17.12.2009

Die geheime Stadt (Teil 1) II

„Wie es aussieht, hat Miss Uruhk sich geirrt", erklärte Jackson gerade. „Es handelt sich offenbar nicht, wie Sie angenommen hat, um einen Hauptrechner. Aber irgendetwas anderes ist in dieser Nebenhöhle."
Rauschen folgte.
Vashtu lehnte an dem Schreibtisch und grübelte weiter vor sich hin, spielte dabei gedankenverloren mit der Kette um ihrem Hals. Sie sah sich in dem kleinen Büro von Dr. Fischer um.
Der Raum war in die Eishöhle hineingegraben, wie alles hier. Es war etwas kühl, doch keineswegs kalt. In ihrer wärmenden Kleidung jedenfalls nicht.
„Was sagen Sie dazu, Vashtu?" erklang endlich die Stimme von General O'Neill.
Die Antikerin richtete sich auf. „Es ist kein herkömmlicher Hauptrechner, Sir, das kann ich bestätigen. Aber etwas, was seine Leistung übernimmt."
„Mh ..." Wieder Rauschen.
Vashtu seufzte. „Sir, dieses ... dieser Computer ist eigenartig. Als ich auf dem Stuhl saß, hatte ich nicht vollen Zugriff auf alles. Es gibt da eine Menge gesperrter Bereiche. Ich denke ..." Sie schloß den Mund und sah zu Jackson hinüber.
Der runzelte die Stirn und kreuzte die Arme vor der Brust. „Die gesperrten Bereiche haben Sie erwähnt. Aber so schnell, wie Sie sich durch die Unterprogramme gewühlt haben, dachte ich, es gäbe keine Hindernisse."
„Für den Hauptzugriff gibt es den auch nicht." Vashtu schüttelte den Kopf und kreuzte die Arme vor der Brust. „Aber ... es ist eigenartig."
„Was ist eigenartig?" ließ sich jetzt wieder O'Neill vernehmen.
Vashtu knabberte an ihrer Unterlippe. „Dieser Rechner, und ein Rechner ist es, er und der Stuhl steuerten gemeinsam diese Außenstation", erklärte sie, „er birgt jede Menge Daten unter merkwürdigen Begriffen. Und gerade auf diese Dateien habe ich keinen Zugriff."
„Was bedeutet?" O'Neill klang ein wenig gelangweilt.
„Es sieht so aus, als sei die Erde mehr als nur ein Außenposten gewesen, Sir."
Jetzt war es heraus, und die Reaktion von Jackson hätte nicht besser in einem Lehrbuch stehen können. Mit großen Augen starrte er sie verdattert an.
„Was?"
Vashtu nickte. „Dieser Rechner ist ein zusätzlicher Speicher - ein gewaltiger Speicher mit gesperrten Daten meines Volkes. Irgendjemand hat sich große Mühe gegeben, diese Daten zu sichern, sonst hätte man niemals den Stuhl hier installiert."
Sie hörte, wie O'Neill Luft holte.
„Aber alles hat bisher darauf hingedeutet, daß die Erde ..." Jackson schloß den Mund und schüttelte stirnrunzelnd den Kopf. „Das ergibt keinen Sinn."
„Der Rechner ist jünger als die in Atlantis", fuhr Vashtu fort. „Wie ich es im Moment sehe, handelt es sich um wissenschaftliche Aufzeichnungen, zumindest deuten die Namen der einzelnen Dateien darauf hin. Aber sie stammen weder von der Erde noch von Atlantis, soviel kann ich sagen. Da gibt es noch etwas."
„Ist das möglich, Daniel?" fragte O'Neill nachdenklich.
Der Wissenschaftler musterte die Antikerin, dann nickte er. „Wir wissen noch sehr wenig über die Antiker. Miss Uruhk kann uns auch nicht sehr viel weiterhelfen mit ihrem Wissen. Wir haben jetzt eine ungefäre Geschichtsschreibung dank ihr, und aus den Aufzeichnungen aus Atlantis geht hervor, daß es noch mindestens eine ähnliche Stadt gegeben hat. Möglich ist es, daß es noch mehr interstellare Raumschiffe wie diese Stadt gab."
„Sie verstehen nicht!" Vashtu richtete sich auf. „Das sind nicht die Aufzeichnungen einer fliegenden Stadt. Es gibt kein Heliopolis, Dr. Jackson, zumindest ..." Sie wischte ihren eigenen Einwand mit einer ungeduldigen Geste aus dem Raum. „Das sind die Daten einer Forschungseinrichtung, einer festen Forschungseinrichtung irgendwo jenseits dessen, was wir bis jetzt gewußt haben. Selbst ich hatte davon keine Ahnung!"
„Was heißt das?" fragte O'Neill alarmiert.
Vashtu biß sich auf die Lippen, nickte dann, als müsse sie sich selbst bestätigen. „Diese Einrichtung war mindestens so geheim wie Ihre AREA 51 oder das SGC, Sir. Davon hatte außerhalb des Rates und einiger Eingeweihter niemand auch nur eine Ahnung! Was immer diese Stadt betraf, es scheint, als wäre es direkt über den Rat gelaufen." Sie atmete tief ein. „Und diese Stadt war offensichtlich weit abgelegen in einer anderen Galaxie, gerade noch erreichbar für die Speicher von Atlantis. Dieser Außenposten wurde errichtet, um die Daten dieser Stadt zu sichern und sie dem Rat zugänglich zu machen - nur dem Rat!"
Wieder atmete O'Neill ein.
„Woher wissen Sie das, wenn Sie keinen Zugang zu den Daten haben?" fragte Jackson irritiert.
„Weil ich es versucht habe und nicht hineinkam, Dr. Jackson", erklärte die Antikerin kühl.
„Und woher kamen diese Daten, von denen Sie sprechen, Vashtu?" erkundigte O'Neill sich.
„Ich konnte die Transmissionen mit dem Stuhl zurückverfolgen", antwortete Vashtu. „Die Übertragungen wurden über Atlantis verstärkt, lagen aber noch weiter entfernt als die Pegasus-Galaxie. Mittels der Sternenkarte meines Volkes habe ich den Standort etwas eingrenzen können. Er liegt definitiv so weit draußen, daß ..."
„Letztes Jahr, kurz nach Ihrer Abreise von Atlantis, wurde an der Grenze der Pegasus-Galaxie ein Schiff Ihres Volkes entdeckt, Miss Uruhk. Die Besatzung befand sich in Stasis, war aber nicht mehr zu retten. Aurora, so der Name. Wissen Sie etwas über dieses Schiff?"
„Aurora?" Vashtu runzelte die Stirn. Dann nickte sie. „Ja, es war ein schwerer Kreuzer, wie Sie heute sagen würden. Allerdings verfügte er noch nicht über einen intergalaktischen Antrieb."
„Die Wraith haben sich in die Daten dieses Schiffes eingeschlichen und wollten die Besatzung zwingen, den Antrieb zu modifizieren", fuhr O'Neill fort. Ein lautes Rascheln, offensichtlich las er gerade den Bericht.
Vashtu holte tief Atem. „Konnte der Kurs dieses Schiffes zurückverfolgt werden, Sir?" Ihre Augen weiteten sich.
„Dr. McKay hat es wohl versucht, ist aber gescheitert."
Vashtu keuchte und stützte sich an dem Schreibtisch ab.
„Was denken Sie?" erkundigte Jackson sich.
„Daß diese Forschungseinrichtung evakuiert werden sollte, das denke ich", sagte die Antikerin, richtete sich wieder auf. „Aber warum ausgerechnet die Aurora? Das Schiff war viel zu langsam."
„Möglicherweise war sie gerade in der Nähe", schlug O'Neill vor.
Vashtu schüttelte den Kopf.
„Oder sie sollte Hilfe leisten und nicht evakuieren", entgegnete Jackson nachdenklich.
„Das wäre möglich. Ich muß an die Daten dieser Stadt heran!" Vashtu richtete sich wieder auf, ihr Gesicht war ernst.
„Colonel Sheppard fand heraus, daß die Aurora etwas an Bord gehabt haben soll. Einen Bericht, eine Schwäche der Wraith betreffend." Etwas schlug hart gegen etwas anderes.
„Eine Schwäche der Wraith?" Vashtu runzelte die Stirn, schüttelte dann aber den Kopf. „Davon weiß ich nichts."
„Dieser Bericht kam niemals an. Als Dr. McKay in den Rechnern der Aurora danach suchte, fand er nichts", berichtete O'Neill weiter. „Miss Uruhk, wissen Sie wirklich nichts von irgendwelchen Forschungen diesbezüglich? Immerhin ... Sie haben im Namen des Rates gegen die Wraith gekämpft. Ihnen hätte man diese Information doch zugestehen müssen."
Ein gequältes Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Nein, davon wußte ich nichts. Und ich bin mir nicht sicher, ob man mir dieses Wissen überhaupt zugestanden hätte. General, für den Rat war ich eine nützliche Waffe, ansonsten aber eine persona non grata. Kam ich zurück in die Stadt, wurde ich wieder in mein Labor gesperrt bis zum nächsten Einsatz."
Sie fühlte Jacksons prüfenden Blick auf sich, stützte sich wieder auf den Schreibtisch und biß sich auf die Lippen.
„Aber Sie denken, diese Informationen könnten sich ebenfalls auf diese geheimnisvolle Stadt beziehen?" bohrte O'Neill weiter.
Vashtu nickte. „Ich bin mir sogar ziemlich sicher. Was ich gefunden habe, worauf mir der Zugriff nicht verweigert wurde, war zwar mager, wies aber eindeutig auf etwas hin, was ... Ich weiß nicht genau, wie ich es erklären soll. Auf jeden Fall wären die Ergebnisse der Forschungen dieser Stadt für Atlantis wichtig, wenn dort tatsächlich an einer Waffe gegen die Wraith gearbeitet wurde."
„Aber eine Stadt, noch dazu eine reine Forschungsanlage der Antiker ... Was mag es dort alles geben?" Jacksons Augen glänzten in einem unirdischen Licht, als sie ihm einen Blick zuwarf. Vashtu runzelte wieder die Stirn.
„Wie sieht es mit ein bißchen Zauberei aus, wie Sie ihn in Atlantis betrieben haben, Vashtu?" erkundigte O'Neill sich. „Dort wurde Ihnen der Zugriff doch auch zunächst verweigert."
„Daran habe ich auch schon gedacht, Sir ..." Vashtu zog den Kristall unter ihrem Thermopullover hervor und musterte ihn genau. „Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob das gelingen wird."
„Versuchen Sie es."
„Sie haben da ... Ist das ein Datenkristall?"
Vashtu nahm sich die Kette ab und hielt den Kristall vor ihr Gesicht. „Ein Steuerkristall, Dr. Jackson. Auf Atlantis habe ich damit uneingeschränkte Rechte. Wie es hier allerdings aussieht, weiß ich noch nicht."
„Dann sollten Sie es herausfinden. Daniel, zunächst einmal habt ihr grünes Licht ... Solange ihr nicht wieder irgendwelche ZPMs entladen wollt für eine Reise durch das Gate."

***

Vashtu schob den Kristall vorsichtig in die kleine Ausbuchtung. Sofort leuchtete er auf. Ein Summen durchzog das Kontrollzentrum und auch die anderen beiden Panels leuchteten auf, die bis jetzt stumm und dunkel gewesen waren.
„Er nimmt ihn an!" Ein leises Triumpfgefühl wollte sie beschleichen. Doch als sie sich umsah, versank es wieder.
„Und jetzt?" Jackson drehte sich um, betrachtete aufmerksam die Wände und die Decke. „Keine Darstellung, kein Bildschirm. Wie sollen wir herausfinden, ob die Daten jetzt tatsächlich frei zugänglich sind?"
Vashtu nagte einen Moment lang an ihrer Unterlippe, dann grinste sie. „Der Kontrollstuhl!" Den Wissenschaftler hinter sich wissend eilte sie zurück in die andere Nebenhöhle und blieb stehen. Der Stuhl wurde plötzlich von oben beleuchtet, von einem hellen, bläulichen Licht.
„Was hat das zu bedeuten?" Jackson beugte sich leicht vor.
„Keine Ahnung." Zögernd trat die Antikerin nun doch näher und streckte ihre Hand aus. Ein Flimmern legte sich sanft auf ihre Haut, ansonsten geschah nichts. „Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich sagen ..."
„Autsch!" Jackson hatte auch das helle Leuchten zu berühren versucht, hielt sich jetzt mit schmerzhaft verzogenem Gesicht die Hand. „Es ist ein Kraftfeld."
Vashtu hob eine Braue, drehte sich dann wieder um und musterte das Licht. „Also habe ich jetzt eine gewisse Freigabe. Das Kraftfeld akzeptiert meine Daten." Sie runzelte die Stirn und zögerte. „Aber ob der Stuhl und die Programme das tun werden ... ?"
„Probieren Sie es schon aus." Jackson kniff die Lippen aufeinander, richtete sich wieder auf. „Ich komme da nicht rein, Sie schon. Also los!"
Vashtu warf ihm einen zweifelnden Blick zu, trat dann aber doch näher an den Stuhl heran. Das Kraftfeld umschloß sie mit einem sanften Glühen. Ansonsten geschah nichts.
Die Antikerin atmete tief ein, dann wandte sie sich dem Stuhl zu, stützte ihre Hände auf den Gelkissen der Lehnen ab und setzte sich wieder. Scharfer Schmerz zuckte durch ihre Linke. Als sie sie hob, sah sie einen Tropfen Blut aus der Handfläche quellen. „Autsch!" Sie schüttelte die Hand aus, versuchte sich vorzubeugen und die Lehne nach einem scharfen Gegenstand zu untersuchen. Dann aber ging ihr auf, was gerade geschehen war.
„Der Stuhl ... Ich muß wohl ein genetisches Profil hinterlassen, wenn ich Zugriffsberechtigung erreichen will."
Jackson auf der anderen Seite des Kraftfeldes nickte. „Probieren Sie, ob Sie jetzt die Programme öffnen können."
Vashtu atmete wieder tief ein und lehnte sich erneut zurück. Das Strahlen des Kraftfeldes dimmte sich herunter, als sie sich konzentrierte, statt dessen erschien wieder die holografische Darstellung des Hauptmenüs. Und sie sah sofort, was sich verändert hatte.
„Sieht gut aus. Wie auf Atlantis scheine ich als ... Mitglied des Rates anerkannt zu werden." Irgendwie empfand sie das als kosmischen Scherz, den Janus sich mit ihr geleistet hatte. Jahrelang hatte sie wichtige Antiker aus den Wraith-Schiffen holen müssen im Namen des Rates, jahrelang hatte man sie eingesperrt und sie am Ende sogar in der versunkenden Stadt zurückgelassen. Nur damit sie zehntausend Jahre später die Rolle eben derer einnahm, die ihr so übel mitgespielt hatten.
„Klappt es?"
Vashtu nickte, konzentrierte sich auf ein Programm, das ihr vorher verwehrt worden war. Diesmal aber leuchtete der Name auf, die Darstellung unter der Höhlendecke änderte sich und zeigte ihr einige Unterdateien.
„Vineta ..." wisperte sie nachdenklich, konzentrierte sich auf die erste und öffnete sie.
Die schematische Darstellung einer Stadt erschien unter der Decke, abgegrenzt in drei Bereiche und geformt wie ein Auge.
„Das ist ... ?"
Vashtu zoomte mittels Gedanken die Darstellung heran. „Die drei Teile der Stadt Vineta", antwortete sie. „die Forschungseinrichtungen liegen im Westen, die militärische Basis im Osten. In der Mitte der Zentralturm und die Wohneinheiten. Moment ..."
Die Darstellung veränderte sich zu einem dreidimensionalen Bild.
„Wow!"
Vashtu nickte.
Was ihr da gezeigt wurde, hatte sie noch nie gesehen. Die Stadt wuchs nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Tiefe. Nach unten war sie fast ebenso groß wie nach oben. Nur daß sich dort ...
„Labore und ..." Sie stockte. „Was?" Verwirrt betrachtete sie die Anzeigen.
„Labore und was?" Jackson drehte sich zu ihr um. „Was meinen Sie?"
Vashtu schluckte, als sie begann zu begreifen. Schnell änderte sie die Anzeige, konzentrierte sich wieder auf die obere Hälfte der Stadt.
Vorsichtig ließ die die Darstellung an den Hauptkomplex heranzoomen, drang in den Zentralturm ein. Er war wesentlich kleiner als der von Atlantis, aber dennoch architektonisch relativ gleich und ebenfalls recht zentral gelegen, wenn auch nicht vollständig in der Mitte.
„Es gibt ein Sternentor!"
Die innere Darstellung des Zentralturms enthüllte weitere Ähnlichkeiten zu Atlantis. Doch da, wo in der ehemals versunkenen Stadt ein Jumperhangar gewesen war, war nichts als ein großes Tor nach draußen.
„Was hat das zu bedeuten? Was ist das?" Jackson reckte sich. „Das ist unglaublich!"
„Die Baupläne, Doc. Jedes Detail ist festgehalten worden. Vineta muß schon von vorn herein als geheime Basis vom Rat angelegt worden sein."
Sie verließ die innere Darstellung, folgte dem Verlauf nach links und kam bei etwas eigenartigem an.
„Eine Pyramide?" Jackson klang ungläubig. „Sind Sie sicher, daß diese Stadt von Ihren Vorfahren stammt?"
Vashtu ließ die innere Struktur aufleuchten und blinzelte ungläubig. „Ein Jumperhangar! Die Pyramide ist ein Jumperhangar. Aber warum außerhalb des zentralen Turms?"
Sie konzentrierte sich auf das Äußere und erstarrte. „Das gibt es doch nicht!"
„Die Stadt ... Vineta? ... Sie liegt ..."
„Sie befindet sich unterirdisch in einem Höhlensystem." Vashtu schüttelte ungläubig den Kopf und wechselte einen Blick mit Jackson.
„Das Sternentor", sagte dieser.
Sie nickte, konzentrierte sich wieder darauf und rief die Daten ab. Dann aber stutzte sie wieder. „Es ist nicht intergalaktisch!"
„Aber wie ... Sie sagten doch, es gab zumindest einen Datenaustausch zwischen ... wie sagten Sie, heißt die Stadt?"
„Vineta. Die Stadt hieß Vineta." Vashtu runzelte die Stirn. „So steht es zumindest in den Protokollen. Aber ich verstehe nicht, wie sie je in Kontakt mit Atlantis oder der Erde treten konnten."
Sie verließ das Programm, rief ein anderes auf und las sehr aufmerksam die dortigen Daten.
„Was steht da?"
Ungeduldig schüttelte sie den Kopf und las weiter. Ihre Verwirrung steigerte sich noch. „Das verstehe ich nicht", murmelte sie schließlich.
„Was?"
„Es gibt nicht ein intergalaktisches Sternentor in dieser Galaxis. Dennoch aber hatten sie Kontakt zumindest nach Atlantis. Es muß etwas ähnliches wie eine GateBridge gegeben haben. Aber ..." Sie scrollte den Text weiter hinunter. „... aber die Wraith haben es zerstört. Was ... ?" Wieder stockte sie und atmete tief ein. „Die Aurora wurde tatsächlich nach Vineta geschickt, Doc. Sie sollte die neuesten Ergebnisse holen. Es hieß ..." Sie atmete tief ein, murmelte dann etwas in ihrer Muttersprache. „Sie haben etwas erschaffen, im Namen des Rates! Etwas ... etwas unvorstellbares?" Sie verstummte.
Der Rest des Beriches fehlte. Es hatte irgendeine Störung in der Übermittlung gegeben.
Sie öffnete eine andere Datei, las auch diese aufmerksam. „Das gibt es doch alles nicht!" entfuhr es ihr. Immer wieder schüttelte sie ungläubig den Kopf.
„Machen Sie langsamer, Miss Uruhk. Ich komme nicht mehr mit." Jacksons Stimme klang ungeduldig.
Vashtu las weiter, erhielt einen Link zu Forschungsergebnissen und öffnete diesen.
„Genetik ..." Sie runzelte die Stirn.
„Was?"
„Es wurden genetische Experimente durchgeführt. General O'Neill hatte recht mit dem Bericht. Vineta forschte im Namen des Rates nach etwas, was sie gegen die Wraith anwenden konnten", faßte Vashtu zusammen, was sie las.
„Aber wieso? Es gab doch mehr als genug Forschungen in und um Atlantis zu diesem Thema?" fragte Jackson verwirrt.
„Gute Frage ..." Wieder eine andere Datei, die sie öffnete, nachdem das Programm auf ihre Gedanken reagiert hatte.
„Der Rat ... ?" Wieder runzelte sie die Stirn.
So wie sie es interpretierte, hatte der Rat auf Atlantis tatsächlich vorsätzlich die Forschungen vor Ort unterbunden, die Ergebnisse aber nach Vineta weitergeleitet. Aber warum?
Vashtu schüttelte den Kopf und blinzelte.
Warum sollte der Rat die Forschungen im wesentlich näher gelegenen Atlantis untersagen, um sie dann in einer fernen Galaxie doch weiter fortzuführen? Warum wurden die Wissenschaftler der Lantianer in ihren Rechten beschnitten und die in der Ferne mit eben deren Ergebnissen überschüttet. Das ergab keinen Sinn für sie.
„Moment!"
Wieder eine neue Datei. Sie stutzte. Hatte es da nicht einen Zwischenfall auf Atlantis gegeben?
Sie holte tief Atem.
„Oh nein!" entfuhr es Jackson neben ihr und riß sie damit aus ihren Überlegungen.
Die Forschungen an einem künstlichen Virus. Mittels Nanotechnologie sollte etwas erschaffen werden, das ... Menschen tötete! Den Wraith sollte damit die Nahrung entzogen und sie ausgehungert werden.
Vashtu schloß die Augen. „Das kann nicht sein!" stöhnte sie auf.
Einen Moment lang war sie tatsächlich versucht, sofort den Kontrollstuhl zu verlassen. Doch dann riß sie sich wieder zusammen und las weiter.
Wie paßte das alles zusammen? Wieso hatte der Rat, der alle Forschungen nach und nach unterband, die vielleicht ein Mittel gegen die Wraith gefunden hätte, eine ganze Stadt unterhalten und dort unaussprechliche Forschungen genehmigt? Wieso Zuchtfarmen? Was für Zuchtfarmen?
Sie richtete ihre Aufmerksamkeit darauf und wühlte sich durch andere Daten. Und was sie las ...
Forschungen, unmenschliche Forschungen! Die Wissenschaftler von Vineta hatten, wieder im Auftrag des Rates, an etwas gearbeitet, einem Hybridwesen. Einem Wesen, künstlich gezüchtet mit veränderten Genen.
Vashtu schluckte hart. Ihre eigenen Forschungsergebnisse standen da zu lesen. Die Gentherapie, der sie sich selbst unterzogen hatte, nachdem sie die Fehler fand, die Enkil das Leben kosteten.
Der Rat hatte sie ... wieder einmal! ... benutzt! Man hatte sie eingesperrt, sie auf Selbstmordmissionen geschickt, um wichtige Persönlichkeiten zu retten.
Und ihre Forschungen, ihre Blutproben, die Aufzeichnungen vom Verlauf der Therapie und ihrer Wirkung auf sie - all das war nach Vineta gegangen und dort ... pervertiert worden!
Vashtu schüttelte den Kopf, als sie weiterlas. Sie konnte einfach nicht glauben, was dort stand. Das war einfach unmöglich!
Und doch flimmerte es ihr von der Decke der Eishöhle entgegen. Vineta hatte die Forschungen, ihre Forschungen!, weitergeführt. Sie hatten mit den Genen herumgespielt. Mit den Genen von ... Sie sog scharf Luft in ihre Lungen.
Spinnen?
Allmählich verstand sie gar nichts mehr. Was hatten Spinnen mit den Wraith zu tun? Warum sollte irgendjemand ... ?
Ihr Atem stockte, als sie die letzten Einträge las.
Die Wissenschaftler von Vineta hatten, wie die Menschen sagen würden, Gott gespielt und mit etwas experimentiert, was sie nicht beherrschen konnten. Sie hatten eine neue Rasse geschaffen. Eine Rasse, die sich gegen ihre Schöpfer auflehnte.
Vineta war nie verlassen worden!
Devi ...
Vashtu schloß die Augen.
Nein, das konnte nicht sein! Das durfte einfach nicht sein.
Durch ihre Forschungsergebnisse waren die Wissenschaftler in Vineta fündig geworden. Endlich war etwas entstanden, endlich war es geglückt. Ein intelligentes Wesen war entstanden, bald darauf mehr. Und diese Wesen, vernunftbegabt und zusätzlich gestärkt durch die Gene absolut fremder Rassen, hatten sich gegen ihre Schöpfer aufgelehnt und die Stadt vernichtet. Durch ihre Schuld waren tausende von Antikern umgekommen. Durch ihre Schuld war es zu einer Katastrophe gekommen, die sie nie auch nur in Erwägung gezogen hatte. Der Rat hatte ihre Ergebnisse nach Vineta weitergeleitet, und die Wissenschaftler dort hatten in ihren Unterlagen die Lösungen für ihre eigenen Probleme gefunden und damit einen Holokaust in dieser unvorstellbar weit entfernten Galaxie ausgelöst.
Vashtu stöhnte leise.
„Was ist los? Sie sehen plötzlich so blaß aus?"
Die Antikerin schluckte, schüttelte dann den Kopf und ließ den Stuhl zurückfahren in seine Ausgangsposition. „Wir sollten nicht weiter daran rühren, Dr. Jackson. Das ist ... Da ist etwas passiert, womit niemand gerechnet hat."
Jackson musterte sie noch immer forschend, sie konnte seinen Blick auf sich spüren.
Tief atmete sie ein, erhob sich dann.
Sie würde das nicht weiter verfolgen. Ihretwegen konnten die Speichermedien zerstört werden. Sie wollte nichts mehr von dieser Stadt wissen. Was auch immer da geschehen war, es war zu einem großen Teil ihre Schuld gewesen. Hätte sie die Gentherapie nicht verfeinert und die Fehler ausgemerzt, nie hätte Vineta das Desaster erlebt, was es nun aber hinter sich hatte. Niemals wären die Wissenschaftler dort soweit gekommen, nie hätte es diesen Massenmord gegeben.
Sie konnte nur hoffen, daß die letzten Überlebenden so klug gewesen waren, das Sternentor irgendwie zu zerstören oder zumindest untauglich zu machen. Und daß die Devi, diese künstlichen Hybridwesen, die dank ihr geschaffen worden waren, inzwischen ausgestorben waren und niemals wieder auferstehen würden.
„Sie sind erschöpft." Plötzlich klang Jacksons Stimme mitfühlend. Ein Klang, den sie sich gegenüber bei ihm noch nie wahrgenommen hatte.
Sie hob den Kopf und starrte ihn an. „Wir sollten das nicht weiter verfolgen, Doc. Vineta ist zerstört worden, von etwas ... von etwas, was sich gegen die Stadt gerichtet hat. Es gab keine Informationen über eine Schwäche der Wraith."
„Sicher?"
Sie hatte den Namen ihres Vaters auf einer Liste gefunden. Er war in Vineta, während sie in Atlantis in ihrem Labor eingesperrt gewesen war. Er war nicht mehr dort gewesen, als der Holokaust begann, sondern ...
Vashtu barg das Gesicht in ihren Händen und schüttelte den Kopf.
Das war zuviel! Das war viel zuviel!

***

„Was soll das heißen, sie weigert sich, die Daten noch einmal aufzurufen?" O'Neills Stimme klang verwirrt. „Daniel, was habt ihr da gefunden?"
Jackson zögerte, dann zuckte er mit den Schultern. „Ich habe keine Ahnung, Jack. So schnell wie sie sich durch die Daten gefressen hat, hatte ich keine Chance, mehr als einzelne Bruchstücke zu verstehen. Und was sie gesagt hat ..."
„Wo ist sie?"
„Mit den Piloten von McMurdo unterwegs." Jackson kniff die Lippen zusammen. „Jack, du hättest das sehen sollen! Diese Frau hat ..."
„Ich habe durchaus eine Vorstellung von dem, was Vashtu tun kann, Daniel. Meinst du, sie hält Informationen zurück?"
Der Wissenschaftler war sich da ziemlich sicher. Aber er hatte auch gesehen, wie es der
Antikerin plötzlich zugesetzt hatte, was sie über diese eigenartige Stadt gelesen hatte. Plötzlich hatte sie wirklich gewirkt, als wäre sie zehntausend Jahre alt.
„Daniel?" O'Neill klang ungeduldig.
„Ich ..." Zum ersten Mal hatten er und Vashtu Uruhk richtig zusammengearbeitet. Und was auch immer sie mehr wußte als er, es hatte sie sehr erschreckt und noch mehr zugesetzt. Diese Reaktion von einer Frau, die über Jahre eingesperrt gewesen war während der letzten Zeit, in der ihr Volk noch in Atlantis lebte, erschreckte auch ihn.
„Hält sie etwas zurück?"
„Nein! Nein, sie hat alles gesagt, was sie herausfinden konnte." Jackson schüttelte den Kopf.
„Habt ihr herausfinden können, wo dieses Dingsda liegt?"
Sie hatte sich nicht dazu geäußert. Er wußte wirklich nicht, ob sie die Lage der Stadt herausgefunden hatte, doch er nahm es nicht an, zumindest nicht eindeutig. Soweit er mitgelesen hatte, war nirgends eine Gate-Adresse gespeichert oder der Name der Galaxie genannt worden, in dem die unterirdische Stadt gelegen hatte.
„Vineta, Jack, die Stadt hieß Vineta." Jackson seufzte. Eine Allegorie, wieder einmal. Und wie in der irdischen Sage schienen sich die Einwohner dieser Stadt Vineta einen sehr mächtigen Feind geschaffen zu haben. Einen wirklich sehr mächtigen Feind, wenn er die Reaktion der Antikerin bedachte.
„Dann eben Vineta. Wißt ihr, wo es gelegen hat?"
„Nein. Es gibt keine Gate-Adresse. Wenn überhaupt, haben wir mit viel Glück vielleicht eine Chance von Atlantis aus, weil die Daten von dort hierher übertragen wurden. Aber ich würde mich nicht darauf verlassen, wenn ich bedenke, wie sehr der Rat offensichtlich darauf bedacht gewesen ist, Vineta geheim zu halten. Ganz davon abgesehen, daß sie sehr wahrscheinlich weit außerhalb der Reichweite unseres Sternentores liegt. Vergessen wir es, Jack."
„Und Vashtu sagt, es gibt keine Schwachstelle?"
„Genau das hat sie gesagt."
Warum beschlich ihn bei diesen Worten nur ein so ungutes Gefühl?
„Bist du sicher? Ich erinnere mich da noch ..."
„Ich bin mir nicht sicher, aber ich habe Miss Uruhk gesehen", fiel Jackson seinem ehemaligen Teamleader ins Wort. „Und wenn du sie gesehen hättest, würdest du auch von weiteren Forschungen Abstand nehmen. Ich weiß auch, daß wir möglicherweise eine einmalige Chance verwerfen, aber uns bleibt keine andere Wahl. Ich kann sie nicht auf diesen Stuhl zwingen, ganz abgesehen davon, daß sie den Steuerkristall wieder an sich genommen hat. Sie wird keine weiteren verschlüsselten Daten mehr über Vineta öffnen, das ist sicher!"
„Aber möglicherweise ..." O'Neill schwieg plötzlich nachdenklich.
„Ja, möglicherweise, wie ich schon sagte. Aber ... Oh Mann, Jack! Du hast ja keine Ahnung! Wenn du gesehen hättest, was ich gesehen habe. Die gesamten Baupläne dieser Stadt sind in den externen Speichern. Sie liegt irgendwo unter der Erde, in einer entfernten Galaxis. Und damit könnte sie vielleicht ..." Er stockte, als er selbst bemerkte, wohin seine Gedanken glitten.
„Du willst also doch hin." O'Neill klang nachdenklich.
Jackson schüttelte den Kopf. „Nein, nicht nach dem, was ich habe entziffern können. Und es wäre besser, wenn wir Vineta ganz schnell aus unserem Gedächtnis streichen. Selbst wenn wir dort eine Waffe gegen die Ori finden würden, wir würden vielleicht auf etwas anderes treffen. Etwas, das die Antiker aus der Stadt vertrieben hat."
„Wraith?"
„Ich habe gegen Ende der Sitzung mehrfach den Namen Devi gelesen. Und nach dem, was da stand ... sind die Wraith noch harmlos."
„Also hast du doch mehr entziffern können!" O'Neill triumphierte.
„Ein wenig auf die Schnelle." Jackson sah sich in dem Büro des Leiters von McMurdo um, kreuzte dann die Arme vor der Brust. „Lassen wir es. Das wäre zuviel für uns. Und Atlantis sollten wir ebenfalls warnen. Wenn diese Devi noch leben sollten, wollen die sich bestimmt nicht mit ihnen anlegen, glaube es mir."
O'Neill seufzte. „Wie du meinst, Daniel. Aber ich behalte mir einen Einspruch immer noch vor."

***

Vashtu trat aus dem Aufzug, schaltete den Generator ein und sah sich aufmerksam um. Dann ging sie langsam in die Seitenhöhle, in der der Kontrollstuhl stand, und noch weiter. An ihrem Ziel angekommen steckte sie den Steuerkristall wieder in die Höhlung, dann kehrte sie zurück und ließ sich auf dem Antikerstuhl nieder.
Sie atmete tief ein, konzentrierte sich und begann zu lesen.

ENDE Teil 1

2 Kommentare:

  1. wow die haben in diesem Kapitel ja ganz schön viel herausgefunden. naja...zumindest vashtu, daniel konnte ja nicht so schnell mitlesen ^^
    ich finde, du hast das mit der aurora recht logisch mit eingebaut und ich habe das jetzt so verstanden, dass die devi etwas mit dem schwachpunkt der wraith zu tun haben.
    auf jedenfall stammen die infos über den schwachpunkt der wraith, die die aurora an bord hatte und die ja leider glöscht wurden scheinbar von vineta.
    wer weiß, wär der wraith nicht gewesen, dann hätten die vielleicht schon viel eher von vineta erfahren.
    der letze absatz hat mich dann doch etwas überrascht. vashtu hat sich ja eigentlich gesträut, noch mehr darüber herauszufinden und nachzuforschen und nun hat sie sich heimlich wies ausschaut auf den stuhl gesetzt um noch mehr über vineta zu erfahren.
    mal sehen wie es dazu kommt dann doch noch den aufenthaltsort von vineta herauszufinden.
    LG Sabrina

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  2. Sagen wir, ich war damit beschäftigt, Vashtu Schuldgefühle einzuprügeln, deshalb geht sie heimlich noch einmal zurück. Sie sucht nicht wirklich Daten über die Stadt, sondern über die Devi, für deren Existenz sie sich verantwortlich fühlt.
    Und mit der Aurora hast du alles richtig verstanden. Die war auf dem Weg von Vineta nach Atlantis, um dort Meldung zu machen. Ob die Devi wirklich die "Schwachstelle" sind ... ehrlich gesagt (auch wenn ich jetzt spoilere), so wie ich sie mittlerweile kennengelernt habe bezweifle ich, ob sie sich wirklich hätten als Waffe einsetzen lassen.

    Der Weg bis nach Vineta ist noch ... 12 Geschichten lang. Und in denen passiert noch einiges *flöt*. Freut mich jedenfalls, daß es dir gefallen hat.

    Bis denne
    Ramona

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