05.05.2010

Erdgebunden VI

"Was sollte das?" Mackenzie knallte lautstark die Tür hinter sich zu und baute sich vor der Antikerin auf. „Was fällt Ihnen eigentlich ein, soetwas auch nur zu versuchen, Major? Ich dachte, wir beide seien endlich auf dem richtigen Weg, aber inzwischen zweifle ich wirklich, ob Sie mir nicht ebenfalls Märchen erzählt haben, wie bereits Dr. Finnigan vor mir!" Er schmiß ihr einen Stapel Fotos zu.
Vashtu erstarrte, als sie einige Gesichter darauf ausmachen konnte. Gesichter von Menschen, an denen sich Wraith genährt hatten. Erschaudernd wandte sie sich ab.
Der Wind war ihr gründlich aus den Segeln genommen worden.
Mackenzie beobachtete ihre Reaktion genau - und fand sich plötzlich bestätigt. Er trat ans Fußende ihres Bettes und lehnte sich schwer auf den Metallrahmen.
"Wissen Sie was, Major? Wissen Sie, zu was ich wirklich Lust hätte? Sie in die geschlossene Abteilung zu verlegen und den Schlüssel zu ihrer Gummizelle wegzuwerfen! Genau dazu wäre ich jetzt in der Stimmung!" wütete er weiter.
Wieder ein deutlicher Schauder, das Blut wich ihr aus dem Gesicht. Voller Trotz hob sie jetzt aber den Kopf.
"Sie halten mich hier gegen meinen Willen fest!" Ihre Stimme bebte leise bei diesen Worten. Die Wut schien im Moment mehr als nur verraucht zu sein.
Mackenzie starrte sie an, so wie sie es mit ihm versucht hatte in der Lobby. Doch er hatte wesentlich mehr Erfolg. Sie verstummte und senkte den Kopf wieder. Doch er sah noch ihre verzweifelte Miene.
Er nickte, wies auf die Fotos. „Sehen Sie sich die nur sehr gut an, Major! Sehen Sie sie sich genau an, dann wird Ihnen vielleicht das eine oder andere Gesicht bekannt vorkommen."
Verwirrt warf sie wieder einen Blick auf die Fotos, nur kurz, dann drehte sie den Kopf zurück und schluckte hart.
"Ja, genau. Sie wurden gesehen, Major! Sie wurden gesehen, als Sie in Atlantis waren. Nur schenkte den Berichten niemand so recht Glauben damals. Sie kamen aus Ihrem Labor heraus und sind einigen Leuten zur Hilfe gekommen." Er zog einen zweiten Satz Fotos hervor und warf sie ihr aufs Bett.
Sie zuckte zusammen, als hätte er sie geschlagen, und wußte nun endgültig nicht mehr, in welche Richtung sie sehen sollte, eingekeilt zwischen den Fotos, auf der einen Seite tote Wraith, auf der anderen ihre noch lebenden Opfer. Er sah, wie sie nervös wurde.
"Sie lügen, wenn Sie den Mund aufmachen, Major. Kein Wunder, daß Ihr eigenes Volk sich gegen Sie wandte. Wahrscheinlich haben Sie sich wirklich an einigen Ihrer Art genährt, um genug Kraft zu haben, nicht wahr?" warf Mackenzie ihr vor.
Mit einem Ruck hob sie den Kopf. „NEIN! Das habe ich nie getan! NIEMALS!" Ihre Stimme brach ab, ihre Lippen bebten.
Endlich!
Mackenzie starrte sie immer noch an, und jetzt erwiderte sie seinen Blick.
"Ja, ich kam aus dem Labor heraus, aber erst während der Belagerung. Einige Wraith dachten wohl, sie würden etwas wichtiges finden und brachen die Verbindungstür zu meinem Bereich auf", begann sie endlich zu erzählen. „Ich wußte, was los war. Ich wußte es von Anfang an! Aber ich ... ich hatte Angst, mich zu zeigen. Ich hatte die Gene nicht richtig unter Kontrolle. Erst nach der Belagerung ging es wieder." Sie holte tief und schluchzend Atem. „Ich tötete die Wraith, die in meinen Bereich eingedrungen waren und suchte sie gezielt. Ja, ich habe einige der Expedition damals gerettet, ich habe sogar an einer der Flags gestanden für kurze Zeit, als diese nicht besetzt war. Aber ich konnte nicht ... ich konnte mich nicht zeigen, nicht so! Sie hätten mich ..." Sie schlug die Hände vor das Gesicht.
"Und warum sind Sie nicht kurz darauf, als Sie sich wieder im Griff hatten, aufgetaucht? Warum dieses ganze Versteckspiel über einige Monate, nachdem Sie doch freien Zugang zu allem hatten? Was wollten Sie denn noch?"
Sie ließ die Hände wieder sinken, sie zitterten. „Ich wollte ... ich wollte leben", flüsterte sie tonlos. „Ich schlich nachts durch die Gänge, ich beobachtete die Expedition und ..." Sie brach ab und holte wieder tief Atem. „Die Stasiskammer weckte mich, als Colonel Sheppard den Hauptrechner ... Ich wollte ... ich dachte ..."
"Sie hatten sich von Anfang an in ihn verliebt." Mackenzies Stimme wurde etwas weicher, doch noch immer ließ er einen Vorwurf mit hineinschwingen in seine Worte.
Sie nickte stumm und preßte die zitternden Lippen aufeinander.
"Und was war vor zehntausend Jahren? Was war mit dem Rat?"
Sie schluckte wieder, zog die Schultern hilflos hoch. „Ich weiß es nicht."
Das tat sie wirklich nicht, wurde ihm klar. Sie war zu unerfahren gewesen, um wirklich begreifen zu können, was ihr geschah, nachdem der Rat sie als sein Werkzeug zu mißbrauchen begann. Wahrscheinlich hatte sie wirklich lange Zeit angenommen, irgendwann aus ihrem Gefängnis entlassen zu werden, wenn sie nur genug Schaden bei den Wraith anrichtete.
"Dann werde ich es Ihnen sagen - und ich werde Ihnen auch Ihr vordringlichstes Problem nennen: Sie wurden ausgenutzt! Der Rat benutzte Sie für seine Zwecke. Eine billige Waffe, die man einfach wieder verstecken konnte, das waren Sie für den Rat. Und wissen Sie auch, warum der Rat das tat? Weil man Angst vor Ihnen hatte, darum! All das, über mehr als sieben Jahre, zerstörte Ihr Vertrauen in andere. Sie können schlicht nicht mehr, Vashtu, Sie können niemandem mehr bedingungslos trauen. Und das ist Ihr Problem, Ihr wichtigstes Problem! Darum preschen Sie immer vor, darum wollen Sie immer alles selbst machen. Sie vertrauen nur auf sich selbst, und selbst dieses Vertrauen wurde inzwischen gründlich unterminiert, nicht wahr? Anderen geben Sie nur soviel von sich selbst preis, wie Sie glauben, entbehren zu können. Selbst dem Colonel haben Sie nicht mehr als nötig gesagt, habe ich recht?"
Verwirrt sah sie auf. „Warum sollte der Rat Angst vor mir gehabt haben?" fragte sie.
Mackenzie nickte. „Weil Sie anders waren, Major, darum", antwortete er, hob die Hand, als sie zu einer Entgegnung ansetzen wollte. „Sie sind intelligent, und Sie setzen diese Intelligenz auch ein. Sie wollten sich wehren, und Sie haben gelernt, sich zur Wehr zu setzen. Und, auch wenn Sie selbst nicht davon überzeugt sind, Ihre Forschungen waren gut und solide. Mag sein, daß Sie unter einem Konzentrationsproblem gelitten haben, aber das entstand eher, weil Sie nicht ausgefüllt waren mit Ihrer Arbeit. Anders als heute, nicht wahr? Sie waren eine Gefahr für den Rat, eine Gefahr für die Werte, die dort repräsentiert wurden. Aber man konnte Sie auch nicht einfach aus dem Weg schaffen, dazu waren Sie zu wichtig. Also impfte man Ihnen ein Schuldgefühl ein, so tief, daß Sie selbst heute noch darunter leiden, und degradierte Sie zu einer Waffe."
Sie schüttelte den Kopf. „Aber ... aber Janus? Er war doch auch ..." Sie schloß den Mund und runzelte verzweifelt die Stirn.
"Janus, das nächste Thema." Mackenzie beugte sich vor. „Sie wissen es bereits, nicht wahr? Sie wissen, daß auch er Sie benutzt hat. Ihr Freund hatte seine eigenen Pläne, weil er über andere Informationen als Sie verfügte. Und es gelang ihm, Sie so gründlich zu isolieren, daß Sie zehntausend Jahre brauchten, um auch nur ansatzweise seinen Plan zu durchschauen."
Sie schluckte. „Er hat mir geholfen!" stieß sie hervor.
"Letztendlich ja", gab der Psychologe zu. „Aber er hat Ihnen damals nicht weniger übel mitgespielt als die anderen Mitglieder des Rates, wenn auch aus anderen Gründen. Sie verstanden sich so gut mit ihm, weil auch er ... anders war. Aber er war für den Rat noch harmlos, präsentierte nur eine kleine, unbedeutende Stimme. Wenn Sie aber wirklich aufgetaucht wären damals, wer weiß, was dann geschehen wäre. Janus wußte das, und er wußte, er und Sie hatten keine Chance, etwas an dieser Situation zu ändern. Also schmiedete er einen anderen Plan, gab Ihnen die Stasiskammer und beschränkte Benutzerrechte über den Hauptrechner, weil er Sie nicht befreien konnte. Er setzte das Leben einer Dritten aufs Spiel, um Ihres zu retten. Er wußte, wenn Sie je eine Chance haben würden, dann in der heutigen Zeit und bei den Menschen. Das war es, was er Ihnen auch mitgeteilt hat, nicht wahr?"
Wieder glänzten Tränen in ihren Augen, doch noch flossen sie nicht.
"Sie waren in die falsche Zeit geboren worden, Vashtu, in die vollkommen falscheste Zeit, die Sie sich nur hätten aussuchen können. Man setzte Sie gefangen und Sie hatten nie auch nur die leiseste Chance, aus diesem Teufelskreis auszubrechen." Er zog die Kopie eines ärztlichen Berichtes aus seiner Jackettasche und reichte ihn ihr. „Noch ein Hinweis, den ich erst falsch gedeutet habe, aber inzwischen verstehe."
Vashtu las das Papier kurz durch, erstarrte dann. „Das ist eine private Angelegenheit!" entfuhr es ihr. Ein letzter Rest Zorn blitzte wieder in ihr auf.
"Nicht, wenn ich es brauchen kann. Dr. Evans fragte sich ernsthaft, ob Ihr Volk vielleicht das Klonen betrieben hatte, so unschuldig, wie Sie in Ihre Beziehung mit Colonel Sheppard gestartet sind. Aber tatsächlich ist er Ihre erste Beziehung auf dieser Ebene, nicht wahr? Sie wußten nicht, daß Sie schwanger werden können, aber das lag nicht an Ihrem doch recht fortgeschrittenen Alter, sondern an der Tatsache, daß Sie niemand vor Dr. Evans aufgeklärt hat. Sie haben das recht geschickt überspielt, Vashtu, das muß ich Ihnen lassen. Aber ein solcher Fauxpas wird Ihnen so schnell wohl nicht wieder passieren. Bis zu dem nächsten Problem, über das Sie nichts wissen."
Hilflos zerknüllte sie das Stück Papier zwischen ihren Fingern.
Mackenzie nickte. Wieder hatte er recht gehabt. Wieder war ein Damm in ihr gebrochen, und dieses Mal war es sogar ein wichtiger, wie er wußte. Das Versteckspiel war aus, er hatte sie so in die Ecke gedrängt, daß sie nicht anders konnte. Er hatte ihr die nötigen Beweise vorgelegt, die sie nicht entkräften konnte. Da half ihr selbst ihre Intelligenz nicht mehr weiter.
"Sie waren Zeuge, wie Ihre Mutter starb", begann er jetzt, „Sie wären, wie Sie selbst sagten, die nächste gewesen. Ein Leckerbissen für einen Wraith, noch so viele Lebensjahre vor sich! Er wäre sicher mehr als nur gesättigt gewesen. Sie wußten zu verhindern, daß je wieder ein Wraith Ihnen so nahe kommen konnte, nicht wahr? Aber es gab trotzdem Versuche."
Sie nickte mit starrem Gesicht.
"Viele?"
Sie zuckte mit den Schultern. „Ungefähr ... zwanzig Mal vielleicht." Sie schluckte hart. „Ich ... Es gelang mir meist, mich wieder loszuwinden und die Wraith zu töten. Aber ich wußte auch nicht, ob sie ... es konnten."
"Wissen Sie es jetzt?"
Sie schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich. Es gibt Hinweise auf Kannibalismus. Aber ob ich ..." Sie schloß den Mund und atmete einige Male tief ein.
"Sie haben sich damals hilflos gefühlt, nicht wahr? So hilflos, wie Sie nie wieder sein wollten in Ihrem Leben."
Sie nickte stumm.
"Aber dann kam erst der andere Ihres Volkes und dann Kolya."
Sie zuckte sichtlich zusammen.
Mackenzie achtete sehr genau auf ihre Reaktion und wieder fühlte er sich bestätigt. Das war von Anfang an das Problem gewesen. Deshalb steigerte sich plötzlich ihre Aggression. Als er die Berichte über den nächsten Einsatz nach ihrem Beinahe-Tod gelesen hatte, war sie auch deutlich gewaltbereiter gewesen als sonst, wenn auch lange nicht so schlimm wie nach ihrer Begegnung mit dem Genii.
"Sie waren wieder hilflos, so hilflos wie Sie auch in den Händen von Nisroch gewesen sind, nicht wahr?" Allmählich ließ er seine Stimme wieder mitfühlender klingen. Er wußte, sie war inzwischen viel zu tief in ihren eigenen Erinnerungen versunken, um die Chance zu ergreifen, ihn wieder verbal anzugreifen. Und er hatte recht.
"Kolya wollte mich töten." Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern. „Er hatte das alles sehr genau geplant. Irgendwie hatte er jemandem mit dem ATA-Gen aufgetrieben, der ... der das Gerät benutzen konnte. So störte er das Wurmloch und brachte SG-27 in die Pegasus-Galaxie. Er hat das zwar nicht zugegeben, aber ... Die Kugeln, die mich außer Gefecht setzten, mußten bereits mit dem Hoffaner-Stamm versetzt gewesen sein. Ich war ... schwach." Sie schloß die Augen. „Die Kugeln reichten aber nicht. Die Fremdzellen nahmen ihren Dienst wieder auf. Ich wußte, er wollte an John heran, also ... Es war so erniedrigend, nichts tun zu können! Ich mußte die Fremdzellen ausschalten, um ein bißchen Zeit zu gewinnen. Ich war abgelenkt und verlor so erst recht Zeit. Und dann ... Peter! Ich konnte ihn doch nicht ... Kolya stand am Ende vor ihm und wollte ihn erschießen. Er ist doch fast noch ein Kind!" Wieder schluchzte sie.
"Kolya benutzte ein Gerät, um Sie auf diesen Planeten zu locken?" Mackenzie runzelte die Stirn.
Diese Tatsache war nie geklärt worden bisher. Man war von einer merkwürdigen Anomalie ausgegangen, die das Wurmloch plötzlich befähigte, in zwei Richtungen zu wirken. Vielleicht die Tatsache, das jemand von außen in ein existierendes Wurmloch eingegriffen hatte.
Vashtu nickte, wischte sich die Tränen vom Gesicht und holte tief Atem. „Es gab Geräte, die sich in bestehende Wurmlöcher einwählen konnten, wenn sie mit einem Tor verbunden wurden. Ich weiß nicht, wie Kolya an die Information gelangte, daß ausgerechnet ich in diesem Wurmloch steckte, aber er muß eines dieser Notfallsets gefunden und herausbekommen haben, wie sie funktionierten. Damit brachte er SG-27 nach Pegasus. Ich schickte Dorn und Wallace zurück, aber Peter ... er war direkt neben mir, und er blieb auch bei mir, selbst als es noch möglich gewesen wäre, zurück zur Erde zu kommen."
"Er wollte Ihnen helfen. Er hatte gesehen, daß Sie angeschossen wurden", erklärte Mackenzie.
"Das weiß ich nicht, aber es ist möglich. Wir waren Seite an Seite." Noch immer umklammerten ihre Finger die Fotokopie des medizinischen Berichtes.
"Und als die Gene versagten?"
Sie erschauderte. „Es war ... Ich kann es nicht beschreiben! Erst fühlte ich gar nichts, nur die Schmerzen, wie sie zunahmen. Dann aber ... Peter und ich wußten nicht, ob es tatsächlich eine Kamera gab, und ich war die einzige, die die Zelle verlassen konnte. Also ... ich habe die Gene eingesetzt und die Tür aufgebrochen. Und dann ... es ging plötzlich so schnell! Ich verlor immer mehr Körperkraft. Und ich wollte nicht, daß ... Ich wollte nicht, daß jemand ... daß John ... daß Kolya gewinnt."
"Sie wollten nicht, daß irgendjemand Sie so sah, richtig? Und vor allem nicht Colonel Sheppard."
Sie nickte. „Aber ... ich fühlte, er war da, bei mir." Sie blickte auf. Ein bitteres Lächeln auf den Lippen. „Wir beide sind verbunden. Vom ersten Moment an waren wir das. Als er mich weckte, konnte ich das Band fühlen. Aber er war sich dessen nicht bewußt."
Mackenzie beugte sich über das Fußende des Bettes und runzelte die Stirn. „Verbunden?"
Sie nickte. „Er gab mir die Kraft durchzuhalten. Und er sagte mir ..." Sie schloß den Mund und schluckte wieder.
"Er sah Sie nicht wie andere Sie gesehen haben, richtig?"
Sie nickte.
"Er nahm zwar wahr, daß Sie immer älter wurden, aber für ihn war es in diesem Moment wichtiger, daß Sie überlebten. Darum sah er Sie nicht, wie andere das vielleicht taten, Vashtu."
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist noch etwas anderes." Sie schloß den Mund wieder. Ihre Hand spielte mit den Hundemarken um ihrem Hals.
"Und bei der Sache mit Nisroch war es ähnlich, nicht wahr? Sie waren nicht mehr in der Lage, irgendetwas zu tun, ohne sich selbst zu verletzen. Und das wagten Sie nicht, weil Sie sonst nicht mehr aus der Hütte gekommen wären."
Sie biß sich auf die Lippen und senkte den Kopf wieder. „Er brachte mich dazu, Atlantis zu verraten", flüsterte sie. „Er zwang mich in ... in meine Erinnerungen hinein."
Mackenzie nickte verstehend. „Es war das erste Mal, daß Sie auf dieses Gerät trafen, nicht wahr? Das ist eine traumatische Erfahrung."
"Ich konnte die Erinnerungen manipulieren, aber das wußte ich zu Anfang nicht."
Mackenzie hob den Kopf. „Sie konnten die Erinnerungen manipulieren?" Er hob die Brauen.
Wieder ein Nicken. „Aber da war es schon zu spät und ich hatte getan, was ich niemals ..." Sie stockte und holte wieder schluchzend Atem. „Es war ... Ich fühlte mich so hilflos! Ich konnte nichts tun. Bei Kolya hoffte ich, wenn ich mich halbwegs kooperativ verhielt, würde er ... Aber er wollte, daß ich sterbe. Er haßte mich so sehr - und ich haßte ihn! Ich ... John hat Kolya getötet, und ich ..." Wieder stockte sie, die Brauen verzweifelt zusammengeschoben.
Mackenzie begriff.
Eine Erinnerung war mit der anderen verbunden. Nisroch hatte ihr gefährliches Abenteuer mit Kolya wieder hervorgeholt aus der Tiefe ihres Geistes. Und da sie es noch immer nicht verarbeitet hatte, war geschehen, was geschehen mußte. Sie verwechselte die Szenarien, nicht bewußt, aber gerade das konnte eklatante Auswirkungen haben.
"Sie haßten den Colonel, daß er Ihnen zuvor gekommen war", beendete er ihren Satz.
Sie nickte stumm, die Lippen wieder zusammengekniffen.
"Was war das schwerste für Sie, Vashtu? Was hat Ihnen den größten Schrecken eingejagt?"
"Nichts tun zu können", wisperte sie kaum hörbar.
"Sich auf andere verlassen zu müssen, nicht wahr?"
Sie zögerte, doch dann nickte sie. „Ich kann mich auf John verlassen, das weiß ich, aber ..."
"Aber es fällt Ihnen schwer, sich fallen zu lassen, noch dazu in einer solchen Situation. Der Tod ist schon lange Ihr Begleiter, er hat einen großen Teil seines Schreckens für Sie verloren. Aber die Tatsache, auf andere vertrauen zu müssen, nicht die Kontrolle über das eigene Handeln zu besitzen, das ist Ihr Problem. Und Ihre Antwort darauf lautet, beim nächsten Mal noch aggressiver vorzugehen, die Schwelle zu überschreiten und alles niederzumähen, was sich Ihnen vielleicht in den Weg stellt. Habe ich recht? Es erschreckt Sie selbst, aber Sie können es nicht steuern."
Verwirrt sah sie auf und starrte ihn an. Erst nach einer Weile begann sie leise zu nicken.
"Und daran ist zum großen Teil der Rat schuld mit seiner ... Politik Ihnen gegenüber. Statt Sie wirklich anzuhören und Ihrem Plan eine Chance zu geben, hat man Sie weggesperrt und überhört. Man hat Sie mit Ihren Problemen allein gelassen, Vashtu. Diese Aggressionsschübe sind Hilferufe Ihres Geistes, der nicht mehr mit dem fertig wird, was er verarbeiten muß. Und der Rat hat auch noch dafür gesorgt, daß Sie sich sicher keine Hilfe suchen, indem er Sie und Ihren Bruder aufeinander gehetzt hat und dem Überlebenden damit ein so tiefes Schuldgefühl einimpfte, daß er, oder in diesem Falle Sie, sich ganz sicher an keinen Außenstehenden wenden würde. Sie wurden zu einem nützlichen Werkzeug, das man bei Bedarf hervorholt, ansonsten aber sich selbst überläßt und absolut sicher sein kann, daß es keinen Laut von sich gibt. Auf der Erde gab es in früheren Zeiten einmal einen Bund, der sich ähnlicher Mittel bediente: die Assassinen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen Literatur zu diesem Thema zur Verfügung stellen. Die Betroffenen wurden ebenfalls komplett isoliert, schon als Kinder. Doch bei ihnen ging man noch einen Schritt weiter und verhinderte, daß sie ein Gewissen entwickeln konnten. Sie waren dafür zu alt, Sie waren bereits geprägt durch Ihre Umwelt, darum gelang dem Rat dieses Experiment nur teilweise." Er nickte wieder, richtete sich zufrieden auf. „Jetzt können wir daran arbeiten, Major. Das war es, was ich von Ihnen wollte."

***

"Ich hasse das!" Hernan schlug seinen Hinterkopf leicht gegen den Türrahmen und stöhnte auf.
Storm blickte von seinem Comic auf und runzelte die Stirn. „Was?" fragte er.
"Das Warten. Ich hasse das Warten." Der Ex-Polizist verzog unwillig das Gesicht.
Storm blickte auf das Heft mit den bunten Bildern hinunter. „Soll ich dich ablösen?" fragte er mit einem leisen Bedauern in der Stimme. Eigentlich wollte er jetzt unbedingt die Auflösung wissen, aber wenn es eben nicht anders ging ...
"Nein!" Hernan knurrte dieses Wort wie ein tollwütiger Hund. „Ich halte das schon aus. Nur muß ich bei einer Überwachung immer daran denken, wieviele Verbrechen gerade andernorts geschehen, an denen ich nichts ändern kann."
Storm blätterte die Seite um. „Würde ich mir nicht vorstellen", antwortete er wie auf eine Frage. „Würde müßig werden. Nene, ich konzentriere mich lieber auf das, was vor mir liegt."
Hernan warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Klar. Wie weit ist Superman? Schon im Kryptonit gebadet?"
Sollte einer aus diesen Leuten vom SGC schlau werden, er hatte es aufgegeben. So gut er auch mit Storm zusammenarbeitete, aber mit seiner Gelassenheit konnte dieser MP ihn in den Wahnsinn treiben.
"Spiderman", korrigierte Storm ruhig. „Ist gerade dem Superschurken auf der Spur." Er vergrub seine Nase tiefer in das Comic, um überhaupt noch etwas entziffern zu können in dem wenigen Licht, daß vom Gang zu ihnen hereinschien.
Hernan seufzte, richtete seine Konzentration wieder nach draußen auf den Gang. Dann erstarrte er, als er die Gestalt sah, die sich schnurstracks dem Krankenzimmer auf der anderen Seite des Ganges näherte. „Jeff, es geht los", zischte er.
Nur einen Atemzug später war der MP an seiner Seite, die Waffe bereits in der Hand. Vorsichtig lugte er durch den schmalen Türspalt und runzelte die Stirn. „Der Typ ist mir doch schon über den Weg gelaufen ..."
Hernan zückte ebenfalls seine Waffe und entsicherte sie. „Tatsächlich? Wo denn?"
"Hier", kam die einsilbige Antwort. „Unten im Besuchershop."
Die Gestalt öffnete die Tür zum Zimmer von Mrs. Babbis.
Die beiden Ermittler beobachteten, wie der Eindringling den Raum betrat und warteten noch zwei Sekunden, ehe sie, so schnell und lautlos wie möglich, über den Flur huschten.
Hernan riß die Tür auf, Storm sprang vor. „Keine Bewegung!" bellte der MP mit donnernder Stimme.
Der hagere, hochgewachsene Mann hatte sich über das Bett gebeugt und wohl gerade festgestellt, daß sein Opfer nicht mehr hier war. Jetzt starrte er die beiden Männer an. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, dann stieß er einen Fluch aus.
"Stephen Coin, Sie sind verhaftet!" Hernan hatte nun auch seine Waffe auf den Fremden gerichtet und zielte sorgfältig.
Der Fremde hob die Arme. Die Blicke, die er den beiden zuwarf, waren mörderisch.

***

Eine Woche später

Peter Babbis betrat unsicher den Gateroom, zupfte immer wieder an seiner Uniformjacke herum und wagte kaum, den Blick zu heben.
"Schön, dich wiederzusehen, Peter", begrüßte ihn Wallaces Stimme.
Der junge Wissenschaftler nickte, blieb dann vor einem Paar schlanken Beinen in Militärhosen stehen, deren Füße in wesentlich kleineren Schnürstiefeln als den seinen steckten.
"Die Brille steht Ihnen, Peter."
Jetzt blickte er doch auf, in ein Paar sprechende, dunkle Augen, die ihn amüsiert anblinzelten. „Doch, schick."
"Danke", murmelte er.
Major Vashtu Uruhk nickte, reckte den Hals und lächelte. „Gern geschehen", wisperte sie zurück. „Aber machen Sie soetwas nie wieder, Peter. Soviel Kraft habe ich nicht."
Er nickte und fühlte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg.
"Ihre Mutter wird noch ein langes und glückliches Leben führen. Leider konnte ich nichts gegen die Blindheit tun, aber zumindest ist sie wieder gesund."
Wieder ein Nicken.
Vashtu wurde ernst. „Und dieser Coin?" fragte sie mitfühlend.
"Er wollte sich vor allem an meinem Vater rächen - aber auch an mir. Darum hat er sich dieses Szenario ausgedacht. Mein Vater hatte ihn durch eine wichtige Prüfung fallen lassen, so daß er sein Studium aufgeben mußte. Von mir fühlte er sich ausgebootet, weil ich zur Army gegangen bin, er aber abgelehnt wurde." Peter zuckte hilflos mit den Schultern. „Meine Mutter ist nur zwischen die Fronten geraten und wurde zu seinem Spielball."
Sie nickte. „Passiert öfters." Es lag kein Schmerz mehr in ihren Augen, nur Nachdenklichkeit.
"SG-27, sind Sie bereit?" fragte Landrys Stimme über den Lautsprecher.
Die Antikerin drehte sich um, blickte die Rampe hinauf. Einen Moment lang umklammerten ihre Hände die P-90, doch nur, um die Waffe in ihre Weste zu harken. Dann schritt sie beherzt das Metallgestänge hinauf, dicht hinter sich Peter, der von Dorn begleitet wurde. Das Schlußlicht bildete Wallace, der seine Nase tief in sein Notizbuch vergraben hatte.
Peter beobachtete, wie die Chefrons einrasteten - und plötzlich fühlte er sich, als würde er gerade nach Hause kommen. Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen, als er neben Vashtu Aufstellung nahm.
Die warf ihm einen fragenden Blick zu, wartete auf sein Nicken, ehe sie die Com-Taste ihres Funkgerätes aktivierte. „SG-27 bereit zum Ausrücken, Sir."
Mit einem dumpfen Laut etablierte sich das Wurmloch, noch geschützt durch die metallene Iris.
Peter fühlte, wie seine Aufregung wuchs. Eine gute Aufregung. Gleich würde er ein Abenteuer erleben, auf irgendeinem anderen Planeten. Und an seiner Seite hätte er die einzige Frau, der er vollständig vertraute und für die er sein Leben geben würde.
"Viel Glück, SG-27. Und kommen Sie gesund zurück."
Die Iris fuhr zurück und gab den Blick frei auf das Wurmloch.
Seite an Seite traten Vashtu und Peter in den Ereignishorizont.

2 Kommentare:

  1. Oh nein...ich bin so doof :D
    Ich habe gestern schon was geschrieben und hab dann vollkommen vergessen das abzuschicken :D
    Na gut, dann muss ich das mal eben noch einmal schreiben ^^

    Also: Ich freue mich, dass die Stephen Coin doch so schnell gefasst haben!
    Jetzt ist Babbis endlich wieder frei =)
    Und seiner Mutter geht es ja nun auch wieder besser! Hat Vashtu sie geheilt?

    Wo ich gerade bei Vasthu bin. Da hat sie es ja doch tatsächlich geschafft, doch noch etwas zu erzählen.
    Aber nach dem, was Mackenzie ihr alles an den Kopf geworfen hat, kein Wunder, dass sie irgendwann nachgegeben hat ;)
    Wurde aber auch mal langsam Zeit, dass sie sich alles von der Seele redet, so viel wie sie schon erlebt hat oO

    7 Punkte von 15. Das macht eine 3- im Notensystem. Nicht besonders gut, aber bei meinem Mündlichen "Talent" ^^ bin ich relativ zufrieden. Klar hätte ruhig besser sein können :D aber was solls...
    Ich hoffe einfach mal, dass die schriftlichen besser ausfallen werden.

    LG Sabrina

    AntwortenLöschen
  2. *lach* Kann schon mal passieren. Ich hab auch nicht wirklich Zeit im Moment. Eine Kollegin krank, drei weitere im Urlaub und ein Volksfest in der Stadt ... *stöhn*.

    Aber zurück zu deinem Comment:
    Ja, Vashtu hat Mrs. Babbis geheilt, zumindest so gut sie konnte. Die Sehkraft konnte sie nicht wieder herstellen. Und Peter ist frei ... wobei mich schon interessieren würde, wie es wohl gewesen wäre, ihn ins Gefängnis zu stecken, unseren kleinen AushilfsMcKay *flöt* ...
    *lach* schon lustig, jetzt wo ich den Namen Mackenzie wieder lese, muß ich an die FF denken, die ich durchgeackert habe in der letzten Zeit. Da hat er was ähnliches mit dem armen Daniel *wieder mal* getrieben wie hier mit Vashtu. Wobei ... mh, ich bin selbst nach der langen Zeit immer noch nicht sicher, ob er wirklich sauer auf sie war oder das ganze nur gespielt war, um endlich ihren Widerstand zu brechen. Eines jedenfalls hat er ausgelöst - Vashtu wird zukünftig nicht mehr sonderlich gut auf Janus zu sprechen sein *hihi*. Irgendwie nimmt sie ihm sein Spielchen mit ihren Gefühlen doch ein wenig übel - warum bloß?

    Zu der mündlichen Prüfung: Jeder kann das eben nicht. Oder das Talent kommt erst sehr viel später. Zudem sind da überhaupt die Prüfungsbedingungen. Also da finde ich, selbst aus der Ferne, du hast das ganz gut gemacht. Und ich drück dir weiter die Daumen wegen der Ergebnisse.

    Dank dir jedenfalls wieder für deine Treue und das liebe Comment.

    Bis denne
    Ramona

    AntwortenLöschen