29.07.2009

Das Artefakt IV

Nächster Morgen, AREA 51:

Johns Herz tat einen Hüpfer, als er die Kantine der geheimen Einrichtung betrat und sie an einem Tisch sitzen sah. Vashtu hatte sich hinter einer Zeitung vergraben, so daß von ihr wenig mehr als ihr verwuselter schwarzer Haarschopf und ab und an eine Hand zu sehen war, die sie ausstreckte, um etwas von ihrem übervollen Tablett zu nehmen.
Ja, daran erinnerte John sich noch. Er grinste unwillkürlich, während er sich in die kurze Schlange an der Essensausgabe einreihte und nun sein Frühstück zusammenstellte.
Vashtu mußte aufgrund der Fremdzellen mehr essen als ein normaler Mensch, was seinerzeit schon auf Atlantis für Mißstimmung gerade bei denen gesorgt hatte, die eigentlich etwas mehr auf ihr Gewicht achten mußten. John erinnerte sich konkret an einen Fall, in dem er beinahe hätte eingreifen müssen, weil McKay und die Antikerin sich fast an die Kehle gegangen waren wegen einer blauen Götterspeise ...
John nahm sich etwas Rührei mit Speck und einen Joghurt, ließ sich schließlich eine Tasse heißes Wasser reichen, um Tee zum Frühstück trinken zu können. Ein Glas Orangensaft rundete das ganze ab. Dann marschierte er schnurstracks zu dem Tisch hinüber, an dem Vashtu noch immer unbeachtet von den anderen Anwesenden saß und frühstückte.
„Guten Morgen", begrüßte er sie freundlich, erntete ein undeutliches Nuscheln, das ihn jedoch nicht abzuschrecken vermochte.
Ja, auch das wußte er noch. Die Antikerin war ein Morgenmuffel, wie er im Buche stand. Da war es erst einmal besser, sie in Ruhe zu lassen, bis sie von selbst aus ihrem Schneckenhaus herauskam.
Kurzerhand setzte John sich neben sie und tunkte einen Teebeutel in seine Tasse.
Vashtu las unbeirrt weiter, ließ sich nicht stören. Und sie las ...
John beugte sich langsam immer weiter zu ihr hinüber.
Hey, sie hatte die Sportseiten aufgeschlagen. Da war ein großer Artikel über das diesjährige Thanksgiving-Turnier ...
Johns Hals wurde deutlich länger, während er versuchte, den Artikel zu lesen, den gleichen Artikel, in den auch die Antikerin gerade vertieft war, so daß ihnen beiden erst einmal nicht weiter auffiel, was der jeweils andere tat. Bis ...
Vashtu stutzte plötzlich deutlich und drehte den Kopf. Fragend hob sie eine Braue.
John rückte sofort mit einem entschuldigenden Lächeln ab, rührte in seinem Rührei.
Die Antikerin nickte, wandte sich wieder der Zeitung zu.
John war das Rührei eindeutig noch zu heiß. Außerdem ...
Wieder lehnte er sich zu ihr hinüber, um den Artikel weiter lesen zu können. Aber dieses Mal würde er aufpassen, daß er sie nicht störte. Wo war er gerade noch gewesen ... ?
Vashtu räusperte sich und sah ihn wieder strafend an. „Willst du noch auf meinen Schoß klettern oder kann ich dir anderweitig behilflich sein?" fragte sie.
John zog sich sofort wieder zurück und lächelte entschuldigend. „Ich wollte dich nicht stören, deshalb ..."
„Deshalb kletterst du fast auf mich drauf, schon verstanden." Vashtu senkte die Zeitung und seufzte. „Internationaler Sport? Den hab ich schon durch."
Die Seite mit internationalem Sport war zwar nicht das Maß aller Dinge, aber besser als sie noch weiter zu reizen. John nickte und erntete als Lohn eine Doppelseite Zeitung, bei der sein erster Blick auf ...
John grinste breit. „Die Eishockey-Ergebnisse!"
Vashtu blickte halb wieder auf. „Ja, und?" fragte sie desinteressiert. „Eishockey finde ich nicht sonderlich, ehrlich gesagt. Gerade die Canadian League ..." Sie stockte, ihre Augen wurden groß.
John nickte. „Ganz genau. Der gute McKay." Er grinste breit, vertiefte sich dann in in seine ergatterte Zeitungsdoppelseite.
Und wie aufs Stichwort erschien auch tatsächlich der Kanadier in der Kantine von AREA 51 und marschierte schnurstracks zur Essensausgabe hinüber.
Die beiden am Tisch ließen sich erst einmal nicht weiter stören, sie waren viel zu vertieft in ihre jeweilige Lektüre, wobei John dann doch noch die heiß ersehnte Doppelseite mit Inlandssport erhielt, während Vashtu sich den Weltnachrichten zuwandte.
„Darf ich mich dazusetzen, oder ist das hier eine geschlossene Leserunde?" fragte der Wissenschaftler schließlich, als er vor dem Tisch stand, an dem die beiden saßen. Natürlich hatte er sie schon von weitem beobachtet und sich entschieden, daß die von ihrem Team eingeführte Sitte, eben soweit wie möglich die Mahlzeiten gemeinsam einzunehmen oder sich auch außerhalb des Dienstes in der Kantine zu treffen, neue Gültigkeit besaß.
Kurioserweise vermißte McKay mit einem Schlag Ronon Dex und Teyla Emmagan, die beide in ihrer Heimat, der Pegasus-Galaxie, geblieben waren.
Von der Antikerin kam gar keine Antwort, John grinste ihn dagegen breit an. „Quebec hat gegen Vancouver verloren", erläuterte der Colonel ohne jeden Zusammenhang.
Rodney stutzte, setzte sich nun aber doch den beiden gegenüber. Dabei sah er den ordentlich zusammengelegten Zeitungsabschnitt, der neben John lag. Allmählich ging ihm auf, was man hier wieder einmal mit ihm spielen wollte, konzentrierte sich statt dessen auf die Zeitung, hinter der die Antikerin sich noch immer verbarg.
Neidisch betrachtete Rodney das übervolle Tablett mit allerlei Köstlichkeiten wie glasierte Donuts oder in Sirup beinahe schwimmende Pfannkuchen. Das Leben war hart und ungerecht, folgerte er daraus, tippte mit einem Finger gegen das Papier.
„Wären Sie möglicherweise so freundlich, einen Teil an mich abzutreten?" fragte er ätzend.
Eine obere Kante der Zeitung knickte ein, ein dunkelbraunes Auge unter einer hochgezogenen Braue musterte ihn scharf und warnend.
„Welcher?" Einsilbiger ging es nun wirklich nicht mehr, befand Rodney.
„Feuilleton."
Knurrend wurde ihm der entsprechende Teil der Zeitung ausgehändigt, so daß er sich darin vergraben konnte, woraufhin tatsächlich für eine Weile Stille am Tisch einkehrte, nur unterbrochen vom Klappern des Bestecks oder Geschirrs oder dem Rascheln der in mehrere Teile zerlegten Zeitung.
Schließlich kam auch noch Cam Mitchell in die Kantine. Er war der einzige, der nicht hier übernachtet hatte, sondern noch in der Nacht zurückgebracht worden war nach Las Vegas. Immerhin hatte jemand ihren Wagen sichern müssen, außerdem hatten sie sich ja ein Motelzimmer gemietet, wenn auch auf Kosten der Air Force. Also sollten sie dieses Zimmer auch benutzen.
Jetzt trat der Leader von SG-1 stirnrunzelnd an den Tisch der drei Zeitungsliteraten heran und sah auf sie hinunter.
„Guten Morgen", begrüßte er die anderen schließlich. Ihm fiel die Schlagzeile der Titelseite auf. Irgendetwas mit Massenhysterie an einer Schule.
Schließlich aber entschieden die drei am Tisch sich doch dazu, ihre jeweilige Lektüre zu lassen und blickten auf.
„Haben wir schon irgendwelche Erkenntnisse?" Mitchell schnappte sich den vierten Stuhl am Tisch und setzte sich rittlinks darauf.
John hob eine Braue, legte aber schließlich doch seinen Zeitungsteil (mittlerweile war er bei der Wirtschaftsseite angekommen und hatte die neuesten Geschäfte seiner Familie bewundern dürfen) zur Seite.
„Caldwell hat den Iratus direkt in ein geschütztes Labor gebeamt", erklärte er, zuckte mit den Schultern und lehnte sich zurück.
„Ich warte noch, daß Coop sich meldet, damit ich ihn einweisen kann." Vashtu faltete umständlich die mageren Reste der Zeitung und legte sich schließlich neben sich, um ihr Tablett heranzuziehen und sich endlich über die inzwischen kalten Pfannkuchen herzumachen.
Mitchell runzelte die Stirn, verlor aber kein Wort über ihr Verhalten. Statt dessen drehte er sich zu McKay um. „Und bei Ihnen? Wie sieht es mit den Listen aus?"
John beugte sich interessiert vor, spielte mit seiner Tasse.
„Was soll damit sein?" McKay warf seinem einstigen Teamleader einen frostigen Blick zu. „Fragen Sie doch unseren Herrn Inventarlistenführer."
Nun war John doch überrascht.
Hatte er geschlampt? Nein, er war sich ziemlich sicher, daß nicht. Außerdem war er nicht der einzige gewesen, der die Inventarlisten führte. In der größten Hektik während des Auszugs, das gab er auch zu, hatte er sogar blind gegengezeichnet, weil er das Gefühl gehabt hatte, anders nicht mehr hinterherzukommen. Aber daß ihm dabei ein solcher Fehler unterlaufen sein sollte ... ? Nein, ganz sicher nicht!
„Wie meinen Sie das?" nuschelte die Antikerin an seiner Seite mit vollen Backen.
McKay beugte sich vor. „Vielleicht kann unser Colonel uns erklären, was genau ich unter 'athosianischem Kunsthandwerk' zu verstehen habe. Denn genau das ist es, was Minneon nach Hause geliefert worden ist in einer Kiste mit den Maßen 1 x 2 Meter."
Bei dem Wort Kunsthandwerk war vor Johns geistigem Auge unwillkürlich ein Bild erschienen, daß ihn sich schütteln ließ.
„Was, bitte schön, ist athosianisches Kunsthandwerk?" fragte Vashtu verblüfft.
Nein, einen solchen Eintrag hätte er nie im Leben gemacht. Und er war sich ziemlich sicher, er hätte es sofort bemerkt, wenn einer seiner Helfer soetwas aufgeführt hätte.
„Daß sind eine Menge Kürbisse mit Kerzen, finden Sie nicht, Sheppard?"
„Das stammt nicht von mir", entgegnete John. „Nach der Sache mit Lucius würde ich das niemals verwenden, es sei denn, man kann mir dieses Kunsthandwerk vorlegen."
„Wer ist Lucius?" kam es unisono von Vashtu und Mitchell.
„Lucius Levin, seineszeichens selbsternannter Heiler und Frauenschwarm. Elizabeth wollte ihn sogar heiraten. Nur unser Colonel roch den Braten. Levin benutzte ein Enzym, daß alle anderen von ihm abhängig machte." McKay strahlte John über den Tisch hinweg an. „Bei unserem letzten Besuch auf seinem Planeten war er nicht mehr im Dorf."
John versuchte, sein bestes Pokerface aufzusetzen.
Wie gern würde er Rodney jetzt eines reinwürgen. Wenn er sich nur an diesen lächerlichen Versuch eines Handstandes erinnerte ...
„Okay, also könnte dieser Lucius für die Käfer verantwortlich sein?" bohrte Mitchell weiter.
John schüttelte sofort den Kopf. „Dafür hätte er erst einmal durchs Tor kommen müssen. Und das hätte er nie im Leben geschafft. Nein, es geht eher um die Bezeichnung. Und ich bin mir ziemlich sicher, daß das Wort 'Kunsthandwerk' in keiner meiner Listen auftauchte. Nach Lucius' ... Besuch auf Atlantis hatten wir alle eine leichte Phobie gegen dieses Wort."
Vashtu schürzte die Lippen. „Dann denkst du, jemand hat die Listen gefälscht?"
John kreuzte die Arme vor der Brust und ließ sich gegen die Rückenlehne sinken. „Keine Ahnung. Finden wir es heraus!"
„Die Originale der Listen liegen immer noch im SGC", mahnte McKay an.
„Ich denke, ich erkenne meine Schrift und meine Unterschrift auch auf einem Computerbildschirm." John warf Vashtu einen langen Blick zu.
Eigentlich hatte er sich freiwillig melden wollen, mit ihr zusammenzuarbeiten. Allerdings war er sich ziemlich sicher, daß Mitchell das unterbinden würde. Vashtu würde sehr wahrscheinlich mit diesem Cooper zusammen den Iratus sezieren, während er sich mit McKay an die Listen setzen durfte.
Was besseres konnte er sich gar nicht vorstellen.
„Dann sollten wir uns allmählich ans Werk machen." Mitchell erhob sich mit Schwung und klatschte in die Hände. „Auf, Leute. Die Arbeit ruft!"

***

CSI-Labor, Las Vegas:

Grissom mußte zugeben, es ärgerte ihn doch ein wenig, daß sie zu spät gekommen waren, um die drei angeblichen Berater aufzuhalten. Nun wußten sie nicht wirklich, ob die Army-Angehörigen tatsächlich diesen ominösen dritten Käfer gefunden hatten, oder ob das ganze nur eine weitere Finte war in einer ganzen Reihe von bewußt gestreuten Falschinformationen.
Grissom wußte von mehreren Fällen, in denen die Air Force ganz offensichtlich Dinge verschleiert hatte, die mit der Basis „Groom Lake" auch nur in Zusammenhang gebracht werden konnten. Ob es nun um eine vergewaltigte Prostituierte handelte oder um eigenartige Verkehrsunfälle, viel zu oft war die Air Force darauf bedacht, den Mantel des Schweigens über das zu breiten, was ihnen da so offensichtlich nicht ganz in den Kram paßte.
Aber was hatte man in diesem ausgetrockneten Salzsee-Tal davon, eine menschenmordende Meute Insekten auf die Menschheit loszulassen, um dann die denkbar ungünstigste Verschleierungsgeschichte aus den Fingern zu saugen, die überhaupt möglich war? Noch dazu von drei Menschen, die allein durch ihr Auftreten Interesse weckten.
Grissom starrte auf den Bildschirm und nickte mit Bedacht.
Uruhk und Sheppard waren beide aktenkundig, wenn es auch in keinem Fall zur Anzeige gekommen war. Sheppard war Zeuge (und für kurze Zeit Hauptverdächtiger) bei einer Serie von brutalen Morden in New York gewesen vor eineinhalb Jahren. Diese Doktor Uruhk dagegen schien überhaupt erst seit knapp einem Jahr zu existieren. Ihr waren nicht gerade wenige Strafzettel ausgestellt worden mit der Begründung der Gefährdung des Straßenverkehrs. Sie lebte in Colorado-Springs und arbeitete offensichtlich in einer stillgelegten Air Force-Basis in Cheyenne-Mountain. Über Sheppard war, was einen Wohnort betraf, überhaupt nichts auffindbar. Erreichbar dagegen schien er ebenfalls über die Basis Cheyenne-Mountain zu sein.
Grissom betrachtete die beiden Akten, die er auf seinem Bildschirm nebeneinander aufgerufen hatte, rief sich die dazugehörigen Gesichter ins Gedächtnis.
Diese zwei verband irgendetwas, das hatte er sofort bemerkt. Es war mehr als ein gewisses Prickeln, sie verstanden sich blind und schienen sich auch blind zu vertrauen - als hätten sie schon Erfahrungen im Umgang miteinander gemacht.
Grissom war kein Profiler, er war eher das genaue Gegenteil. Er kannte Menschen - und hielt sich deshalb lieber auf dem Beobachtungsposten, statt sich direkt in die Meute zu stürzen. Dennoch aber verfügte er über eine gewisse Menschenkenntnis, die ihn bisher nur sehr selten im Stich gelassen hatte.
Wie paßte dieser Mitchell da noch hinein? Zu ihm fand er überhaupt keinen Zugang, ging dem Leiter der Nachtschicht auf. Er hatte sich auch dessen Akte angesehen, aber nichts gefunden, vor allem nichts, was ihn mehr mit den anderen beiden verband als die Tatsache, daß auch er offensichtlich in dieser Cheyenne-Mountain-Base stationiert war.
Himmel!
„Gib's zu, du bist sauer und hast dich deshalb hierher verzogen."
Ohne daß er es bemerkt hatte, war Catherine in sein Büro gekommen und stand jetzt auf der anderen Seite des Schreibtisches. Mit dem für sie üblichen Pokerface (einem leichten, ironischen Lächeln) glitt ihr Blick über die Stapel von unerledigten Akten und Aufstellungen, die er immer so gern vor sich herschob.
Grissom lehnte sich zurück, hielt die Fingerspitzen beider Hände aneinander wie zu einer Gebetszeremonie. „Ich habe das Gefühl, was heute nacht geschehen ist, hängt mit den Morden und den drei 'Beratern' zusammen, die man uns zugeteilt hat", erklärte er endlich. „Warum das so ist weiß ich allerdings nicht."
Catherines Lächeln wurde zu einem Grinsen, als sie die Hand, die sie bisher hinter dem Rücken versteckt gehalten hatte, nun hob und ihm einen Ausdruck präsentierte. „Da hast du deinen Zusammenhang: Der Anruf bei der Notrufzentrale erfolgte von dem Handy eines unserer Hysterie-Opfer. Seltsamer Zufall, oder?"
Grissom nahm das Blatt und überflog dessen Inhalt.
„Die Kids arbeiteten an ihrem Monster-Haus für Halloween", fuhr Catherine fort. „Was wäre also gruseliger, als sich von irgendwoher etwas echtes zu beschaffen? Vielleicht wollte unser neuer Freund ja eine der Leichen klauen?"
„Oder noch etwas anderes ..." Grissom sah wieder auf den Bildschirm, verglich die beiden Akten zum wiederholten Male. Und dann ging ihm auf, was er übersehen hatte:
Vashtu Uruhk hatte Colonel Sheppard als ihren Leumund genannt. Die beiden kannten sich!
„Ich hab da so eine Ahnung ..." Grissom erhob sich. „Wir fahren raus nach Groom Lake. Wird Zeit, daß sich der Vorhang öffnet!"

***

AREA 51, mittags:

Vashtu langweilte sich. Nichts gegen den kleinen Monsterjäger an ihrer Seite, allerdings konnte Cooper, seines Zeichens der Top-Kryptozoologe des OSIR, auch ziemlich nerven mit seiner überschwenglichen Art, sich über etwas wie einen toten Iratus zu freuen. Sie mußte zugeben, ihre Freude hielt sich in deutlichen Grenzen, und daran änderte sich erst recht nichts, wenn sie daran dachte, daß diese Insekten hier sicher nicht hingehörten.
Einen einzigen Lichtblick hatten sie herausfinden können. Das hieß, ob es ein wirklicher Lichtblick war, konnten sie erst sagen, wenn sie den dazugehörigen Eiballen ebenfalls gefunden hatten und sie tatsächlich die Brut töten konnten, ehe es zu einer Massenpanik kommen konnte.
„Sehen Sie sich nur diese perfekte Form an!" Cooper schwärmte weiter und hielt das Ende des langen Schwanzes mit einer Zange in die Luft. „So einfach, aber so effizient. Wirklich phantastisch, was diese Pegasus-Galaxie so alles zu bieten hat."
Vashtu nickte pflichtschuldig und verschränkte die Arme vor der Brust.
Cooper war über ihre wahre Herkunft und erst recht ihre Besonderheit nicht aufgeklärt - und sie würde einen Teufel tun und ihm verraten, zu was sie geworden war in den letzten zehntausend Jahren. Das war ihr etwas zu unsicher. Am Ende war es noch sie, die auf Coops Seziertisch landete, während er und dieser Professor Axon, von dem er ebenfalls immer erzählte, sie genauestens unter die Lupe nehmen würden. Hatte Coop nicht sogar bei ihrer letzten Zusammenarbeit soetwas angedeutet in Bezug auf einen Besuch aus dem Weltraum vor einigen Jahren?
Vashtu verzog unwillig das Gesicht, lehnte sich mit der Hüfte gegen den Tisch und versuchte weiterhin, gute Miene zum bösen Spiel zu machen.
Solange sie beide noch beschäftigt waren damit, den Iratus in seine einzelnen Segmente und Teile zu zerlegen, solange war es für sie auch noch relativ interessant gewesen. Immerhin hatte sie so die Chance, einen Käfer nach zehntausendjähriger Entwicklung nochmals zu untersuchen und etwaige Unterschiede zu seinen Vorgängern festzustellen. Nur hatten Iratus-Käfer wohl schon vor zehntausend Jahren ihre Endform erreicht. Jedenfalls war ihr kein eklatanter Unterschied zwischen diesem hier und dem Exemplar aufgefallen, aus dessen Zellen sie die Gentherapie erstellt hatte.
Was sie störte, waren vor allem die BL4-Anzüge, die sie beide tragen mußten. Nicht nur, daß sie damit aussahen wie übergroße Gallebrocken, die Dinger waren heiß, stanken nach Gummi und ließen ihre Unterwäsche unangenehm an Stellen ihres Körpers kleben, über die sie lieber nicht nachdachte. Sie verstand zwar die Notwendigkeit, auch gegen einen toten Iratus gefeiht zu sein, ganz zu schweigen von dem, was er da möglicherweise mitgeschleppt hatte aus der Quarantäne, aber sie plädierte eindeutig dafür, zumindest eine Lüftung in diese Dinger einzubauen, wenn man sie mehr als eine Stunde tragen mußte.
„Wie sieht's bei euch aus?" meldete sich unversehens eine Stimme, riß sie aus ihren trüben Gedanken und unterbrach Coopers einschläfernden Redeschwall.
Vashtu drehte sich um und hob den Kopf zu dem großen Überwachungsfenster. „Habt ihr das Kunsthandwerk gefunden?" fragte sie zurück.
John, der oben an der Gegensprechanlage stand, grinste zu ihr hinunter, wurde dann aber ernst. „Nein, haben wir nicht", antwortete er. „Aber wir wissen, daß da jemand etwas durch das Gate geschmuggelt hat. Minneons 'Kunsthandwerk' war nur eines von mehr als zwanzig Gegenständen, die ich nie gesehen habe. Jemand hat meine Unterschrift gefälscht."
Vashtu fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht weichen wollte bei dieser Antwort.
Wenn es noch mehr Gegenstände gab, die möglicherweise mit irgendetwas gefährlichem aus der Pegasus-Galaxie konterminiert waren, würde das noch jede Menge Arbeit bedeuten. Sicher, Arbeit, bei der sie mit John zusammen etwas tun konnte. Andererseits aber standen die Chancen gut, daß sie irgendwann zu spät kommen und Unschuldige für ihr Versagen mit dem Leben bezahlen würden. Daß das IOA davon nicht sonderlich erbaut sein würde stand vollkommen außer Frage. Man würde ihnen auch von dort die Hölle heißmachen.
Unterdrückt stöhnte sie auf.
John setzte eine gequälte Miene auf. „Du sagst es. Mitchell erstattet gerade Landry Bericht. Gut möglich, daß das IOA uns zum nächsten Wohnort jagt, ehe es dort auch noch zu Toten kommen kann."
„Wir sind hier noch nicht fertig", beharrte Vashtu, wies mit dem ausgestreckten Arm auf die Überreste des Iratus, den sie zusammen mit Cooper untersucht hatte. „Alles deutet auf ein Gelege hin. Und wenn wir das nicht finden, wird Las Vegas in kürze eine Geisterstadt sein."
„Ich muß korrigieren", wandte der kleine Wissenschaftler ein. „Wir haben keine genaue Kenntnis über die Brutzeit."
Johns Kiefer spannten sich an, Vashtu konnte es deutlich sehen.
Es nagte an ihm, daß sie nicht weiterkonnten. Sie hatten die Grenzen fast erreicht. Vielleicht konnten sie beide durch ihre jeweiligen Erfahrungen ein bißchen mehr beitragen, aber auch das half nicht wirklich weiter. Sie wußten von dem Eiballen, aber sie hatten keine Ahnung, wo er steckte.
„Ich denke nicht, daß Minneon die Erde mit Iratus-Käfern verseuchen wollte", sagte John schließlich. „Also müssen wir nach etwas anderem suchen. Irgendeinem Behältnis ..." Stirnrunzelnd sah er zu ihnen beiden hinunter. „Was habt ihr herausgefunden?"
„Oh, es ist eine nahezu perfekte Spezies", begann Cooper prompt zu schwärmen. „Hervorragend angepaßt an eine gemäßigte Umwelt. Leider nicht mehr flugfähig, aber dafür hat unser Exemplar eine Art Spinnendrüsen entwickelt. Ich gehe davon aus, daß sie entweder ihre Opfer einspinnen oder sich, ähnlich wie Arachniden, Netze weben können."
„Letzteres", kam es trocken aus zwei Kehlen.
Vashtu drehte sich wieder zu Cooper um und sah ihn an. „Wir haben die Todesursache", sagte sie dann schließlich, nachdem er irritiert den Mund geschlossen hatte.
„Wir sind uns nicht ganz sicher ..."
„Wir HABEN die Todesursache", wiederholte Vashtu, sandte John einen Blick. „Und möglicherweise kann uns diese Erkenntnis im weiteren Verlauf dieser Angelegenheit helfen."
John hatte sich interessiert vorgebeugt, als sie so plötzlich und spontan das Wort ergriffen hatte. Jetzt konnte Vashtu wirklich sehen, wie neue Hoffnung in ihm keimte.
„Nun ja, wenn Sie wirklich meinen ..." Cooper schien etwas verstimmt darüber, daß sie seine Lobeshymne unterbrochen hatte.
Vielleicht, ging es Vashtu kurz durch den Kopf, sollte sie einen Iratus für den Wissenschaftler am Leben lassen, damit er selbst die Erfahrung machen konnte, wie es war, wenn ein solches Insekt sich an einem festmachte und dann langsam die Lebensenergie aussaugte.
„Woran ist unser Freund gestorben?" fragte John endlich.
Vashtu grinste. „Offensichtlich suchte er in dem Kaninchenbau Schutz vor der Wüstensonne. Dann krachte der Gang über ihm ein und sein Schwanz wurde eingeklemmt, so daß er nicht in den nächsten Schatten flüchten konnte. Also war er die ganze Zeit über der Sonne ausgesetzt."
„Er starb an einer Art Kreislaufversagen aufgrund der Hitze", ergänzte Cooper trocken.
„Er hatte einen Hitzschlag!" Vashtu grinste wieder breit.
John stutzte. „Ihr habt an einem Insekt eine Todesursache feststellen können? Noch dazu eine solche?"
„Jedes Lebewesen besitzt einen Kreislauf. Bei einem Hitzschlag versagt dieser Kreislauf und es kann zum Tod kommen", erklärte Cooper. „Das gilt für Insekten ebenso wie für Menschen. Nur üblicherweise, da haben Sie recht, können wir es bei ersteren nicht feststellen."
„Normalerweise sind die auch nicht so riesig", ergänzte Vashtu.
„Ganz genau", nickte der Kryptozoologe. „Aufgrund der hohen Körpermasse war es uns möglich, den Kreislauf zurückzuverfolgen. Ein Käfer dieser Art mag keine sehr hohe Intelligenz sein Eigen nennen, andererseits aber weist sein Körper ähnliche, wenn auch vereinfachte Organe wie alle Lebewesen auf."
Jetzt schien John allmählich ins Rotieren zu kommen. Einen Moment lang wurden seine Augen glasig, dann aber gewannen sie wieder Klarheit. Zögernd nickte er. „Ein Iratus hat kein Gehirn, aber er hat innere Organe."
„Er besitzt ein Nervenzentrum und sozusagen ein Ur-Gehirn", widersprach Cooper. „Bei den meisten insekten- und insektenartigen fungiert der Magen sozusagen als Gehirn."
John riß die Augen auf, dann grinste er frech. „Daher also der Spruch mit dem Bauchgefühl ..."
„Kann man so sagen." Vashtu nickte. Allmählich war sie nun doch wieder in ihrem Element. Sie mochte es einfach, wenn sie anderen Sachverhalte erklären konnte und deren Begreifen dann sehen zu können. „Jedes Lebewesen, ob nun mit oder ohne Gehirn, besitzt zwei andere Zentren, mit denen der Körper funktionieren kann: Magen und eine Verdickung der Nervenstränge an irgendeiner Stelle des Körpers - bei Wirbeltieren meist zwischen Hüfte und Becken. Beides gemeinsam kann das Gehirn ersetzen, wenn es einmal ausfallen sollte. Nur höhere Spezies wie der Mensch mit seinen komplexen Lebenserhaltungssystemen können ohne das Einwirken des Gehirns nicht mehr arbeiten, zumindest nicht im herkömmlichen Sinne."
„Meister, es lebt!" John hatte bei diesen Worten seine Stimme verstellt, den Kopf eingezogen, ein diabolisches Grinsen aufgesetzt und rieb sich die Hände.
Vashtu stutzte.
„Wir würden das nicht mehr intelligentes Leben nennen, wenn das Gehirn seine Funktion nicht mehr ausführen kann." Cooper schüttelte den Kopf, was aber nur Vashtu sehen konnte, da sie beide ja immer noch in den Anzügen steckten. „Aber es hat durchaus Fälle gegeben, in denen Menschen, die hirntot waren, noch Wochen, in einigen Fällen sogar Monate weiter gelebt haben. Ich erinnere mich da an einen Fall aus den Neunzigern, der in Deutschland passierte ..."
„Okay, Leute, wir haben ein Problem!" Mitchell hatte mit diesen Worten den Überwachungsraum betreten, sah jetzt auf den Seziertisch hinunter. „Dieser Grissom vom CSI ist hier, und er scheint nicht sonderlich erbaut zu sein, herkommen zu müssen."
„Und? Wir ärgern ihn doch gar nicht mehr", bemerkte John, lehnte sich gegen das Fenster und kreuzte lässig die Arme vor der Brust.
„Tja, das sieht er wohl anders." Mitchell wandte sich wieder dem Untersuchungsraum zu. „Er will mit Ihnen sprechen, Miss Uruhk, mit Ihnen und Sheppard. Also bewegen Sie sich Richtung Ausgang und ziehen sich um. Und kein Wort über den Käfer."
Vashtu warf

***

Der Raum, in dem sie die CSI-Ermittler trafen, war nichtssagend, wie alle oberirdischen Räume der AREA 51 - und selbst die oberen unterirdischen Abteilungen beschäftigten sich mit eher unverfänglichen Dingen. Das wirklich heikle begann, ähnlich wie in Cheyenne-Mountain, erst ab einer gewissen Tiefe, wenn man hier auch keine 28 Stockwerke brauchte, um sich zu verstecken.
Harmlose Bilder an den Wänden zeugten von den Entwicklungen, die man ebenfalls dieser Basis zuordnen konnte, wie etwa den Stealth-Bomber oder einige Modifikationen der F-16, die durchaus im normalen Flugverkehr eingesetzt wurden.
Grissom und eine blonde, schlanke Frau in modischer, wenn auch einfacher Kleidung erwarteten sie, und den beiden war durchaus anzumerken, daß sie ungeduldig waren, auch wenn sie ihre besten Pokerfaces aufgesetzt hatten.
John und Vashtu tauschten einen letzten langen Blick, fügten sich dann in ihr Schicksal und harrten dessen, was da auf sie einstürzen würde. Und, da war John sich ziemlich sicher, es würde einiges auf sie herunterhageln, vor allem wegen der Tatsache, daß Vashtu eine erneute Durchsuchung des Hauses der Minneons verlangt, man dort aber ganz offensichtlich nichts gefunden hatte. Außerdem war er sich nicht wirklich sicher, ob ihr Abgang tatsächlich als Illusion durchgehen würde, wie er es sich seit gestern abend eingeredet hatte. Allerdings wagte er den Verdacht, daß die beiden Taschenlampen, die auf sie zugekommen waren, durchaus in die Hände zweier lebender Menschen gehört hatten. Und diese Menschen hatten sicher auch keine Tomaten auf den Augen gehabt, als sie so plötzlich im Beamstrahl verschwanden.
Ein riesiger Haufen Scherereien, der sich da angehäuft hatte ...
„Colonel Sheppard, MISS Uruhk." Grissom nickte knapp, und offensichtlich fiel weder ihm noch seiner Begleiterin auch nur im Traum ein, ihnen die Hand zu reichen. Damit dürften die Fronten dann wohl geklärt sein ...
John seufzte tonlos, warf der Antikerin an seiner Seite einen nachdenklichen Blick zu.
Natürlich wurden sie in diesem Raum überwacht, auch wenn weder Kameras noch Mikrofone zu sehen waren. Aber es war absolut klar und überaus logisch. Keiner der Verantwortlichen würde sich noch zusätzlichen Ärger einhandeln wollen, es gab ohnehin schon mehr als genug.
Warum hatte er Mitchell denn auch nicht abgehalten vom Beam-Befehl? Er war sicher, der SG-1-Leader hatten die herannahenden Taschenlampen gesehen. Und er? Er hatte auf sein Glück vertraut ... aber dessen Wankelmut dürfte ihm eigentlich seit spätestens Sumners Tod bekannt sein, eigentlich sogar schon länger.
„Mr. Grissom, guten Tag. Auch Ihnen, Miss ... ?" Vashtu lächelte zuckersüß, ihre dunkelbraunen Augen schienen zu strahlen. Sie wirkte ganz wie eine höfliche, hübsche Frau, vollkommen normal. Jetzt senkte sie auch noch verschämt die Lider etwas über die Augen, ihr Lächeln wirkte zerknirscht.
Himmel! Er mußte sich selbst konzentrieren, sonst war am Ende nicht Vashtu die Gefahr, sondern er würde sich verquatschen.
„Ja, die Sache mit dem Doktor ... Tut mir ehrlich leid, daß ich Sie nicht berichtigt habe, Mr. Grissom", erklärte die Antikerin so schuldbewußt wie nur möglich. „Wissen Sie, eigentlich stimmt es ja doch, aber hierzulande wird der Titel nicht anerkannt und ich müßte ihn neu machen. Dazu hatte ich bisher allerdings noch keine Zeit."
„Catherine Willows", stellte die Begleiterin von Grissom sich endlich vor. Sie musterte John, dem es augenblicklich heiß und kalt wurde.
War er jetzt etwa dran?
Ruhig bleiben und sich konzentrieren, rief er sich die beste Vorgehensweise ins Gedächtnis. Immerhin war es nicht das erste Mal, daß er in einer recht bedrohlichen Situation steckte, und hier ging es nicht einmal um Kriegsvermeidung, Weltrettung oder das Überleben der Atlantis-Crew, nein, hier ging es schlicht und ergreifend um ihrer beider Karrieren, bei der seine schon seit geraumer Zeit bedenklich wackelte.
„Sheppard, Lt. Colonel John Sheppard", stellte er sich vor, ertappte sich jetzt doch bei einem erneuten Versuch, die Hand zu reichen. Und dieses Mal wurde sie auch tatsächlich akzeptiert! Willows ergriff sie und schüttelte sie geschäftsmäßig.
Wow!
Grissom dagegen sah noch immer Vashtu durchdringend an. „Ihnen ist klar, daß Sie den Tatbestand einer Straftat erfüllt haben, Miss Uruhk", fragte der Tatortermittler jetzt im deutlich unterkühlten Ton.
„Hören Sie, Mr. Grissom", wandte John sich augenblicklich an ihn und sah ihm tief in die Augen. „Miss Uruhk hat recht, sie ist tatsächlich Wissenschaftlerin und ihre Titel sind im Moment sozusagen auf Eis gelegt. Da ihr Heimatland nicht der UN angehört, nicht einmal einen Vertrag mit den Vereinigten Staaten hat, ist die Sache der Anerkennung schon ein richtiges Politikum. Die einen wollen ihre Arbeit für uns würdigen, die anderen dagegen ..."
Grissom hob eine Braue. „Wollen Sie mir jetzt etwa sagen, Miss Uruhk sei ein Flüchtling?"
„Ich habe politisches Asyl beantragt, ja", antwortete die Antikerin hinter John. Und allein ihrer Stimme konnte er anhören, daß sie die Wahrheit sagte.
Augenblicklich begannen sämtliche Alarmsignale in seinem Kopf zu schrillen.
Vashtu hatte einen Asylantrag gestellt? An wen? Warum?
John überlegte fieberhaft hin und her, doch ein anderer Grund als das Auftauchen von Helia und ihrer Schiffsbesatzung wollte ihm nicht einfallen.
Verdammt, er mußte allein mit Vashtu reden, und zwar richtig reden und sich nicht gegenseitig anschmachten, wie sie es gestern immer wieder getan hatten. Letztes Jahr, nachdem sie aufgetaucht war, hatte es doch auch geklappt.
Letztes Jahr, wisperte eine boshafte kleine Stimme in seinem Inneren, hattest du dich auch noch nicht in sie verliebt. Dumm gelaufen, alter Junge!
Stimmte das? Liebte er Vashtu tatsächlich?
Nein, ganz sicher nicht, sagte er sich selbst voller Inbrunst. Er mochte sie, wollte gern ein bißchen Zeit mit ihr verbringen. Wenn er die Möglichkeit hatte, würde er sie gern auch einmal ausführen zu einem Dinner. Aber genausogut konnte er sich vorstellen, mit ihr zu einem Footballspiel zu gehen, ins Kino oder auf die Bowlingbahn. Für Vashtu würde das wahrscheinlich sogar keinen wirklichen Unterschied bedeuten
Aber hatte er sich wirklich in die Antikerin verliebt?
Unwillkürlich stieg eine Szene aus seiner Erinnerung empor. Eine Szene, die in der letzten Weihnachtszeit passiert war, als General Jack O'Neill zu seiner jährlichen Weihnachtsfeier auf seine Jagdhütte geladen hatte.
Vashtu unter dem Mistelzweig. Daß Sam Carter neben ihr stand war John vollkommen entfallen, schon damals. Aber er wußte noch, wie er versucht hatte, die Antikerin mit seinen Blicken an der Stelle festzutuckern, damit er einen Grund hatte ... Einen Grund, den wohl auch O'Neill suchte damals ...
Vashtus Lippen waren weich und samten gewesen, ihr Kuß hatte nach süßer Verheißung geschmeckt. Er hatte sie küssen wollen bis in alle Ewigkeit, sie noch weiter fest an sich gedrückt halten wollen, ach was, er wollte in diesem Moment mit ihr verschmelzen, sie nie wieder loslassen, sondern in diesem einen Moment für den Rest der Zeit verharren, sie schmecken, ihren Körper an dem seinen fühlen, das Licht in ihren Augen, als sie ihn endlich erkannte damals ...
War das Liebe?
Mit Nancy war es anders gewesen, ging ihm auf. Das hatte er eine Zeitlang für Liebe gehalten, bis ihm klar wurde, daß das, was da einmal zwischen ihnen gewesen war, irgendwann abgekühlt und schließlich ganz verloschen war. Aber er hatte niemals das gefühlt, was er jetzt für die Antikerin empfand. Er hatte sich nie so ... Er kam sich ja teils vor, als könne er ihre Gedanken lesen!
Carson Beckett hatte damals nach Vashtus Auftauchen gemeint, etwas ähnliches fühlen zu können. Es war, als seien sie drei im besonderen verbunden: Vashtu, er und Carson. Vorher hatte er den Arzt ... naja, er war eben der Chefarzt der Expedition. Seitdem aber fühlte John zu dem Schotten eine besondere Art Freundschaft. Er konnte ihm Dinge anvertrauen, mit denen er sonst mit niemandem reden konnte, ähnlich wie bei Rodney McKay.
Aber war das Liebe, was ihn antrieb, ihn vielleicht auch gestern hierher gezogen hatte?
Nein, entschied der sachliche Teil in ihm. Er hatte getan, was er hatte tun müssen. Er kannte sich mit diesen Riesenkäfern nicht aus, ergo hatte er jemanden kontaktieren müssen, der sich auskannte. Die logische Wahl, da Carson Beckett oder einer der Entomologen der Atlantis-Expedition nicht zur Verfügung stand, war eben Vashtu gewesen. Das hatte absolut nichts mit irgendwelchen Gefühlen zu tun, es war einfach eine logische Konsequenz, punktum. Etwaige Gefühle zwischen ihnen beiden hatte er bei dieser Entscheidung außen vor gelassen, ebenso wie er sie immer noch ignorierte, wenn es um den Fall an sich ging.
Seine Sorge jetzt bestand schlicht darin, daß Vashtu sich verquatschte und Dinge preisgab, die ungesagt bleiben mußten. Daß sie innerhalb des IOA als Schwachstelle galt, hatte er in den letzten Tagen herausfinden müssen. Bisher hatte er zwar keinen direkten Hinweis, woher diese Einschätzung stammen mochte und wieso sie ausgesprochen worden war, aber er tat, was er tun mußte, um weiterhin die Erde vor unbequemen Wissen zu schützen, auf das sie nicht vorbereitet war. Und leider gehörte das Stargate-Programm noch immer zu den Geheimnissen, die besser unerwähnt blieben.
Dummerweise war Vashtu aber nun einmal ein nicht gerade geringer Anteil an diesem Geheimnis, und vielleicht begriff sie nicht so ganz, warum sie der Bevölkerung dieses Planeten gegenüber schweigen mußte. Also mußte er als derjenige, der sie ins Team geholt hatte, dafür Sorge tragen, daß sie weiterhin schwieg.
Keine Liebe, wenn überhaupt, dann vielleicht ein bißchen Schwärmerei, entschied er. Immerhin war die Antikerin hübsch. Schlank, richtig proportioniert mit langen Beinen, schmalen Hüften und kleinen Brüsten. Vielleicht mochte dem einen oder anderen ihr Hals ein bißchen lang erscheinen, er fand ihn genau richtig. Und ihr Gesicht mit der eigentümlichen Nase, den schönen Lippen, den hoch angesetzten Wangenknochen und den großen, dunkelbraunen Augen war einfach ... Nun ja, die Frisur, die sie jetzt trug, war gewöhnungsbedürftig, vor allem (das war ihm tatsächlich erst vorm Spiegel richtig aufgegangen), da sie die weibliche Variante seiner eigenen war. Dennoch aber mußte er auch zugeben, der wilde Struwwelkopf stand ihr und verlieh ihr etwas spitzbübisches. Es ließ sie jünger und irgendwie wilder wirken.
„Ich denke, Sie wurden darüber aufgeklärt, daß Sie es hier möglicherweise mit Dingen zu tun haben, für die Ihre Sicherheitseinstufung nicht ausreicht."
Endlich drang Vashtus Stimme wieder zu ihm durch. John wurde erst jetzt klar, wie tief er sich in seinen Gedanken verheddert hatte auf der Suche nach einer logischen Antwort auf das, was diese böse kleine Stimme da immer noch so vehement behauptete über ihn und die Antikerin. Er fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg und senkte schnell den Kopf - ein fruchtloses Unterfangen, immerhin war er mit Abstand der größte im Raum.
Diese Catherine Willows beobachtete ihn, ging ihm auf, während ihm jetzt plötzlich kalt wurde. Ein kleines, wissendes Lächeln umspielte ihre Lippen. Um ehrlich zu sein, sie schien sich geradezu köstlich zu amüsieren.
„Leider fallen die Iratus-Käfer nun einmal unter präsentiale Sicherheitsstufe", fuhr Vashtus Stimme fort. „Also, lassen Sie sich in den Senat von Nevada wählen und kandidieren Sie für das höchste Amt in diesem Land, dann können wir uns gern weiter unterhalten."
„Wir haben die Air Force um Hilfe gebeten und man hat sie uns zugebilligt. Jetzt reden Sie sich plötzlich heraus, sowohl was Ihre Person angeht wie auch wenn es diese Insekten betrifft. Miss Uruhk, ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich kann nur die Beweise für sich sprechen lassen. Aber wenn ich diese Beweise nicht logisch erklären kann, kann ich dem Sheriff keinen Bericht abliefern." Grissom schüttelte mit toternster Miene den Kopf. „Tut mir leid, aber ich muß auf einer Antwort bestehen. Haben diese ... Iratus-Käfer die Minneons getötet?"
Vashtu warf John einen hilfesuchenden Blick zu.
Ja, wenn es denn wirklich so einfach wäre ...
Aber, war es dann denn nicht?
John ging auf, daß ihn dieser Fall im Moment nicht wirklich interessierte. Er hatte eigene Fragen, die er unbedingt geklärt haben wollte. Die Frage war nur, wie er sie stellen sollte? Normalerweise lag ihm ein solches Vorgehen nicht.
„Es tut mir leid, aber ich fürchte, Ihre Sicherheitsstufe reicht dafür nicht aus. Wir müssen Sie möglicherweise sogar bitten, uns das lebende Exemplar sowie die Überreste des anderen auszuhändigen. Jedenfalls haben wir unseren Vorgesetzten diesbezüglich Bericht erstattet", antwortete die Antikerin endlich, nachdem er auch weiterhin schwieg. „Die Entscheidung darüber ist bisher noch nicht gefallen."
„Dann geben Sie also zu, daß diese eigenartigen Insekten das Ergebnis einer genetischen Zucht sind?" bohrte Willows weiter.
„Sind wir das am Ende nicht alle?" warf John ein. Endlich hatte er sich und seine Gedanken wieder halbwegs im Griff. „Tut mir leid, aber ich muß Miss Uruhk recht geben, Sir. Was die Insekten an sich betrifft ... soweit wir wissen, sind sie eine natürlich vorkommende, wenn auch sehr seltene Art, die erst vor kurzem entdeckt wurde."
„Und warum weiß dann Ihre Miss Uruhk so offensichtlich viel über diese Neuentdeckung?" warf Willows ein.
Das war ein gewisser Knackpunkt des ganzen, an den er nicht gedacht hatte.
„Weil diese Insekten in meiner Heimat seit Jahrhunderten bekannt sind", antwortete Vashtu. „Allerdings hat sich niemand von uns wirklich getraut, sie näher zu erforschen. Das wird erst versucht, seit die Vereinigten Staaten mit von der Partie sind."
„Und woher stammen Sie? Afghanistan? Irak? Die Fauna in beiden Ländern ist bestens beschrieben. Da gibt es keine Überraschungen mehr", entgegnete Grissom prompt
„Werden nicht jedes Jahr hunderte neuer Arten entdeckt?" warf John ein, froh, daß er sich an einen entsprechenden Artikel erinnerte, den er irgendwann einmal in einer Zeitschrift gelesen hatte.
„Aber keine dieser Größe!"
„Geht es darum? Weil der Iratus zu groß ist für Ihren Geschmack?" fragte Vashtu mit großen Augen.
„Mir geht es erst einmal darum, die Wahrheit herauszufinden, Miss Uruhk", wandte der CSI-Ermittler sich wieder an sie. „Ich habe Ihre Akte gelesen, zumindest die Teile, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Daß bei jemandem allerdings Geburtsdatum und -ort als streng geheim eingestuft werden ist mir noch nicht untergekommen. Ebensowenig wie Ihr Mauern, sobald die Sprache auf die einfache Frage kommt, ob diese Iratus-Käfer für den Tod der Minneons verantwortlich sind oder nicht."
John sah fragend zu Vashtu und hob überrascht die Brauen.
Er war eigentlich davon ausgegangen, daß man ihr eine vorgefertigte Persönlichkeit aufs Auge drücken würde, inklusive einem fiktiven Geburtsdatum und irgendeinem Ort, zu dem zumindest ihr Akzent halbwegs passen würde.
Das allerdings würde ein Problem werden, ging ihm auf. Er zumindest kannte keinen Ort, dessen Bewohner so sprachen wie Vashtu es tat. Mit viel Glück vielleicht irgendein Land mit lateinischen Wurzeln wie etwa Italien. Allerdings paßte das auch wieder nicht so ganz, wenn er sich an die kurze Zeit erinnerte, die er in Neapel verbracht hatte.
Vashtu seufzte, erwiderte seinen fragenden Blick, schoß ihrerseits eine Frage ab.
Durften sie das? Würden sie sich damit nicht zu weit vorwagen?
John zögerte.
Er war nicht der Verantwortliche ihrer kleinen Gruppe, den Part hatte Mitchell inne. Der allerdings fehlte in diesem Verhör, aus welchem Grund auch immer. Und da eigentlich nur noch er zum Team gehörte, oblag ihm die Entscheidung.
John biß sich auf die Lippen, dann aber nickte er leise.
Daß die Iratus für den Tod der Minneons verantwortlich waren konnten sie dem CSI ruhig zugestehen, fand er. Wie sie es getan hatten, das allerdings durften sie nicht verraten.
„Ja." Die Antikerin nickte nun ihrerseits. „Die Iratus sind für das Sterben verantwortlich. Es dürften alle drei, Mrs. Minneon, Dr. Minneon und auch der Hund, von den Insekten getötet worden sein, soweit wir das sagen können. Aber fragen Sie mich nicht wie, darauf darf ich nicht antworten."
Grissom tauschte nun seinerseits einen Blick mit Willows. Er schien noch immer nicht glücklich, kein Wunder, immerhin erhielt er hier nur eine Halbwahrheit, aber zumindest nicht mehr wütend wie zu Beginn des Verhörs.
„Also gut", sagte er dann. „Sie haben uns weiter geholfen, wenn auch zugegeben nicht sehr. Allerdings wird wohl über diese neue Art nicht das letzte Wort gesprochen worden sein. Catherine?"
Willows lächelte beiden freundlich zu, ehe sie Grissom aus dem Raum hinaus folgte. Zurück blieben John und Vashtu, die beide sichtlich aufatmeten.

***

Die beiden CSI-Ermittler schwiegen, bis sie in ihrem Wagen saßen und wieder zurückfuhren nach Las Vegas.
Erst als sie auch den letzten Kontrollpunkt der geheimen Militäranlage verlassen hatten nickte Grissom nachdenklich und sagte: „Wer nie geliebt in seinem Leben, der weiß nicht, wie nahe Glück und Schmerz zusammenstehen."
Catherine schmunzelte. „Ist dir also auch nicht entgangen, wie die beiden miteinander umgehen. Ja, sie müssen sich sehr lieben."
„Aber sie haben es sich selbst noch nicht eingestanden - alle beide nicht." Grissom seufzte. Merkwürdigerweise tauchte vor seinem inneren Auge das Gesicht von Lady Heather auf, als er an das eigenartige Paar dachte, mit dem er es gerade zu tun gehabt hatte.

TBC ...

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