfach unmöglich! Er konnte sich wirklich das Gesicht seines alten Vorgesetzten vorstellen, nachdem er eine Partie mit ihr gewagt hatte. Wahrscheinlich hatte sie seine Figuren ebenso über das Schachbrett gejagt wie er zu seiner Zeit.

„Also, nach MacMurdo würde ich schon mal gern wieder", bemerkte Vashtu plötzlich. „Da könnte ich mir, wenigstens eine zeitweilige Versetzung, zumindest sogar vorstellen. Die Jungs da sind alle cool!"

John gluckste wieder. „Sind sie auch. Aber du würdest dich wahrscheinlich sehr schnell dort langweilen. Rate mal, warum Quint so ... ruhig ist? Der hat genug mit den üblen Scherzen zu tun, die man ihm ständig spielt." Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht, als er an seine kurze Zeit in der eisigen Kälte der Antarktis dachte. „So wie den Wissenschaftlern, wenn neue kommen."

„Das habe ich bemerkt. Aber so leicht lasse ich mich nicht hochnehmen."

„Nein, du hast es ihnen, wie ich, wahrscheinlich mit gleicher Münze heimgezahlt, was?" Er senkte den Kopf und suchte ihren Blick.

„Ach daher!" Sie kicherte und reckte den Hals.

„Was daher?" Er küßte sie kurz.

„Darum brauchte ich gar nichts zu sagen oder anderes zu tun. Als wir ankamen, hatte jemand mein Quartier in eine Eishöhle verwandelt und die Heizung heruntergedreht. Ich verzog mich und baute ein Iglu."

„Okay, der wäre selbst mir nicht eingefallen!" Kopfschüttelnd sah er ihr in die Augen.

Vashtu runzelte die Stirn. „Wieso? Die anderen meinten, du hättest etwas ähnliches getan, wenn du da gewesen wärst."

„Etwas ähnliches, aber nicht das gleiche!" Er stibizte sich einen Kuß von ihren Lippen. „Du bist unglaublich!"

„Dann habe ich die Türen mit Sekundenkleber verstopft", fuhr sie andächtig fort.

„DEN habe ich auch durchgezogen."

„Weiß ich seitdem." Sie grinste breit.

John wurde wieder nachdenklich. „Was hast du ihnen von mir erzählt?" fragte er.

Vashtu blinzelte. „Daß du jetzt einen verantwortungsvollen Posten hast, mehr nicht."

Er kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf. „Und das hast du Faustus gesagt? Der hat dir doch kein Wort geglaubt."

„Er meinte, wenn man dir genug Freiheiten lassen würde, würde es vielleicht gut gehen."

Er öffnete die Augen wieder und sah sie nachdenklich an. „Grüß sie von mir, wenn du noch einmal nach Antarktica ..."

Unwillkürlich spannte sich ihr Gesicht an.

John seufzte ergeben. „Falls du noch einmal einen irgendwie gearteten Kontakt zu ihnen kriegen solltest", sagte er.

Sie nickte, ließ ihren Kopf wieder an seine Brust sinken. Ihre Hand strich über seinen Körper, doch ohne jedes Verlangen, einfach eine liebevolle Geste.

John biß sich auf die Lippen.

Da hatte er wirklich noch Schwerstarbeit vor sich, wenn sie es nicht endlich selbst einsah.


***


„Hey, guck dir das mal an!" Vashtu war vor einem kleinen Souvenierladen stehen geblieben und blinzelte in das Schaufenster. „Was sind das denn für Dinger?"

John, der schon einige Schritte weitergegangen war, kehrte jetzt um und drückte sich ebenfalls die Nase am Schaufenster platt. „Kuckucksuhren", kommentierte er und erntete einen scheelen Blick. „Alle Stunde springt da ein kleines Vögelchen heraus und gibt mechanisch Laut. Wenn du deinem nervenden Nachbarn ..." Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht und er blickte zu ihr hinunter.

Vashtu sah ihn einen Moment lang an, dann erwiderte sie sein Grinsen und nickte. „Laß uns reingehen", schlug sie vor.

„Ich wollte sowieso noch ein paar Souveniers mitbringen, wenn ich wieder zurück muß", sagte John. „Sieht aus, als hätte ich zumindest das erste Mitbringsel gefunden."

Vashtu drückte sich an ihm vorbei und öffnete die Tür.

Im Laden war es dämmrig und eng. Die Regale waren mit allem möglichen vollgestellt, zum größten Teil mit unsinnigen Dingen wie kleinen Mickey-Mouse-Figuren auf Skiern oder merkwürdigen zotteligen Plüschtieren, die einen Bigfoot darstellen sollten.

Vashtu hielt direkt auf den kleinen Abschnitt Wand zu, an dem die Kuckucksuhren hingen. „Welche meinst du?" fragte sie, sich halb umdrehend.

John betrachtete die Auswahl sinnend. „Nach Möglichkeit eine, die nur anschlägt, wenn Rodney schlafen will." Er grinste breit.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?" Eine junge Frau war hinter den Tresen an der, dem Schaufenster am entferntesten gelegenen Wand.

„Wir suchen einige Mitbringsel für ... äh, Bekannte?" Vashtu blickte wieder zu John hoch. Der nickte, wies dann auf die Kuckucksuhren.

„Eine von denen wäre nicht schlecht. Eine besonders große mit einem besonders lauten Kuckuck."

In diesem Moment öffneten drei der Uhren eine kleine Klappe und winzige Vögel auf Schienen kamen heraus.

Vashtus Augen wurden groß. Sie konzentrierte sich auf eine der Uhren, die irgendwie ... besonders kitschig auf sie wirkte.

Das Uhrwerk schlug leise an. Der Vogel schien sich vorzubeugen und öffnete dabei seinen Schnabel.

„Kuckuck!"

Sie begann zu lachen. „Süß!"

Die junge Angestellte kam dienstbefließen um den Tresen herum und stellte sich bei ihnen auf. „Wir haben hier original Schwarzwälder-Kuckucksuhren. Die sind allerdings um einiges teurer als die taiwanesischen."

Vashtu und John tauschten einen Blick. „Eine Schwarzwälder!" entschieden sie dann einhellig nickend.

Die Angestellte lächelte und wies auf das Modell, das die Antikerin gerade genau betrachtet hatte. „Diese?"

„Klar!" Wieder ein einhelliges Nicken.

Dann richtete John sich auf. „Was haben Sie denn noch so?" Er sah sich aufmerksam um, ob nicht doch noch das eine oder andere interessante zu finden war. Dabei blieb sein Blick an einem Ständer mit Mützen hängen.

Die Angestellte verschwand wieder hinter dem Tresen und ließ ihre beiden Kunden im Verkaufsraum allein zurück, um eine verpackte Uhr zu holen.

Vashtu wandte ihre Aufmerksamkeit jetzt auch den anderen Dingen hier zu. „Suchst du für noch jemandem etwas?" erkundigte sie sich, beugte sich über einen, in eine durchsichtige Masse eingebetteten Stein.

„Für Elizabeth, Teyla und vielleicht Ronon. Eventuell noch Radek. Gefällt dir hier etwas?" John war nachdenklich näher an den Mützenständer herangetreten.

„Ziemlich kitschig, die Auswahl hier." Vashtu sah sich wieder um.

„Andenkenläden." John zuckte mit den Schultern und hob eine Baseballkappe von dem Ständer, betrachtete sie aufmerksam von allen Seiten. „Wäre vielleicht was für Radek. Was meinst du?"

Vashtu trat näher, nahm ihm die Mütze ab und sah sie sich jetzt ebenfalls an. „Irgendwie kann ich ihn mir nicht mit einer Mütze vorstellen", wandte sie schließlich ein.

Im nächsten Moment wurde etwas auf ihren Kopf gedrückt. Entgeistert sah sie auf und fand John, der sie breit grinsend betrachtete. Vashtu hob die Brauen, schielte zu dem breiten Schirm hoch und schürzte die Lippen.

„Sieht interessant aus an dir." John beugte sich vor und sah ihr ins Gesicht.

Vashtu grinste sehr zufrieden und stülpte ihm jetzt ihrerseits die Baseballmütze über.

„Hey!" beschwerte er sich, nahm sich die Mütze gleich wieder ab und fuhr sich mit beiden Händen durch sein Haar.

Vashtu nahm sich jetzt auch wieder die Kappe ab und hielt sie ihm hin. „Nimm sie mit. Wenn nicht für Radek, dann für deinen Stellvertreter ... Lorne?"

„Wäre auch eine Möglichkeit." John betrachtete wieder die Auswahl an Mützen, sah dann sie wieder an. „Jetzt siehst du erst recht zum Schießen aus!"

Vashtu griff sich eine andere Mütze, eine mit einem eigenartigen ... Bommel? ... und stülpte sie sich über ihr Haar.

John wandte sich glucksend ab. „Nimm das Ding wieder ab, Vash!"

„Wieso?" Sie hatte einen Spiegel mit einer Werbung für irgendein Getränk gefunden und stellte sich davor. Mit großen Augen starrte sie sich an, dann riß sie sich die Mütze wieder vom Kopf. „Sowas trägt hier doch keiner, oder?"

„Eigentlich doch." John hatte eine ander Variante vom Ständer geholt und warf sie ihr hin. „Probier die mal."

Vashtu legte die Bommelmütze zur Seite und drehte die neue Kopfbedeckung in ihren Händen. Auch wieder aus Wolle, wenn sie sich nicht irrte. Extrem bunt, mit merkwürdigen Mustern versehen, und zwei lange Bänder hingen zu den Seiten herab.

Vorsichtig stülpte sie sich auch diese über, betrachtete sich dann im Spiegel. Sofort riß sie sich die Mütze wieder vom Kopf. „Ich sehe aus wie eine Idiotin!" entfuhr es ihr.

John lachte laut und schallend.

Als sie jetzt ihr Haar betrachtete, seufzte sie nur ergeben. Auch die zweite Mütze wurde zur Seite gelegt. Statt dessen bearbeitete sie ihren Schädel mit beiden Händen, bis sie mit dem Ergebnis halbwegs zufrieden war. Ihr Haar würde sich ohnehin nicht lange in einer Form halten lassen, das wußte sie.

„Haben Sie noch etwas gefunden?"

Die Angestellte war wieder nach vorn gekommen, einen Karton auf den Tresen abstellend musterte sie ihre beiden Kunden mit leicht irritiertem Gesichtsausdruck.

„Diese Mütze dann noch." John legte die Baseballmütze auf den Tresen, während Vashtu die beiden Mützen wieder an den Ständer hängte.

Wer machte sich denn auf diesem Planeten freiwillig zum Narren?


***


„Jetzt sollten wir die Sachen noch kurz zum Hotel zurückbringen, was meinst du? Wir können sie schließlich nicht mit auf die Piste nehmen", schlug John vor, als sie den Laden verließen und er mit zwei doch recht gefüllten Tüten bepackt war. Er trat auf die Straße und schlug die Richtung zum Hotel zurück ein. Da traf ihn etwas zwischen die Schulterblättern.

„Was ... ?" Er wollte sich umdrehen, doch dazu kam es gar nicht mehr.

Der nächste Schuß war ein Treffer. Ein Schneeball knallte hart gegen seinen bloßen Nacken. Schnee rieselte in seinen Kragen.

„Argh!" Unwillkürlich zog er den Kopf ein, wirbelte herum, gerade als ein dritter Schneeball auf ihn abgefeuert wurde.

Vashtu hatte ihn geworfen. Sie stand mit funkelnden Augen an einem Auto, das an der Straße geparkt war und ballte bereits den nächsten Ball zusammen.

„Nie wieder wirst du mir irgendetwas auf den Kopf setzen, John Sheppard!" drohte sie ihm.

Er richtete sich auf, sah sie groß an. „Was?"

Wie ein Baseballspieler holte sie aus, wirbelte dann nach vorn. Der weiße, halbwegs runde Schneeball traf seine Brust, ließ ihn unwillkürlich ächzen und einen Schritt zurückweichen.

Donnerwetter, hatte diese Frau einen harten Wurf!

„Na warte!" John schüttelte sich. Kälte und Nässe tropften innen seinen Kragen entlang seinen Rücken hinunter und ließen ihn erschaudern. Trotzdem setzte er mit weiten Schritten zu ihr zurück, während sie sich bereits eine neue Waffe zulegte.

„Nie wieder wirst du mir irgendetwas auf den Kopf setzen!" wiederholte sie und warf erneut. Doch diesmal ging der Schneeball daneben.

„Ich kriege dich!"

Vashtu packte noch eine Handvoll Schnee, dann raste sie los, auf die Straße und hetzte in einem weiten Bogen um ihn herum. John schlitterte, als er die Richtung ändern wollte, verlor fast das Gleichgewicht und warf sich im letzten Moment herum. Die Taschen noch immer in den Händen hetzte er ihr nach.

War diese Frau schnell!

Doch dann rutschte Vashtu ebenfalls weg, konnte sich nicht richtig auffangen und schlug lang hin.

John blieb fast das Herz stehen. Er konnte sich noch so oft sagen, daß Vashtu nahezu unsterblich war, dennoch schien sie sich etwas getan zu haben.

„Vash!" Hart bremste er ab, schlitterte noch ein paar Meter weiter, um sofort herumzuwirbeln und bei ihr niederzuknien, die Tüten jetzt vollkommen vergessend.

Sie hob den Kopf. Ein bißchen Schnee klebte an ihrer Nasenspitze.

„Geht's dir gut?" fragte er.

Vashtu rappelte sich wieder auf. „Klar." Sie grinste sehr zufrieden und bewarf ihm mit lockeren Schnee.

John wich unwillkürlich zurück, als das kalte Naß seine Haut berührte. Dann bekam er ebenfalls etwas Schnee in die Hand. Er warf sich nach vorn und drückte es ihr ins Gesicht.

Vashtu schrie spitz auf, während er sie sehr genüßlich mit noch mehr Schnee einrieb. Dann warf sie sich plötzlich auf ihn und drückte ihm ihrerseits wieder Schnee ins Gesicht.

„Hör sofort auf!" rief er, mehr erschrocken. Seine Wangen glühten.

„Wirst du noch einmal versuchen, mir irgendetwas auf den Kopf zu setzen?" Mit langem Hals und roten Wangen beugte sie sich über ihn.

John ging erst jetzt auf, daß sie wohl von der Straße abgekommen und in einen Park gelaufen waren.

Er prustete, wischte sich mit einer Hand über das Gesicht. „Ich hab dir die letzte Mütze nur gegeben", beschwerte er sich. „Aufgesetzt hast du sie allein."

„Du hast sie ausgesucht. Und die Baseballkappe hast du mir aufgesetzt!" beschwerte sie sich.

John zwinkerte. „Aber nur, weil du die andere ausprobiert hast und zum Schießen ausgesehen hast!"

Diese Worte wurden ihm mit einer weiteren Handvoll Schnee gedankt, das sie ihm ins Gesicht klatschte.

John holte Schwung, als es ihm reichte, packte sie unversehens und wirbelte herum, so daß er jetzt auf ihr saß. Sehr konzentriert begann er, ihr etwas Schnee in den Kragen rieseln zu lassen.

Vashtu kreischte und lachte gleichzeitig, strampelte mit den Beinen und schlug mit den Händen um sich.

„Hörst du jetzt endlich auf?" fragte er schließlich, sich dicht über sie beugend.

Ihr Gesicht glühte in der Kälte und war vollkommen naß.

Ihm ging auf, daß sie sich besser ins Warme verziehen sollten, ehe sich einer von ihnen beiden noch eine Erkälung holte.

„Hörst du auf?" wiederholte er seine Frage.

„Gibst du mir einen Kuß?" Sie sah ihn unschuldig an.

Johns Augen wurden schmal.

Irgendetwas plante sie, das war klar. Aber was?

„Wenn du aufhörst", sagte er schließlich.

Sie grinste zufrieden. „Gut, dann höre ich auf", antwortete sie, reckte ihm die gespitzten Lippen entgegen.

John beugte sich tiefer zu ihr hinab und drückte seinen Mund auf den ihren. Nur um unterdrückt loszubrüllen, als sie ihm mit beiden Händen fleißig Schnee in den Kragen stopfte.

Wie eine Schlange wand sie sich von ihm los, kam wieder auf die Beine, während er immer noch damit beschäftigt war, die Eiseskälte aus seinem Nacken zu wühlen.

„Bis später!" Er hörte ihre leichten Schritte im Schnee. Als er aufblickte, waren seine Tüten verschwunden - und mit ihnen Vashtu.

„Na warte!" drohte er, öffnete den Reißverschluß, um auch die letzten Reste Schnee loszuwerden.

Das würde sie ihm büßen, schwor er sich.


***


„Eigentlich hat das doch keinen Sinn, oder?" Vashtu blickte zu ihm auf, schob sich die Sonnenbrille wieder auf die Nasenwurzel zurück.

„Was?" John sah die Abfahrt hinunter. Es war wenig los, kein Wunder, es war ein Wochentag. Und ihr vorletzter hier. Für morgen mußten sie sich noch irgendetwas ganz besonderes einfallen lassen, fand er.

„Na, wir heizen die ganze Zeit den Hang runter, um ihn dann wieder hochzuklettern und das ganze immer und immer zu wiederholen", sagte Vashtu.

„Es macht Spaß", kommentierte er, setzte die Stöcke auf den festen Schnee.

„Trotzdem ist es eigentlich sinnlos."

„Wieso? Man kommt schnell von A nach B." Er grinste sie an, dann holte er Schwung und stieß sich ab.

Leider hatte der Snowboard-Verleih heute geschlossen. Irgendwie hatte er sich in den letzten Tagen daran gewöhnt, mit nur einem „Ski" unter den Füßen die Abfahrt hinunterzusausen. Vashtus Vorschlag war einfach grandios gewesen, mußte er zugeben. Irgendwie kamen ihm zwei Skier plötzlich sehr langsam vor.

Eine kleine Gestalt, tief über den Skiern gebeugt, die Stöck an den Seiten nach hinten geneigt, raste im atemberaubenden Tempo an ihm vorbei den steilen Abhang hinunter.

War diese Frau denn wahnsinnig?

Die Abfahrt war heute extrem glatt und rutschig, darum war auch der Snowboard-Verleih geschlossen. Und sie beide hatten sich natürlich nicht den Anfängerhügel ausgesucht.

John stieß die Stöcke in den vereisten Schnee, um mehr Tempo zu gewinnen, krümmte sich dann über den Skiern zusammen und raste ihr nach.

Eines mußte er ihr lassen, sie hatte offensichtlich auf MacMurdo mehr getan, als nur mit einem Apache irgendwelchen Unsinn zu bauen. Die Jungs schienen sie ja richtig in ihr Herz geschlossen zu haben. Und so wirklich wunderte ihn das nicht. Für Vashtu gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man liebte sie oder man haßte sie. Etwas anderes kam einfach bei dieser Frau nicht in Frage.

Die kleinere Gestalt richtete sich etwas auf, um Schwung zu verlieren. Die Abfahrt wurde etwas flacher.

John kam ein böser Gedanke. Wieder holte er mit den Stöcken Schwung, krümmte sich noch mehr über seinen Skiern zusammen. Dann versuchte er, so dicht wie möglich an ihre Läupe zu gelangen.

Vashtu war inzwischen zum Stillstand gekommen, drehte sich gerade um, als er den Schwung wegnahm und sich aufrichtete. Absichtlich stellte er einen Skier quer. Schnee spritzte unter den Kufen und traf die Antikerin voll.

Mit offenem Mund prustete und pustete sie.

John kam zum Stehen, drehte sich etwas schwerfällig zu ihr um.

Mit beiden Händen wischte sie sich den Schnee vom Gesicht, richtete sich schließlich wieder auf. Er meinte, durch die dunklen Gläser ihrer Sonnenbrille hindurch das wütende Funkeln ihrer Augen zu hören.

„Was war das denn?" begehrte sie zu wissen.

„Da hatte ich wohl ein bißchen viel Schwung", bemerkte er unschuldig.

Vashtu schnaubte, wischte sich die letzten Eiskristalle aus ihrer Sturmwindfrisur.

John grinste zufrieden.

Er hatte seine Rache gehabt.

„Hey!" Vashtu hatte sich abgewandt, schien jetzt etwas sehr genau zu mustern.

John drehte sich in die Richtung, in die auch sie starrte, blinzelte dann. „Schneemobile?" fragte er irritiert.

Und tatsächlich, hinter dem Auslauf standen, in Reih und Glied ein halbes Dutzend Schneemobile und warteten unschuldig auf ihre nächsten Piloten.

Vashtu hob den Kopf, drehte sich wieder zu ihm um. Ein kleines Lächeln erschien auf ihren Lippen.

John erwiderte es. „Du hast recht. Eine klasse Idee!"

Sie nickte stumm.


TBC ...

2 Kommentare:

  1. hey =)
    oh vielen Dank fürs Daumen drücken *freu* kann ich glaub ich auch gut gebrauchen, wenn es denn soweit ist.

    ohhhh.....ein Wellness Tag! Wieso haben die beiden mich nicht mitgenommen?
    Obwohl...ich hätte mich dann wohl auch etwas wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt ^^
    Die haben eine ihrer Hundemarken ausgetauscht? :D Die kommen ja auf Ideen :D

    Die Schneeballschlacht war auch klasse und die Aktion mit den Mützen in dem Souvenir Laden.
    Da haben die Johns freie Tage auf der Erde ja super ausgenutzt.
    Und vor allem ist bis jetzt alles abgelaufen, ohne, dass die in Gefahr geraten sind ;)

    LG Sabrina

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  2. Auch wenns unfaßbar ist, Daumendrücken gehört bei mir mit zum Standard-Packet *zwinker*, und ich bin sicher, du schaffst das schon. Sagt die Frau mit der Prüfungspanik ... Nein, bin ich überzeugt, das wird schon, ganz sicher! *sturbin*
    Die Hundemarken ausgetauscht ... nicht richtig. Es sind ja immer zwei Marken an der Kette, John und Vashtu haben ihre vertauscht, sprich, jeder hat nur noch eine seiner eigenen, und daneben dann noch eine vom anderen. Ein bißchen kitschig, aber ich fands irgendwie süß.
    Und du deutest schon richtig, das nächste Kapitel wird das letzte dieser Story. Aber hau mich, schlag mich, brüll mich an, ich stells erst morgen rein *gähn*, heute bin ich zu müde.

    Dank dir für dein Comment!

    Bis denne
    Ramona

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